Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
12
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 12 SB 655/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) streitig.
Bei dem am 00.00.0000 geborenen Kläger stellte der Beklagte mit Bescheid vom 08.06.2009 aufgrund eines Tinnitus mit Konzentrations- und Schlafstörungen, einer Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule bei Bandscheibenprotrusion L5/S1, LWS-Syndrom und HWS-Syndrom, einer Funktionseinschränkungen der unteren Gliedmaße bei Faszikulationen des linken Oberschenkels mit Oberschenkelatrophie, einer Fettleber und Funktionsbeeinträchtigungen von Herz und Kreislauf einen GdB von 20 fest.
Der Kläger stellte am 23.11.2012 einen Änderungsantrag. Hierbei gab er an er leide unter Funktionsbeeinträchtigungen durch einen beiderseitigen chronischen, dekompensierten komplexen Tinnitus Grad IV, Anpassungsstörungen mit Angst und Depressionen, Innenohrschwerhörigkeit mit Hochtonabfall beidseitig, HWS-/LWS- Syndrom, Hypothyreose, hypertrophischer obstruktiver Kardiomyopathie, Muskelfaszikulationen, Bluthochdruck und Leberverfettung. Durch den Tinnitus erleide er schwerste psychische Beeinträchtigungen. Seine Erwerbsfähigkeit im bisherigen Beruf massivst eingeschränkt, da die Arbeit mit hohen Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit verbunden sei und auch seine soziale Kompetenz sei erheblich eingeschränkt. Er leide unter diversen körperlichen, geistigen, seelischen sowie beruflichen Beeinträchtigungen. Dem Antrag fügte er Arztberichte des Arztes für Allgemeinmedizin Trevisan, des Neurologen Dr. W., der nuklearmedizinischen Klinik des Universitätsklinikums E., der Gastroenterolgen Dres L., der Orthopädin Dr. G., der Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde und Plastische Kopf- und Halschirurgie des Universitätsklinikums B., des Kardiologen Dr. W. und des Radiolgen Dr. I. sowie einen Entlassungsbericht der MediClin C. Kliniken betreffend einen stationären Aufenthalt vom 28.08.2012 bis 18.09.2012 bei. Der Beklagte holte darüber hinaus einen Befundbericht der Hausärzte U., des Facharztes für psychotherapeutische Medizin und Psychoanalyse Dr. T., der HNO-Ärztin Dr. W. sowie des HNO Arztes Doktor N. ein. Frau Dr. W. kam für den medizinischen Dienst des Beklagten zu der Einschätzung, der Tinnitus des Klägers sei mit einem GdB von 30, die psychischen Beeinträchtigungen mit einem GdB von 20 sowie die Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule, die Funktionseinschränkungen der unteren Gliedmaße, die Fettleber sowie die vom zu uns Beeinträchtigung von Herz und Kreislauf mit einem GdB von jeweils 10 in Ansatz zu bringen. Der Gesamtgrad der Behinderung sei mit 40 festzustellen.
Mit Bescheid vom 06.03.2013 stellte der Beklagte beim Kläger ab dem 23.11.2012 einen GdB von 40 fest.
Hiergegen legte der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, am 26.03.2013 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, insbesondere die Bewertung des Tinnitus und der psychischen Beeinträchtigungen sei zu gering bemessen. Ihm stehe mindestens ein GdB von 50 zu.
Nach gutachterlicher Stellungnahme der Sozialmedizinerin Palm-Römer wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10.06.2013 als unbegründet zurück.
Am 28.06.2013 hat der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, Klage erhoben. Der Klage beigefügt war ein sozialmedizinisches Gutachten des MDK Nordrhein vom 16.04.2013 wonach beim Kläger für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Revisor in einem Bankunternehmen aufgrund der hohen Anforderungen an die Konzentration wegen des chronischen dekompensierten Tinnitus mit Innenohrschwerhörigkeit im Hochtonbereich weiterhin von einer Arbeitsunfähigkeit auszugehen sei.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten des Neurologen Dr. W., des Facharztes für Allgemeinmedizin, psychotherapeutische Medizin – Psychotherapie und Psychoanalyse – Dr. T., der Praktischen Ärztin U., des Kardiolgen Dr. W., des Urologen und Andrologen Dr. Q., der HNO-Ärztin Dr. W., der Orthopädin Dr. G. sowie des HNO-Arztes Dr. N. Der Kläger hat überdies ein im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung Bund eingeholtes Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M. zu den Akten gereicht. Das Gericht hat schließlich ein Gutachten des Facharztes für Innere Medizin/Rheumatologie/Psychosomatische Medizin und Psychotherapie/Psychoanalyse L. eingeholt, welches dieser – nach Untersuchung des Klägers am 02.12.2013 – am 10.12.2013 erstattet hat.
Mit Bescheid vom 07.01.2014 hat die Deutsche Rentenversicherung Bund dem Kläger ab dem 01.06.2013 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt.
Am 25.02.2014 hat ein Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden, in dem der Kläger im Wesentlichen ausgeführt hat, er halte den GdB von 40 nicht für zutreffend.
Der Kläger hat, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 06.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.06.2013 zu verurteilen, seinen GdB ab dem 23.11.2012 mit 50 zu bewerten.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und nimmt insbesondere Bezug auf die Stellungnahmen seines ärztlichen Beraters Dr. N. sowie die Ausführungen des Gutachters L.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht beschwert, da diese rechtmäßig sind. Ihm steht derzeit kein höherer GdB als 40 zu.
Nach § 2 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion oder geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft dargestellt. Bei dem Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
Die Bemessung des Gesamt-GdB hat dabei in mehreren Schritten zu erfolgen und ist tatrichterliche Aufgabe (BSG Beschluss vom 09.12.2010 – B 9 SB 35/10 B = juris Rn. 5 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinn von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX und die daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. Sodann sind diese den in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Schließlich ist unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-GdB zu bilden (BSG Urteil vom 30.09.2009 – B 9 SB 4/08 R = juris Rn. 18 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Nach Teil A Ziffer 3 der Anlage zu § 2 der aufgrund § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassenen Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (BGBl. I 2008, S. 2412 - Versorgungsmedizin-Verordnung) vom 10.12.2008 (Versorgungsmedizinische Grundsätze), die wegen § 69 Abs. 1, Satz 4 SGB IX auch im Schwerbehindertenrecht zur Anwendung kommt, sind zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung rechnerische Methoden, insbesondere eine Addition der Einzelgrade der Behinderung, nicht zulässig. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad der Behinderung bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad der Behinderung 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei ist gemäß Teil A Ziffer 3 lit. d) ee) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu beachten, dass leichtere Gesundheitsstörungen mit einem Einzelgrad der Behinderung von 10 nicht zu einer Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung führen, selbst wenn mehrere dieser leichteren Behinderungen kumulativ nebeneinander vorliegen. Auch bei Leiden mit einem Einzelgrad der Behinderung von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine Zunahme des Gesamtausmaßes der Behinderung zu schließen.
Schließlich sind bei der Festlegung des Gesamt-GdB zudem die Auswirkungen im konkreten Fall mit denjenigen zu vergleichen, für die in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen feste GdB-Werte angegeben sind (BSG Urteil vom 02.12.2010 – B 9 SB 4/10 R = juris Rn. 25; vgl. auch Teil A Ziffer 3 lit. b) Versorgungsmedizinische Grundsätze).
Der Kläger leidet zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung unter
1. einer depressiv, ängstlichen Anpassungsstörung bei Ohrgeräuschen (Tinnitus) 2. einem statisch degenerativen Wirbelsäulen-Syndrom 3. einer hypertrophen obstruktiven Cardio-Myopathie 4. Prostataadenom Stadium I
Das Vorliegen dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen steht nach Auffassung der Kammer aufgrund der im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten Befund- und Arztberichte sowie den Gutachten des Dr. M. und des Herrn L. fest.
Die Gutachten beruhen auf umfangreichen Untersuchungen, die von erfahrenen medizinischen Gutachtern unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat keinen Anlass an der Richtigkeit und Vollständigkeit der in den Gutachten erhobenen medizinischen Befunde und gestellten Diagnosen zu zweifeln. Substantiierte Einwendungen gegen die medizinischen Feststellungen sind von den Beteiligten nicht vorgebracht worden. Lediglich über die sozialmedizinische Bewertung konnte zwischen den Beteiligten keine Einigkeit erzielt werden.
Der Kläger klagt nach den Feststellungen seiner behandelnden Fachärzte für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Dr. W. und Dr. N. seit etwa 2005 über starken Tinnitus mit Schlafstörungen und ausgeprägten Einschränkungen der Konzentrationsfähigkeit. Aufgetreten sei das Geräusch erstmalig im Rahmen einer Radiojod-Therapie. Der Tinnitus wurde durch die behandelnden Ärzte durch audiometrische Untersuchungen (Tinnitus-matching) diagnostisch gesichert und als sog. subjektiver Tinnitus qualifiziert (vgl. hierzu Strutz/Mann, Praxis der HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie, 2. Aufl. 2010, S. 302; Delb/D Amelio/Archonti/Schonecke, Tinnitus, 2002, S. 18). Im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme in den MediClin C. Kliniken vom 28.08.2012 bis zum 18.09.2012 wurde der Tinnitus als chronisch dekompensierter Tinnitus Grad IV beschrieben (vgl. zu der Einteilung in Schweregrade Hesse, Tinnitus, 2008, S. 83; Delb/D Amelio/Archonti/Schonecke, Tinnitus, 2002, S. 44).
Bei dieser Sachlage liegt der Schwerpunkt der sozialmedizinischen Bewertung gemäß Teil B Ziffer 5.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze auf den psychischen Begleiterscheinungen (vgl. dazu auch Reiß, Facharztwissen HNO-Heilkunde: Differenzierte Diagnostik und Therapie, 2009, S. 1066 f.; Hesse, Tinnitus, 2008, S 183).
In diesem Zusammenhang war zum einen das für die Deutsche Rentenversicherung Bund erstellte Gutachten des Psychiaters und Psychotherapeuten Dr. M. auszuwerten. Der Gutachter diagnostizierte beim Kläger neben einem Tinnitus (ICD 10 H 93.1) das Vorliegen einer länger andauernden depressiven Entwicklung bei Überforderung (ICD 10 F 43.21). Der Gutachter führt aus, der Kläger klage über Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, Unruhe, Nervosität, Abgeschlagenheit, Lustlosigkeit, Tagesmüdigkeit, Antriebslosigkeit, Geräuschempfindlichkeit sowie Faszikulationen im linken Bein. Maßgeblich für die Beurteilung des GdB sind freilich nicht die Diagnosen sondern die Auswirkungen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen (vgl. dazu auch BSG Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 3/12 R = juris Rn. 28).
Der Gutachter Dr. M. bechreibt, dass der Kläger einmal in der Woche Tischtennis spielt und ins Fitnessstudio und in die Sauna geht. Abends spiele er mit Familienangehörigen einfache Kartenspiele. Er begleite seine Ehefrau an Wochenende bei der Erledigung von Einkäufen. Seine persönlichen Interessen könne der Kläger weitgehend persönlich vertreten, benötige hierbei jedoch in zunehmendem Maße die Hilfe seiner Frau. Der Kläger habe einen Behandlungsversuch beim Psychotherapeuten unternommen. Eine medikamentöse Behandlung der depressiven Symptomatik erfolge nicht. Es sei in der Vergangenheit fünf bis sechs Wochen Citalopram (ein Wirkstoff aus der Gruppe der sogenannten Antidepressiva und selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer - SSRI). eingenommen worden, allerdings habe sich hierbei kein Erfolg eingestellt. Dr. M. vertrat in seinem Gutachten die Auffassung, der Kläger bedürfe einer ambulanten wenn nicht gar einer stationären Psychotherapie. Er sei aufgrund seiner chronifizierten Erkrankung und der massiven Symptomatik nicht arbeits- und auch nicht erwerbsfähig.
Neben dem Gutachten des Dr. M. sind zudem die Feststellungen des Herrn L. zu berücksichtigen, der den Kläger im Auftrag des Gerichts etwa drei Monate später erneut untersucht hat.
Der Kläger schilderte dem Gutachter gegenüber, dass er gegen 23:00 Uhr zu Bett gehe und um 6:30 Uhr aufstehe. Morgens sei er meist unausgeschlafen. Er frühstücke zusammen mit seiner Frau. Wenn diese dann zur Arbeit fahre lege er sich meistens noch einmal auf die Couch und beginne mit einer Neurostimulation. Er habe einen ganzen Katalog von Ablenkungsstrategien wie Malen und Musikhören. Letzteres würde gut funktionieren und seinen Tinnitus übertönen, außerdem mache er Autogenes Training. Er würde oft alleine längere Waldspaziergänge unternehmen. Er habe zuhause ein Ergometer stehen welches er auch regelmäßig benutze. Seine Frau komme zur Mittagszeit für eine Stunde nach Hause, sie essen dann gemeinsam, danach lege er sich zum Mittagsschlaf hin. Im Nachmittag besuche er häufig in der Nachbarschaft seinen Schwiegervater und trinke mit ihm eine Tasse Kaffee. Einmal in der Woche gehe er zum Fitness, mache danach Sauna und treffe sich in einer Hobbygruppe zum Tischtennis. Abends werde dann meist zusammen gegessen, häufig spielten sie noch mit dem Schwiegervater ein Kartenspiel und wenn dieser gegen 21:00 Uhr zu Bett gehe schauten sie gelegentlich nochmal etwas fern um dann gegen 23:00 Uhr ins Bett zu gehen. Im Haushalt mache er nicht viel, sie hätten eine Haushaltshilfe, er würde jedoch ab und zu mal staubsaugen, mal rasenmähen, dann habe er ein anderes Geräusch im Kopf. Einen Freundes – und Bekanntenkreis habe er nicht mehr er habe sich gänzlich hieraus zurückgezogen. Er sei früher sehr aktiv gewesen im Musikverein und im Tischtennisclub im Ort, jetzt wurde er keine Veranstaltungen mehr besuchen. Auch kulturelle Veranstaltungen, wie Kino, Theater und Konzerte würde er nicht mehr besuchen, lediglich versuche er einmal im Jahr zum Neujahrskonzert des Musikvereins zu gehen, wenn es ihm gelinge. Häufig nähmen sie am Wochenende den Schwiegervater mit zu einem gemeinsamen Spaziergang und gingen dann noch gemeinsam in ein Café. Ansonsten habe er keine regelmäßigen Termine. Er würde nicht zu gern in Urlaub fahren, aber er mache es seiner Frau zu liebe, damit diese mal rauskomme. Im Sommer führen Sie zwei Wochen, im Frühjahr eine Woche, meist in den Schwarzwald in eine ihnen bekannte Unterkunft. Dort würde er sich heimisch fühlen und brauche keine Eingewöhnung.
Hinsichtlich des psychischen Befundes stellte der Gutachter fest, dass keine Bewusstseinsstörungen oder Orientierungsstörungen vorliegen. Der Kläger war zeitlich, örtlich, situativ und zur eigenen Person voll orientiert. Aufmerksamkeit – und Gedächtnisstörungen konnte nicht festgestellt werden. Formale Denkstörungen, überwertige Ideen, Zwänge, Phobien, ein Wahnsystem oder Sinnestäuschungen sowie schwere Ich- und Persönlichkeitsstörungen konnten ausgeschlossen werden. Der Kläger konnte gegenüber dem Gutachter angemessen über seine Beschwerden berichten, die glaubhaft und ernst vorgetragen wurden, ohne jegliche Verdeutlichungs – oder Aggravationstendenzen. Im Ausdrucksverhalten erschien der Kläger ausgewogen und angemessen. Von der Stimmung her wirkte er ernst, gedrückt, subdepressiv etwas verunsichert und ängstlich. Im Affektverhalten wirkte er adäquat und angepasst. Das Erscheinungsbild gepflegt, das Benehmen freundlich und höflich. Der Kläger hatte während der anderthalbstündigen Exploration Schwierigkeiten, die Konzentration aufrecht zu erhalten. Der psychische Befund entsprach damit im Wesentlichen dem bei der Untersuchung durch Dr. M.
Nach den Feststellungen beider Gutachter sowie unter Berücksichtigung der eingeholten Arzt- und Befundberichte geht die Kammer davon aus, dass in Folge des chronfizierten Tinnitus beim Kläger seit Antragstellung sowie bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung wesentliche Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit eingetreten sind, welche gemäß Teil B Ziffer 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit einem GdB von 40 zu bewerten sind (vgl. hierzu Losch, in Nieder/Losch/Thomann, Behinderungen zutreffend einschätzen und begutachten, 2012, B 5, S 113). Entgegen der Auffassung des Klägers sind jedenfalls derzeit mittelgradigen Anpassungsschwierigkeiten noch nicht objektiviert. Hinweise, die für eine dauerhafte schwere psychische Störung sprechen, haben sich durch die Beweisaufnahme nicht ergeben. Der Kläger hat gegenüber dem Gutachter L. angegeben, er habe einen ganzen Katalog von Ablenkungsstrategien wie Malen und Musik hören. Insbesondere Letzteres würde gut funktionieren und seinen Tinnitus übertönen, außerdem mache er Autogenes Training. Eine kontinuierliche psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung des Klägers hat nicht stattgefunden. Die zunächst begonnen Medikation mit Citalopram wurde nach kurzer Zeit wieder eingestellt. Eine neue Medikation wurde nicht versucht. Soweit der Kläger darauf verweist, dass ihm vom Rentenversicherungsträger eine volle Erwerbsminderungsrente auf Dauer bewilligt worden ist, so ist dieser Aspekt zweifellos bei der Frage der psychischen Belastung durch den Tinnitus zu berücksichtigen. Die Annahme mittelgradiger sozialer Anpassungsschwierigkeiten würde neben den Auswirkungen im Berufsleben aber auch erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und eine affektive Nivellierung voraussetzen (vgl. Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirats BMA am 18./19.03.1998 – zitiert Wendler/Schillings, Versorgungsmedizinische Grundsätze, 5. Aufl. 2012, S. 126 f.; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil vom 18.08.2011 – L 7 SB 106/07 = juris). Trotz der vom Rentenversicherungsträger angenommenen Erwerbsunfähigkeit des Klägers, steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass beim Kläger in zahlreichen Bereichen, welche der Betrachtungsweise des ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit, Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (Hrsg.), Version 2005) zugrunde liegen, nur geringe Beeinträchtigungen objektiviert sind. So kann der Kläger noch voll selbständig die täglichen Routinen der Selbstversorgung durchführen. Er kümmert sich ebenfalls eigenständig und umfassend um seine Gesundheitsvorsorge (Fitnesstraining, Ergometer-Training, Sauna, Tischtennis, Neurostimulation). Er übernimmt Aufgaben im häuslichen Bereich. Das Verhältnis zu seiner Ehefrau wird als harmonisch beschrieben. Auch zum Schwiegervater hat er ein gutes Verhältnis. Es werden gemeinsam Spiele gespielt. Der Kläger und seine Ehefrau fahren – auch wenn dem Kläger nach eigenen Angaben nicht so wichtig ist – regelmäßig in Urlaub. Dort gefällt es ihm nach eigenen Angaben auch. Die soziale Betätigung ist zwar nach den Darstellungen des Klägers in den letzten Jahren sehr zurückgegangen. So nimmt er nicht mehr aktiv am Vereinsleben des Musikvereins teil und auch das Engagement im Tischtennisverein hat sich erheblich reduziert. Soziale Interaktion findet aber weiterhin statt. So spielt der Kläger einmal wöchentlich weiter noch Tischtennis. Der Kläger ist auch durchaus in der Lage seine bürokratischen Angelegenheiten zu regeln. Hiervon ist die Kammer aufgrund der Darstellungen im Gutachten, nicht zuletzt aber auch aufgrund der persönlichen Eindrucks im Rahmen der mündlichen Verhandlung überzeugt. Es zeigt sich letztlich, dass der Kläger in verschiedenen Bereichen durchaus zwar eingeschränkt, keinesfalls aber in besonders starkem Maße. Selbst wenn man – was unter Berücksichtigung des Gutachtens des Dr. M. durchaus fraglich erscheint – davon ausgeht, dass der Kläger tatsächlich für jedwede Berufe erwerbsunfähig wäre, so zeigt das verblieben Aktivitäts- und Partizipationsniveau, dass eine Schwerbehinderung beim Kläger nicht vorliegt. Es sind vielmehr durchaus wesentliche Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit objektiviert, wobei im Hinblick auf die Dauer der Beschwerden und die Chronifizierung der hier eingeräumte Bewerungsspielraum nach oben ausgeschöpft werden kann. Der GdB für den Tinnitus mit Folgeerscheinungen ist daher insgesamt mit 40 zu bewerten. Soweit der behandelnde Allgemeinmediziner und Facharzt für psychotherapeutische Medizin Dr. T. hier Ende 2012 noch einen GdB von ca. 30 in Ansatz gebracht hat, erscheint dies der Kammer zu gering bemessen.
Die daneben beschrieben Innenohrschwerhörigkeit ist ohne wesentliche Auswirkungen auf das Sprachgehör und bedingt – dies steht für die Kammer aufgrund der eingeholten Befundberichte der behandelnden HNO-Ärzte fest - gemäß Teil B Ziffer 5 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze keinen eigenen GdB.
Für den Bereich der Wirbelsäule ist gemäß Teil B Ziffer 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein GdB von 10 in Ansatz zu bringen.
Der Kläger gab gegenüber dem Gutachter L. an, er habe Probleme im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule, ansonsten habe er im ganzen Bewegungsappart keine Beschwerden und Einschränkungen. Im Rahmen der Untersuchung beschrieb der Gutachter einen in allen drei Etagen weitgehend normale physiologische Schwingung. Die Beweglichkeit wurde in allen drei Etagen als aktiv ausreichend möglich beschrieben. Schmerzen bei der Bewegung wurden im Rahmen der Untersuchung nicht geklagt. Die Wirbelsäule selbst zeigte keinen Klopfschmerz, die längs der Wirbelsäule gelegene Muskulatur war nicht wesentlich verspannt. Über den linken Kreuz-Darmbein-Fugen war eine Druckschmerzhaftigkeit zu verzeichnen. Der Finger-Boden-Abstand wurde mit 20 cm ermittelt, das Maß nach Schober mit 10/16 cm (vgl. zum Maß nach Schober, Wülker (Hrsg.), Orthopädie und Unfallchirurgie, 2. Aufl. 2010, S 224). Damit zeigte sich auch die Lendenwirbelsäule weitestgehend altersentsprechend normgerecht. Die Hals- und Brustwirbelsäule zeigten bei der Untersuchung keine besonderen Auffälligkeiten. Soweit im Verfahren die Orthopädin Dr. G. einen GdB von 20 in Vorschlag gebracht hatte, ist dies mit den Versorgungsmedizinschen Grundsätzen nicht in Übereinstimmung zu bringen, da sie selbst ausführte, den Kläger zuletzt im November 2011 gesehen zu haben, weswegen sie seit dieser Zeit von einer schmerzarmen Periode ausgehe. Voraussetzung für einen GdB von 20 wäre das Vorliegen mittelgradiger funktioneller Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt. Diese liegen – unter Berücksichtigung der Erhebung des Herrn Kohl und der Feststellung, dass seit mehr als zwei Jahren eine fachorthopädische Behandlung nicht stattgefunden hat – keinesfalls vor. Für den Bereich der oberen und der unteren Extremitäten ist – auch unter Berücksichtigung der vom Kläger beschriebenen Faszikulationen – gemäß Teil B Ziffer 18.13 bzw. 18.14 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze kein GdB in Ansatz zu bringen.
Die beim Kläger ebenfalls von seinem behandelnden Kardiologen diagnostizierte hypertrophe obstruktive Cardio-Myopathie (vgl. dazu Prinz/Farr/Hering/Horstkotte/Faber, The diagnosis and treatment of hypertrophic cardiomyopathy. Dtsch Arztebl Int 2011; 108(13): 209–15, abrufbar unter: http://www.aerzteblatt.de/archiv/81891/Diagnostik-und- Therapie-bei-hypertropher-Kardiomyopathie) zeitigt beim Kläger keine Beeinträchtigung im täglichen Leben. Der Kläger war ergometrisch bei 150 Watt belastbar, es bestand eine gute linksventrikuläre Funktion. Gemäß Teil B Ziffer 9.1. ist hierfür ein GdB nicht in Ansatz zu bringen.
Das beim Kläger diagnostizierte Prostataadenom wurde vom behandelnden Urologen als ein solches in Stadium I beschrieben. Hierunter versteht man eine mehr oder weniger ausgeprägte Vergrößerung der Prostata ohne Miktionsstörungen (vgl. Barlet, in: Comberg/Klimm, Allgemeinmedizin, 4. Aufl. 2004, S 451 f.). Ein GdB ist hierfür gemäß Teil B Ziffer 13.5 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze nicht in Ansatz zu bringen. Das Gleiche gilt für die beim Kläger vorliegende – und mit L-Thyroxin behandelte – Schilddrüsenunterfunktion gemäß Teil B Ziffer 15.6 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze. Auf der Grundlage der oben ermittelten Einzel-GdB-Werte ist für den streitbefangenen Zeitraum nach § 69 Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze der Gesamt-GdB des Klägers mit 40 zu bewerten. § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX schreibt vor, bei Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen den Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen. Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorientierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 42 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R = juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R = juris).
Im vorliegenden Fall stehen die mit chronischen dekompensierten Tinnitus einhergehenden Beeinträchtigungen mit einem GdB von 40 absolut im Vordergrund. Eine Erhöhung dieses GdB durch weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen kommt nicht in Betracht, da diese entsprechend den Vorgaben der Versorgungsmedizinischen Grundsätze höchstens mit einem GdB von 10 zu bewerten sind, und daher in der Regel an der Bildung des Gesamt-GdB nicht teilnehmen. Ausnahmen, die im vorliegenden Fall eine Berücksichtigung gleichwohl erforderlich machten, liegen nicht vor. Insgesamt ist der GdB des Klägers daher mit 40 zu bewerten. Die Feststellung eines höheren GdB kommt nach Auffassung der Kammer beim Kläger derzeit nicht in Betracht. Insbesondere nicht die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft, wie oben ausführlich dargelegt worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) streitig.
Bei dem am 00.00.0000 geborenen Kläger stellte der Beklagte mit Bescheid vom 08.06.2009 aufgrund eines Tinnitus mit Konzentrations- und Schlafstörungen, einer Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule bei Bandscheibenprotrusion L5/S1, LWS-Syndrom und HWS-Syndrom, einer Funktionseinschränkungen der unteren Gliedmaße bei Faszikulationen des linken Oberschenkels mit Oberschenkelatrophie, einer Fettleber und Funktionsbeeinträchtigungen von Herz und Kreislauf einen GdB von 20 fest.
Der Kläger stellte am 23.11.2012 einen Änderungsantrag. Hierbei gab er an er leide unter Funktionsbeeinträchtigungen durch einen beiderseitigen chronischen, dekompensierten komplexen Tinnitus Grad IV, Anpassungsstörungen mit Angst und Depressionen, Innenohrschwerhörigkeit mit Hochtonabfall beidseitig, HWS-/LWS- Syndrom, Hypothyreose, hypertrophischer obstruktiver Kardiomyopathie, Muskelfaszikulationen, Bluthochdruck und Leberverfettung. Durch den Tinnitus erleide er schwerste psychische Beeinträchtigungen. Seine Erwerbsfähigkeit im bisherigen Beruf massivst eingeschränkt, da die Arbeit mit hohen Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit verbunden sei und auch seine soziale Kompetenz sei erheblich eingeschränkt. Er leide unter diversen körperlichen, geistigen, seelischen sowie beruflichen Beeinträchtigungen. Dem Antrag fügte er Arztberichte des Arztes für Allgemeinmedizin Trevisan, des Neurologen Dr. W., der nuklearmedizinischen Klinik des Universitätsklinikums E., der Gastroenterolgen Dres L., der Orthopädin Dr. G., der Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde und Plastische Kopf- und Halschirurgie des Universitätsklinikums B., des Kardiologen Dr. W. und des Radiolgen Dr. I. sowie einen Entlassungsbericht der MediClin C. Kliniken betreffend einen stationären Aufenthalt vom 28.08.2012 bis 18.09.2012 bei. Der Beklagte holte darüber hinaus einen Befundbericht der Hausärzte U., des Facharztes für psychotherapeutische Medizin und Psychoanalyse Dr. T., der HNO-Ärztin Dr. W. sowie des HNO Arztes Doktor N. ein. Frau Dr. W. kam für den medizinischen Dienst des Beklagten zu der Einschätzung, der Tinnitus des Klägers sei mit einem GdB von 30, die psychischen Beeinträchtigungen mit einem GdB von 20 sowie die Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule, die Funktionseinschränkungen der unteren Gliedmaße, die Fettleber sowie die vom zu uns Beeinträchtigung von Herz und Kreislauf mit einem GdB von jeweils 10 in Ansatz zu bringen. Der Gesamtgrad der Behinderung sei mit 40 festzustellen.
Mit Bescheid vom 06.03.2013 stellte der Beklagte beim Kläger ab dem 23.11.2012 einen GdB von 40 fest.
Hiergegen legte der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, am 26.03.2013 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, insbesondere die Bewertung des Tinnitus und der psychischen Beeinträchtigungen sei zu gering bemessen. Ihm stehe mindestens ein GdB von 50 zu.
Nach gutachterlicher Stellungnahme der Sozialmedizinerin Palm-Römer wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10.06.2013 als unbegründet zurück.
Am 28.06.2013 hat der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, Klage erhoben. Der Klage beigefügt war ein sozialmedizinisches Gutachten des MDK Nordrhein vom 16.04.2013 wonach beim Kläger für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Revisor in einem Bankunternehmen aufgrund der hohen Anforderungen an die Konzentration wegen des chronischen dekompensierten Tinnitus mit Innenohrschwerhörigkeit im Hochtonbereich weiterhin von einer Arbeitsunfähigkeit auszugehen sei.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten des Neurologen Dr. W., des Facharztes für Allgemeinmedizin, psychotherapeutische Medizin – Psychotherapie und Psychoanalyse – Dr. T., der Praktischen Ärztin U., des Kardiolgen Dr. W., des Urologen und Andrologen Dr. Q., der HNO-Ärztin Dr. W., der Orthopädin Dr. G. sowie des HNO-Arztes Dr. N. Der Kläger hat überdies ein im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung Bund eingeholtes Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M. zu den Akten gereicht. Das Gericht hat schließlich ein Gutachten des Facharztes für Innere Medizin/Rheumatologie/Psychosomatische Medizin und Psychotherapie/Psychoanalyse L. eingeholt, welches dieser – nach Untersuchung des Klägers am 02.12.2013 – am 10.12.2013 erstattet hat.
Mit Bescheid vom 07.01.2014 hat die Deutsche Rentenversicherung Bund dem Kläger ab dem 01.06.2013 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt.
Am 25.02.2014 hat ein Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden, in dem der Kläger im Wesentlichen ausgeführt hat, er halte den GdB von 40 nicht für zutreffend.
Der Kläger hat, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 06.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.06.2013 zu verurteilen, seinen GdB ab dem 23.11.2012 mit 50 zu bewerten.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und nimmt insbesondere Bezug auf die Stellungnahmen seines ärztlichen Beraters Dr. N. sowie die Ausführungen des Gutachters L.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht beschwert, da diese rechtmäßig sind. Ihm steht derzeit kein höherer GdB als 40 zu.
Nach § 2 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion oder geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft dargestellt. Bei dem Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
Die Bemessung des Gesamt-GdB hat dabei in mehreren Schritten zu erfolgen und ist tatrichterliche Aufgabe (BSG Beschluss vom 09.12.2010 – B 9 SB 35/10 B = juris Rn. 5 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinn von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX und die daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. Sodann sind diese den in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Schließlich ist unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-GdB zu bilden (BSG Urteil vom 30.09.2009 – B 9 SB 4/08 R = juris Rn. 18 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Nach Teil A Ziffer 3 der Anlage zu § 2 der aufgrund § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassenen Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (BGBl. I 2008, S. 2412 - Versorgungsmedizin-Verordnung) vom 10.12.2008 (Versorgungsmedizinische Grundsätze), die wegen § 69 Abs. 1, Satz 4 SGB IX auch im Schwerbehindertenrecht zur Anwendung kommt, sind zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung rechnerische Methoden, insbesondere eine Addition der Einzelgrade der Behinderung, nicht zulässig. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad der Behinderung bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad der Behinderung 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei ist gemäß Teil A Ziffer 3 lit. d) ee) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu beachten, dass leichtere Gesundheitsstörungen mit einem Einzelgrad der Behinderung von 10 nicht zu einer Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung führen, selbst wenn mehrere dieser leichteren Behinderungen kumulativ nebeneinander vorliegen. Auch bei Leiden mit einem Einzelgrad der Behinderung von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine Zunahme des Gesamtausmaßes der Behinderung zu schließen.
Schließlich sind bei der Festlegung des Gesamt-GdB zudem die Auswirkungen im konkreten Fall mit denjenigen zu vergleichen, für die in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen feste GdB-Werte angegeben sind (BSG Urteil vom 02.12.2010 – B 9 SB 4/10 R = juris Rn. 25; vgl. auch Teil A Ziffer 3 lit. b) Versorgungsmedizinische Grundsätze).
Der Kläger leidet zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung unter
1. einer depressiv, ängstlichen Anpassungsstörung bei Ohrgeräuschen (Tinnitus) 2. einem statisch degenerativen Wirbelsäulen-Syndrom 3. einer hypertrophen obstruktiven Cardio-Myopathie 4. Prostataadenom Stadium I
Das Vorliegen dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen steht nach Auffassung der Kammer aufgrund der im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten Befund- und Arztberichte sowie den Gutachten des Dr. M. und des Herrn L. fest.
Die Gutachten beruhen auf umfangreichen Untersuchungen, die von erfahrenen medizinischen Gutachtern unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat keinen Anlass an der Richtigkeit und Vollständigkeit der in den Gutachten erhobenen medizinischen Befunde und gestellten Diagnosen zu zweifeln. Substantiierte Einwendungen gegen die medizinischen Feststellungen sind von den Beteiligten nicht vorgebracht worden. Lediglich über die sozialmedizinische Bewertung konnte zwischen den Beteiligten keine Einigkeit erzielt werden.
Der Kläger klagt nach den Feststellungen seiner behandelnden Fachärzte für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Dr. W. und Dr. N. seit etwa 2005 über starken Tinnitus mit Schlafstörungen und ausgeprägten Einschränkungen der Konzentrationsfähigkeit. Aufgetreten sei das Geräusch erstmalig im Rahmen einer Radiojod-Therapie. Der Tinnitus wurde durch die behandelnden Ärzte durch audiometrische Untersuchungen (Tinnitus-matching) diagnostisch gesichert und als sog. subjektiver Tinnitus qualifiziert (vgl. hierzu Strutz/Mann, Praxis der HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie, 2. Aufl. 2010, S. 302; Delb/D Amelio/Archonti/Schonecke, Tinnitus, 2002, S. 18). Im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme in den MediClin C. Kliniken vom 28.08.2012 bis zum 18.09.2012 wurde der Tinnitus als chronisch dekompensierter Tinnitus Grad IV beschrieben (vgl. zu der Einteilung in Schweregrade Hesse, Tinnitus, 2008, S. 83; Delb/D Amelio/Archonti/Schonecke, Tinnitus, 2002, S. 44).
Bei dieser Sachlage liegt der Schwerpunkt der sozialmedizinischen Bewertung gemäß Teil B Ziffer 5.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze auf den psychischen Begleiterscheinungen (vgl. dazu auch Reiß, Facharztwissen HNO-Heilkunde: Differenzierte Diagnostik und Therapie, 2009, S. 1066 f.; Hesse, Tinnitus, 2008, S 183).
In diesem Zusammenhang war zum einen das für die Deutsche Rentenversicherung Bund erstellte Gutachten des Psychiaters und Psychotherapeuten Dr. M. auszuwerten. Der Gutachter diagnostizierte beim Kläger neben einem Tinnitus (ICD 10 H 93.1) das Vorliegen einer länger andauernden depressiven Entwicklung bei Überforderung (ICD 10 F 43.21). Der Gutachter führt aus, der Kläger klage über Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, Unruhe, Nervosität, Abgeschlagenheit, Lustlosigkeit, Tagesmüdigkeit, Antriebslosigkeit, Geräuschempfindlichkeit sowie Faszikulationen im linken Bein. Maßgeblich für die Beurteilung des GdB sind freilich nicht die Diagnosen sondern die Auswirkungen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen (vgl. dazu auch BSG Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 3/12 R = juris Rn. 28).
Der Gutachter Dr. M. bechreibt, dass der Kläger einmal in der Woche Tischtennis spielt und ins Fitnessstudio und in die Sauna geht. Abends spiele er mit Familienangehörigen einfache Kartenspiele. Er begleite seine Ehefrau an Wochenende bei der Erledigung von Einkäufen. Seine persönlichen Interessen könne der Kläger weitgehend persönlich vertreten, benötige hierbei jedoch in zunehmendem Maße die Hilfe seiner Frau. Der Kläger habe einen Behandlungsversuch beim Psychotherapeuten unternommen. Eine medikamentöse Behandlung der depressiven Symptomatik erfolge nicht. Es sei in der Vergangenheit fünf bis sechs Wochen Citalopram (ein Wirkstoff aus der Gruppe der sogenannten Antidepressiva und selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer - SSRI). eingenommen worden, allerdings habe sich hierbei kein Erfolg eingestellt. Dr. M. vertrat in seinem Gutachten die Auffassung, der Kläger bedürfe einer ambulanten wenn nicht gar einer stationären Psychotherapie. Er sei aufgrund seiner chronifizierten Erkrankung und der massiven Symptomatik nicht arbeits- und auch nicht erwerbsfähig.
Neben dem Gutachten des Dr. M. sind zudem die Feststellungen des Herrn L. zu berücksichtigen, der den Kläger im Auftrag des Gerichts etwa drei Monate später erneut untersucht hat.
Der Kläger schilderte dem Gutachter gegenüber, dass er gegen 23:00 Uhr zu Bett gehe und um 6:30 Uhr aufstehe. Morgens sei er meist unausgeschlafen. Er frühstücke zusammen mit seiner Frau. Wenn diese dann zur Arbeit fahre lege er sich meistens noch einmal auf die Couch und beginne mit einer Neurostimulation. Er habe einen ganzen Katalog von Ablenkungsstrategien wie Malen und Musikhören. Letzteres würde gut funktionieren und seinen Tinnitus übertönen, außerdem mache er Autogenes Training. Er würde oft alleine längere Waldspaziergänge unternehmen. Er habe zuhause ein Ergometer stehen welches er auch regelmäßig benutze. Seine Frau komme zur Mittagszeit für eine Stunde nach Hause, sie essen dann gemeinsam, danach lege er sich zum Mittagsschlaf hin. Im Nachmittag besuche er häufig in der Nachbarschaft seinen Schwiegervater und trinke mit ihm eine Tasse Kaffee. Einmal in der Woche gehe er zum Fitness, mache danach Sauna und treffe sich in einer Hobbygruppe zum Tischtennis. Abends werde dann meist zusammen gegessen, häufig spielten sie noch mit dem Schwiegervater ein Kartenspiel und wenn dieser gegen 21:00 Uhr zu Bett gehe schauten sie gelegentlich nochmal etwas fern um dann gegen 23:00 Uhr ins Bett zu gehen. Im Haushalt mache er nicht viel, sie hätten eine Haushaltshilfe, er würde jedoch ab und zu mal staubsaugen, mal rasenmähen, dann habe er ein anderes Geräusch im Kopf. Einen Freundes – und Bekanntenkreis habe er nicht mehr er habe sich gänzlich hieraus zurückgezogen. Er sei früher sehr aktiv gewesen im Musikverein und im Tischtennisclub im Ort, jetzt wurde er keine Veranstaltungen mehr besuchen. Auch kulturelle Veranstaltungen, wie Kino, Theater und Konzerte würde er nicht mehr besuchen, lediglich versuche er einmal im Jahr zum Neujahrskonzert des Musikvereins zu gehen, wenn es ihm gelinge. Häufig nähmen sie am Wochenende den Schwiegervater mit zu einem gemeinsamen Spaziergang und gingen dann noch gemeinsam in ein Café. Ansonsten habe er keine regelmäßigen Termine. Er würde nicht zu gern in Urlaub fahren, aber er mache es seiner Frau zu liebe, damit diese mal rauskomme. Im Sommer führen Sie zwei Wochen, im Frühjahr eine Woche, meist in den Schwarzwald in eine ihnen bekannte Unterkunft. Dort würde er sich heimisch fühlen und brauche keine Eingewöhnung.
Hinsichtlich des psychischen Befundes stellte der Gutachter fest, dass keine Bewusstseinsstörungen oder Orientierungsstörungen vorliegen. Der Kläger war zeitlich, örtlich, situativ und zur eigenen Person voll orientiert. Aufmerksamkeit – und Gedächtnisstörungen konnte nicht festgestellt werden. Formale Denkstörungen, überwertige Ideen, Zwänge, Phobien, ein Wahnsystem oder Sinnestäuschungen sowie schwere Ich- und Persönlichkeitsstörungen konnten ausgeschlossen werden. Der Kläger konnte gegenüber dem Gutachter angemessen über seine Beschwerden berichten, die glaubhaft und ernst vorgetragen wurden, ohne jegliche Verdeutlichungs – oder Aggravationstendenzen. Im Ausdrucksverhalten erschien der Kläger ausgewogen und angemessen. Von der Stimmung her wirkte er ernst, gedrückt, subdepressiv etwas verunsichert und ängstlich. Im Affektverhalten wirkte er adäquat und angepasst. Das Erscheinungsbild gepflegt, das Benehmen freundlich und höflich. Der Kläger hatte während der anderthalbstündigen Exploration Schwierigkeiten, die Konzentration aufrecht zu erhalten. Der psychische Befund entsprach damit im Wesentlichen dem bei der Untersuchung durch Dr. M.
Nach den Feststellungen beider Gutachter sowie unter Berücksichtigung der eingeholten Arzt- und Befundberichte geht die Kammer davon aus, dass in Folge des chronfizierten Tinnitus beim Kläger seit Antragstellung sowie bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung wesentliche Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit eingetreten sind, welche gemäß Teil B Ziffer 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit einem GdB von 40 zu bewerten sind (vgl. hierzu Losch, in Nieder/Losch/Thomann, Behinderungen zutreffend einschätzen und begutachten, 2012, B 5, S 113). Entgegen der Auffassung des Klägers sind jedenfalls derzeit mittelgradigen Anpassungsschwierigkeiten noch nicht objektiviert. Hinweise, die für eine dauerhafte schwere psychische Störung sprechen, haben sich durch die Beweisaufnahme nicht ergeben. Der Kläger hat gegenüber dem Gutachter L. angegeben, er habe einen ganzen Katalog von Ablenkungsstrategien wie Malen und Musik hören. Insbesondere Letzteres würde gut funktionieren und seinen Tinnitus übertönen, außerdem mache er Autogenes Training. Eine kontinuierliche psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung des Klägers hat nicht stattgefunden. Die zunächst begonnen Medikation mit Citalopram wurde nach kurzer Zeit wieder eingestellt. Eine neue Medikation wurde nicht versucht. Soweit der Kläger darauf verweist, dass ihm vom Rentenversicherungsträger eine volle Erwerbsminderungsrente auf Dauer bewilligt worden ist, so ist dieser Aspekt zweifellos bei der Frage der psychischen Belastung durch den Tinnitus zu berücksichtigen. Die Annahme mittelgradiger sozialer Anpassungsschwierigkeiten würde neben den Auswirkungen im Berufsleben aber auch erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und eine affektive Nivellierung voraussetzen (vgl. Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirats BMA am 18./19.03.1998 – zitiert Wendler/Schillings, Versorgungsmedizinische Grundsätze, 5. Aufl. 2012, S. 126 f.; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil vom 18.08.2011 – L 7 SB 106/07 = juris). Trotz der vom Rentenversicherungsträger angenommenen Erwerbsunfähigkeit des Klägers, steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass beim Kläger in zahlreichen Bereichen, welche der Betrachtungsweise des ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit, Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (Hrsg.), Version 2005) zugrunde liegen, nur geringe Beeinträchtigungen objektiviert sind. So kann der Kläger noch voll selbständig die täglichen Routinen der Selbstversorgung durchführen. Er kümmert sich ebenfalls eigenständig und umfassend um seine Gesundheitsvorsorge (Fitnesstraining, Ergometer-Training, Sauna, Tischtennis, Neurostimulation). Er übernimmt Aufgaben im häuslichen Bereich. Das Verhältnis zu seiner Ehefrau wird als harmonisch beschrieben. Auch zum Schwiegervater hat er ein gutes Verhältnis. Es werden gemeinsam Spiele gespielt. Der Kläger und seine Ehefrau fahren – auch wenn dem Kläger nach eigenen Angaben nicht so wichtig ist – regelmäßig in Urlaub. Dort gefällt es ihm nach eigenen Angaben auch. Die soziale Betätigung ist zwar nach den Darstellungen des Klägers in den letzten Jahren sehr zurückgegangen. So nimmt er nicht mehr aktiv am Vereinsleben des Musikvereins teil und auch das Engagement im Tischtennisverein hat sich erheblich reduziert. Soziale Interaktion findet aber weiterhin statt. So spielt der Kläger einmal wöchentlich weiter noch Tischtennis. Der Kläger ist auch durchaus in der Lage seine bürokratischen Angelegenheiten zu regeln. Hiervon ist die Kammer aufgrund der Darstellungen im Gutachten, nicht zuletzt aber auch aufgrund der persönlichen Eindrucks im Rahmen der mündlichen Verhandlung überzeugt. Es zeigt sich letztlich, dass der Kläger in verschiedenen Bereichen durchaus zwar eingeschränkt, keinesfalls aber in besonders starkem Maße. Selbst wenn man – was unter Berücksichtigung des Gutachtens des Dr. M. durchaus fraglich erscheint – davon ausgeht, dass der Kläger tatsächlich für jedwede Berufe erwerbsunfähig wäre, so zeigt das verblieben Aktivitäts- und Partizipationsniveau, dass eine Schwerbehinderung beim Kläger nicht vorliegt. Es sind vielmehr durchaus wesentliche Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit objektiviert, wobei im Hinblick auf die Dauer der Beschwerden und die Chronifizierung der hier eingeräumte Bewerungsspielraum nach oben ausgeschöpft werden kann. Der GdB für den Tinnitus mit Folgeerscheinungen ist daher insgesamt mit 40 zu bewerten. Soweit der behandelnde Allgemeinmediziner und Facharzt für psychotherapeutische Medizin Dr. T. hier Ende 2012 noch einen GdB von ca. 30 in Ansatz gebracht hat, erscheint dies der Kammer zu gering bemessen.
Die daneben beschrieben Innenohrschwerhörigkeit ist ohne wesentliche Auswirkungen auf das Sprachgehör und bedingt – dies steht für die Kammer aufgrund der eingeholten Befundberichte der behandelnden HNO-Ärzte fest - gemäß Teil B Ziffer 5 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze keinen eigenen GdB.
Für den Bereich der Wirbelsäule ist gemäß Teil B Ziffer 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein GdB von 10 in Ansatz zu bringen.
Der Kläger gab gegenüber dem Gutachter L. an, er habe Probleme im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule, ansonsten habe er im ganzen Bewegungsappart keine Beschwerden und Einschränkungen. Im Rahmen der Untersuchung beschrieb der Gutachter einen in allen drei Etagen weitgehend normale physiologische Schwingung. Die Beweglichkeit wurde in allen drei Etagen als aktiv ausreichend möglich beschrieben. Schmerzen bei der Bewegung wurden im Rahmen der Untersuchung nicht geklagt. Die Wirbelsäule selbst zeigte keinen Klopfschmerz, die längs der Wirbelsäule gelegene Muskulatur war nicht wesentlich verspannt. Über den linken Kreuz-Darmbein-Fugen war eine Druckschmerzhaftigkeit zu verzeichnen. Der Finger-Boden-Abstand wurde mit 20 cm ermittelt, das Maß nach Schober mit 10/16 cm (vgl. zum Maß nach Schober, Wülker (Hrsg.), Orthopädie und Unfallchirurgie, 2. Aufl. 2010, S 224). Damit zeigte sich auch die Lendenwirbelsäule weitestgehend altersentsprechend normgerecht. Die Hals- und Brustwirbelsäule zeigten bei der Untersuchung keine besonderen Auffälligkeiten. Soweit im Verfahren die Orthopädin Dr. G. einen GdB von 20 in Vorschlag gebracht hatte, ist dies mit den Versorgungsmedizinschen Grundsätzen nicht in Übereinstimmung zu bringen, da sie selbst ausführte, den Kläger zuletzt im November 2011 gesehen zu haben, weswegen sie seit dieser Zeit von einer schmerzarmen Periode ausgehe. Voraussetzung für einen GdB von 20 wäre das Vorliegen mittelgradiger funktioneller Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt. Diese liegen – unter Berücksichtigung der Erhebung des Herrn Kohl und der Feststellung, dass seit mehr als zwei Jahren eine fachorthopädische Behandlung nicht stattgefunden hat – keinesfalls vor. Für den Bereich der oberen und der unteren Extremitäten ist – auch unter Berücksichtigung der vom Kläger beschriebenen Faszikulationen – gemäß Teil B Ziffer 18.13 bzw. 18.14 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze kein GdB in Ansatz zu bringen.
Die beim Kläger ebenfalls von seinem behandelnden Kardiologen diagnostizierte hypertrophe obstruktive Cardio-Myopathie (vgl. dazu Prinz/Farr/Hering/Horstkotte/Faber, The diagnosis and treatment of hypertrophic cardiomyopathy. Dtsch Arztebl Int 2011; 108(13): 209–15, abrufbar unter: http://www.aerzteblatt.de/archiv/81891/Diagnostik-und- Therapie-bei-hypertropher-Kardiomyopathie) zeitigt beim Kläger keine Beeinträchtigung im täglichen Leben. Der Kläger war ergometrisch bei 150 Watt belastbar, es bestand eine gute linksventrikuläre Funktion. Gemäß Teil B Ziffer 9.1. ist hierfür ein GdB nicht in Ansatz zu bringen.
Das beim Kläger diagnostizierte Prostataadenom wurde vom behandelnden Urologen als ein solches in Stadium I beschrieben. Hierunter versteht man eine mehr oder weniger ausgeprägte Vergrößerung der Prostata ohne Miktionsstörungen (vgl. Barlet, in: Comberg/Klimm, Allgemeinmedizin, 4. Aufl. 2004, S 451 f.). Ein GdB ist hierfür gemäß Teil B Ziffer 13.5 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze nicht in Ansatz zu bringen. Das Gleiche gilt für die beim Kläger vorliegende – und mit L-Thyroxin behandelte – Schilddrüsenunterfunktion gemäß Teil B Ziffer 15.6 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze. Auf der Grundlage der oben ermittelten Einzel-GdB-Werte ist für den streitbefangenen Zeitraum nach § 69 Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze der Gesamt-GdB des Klägers mit 40 zu bewerten. § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX schreibt vor, bei Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen den Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen. Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorientierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 42 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R = juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R = juris).
Im vorliegenden Fall stehen die mit chronischen dekompensierten Tinnitus einhergehenden Beeinträchtigungen mit einem GdB von 40 absolut im Vordergrund. Eine Erhöhung dieses GdB durch weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen kommt nicht in Betracht, da diese entsprechend den Vorgaben der Versorgungsmedizinischen Grundsätze höchstens mit einem GdB von 10 zu bewerten sind, und daher in der Regel an der Bildung des Gesamt-GdB nicht teilnehmen. Ausnahmen, die im vorliegenden Fall eine Berücksichtigung gleichwohl erforderlich machten, liegen nicht vor. Insgesamt ist der GdB des Klägers daher mit 40 zu bewerten. Die Feststellung eines höheren GdB kommt nach Auffassung der Kammer beim Kläger derzeit nicht in Betracht. Insbesondere nicht die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft, wie oben ausführlich dargelegt worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
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