S 6 R 574/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 6 R 574/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die rückwirkende Feststellung seiner Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung im Zugunstenverfahren.

Der am 00.00.000 geborene Kläger stellte am 00.00.0000 bei dem Arbeitsamt B. einen Antrag auf Überbrückungsgeld, weil er beabsichtigte, ab dem 00.00.0000 eine selbständige Tätigkeit als Keyboardlehrer in B. aufzunehmen. Nach Aufnahme der selbständigen Tätigkeit hob das Arbeitsamt B. die bislang gewährte Arbeitslosenhilfe auf und bewilligte ihm mit Bescheid vom 00.00.0000 Überbrückungsgeld für die Zeit vom 00.00.0000 bis 00.00.0000. Zu dieser Zeit war er bei der Techniker Krankenkasse freiwillig krankenversichert. Ab dem 00.00.0000 bestand eine freiwillige Krankenversicherung bei der IKK-direkt. Am 00.00.0000 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Prüfung der Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung (im Folgenden: KSV). Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 00.00.0000 eine Versicherungspflicht des Klägers in der KSV (Kranken,- Renten- und Pflegeversicherung) fest. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig. Mit Bescheid vom 00.00.0000 stellte die DRV Rheinland eine Versicherungspflicht des Klägers in der Rentenversicherung fest und erhob Beiträge für die Zeit ab dem 00.00.0000 nach. Der Kläger legte Widerspruch gegen jenen Bescheid ein und stellte am 00.00.0000 bei der Beklagten einen Antrag auf Rücknahme des Bescheides vom 00.00.0000. Zur Begründung führte er aus, jener Bescheid sei deshalb rechtswidrig, weil das Arbeitsamt seinerzeit gegen Beratungspflichten verstoßen habe, welche sich die Beklagte zurechnen lassen müsse. Angesichts der seinerzeit dem Arbeitsamt mitgeteilten Absicht der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit nämlich hätte ein Hinweis auf die Möglichkeit einer guten und günstigeren Versicherung bei der Beklagten erfolgen müssen. Aus diesem Grund sei der bestandskräftige Bescheid vom 00.00.000 zurückzunehmen und eine Versicherungspflicht in der KSV jedenfalls für die Zeit ab 00.00.0000 festzustellen. Mit Bescheid vom 00.00.0000 lehnte die Beklagte eine Rücknahme des Bescheides vom 00.00.0000 ab. Zur Begründung führte sie aus, eine Meldung zur KSV sei erst am 00.00.0000 erfolgt. Der Kläger legte am 00.00.0000 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 00.00.0000 zurückwies. Zur Begründung führte sie aus, ein Beratungsfehler des Arbeitsamtes sei nicht nachgewiesen worden.

Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage.

Der Kläger sieht sich in seiner Rechtsauffassung durch das Urteil des BSG vom 04.09.2013 – Az. B 12 AL 2/12 R bestätigt, dessen Inhalt bislang lediglich im Terminbericht Nr. 43/13 zusammengefasst ist.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 00.00.0000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 00.00.0000 zu verurteilen, den Bescheid vom 00.00.0000 abzuändern und seine Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung ab dem 00.00.0000 festzustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hält an ihrer bisherigen Auffassung fest.

Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts die bei der Techniker Krankenkasse und der Bundesagentur für Arbeit geführten Verwaltungsvorgänge beigezogen (soweit diese noch nicht vernichtet wurden), auch soweit diese die Versicherung des Klägers bei der IKK-direkt betrafen. Es hat den Kläger ferner im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausführlich zur seinerzeitigen Beratung durch das Arbeitsamt B. angehört.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, der Bundesagentur für Arbeit und der Techniker Krankenkasse verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Er hat keinen Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides vom 00.00.0000 und Feststellung seiner Versicherungspflicht in der KSV ab dem 00.00.0000.

Grundlage für die vom Kläger begehrte Rücknahme ist § 44 Abs. 2 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Soweit der Kläger sein Begehren auf § 44 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt SGB X stützt, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt worden ist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, dieser Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Das Tatbestandsmerkmal "Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht" bzw. "Beiträge zu Unrecht erhoben" setzt einen unmittelbaren Bezug zur Erbringung von Sozialleistungen bzw. zur Erhebung von Beiträgen voraus. Nicht ausreichend ist, dass der bestandskräftige Bescheid im weiteren Sinne mit Sozialleistungen oder Beiträgen zusammenhängt. Er muss vielmehr eine unmittelbare Regelung zu Sozialleistungen oder Beiträgen treffen (BSG, Urteil vom 29.5.1991 – 9a/9 RVs 11/89 = juris Rz 18; Merten, in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand 2013, § 44 Rz 47; Hess. LSG, Urteil vom 15.3.2010 – L 1 KR 47/08 = juris Rz 33). An dieser Voraussetzung fehlt es im vorliegenden Fall. Denn der bestandskräftige Bescheid der Beklagten ist für die Zeit ab 00.00.0000 beitragsneutral. Nicht dieser Bescheid steht mit der Erhebung von Beiträgen in unmittelbarem Zusammenhang, sondern allein der Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 00.00.0000.

Eine Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides der Beklagten auf der Grundlage des somit einschlägigen § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X scheidet indessen bereits schlechthin aus. Denn die Beurteilung von sozialrechtlichen Versicherungsverhältnissen kann für die Vergangenheit grundsätzlich nicht geändert werden (dazu etwa Hess. LSG, Urteil vom 15.3.2010 – L 1 KR 47/08 = juris Rz 34 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 8.12.1999 – B 12 KR 12/99 R = juris Rz 24).

Selbst wenn man sich dieser Auffassung nicht anschließen wollte, lägen die Voraussetzungen des § 44 Abs. 2 SGB X nicht vor. Denn der Bescheid der Beklagten vom 00.00.0000 ist nicht rechtswidrig im Sinne jener Vorschrift. Im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Rechtswidrigkeit ist § 44 Abs. 2 SGB X kein anderer Bedeutungsgehalt zu Grunde zu legen, als § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. "Rechtswidrig" ist ein unter § 44 Abs. 2 SGB X fallender Bescheid demnach, wenn entweder das Recht unrichtig angewandt oder ein unrichtiger Sachverhalt zu Grunde gelegt worden ist (Merten, in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand 2013, § 44 Rz 80). Ein Verstoß gegen materielles Recht ist jedoch im vorliegenden Fall nicht gegeben. Hierbei verkennt die Kammer nicht, dass eine Rechtswidrigkeit im Sinne von § 44 Abs. 1 bzw. Abs. 2 SGB X auch daraus resultieren kann, dass ein Verstoß gegen ungeschriebenes Richterrecht vorliegt, namentlich im Fall des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (BSG, Urteil vom 11.4.1985 – 4b/9a RV 5/84 = juris Rz 19; ferner Waschull, in: LPK-SGB X, 3. Aufl. 2011, § 44 Rz 40; Merten, in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand 2013, § 44 Rz 17).

Im vorliegenden Fall liegen jedoch die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nichts vor. Das richterrechtliche Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs setzt voraus, dass ein Sozialleistungsträger durch die Verletzung einer ihm aus dem Sozialleistungsverhältnis obliegenden Haupt- oder Nebenpflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung, nachteilige Folgen für die Rechtsposition des Betroffenen herbeigeführt hat und diese Rechtsfolgen durch ein rechtmäßiges Verwaltungshandeln wieder beseitigt werden können. Ausreichend ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Pflichtverletzung und dem Nachteil für den Betroffenen, auf ein Verschulden kommt es nicht an (statt vieler etwa BSG, Urteil vom 5.4.2000, B 5 RJ 50/98 = juris m.w.N.; BSG, Urteil vom 14.11.2002, B 13 RJ 39/01 R = juris).

Im vorliegenden Fall ist eine Pflichtverletzung des Arbeitsamtes B. gegenüber dem Kläger nicht belegt. Zwar hat der Kläger ausgeführt, er sei seinerzeit nicht auf die (rückblickend) nahe liegende Möglichkeit der Versicherung bei der Beklagten hingewiesen worden. Der Kläger hat jedoch im Rahmen der mündlichen Verhandlung selbst einräumen müssen, sich an Einzelheiten jenes vor rund 10 Jahren geführten Gesprächs nicht mehr erinnern zu können. So war ihm nicht einmal mehr erinnerlich, ob er seinerzeit mit einer Sachbearbeiterin oder mit einem Sachbearbeiter gesprochen hatte. Die Nichtaufklärbarkeit jener Umstände geht zu Lasten des Klägers. Denn er trägt die materielle Beweislast für die Tatsachen, welche den vom ihm geltend gemachten Anspruch begründen (allgemein etwa Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGGG, 10. Aufl. 2012, § 103 Rz 19a mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Hieran vermag auch die Entscheidung des BSG vom 04.09.2013 (Az.: B 12 AL 2/12 R) nichts zu ändern, die der Kläger für sein Begehren reklamiert. Abgesehen davon, dass die Gründe jener Entscheidung noch nicht vorliegen, werden jedenfalls im Terminbericht Nr. 43/13 lediglich Feststellungen zur konkreten Sachverhaltskonstellation getroffen. Eine Übertragung auf den vorliegenden Fall, in dem sich nicht mehr feststellen lässt, ob es vor mehr als 10 Jahren zu einer Pflichtverletzung des Arbeitsamtes B. gekommen ist, scheidet damit aus.

Ist somit schon eine Pflichtverletzung des Arbeitsamtes B. gegenüber dem Kläger nicht bewiesen, so kann es dahin stehen, ob sich die Beklagte ein solches Fehlverhalten überhaupt zurechnen lassen müsste.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved