Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 145/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 19.016,18 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.01.2012 zu zahlen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte. Der Streitwert wird auf 19.016,18 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung vom 12. bis 13.11.2009 sowie vom 25.11. bis 04.12.2009 zwecks einer kathetergeführten Aortenklappenimplantation (TAVI) in Höhe von 19.016,18 EUR.
Die Klägerin betreibt ein zugelassenes Krankenhaus (Hochschulklinik). Dort wurde die bei der Beklagten versicherte X. N., geb. 00.00.00 (im Folgenden: Versicherte), im Jahre 2009 mehrfach behandelt, und zwar &61485; in der medizinischen Klinik I (Klinik für Kardiologie, Pneumologie, Angiologie und internistische Intensivmedizin) vom 14. bis 16.10., vom 18. bis 20.10. und vom 29.10. bis 02.11. 2009 stationär, am 11.11.2009 ambulant und vom 12.11. bis 13.11.2009 stationär, &61485; in der Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie vom 25.11. bis 04.12.2009 stationär. Sie litt an einer hochgradigen Aortenklappenstenose, einer koronaren Gefäßerkrankung, einem Zustand nach zweifacher Stentimplantation, Pulmonalstenose sowie Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung, Zustand nach Magenresektion, Asthma bronchiale und Osteoporose. In einer interdisziplinären Fallkonferenz der Klinik für Kardiologie und der Klinik für Herzchirurgie stellten die teilnehmenden Ärzte nach Aufklärung der Versicherten und deren Einwilligung in das Verfahren die Indikation für eine kathetergeführte Aortenklappenimplantation (TAVI/Transcatheder Aortic Valve Implantation). Am 26.11.2009 wurde die TAVI transapikal (über die Herzspitze) durchgeführt.
Am 16.12.2009 stellte die Klägerin der Beklagten für die Behandlung der Versicherten vom 12. bis 13.11. und vom 25.11. bis 04.12.2009 einen Gesamtbetrag von 19.016,18 EUR in Rechnung. Grundlage der Forderungen waren u.a. die Fallpauschalen-Ziffer (DRG) F09B (andere kardiothorakale Eingriffe ohne Herz-Lungen-Maschine, ohne komplizierende Konstellation, Alter &61502; 2 Jahre und ( 10 Jahre oder äußerst schwere CC) und die Ziffer NUB09-16 (transapikaler Herzklappenersatz). Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst und leitete dann eine Überprüfung der Abrechnung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein. Dieser kam am 26.01.2012 zum Ergebnis, dass zwar ein "interventioneller/transapikaler Aortenklappenersatz" erbracht worden sei, jedoch eine Kostenübernahme nicht empfohlen werden könne, da folgende "Prüfkriterien" nicht erfüllt gewesen seien; &61485; eine Inoperalibität oder aber ein massiv erhöhtes Risiko für die offen-chirurgische Standard-OP sei nicht belegt; &61485; eine verpflichtende Teilnahme an einer klinischen Studie, zumindest aber am deutschen Aortenklappenregister sei nicht nachgewiesen.
Gestützt hierauf teilte die Beklagte der Klägerin am 27.01.2012 mit, die "stationäre Behandlung" vom 12.11. bis 04.12.2009 sei nicht indiziert gewesen. Sie verrechnete den gezahlten Betrag mit einer späteren (unstreitigen) Forderung der Klägerin aus anderen Behandlungsfällen.
Die Klägerin widersprach dem Gutachten: die Versicherte sei 81 Jahre alt gewesen; es sei bei ihr eine hochgradige Aortenklappenstenose festgestellt worden, die operationswürdig gewesen sei; der Fall sei interdisziplinär im Rahmen einer Konferenz diskutiert worden; aufgrund des Vorliegens eines EuroSCORE (= European System for Cardiac Operative Risk Evaluation) von 10 Punkten, des fortgeschrittenen Alters und des Allgemeinzustandes der Patientin sei bei zu hohem Risiko für eine konventionelle Operation und unter Berücksichtigung des Patientenwunsches eine TAVI geplant und durchgeführt worden; zum Zeitpunkt der Operation habe das nationale Aortenklappenregister noch nicht existiert, dies sei erst im Juli 2010 gestartet.
In einem von der Beklagten veranlassten weiteren Gutachten vom 18.07.2012 blieb der MDK bei seiner ablehnenden Auffassung. Zur Begründung führte er aus, bei der TAVI handele es sich um eine neue Behandlungsmethode, die sich 2009 in der Phase der klinischen Erprobung bzw. frühen Phase der kommerziellen Anwendung befunden habe. Die Prothesen würden laufend weiterentwickelt und verbessert. Damals und heute sei die Anwendung vorgesehen für hochgradige, symptomatische, native Aortenklappenstenose mit und ohne Insuffizienz mit leitliniengerechter OP-Indikation bei Patienten, die wegen Alter und Kormorbidität ein zu hohes geschätztes Mortalitätsrisiko für eine konventionelle Aortenklappenersatz-OP haben (logistischer EuroSCORE ) 20 %) oder aus anderen Gründen inoperabel seien. Der Goldstandard in der Therapie der hochgradigen symptomatischen Aortenstenose bei operationsfähigem Patienten sei der operative Herzklappenersatz, bei dem die Mortalitätsrate gering und die Langzeitergebnisse bezüglich des Überlebens und der Klappenfunktion gut seien; dieser Goldstandard sei ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich. Die TAVI stelle eine Therapieoption dar für Patienten, die wegen Alter und Kormorbilität inoperabel seien bzw. von der Thoraxchirurgie wegen zu hohem OP-Risiko abgelehnt würden; für diese Patienten habe bislang keine effektive Therapie zur Verfügung gestanden. Nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen habe die Versicherte nicht die Voraussetzungen für eine TAVI erfüllt.
Am 25.04.2013 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hält den Anspruch auf Vergütung der streitigen Behandlung für begründet. Nach umfangreichen Voruntersuchungen der Versicherten, Befunderhebung und Diagnosestellung seien die in Frage kommenden Möglichkeiten zur Behandlung der Aortenklappenstenose erörtert worden. Als Behandlungsalternativen seien die konventionelle Operationsmethode und die minimal-invasive TAVI in Betracht gekommen. Bei der konventionellen OP-Methode werde das Brustbein ganz oder teilweise gespalten, der Brustkorb geöffnet und unter Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine die degenerativ veränderte Klappe entfernt und durch eine mechanische oder biologische Klappe ersetzt. Die TAVI erfolge ohne Spaltung des Brustbeins und könne ohne Herz-Lungen-Maschine durchgeführt werden. Bei dieser Methode werde die alte Klappe nicht ausgetauscht, sondern von einer zusammengefalteten Ersatzklappe, die über den Katheder eingeführt werde, überdeckt. Dabei werde die alte Herzklappe in die Wand der Aorta gedrückt und die Neue spanne sich nach Zurückziehen des Katheters im Bereich der Alten auf. Sie sei in einem Metallgeflecht verankert, das sich im Bereich der alten Klappe und der Aorta verhake. Der Eingriff werde am schlagenden Herzen vorgenommen. Meist werde der Katheter über die Leistenarterie eingeführt; falls die Leistenarterien zu klein seien oder die Hauptschlagader schwer verkalkt sei, werde – wie im Fall der Versicherten – die Klappe über die Herzspitze eingeführt. Dabei werde zwischen der fünften und sechsten Rippe im Bereich der Herzspitze ein kleiner Hautschnitt von etwa 5 cm Länge vorgenommen. Nach ärztlicher Aufklärung über die infrage kommenden Behandlungsalternativen einschließlich der damit verbundenen Risiken und Eingriffsfolgen habe sich die Versicherte, insbesondere aufgrund ihrer Osteoporoseerkrankung, für die minimal-invasive Intervention entschlossen. In der der interdisziplinären Fallkonferenz vom 12.11.2009 sei zwischen den behandelnden Ärzten der herzchirurgischen Klinik und der kardiologischen Klinik die Indikationsstellung für eine TAVI nochmals erörtert und aufgrund des fortgeschrittenen Lebensalters der Versicherten, des hohen kardiovaskulären Risikos bei einem konventionellen Eingriff unter Berücksichtigung der Osteoporoseerkrankung und der nach umfassender Aufklärung der Behandlungsalternativen allein für den minimal-invasiven Eingriff erteilten Einwilligung der Versicherten bestätigt worden. Der logistische EuroSCORE, der das postoperative Mortalitätsrisiko von Patienten bei einer konventionellen offenen Herzoperation betreffe, sei von den Ärzten mit 17,33 % ermittelt worden. Soweit es sich beim EuroSCORE um das am meistens verwendete Risikostratifizierungsmodell handele, sei zu berücksichtigen, dass derartige Vorhersagemodelle nur die Gesamtmortalität einer Patientengruppe angeben, jedoch ungenau und unsicher in der Vorhersage der Mortalität des einzelnen Patienten seien. Mit dem EuroSCORE werde nur das Risiko für einen operativen Eingriff bestimmt, ohne jedoch Aussagen über die Indikation für einen minimal-invasiven Eingriff zu treffen. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Versicherte infolge ihrer Osteoporosebeschwerden ihre Einwilligung nur für die TAVI gegeben habe; die konventionelle Operation mit Spaltung des Brustbeins habe sie ausdrücklich abgelehnt.
Die Klägerin hat dargelegt, welche Kosten bei Durchführung der konventionellen Operation entstanden wären bzw. hätten entstehen können. Sie hat hierzu die Behandlungsfälle des Jahres 2009 ausgewertet. Bei 70 Patienten und Patientinnen, die älter als 75 Jahre gewesen seien, sei ein konventioneller Aortenklappenersatz am offenen Herzen durchgeführt worden. Die Vergütung des günstigsten Behandlungsfalls habe bei 13.386,00 EUR, die des teuersten Behandlungsfalls bei 128.914,62 EUR gelegen. Der durchschnittliche Erlös der 70 Behandlungsfälle liege bei 25.479,00 EUR pro Behandlungsfall. Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr 19.016,18 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2012 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verbleibt – auch im Hinblick auf das Ergebnis des vom Gericht eingeholten Gutachtens – bei ihrer bisherigen Auffassung und verweist auf eine ergänzende Stellungnahme des MDK vom 15.05.2014. Die Ausführungen des Sachverständigen seien fachlich-inhaltlich unscharf, eine erforderliche dezidierte kardiologisch/herzchirurgische medizinische Abwägung habe nicht stattgefunden. Die Beklagte hält die Bewertungs- und Anforderungskriterien für eine TAVI im Fall der Versicherten für nicht erfüllt. Als für die Beurteilung des Vergütungsanspruchs relevanter Umstand sei der von der Klägerin ermittelte logistische EuroSCORE von 17,33 % nicht nachvollziehbar; die medizinischen Voraussetzungen der Versicherten hätten eine andere Bewertung erfordert. Die Tatsache, dass die Versicherte die TAVI gewünscht und die konventionelle Operation abgelehnt habe, sei für die Frage, welche Vergütung einem Leistungserbringer zustehe, nicht relevant. Nach den Ausführungen des MDK sei festzustellen, dass es bei der Versicherten nicht nur möglich, sondern vielmehr auch geboten gewesen wäre, den Weg über eine offen-chirurgische OP der Herzklappe zu wählen. Die Beklagte hat dargelegt, dass bei einer konventionellen Operation die DRG F03F mit 13.386,00 EUR abrechenbar gewesen wäre. Die demgegenüber um 5.630,18 EUR höheren Kosten für eine TAVI seien unter dem Primat des Wirtschaftlichkeitsgebotes nicht abrechenbar. Bei Abwägung der Kosten sei die offen-chirurgische OP die kostengünstigere und damit wirtschaftlichere Maßnahme.
Das Gericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts ein medizinisches Sachverständigengutachten von dem Internisten und Krankenhausabrechnungssachverständigen Dr. W. eingeholt. Wegen des Ergebnisses wird auf das Gutachten vom 18.03.2014 und die ergänzende Stellungnahme vom 28.07.2014 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der die Versicherte betreffende Patientenakte der Klägerin, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als (echte) Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Bei einer auf Erstattung überzahlter Behandlungskosten eines Versicherten gerichteten Klage einer Krankenkasse gegen ein Krankenhaus geht es um einen so genannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (vgl. BSG, Urteil vom 17.06.2000 – B 3 KR 33/99 R = BSGE 86,166 = SozR 3-2500 § 112 Nr. 1; Urteil vom 23.07.2002 – B 3 KR 64/01 R = SozR 3-2500 § 112 Nr. 3). Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen, die Einhaltung einer Klagefrist nicht geboten.
Die Klage ist auch begründet.
Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs der Klägerin ist § 109 Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. dem aus § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V folgenden Krankenhausbehandlungsanspruch der Versicherten. Die näheren Einzelheiten über Aufnahme und Entlassung der Versicherten, Kostenübernahme, Abrechnung der Entgelte sowie die Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung ist in den zwischen der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen einerseits und verschiedenen Krankenkassen sowie Landesverbänden der Krankenkassen andererseits geschlossenen Verträgen nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB V geregelt. Es sind dies der zwar gekündigte, aber in der Übergangszeit bis zum Abschluss eines neuen Vertrages offensichtlich weiter angewandte Vertrag über "Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung" (KBV) und der Vertrag zur "Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung" (KÜV).
Das Krankenhaus hat auch bei der Vergütung der Krankenhausbehandlung durch Fallpauschalen (DRG = Diagnosis Related Group) einen Vergütungsanspruch gegen einen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nur für eine "erforderliche" Krankenhausbehandlung. Das folgt aus dem Regelungssystem sowie aus dem Zweck der Vergütung. Sie dient als Gegenleistung für die Erfüllung der Pflicht des zugelassenen Krankenhauses, Krankenhausbehandlung (§ 39 SGB V) der Versicherten im Rahmen des Versorgungsauftrags zu leisten. Die Leistung des Krankenhauses ist nämlich zur Erfüllung des Leistungsanspruchs des Versicherten bestimmt (vgl. BSG Großer Senat, Beschluss vom 25.09.2007 – GS 1/06). Die Zahlungsverpflichtung einer KK entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und im Sinne von § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. z.B. BSG, Urteil vom 13.12.2001 – B 3 KR 11/01 R; Urteil vom 23.07.2002 – B 3 KR 64/01, Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KN 1/07 KR R; Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R). Diese Voraussetzungen waren im Behandlungsfall der Versicherten erfüllt.
Die Klägerin hat der Beklagten zurecht für die Behandlung der Versicherten 19.016,18 EUR in Rechnung gestellt. Die konkrete Anspruchshöhe ergibt sich insbesondere aus der Fallpauschale DRG F09B und den Kosten für die neue Herzklappe (Abrechnungsziffer: NUB09-16). Die Behandlungskosten sind von der Klägerin in der Rechnung vom 16.12.2009 sachlich-rechtlich zutreffend berechnet worden; dies wird von der Beklagten nicht bestritten. Die TAVI genügte im Fall der Versicherten auch dem Wirtschaftlichkeitsgebot; die Behandlung war ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich und überstieg nicht das Maß des Notwendigen (vgl. §§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1, 70 Abs. 1 SGB V). Davon ist die Kammer aufgrund aller ihr über den Behandlungsfall bekannt gewordenen Umstände und nicht zuletzt aufgrund des nachvollziehbaren Abrechnungsgutachtens des Sachverständigen Dr. W. vom 18.03.2014 und dessen ergänzender Stellungnahme vom 28.07.2014 überzeugt. Der Sachverständige hat die Krankenhausunterlagen ausgewertet und sich mit den Argumenten des MDK und der Ärzte des Krankenhauses auseinandergesetzt. Er hat dabei auch die Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) beachtet und richtig angewandt. Dies gilt insbesondere auch in Bezug auf die weiteren in der Rechnung der Klägerin vom 16.12.2009 kodierten Ziffern, speziell NUB09-16 (Transapikaler Herzklappenersatz; Operationen- und Prozedurenschlüssel OPS 5-35a.01).
Allerdings handelt(e) es sich bei der durchgeführten TAVI um eine neue Behandlungsmethode, die – mangels Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) – noch keinen Eingang in den Regelleistungskatalog der GKV gefunden hat(te). Für die Bewertung einer neuen Methode, die im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt wird, gilt jedoch, dass sie als Leistung der GKV ausgeschlossen ist, wenn der G-BA in einer Richtlinie festgestellt hat, dass die Methode nicht zu Lasten der Krankenkasse erbracht werden darf (§ 137c Abs. 1 S. 2SGB V). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Regelung des § 137c SGB V über ihren Wortlaut hinaus im Sinne einer generellen Erlaubnis aller beliebigen Methoden für das Krankenhaus bis zum Erlass eines Verbots nach § 137c SGB V ausgelegt werden darf. Sie normiert vielmehr einen bloßen Verbotsvorbehalt. Sie setzt die Geltung des alle Naturalleistungsbereiche erfassenden Qualitätsgebots (§ 2 Abs. 1 S. 3 SGB V) auch im stationären Bereich nicht außer Kraft (st. Rspr.; vgl BSG, Urteil vom 17.12.2013 – B 1 KR 70/12 R – m.w.N.). Die TAVI genügte im streitigen Behandlungsfall auch dem Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V, wonach Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben.
Die TAVI stellt eine von Kardiologen entwickelte Behandlungsmethode für Patienten mit hochgradiger, symptomatischer Aortenklappenstenose dar. Dieser minimal-invasive Ansatz sollte ursprünglich Patienten eine Behandlung ermöglichen, bei denen der konventionelle operative Aortenklappenersatz (AKE) mit einem erhöhten Operationsrisiko behaftet war. Mittlerweile liegen randomisierte Studienergebnisse vor, die einen signifikanten Überlebensvorteil der TAVI gegenüber dem konservativen Vorgehen belegen. Weitere Studien zu operationsfähigen Hochrisikopatienten zeigen, dass die minimal-invasive TAVI der der konventionellen AKE bei dieser Patientengruppe hinsichtlich harter klinischer Endpunkte mindestens ebenbürtig ist (Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Qualitätskriterien zur Durchführung der transvaskulären Aortenklappenimplantation [TAVI], 2014, S. 4; im Folgenden: Positionspapier 2014). Bereits im Jahre 2009 war im gemeinsamen Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie und der Deutschen Gesellschaft für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie (Positionspapier zur kathedergeführten Aortenklappenintervention, in: Der Kardiologe 3-2009, S. 199 ff.; im Folgenden: Positionspapier 2009) versucht worden, die Indikationsstellung zur TAVI gegenüber der konventionellen AKE über die Beurteilung u.a. des postoperativen Risikos einer konventionellen Operation durch den so genannten logistischen EuroSCORE darzustellen. Danach sollten nur Patienten einer TAVI zugeführt werden, die eine erwartete Operationsletalität von mehr als 20 % erwarten ließen (Positionspapier 2009, S. 200). Allerdings musste auch 2009 schon berücksichtigt werden, dass die Risiko-Scores bislang für dieses Patientenkollektiv nicht validiert worden waren, da die bisherigen Scoringsysteme zur Risikoabschätzung im wesentlichen an Koronarkranken validiert und für Klappenerkrankte nicht immer zutreffend waren. Insbesondere der EuroSCORE überschätzte die antizipierte Letalität der chirurgischen Aortenklappenimplantation erheblich (Positionspapier 2009, S. 200, 201; vgl. auch: SYNTAX-, STS- und EuroSCORE – wie genau sind sie in der Risikobewertung bei Herzerkrankungen? in: Journal für Kardiologie, 2011, S. 355 ff.). Inzwischen geht die wissenschaftliche Meinung dahin, dass die Beurteilung des peri- und postoperativen Risikos aufgrund der Score-Systeme nicht mehr als alleinige Grundlage der Indikationsstellung zur TAVI gegenüber dem operativen AKE bei hochgradiger, symptomatischer Aortenklappenstenose angesehen werden kann (Positionspapier 2014, S. 8). Jüngere Patienten unter 75 Jahren mit einem logistischen EuroSCORE ) als 10 % sollten primär der konventionellen AKE zugeführt werden, sofern nicht andere klinische bzw. anatomische Faktoren einer erhöhtes OP-Risiko nahelegen. Patienten im Alter von 75 Jahren oder darüber mit einem hohen logistischen EuroSCORE von 20 % oder darüber sollten primär einer Behandlung mittels TAVI zugeführt werden, ebenso wie Patienten im Alter von 85 Jahren und darüber unabhängig vom Risikoscore. Für alle Patienten, die diese Kriterien nicht erfüllen, sollte die therapeutische Entscheidung nach Abschätzung des individuellen Morbilitäts- und Mortalitätsrisikos in einem interdisziplinären Dialog zwischen Herzchirurgen und Kardiologen gefunden werden, der auch den Wunsch des Patienten, nach entsprechender gemeinsamer Aufklärung über die Chancen und Risiken beider Therapieverfahren, mit einbezieht (Positionspapier 2014, S. 9, 10).
Der wiedergegebene Stand der Wissenschaft sowohl aus dem Jahre 2009 als auch aktuell im Jahre 2014 zeigt, dass der EuroSCORE ein wesentliches Kriterium für die Indikationsstellung einer TAVI und damit für die Beurteilung von deren Notwendigkeit und Qualität sein kann, jedoch nicht in dem entscheidenden Ausmaß, wie es der MDK bei der Bewertung des streitigen Behandlungsfalles angenommen hat.
Bereits der Vergleich der verschiedenen Parameter, die die Ärzte der Klägerin einerseits und des MDK andererseits zur Ermittlung des EuroSCOREs angestellt haben, zeigt, wie ungenau das EuroSCORE-Ergebnis ist bzw. sein kann. Während der MDK das Mortalitätsrisiko im Fall einer konventionellen AKE im Fall der Versicherten bei 8,07 gesehen hat, führten die von den Ärzten der Klägerin eingegebenen Kriterien zu einem EuroSCORE von 16,78 %. Der von der Klägerin ermittelte EuroSCORE von 17,33 %, der sich in der entsprechenden Tabelle in der Patientenakte über die Versicherte findet, ist nicht nachvollziehbar; er beruht offensichtlich auf einem Eingabefehler und konnte auch von der Klägerin nicht erklärt werden. Allerdings haben die Ärzte der Klägerin und des MDK in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass einige Parameter von ihnen nicht, andere unzutreffend in die EuroSCORE-Kalkulation eingestellt worden sind. Im Rahmen des Fachgesprächs in der mündlichen Verhandlung, an dem auf Seiten der Klägerin eine Medizincontrollerin, der Direktor der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie sowie ein Internist und Kardiologe, auf Seiten der Beklagten ein Sachgebietsleiter für den Bereich Krankenhaus und ein Internist und Kardiologe für den MDK beteiligt waren, wurden übereinstimmend folgende in die EuroSCORE-Kalkulation einstellbare Parameter für den Behandlungsfall der Versicherten festgestellt: &61485; Alter: 81 Jahre, &61485; Geschlecht: weiblich, &61485; COPD: ja, &61485; Eingeschränkte Ejektionsfunktion (EF): 30 bis 50 %, &61485; Kombinationseingriff: kein isolierter ACVB-Eingriff: ja. Hieraus errechnet sich ein logistischer EuroSCORE von 18,66 %. Dieser Wert liegt nahe an der 20 %-Grenze, die sowohl im Positionspapier 2009 als auch im Positionspapier 2014 angesetzt worden ist.
Dabei ist zu berücksichtigen, wie Prof. Dr. B. in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass vom EuroSCORE bei weitem nicht alle Kriterien erfasst werden, die etwas über das Risiko der konventionellen Operationsmethode aussagen können. Bei der Versicherten bestand (auch) eine Osteoporose. Gerade diese war für die Versicherte einerseits, aber auch die behandelnden Ärzte ein wesentliches Kriterium, das gegen eine konventionelle AKE-Operation gesprochen hat. Gleiches gilt für das hohe Alter der Versicherten. Nach den Maßstäben, die inzwischen in der medizinischen Fachwelt angelegt werden (vgl. Positionspapier 2014, S. 9), liegt die Altersgrenze, ab der primär eine TAVI durchgeführt werden sollte, bei 75 Jahren und einem logistischen EuroSCORE von 20 % und darüber; Patienten im Alter von 85 Jahren und darüber sollten sogar unabhängig vom Risikoscore primär mittels TAVI behandelt werden. Die Versicherte war zum Behandlungszeitpunkt im 82. Lebensjahr. Sie lag also sowohl mit dem Alter als auch mit dem EuroSCORE näher an den Grenzwerten, die für eine TAVI sprechen als an denjenigen, die primär für die konventionelle Operation sprechen.
Unter Berücksichtigung all dieser Umstände war für die Kammer das Ergebnis der interdisziplinären Fallkonferenz der Herzchirurgen und Kardiologen der Klägerin vom 12.11.2009 entscheidend. Ausweislich des Protokolls dieser Konferenz wurde die Versicherte von den beteiligten Herzchirurgen und Kardiologen gesehen, die erhobenen Befunde wurden festgestellt und gründlich erörtert. Daraus ergab sich die Indikationsstellung zur TAVI.
Nicht unberücksichtigt bleiben kann in diesem Zusammenhang auch, dass die Versicherte nicht nur ihre Einwilligung zur TAVI gegeben hat, sondern nach entsprechender Aufklärung über die Behandlungsalternativen die konventionelle AKE-Operation ausdrücklich abgelehnt hat. Der Beklagten ist zuzugeben, dass allein der Wunsch eines Patienten für eine bestimmte Behandlungsmethode nicht einen entsprechenden Leistungsanspruch gegenüber der Krankenkasse begründen kann. Bei einer derart schwerwiegenden Operation, wie sie bei der Versicherten anstand, kann der Wunsch des Versicherten im Rahmen des Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsgebotes aber auch nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben.
Der Beklagten ist zuzugeben, dass im Fall der Versicherten – medizinisch vertretbar – sowohl die konventionelle AKE-Operation als auch die TAVI als Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung gestanden haben. Bei Abwägung der Kosten, die bei der TAVI angefallen sind und die bei einer konventionellen Operation voraussichtlich angefallen wären, stellt sich die TAVI nicht als unwirtschaftlich dar. Kostengünstiger wäre die konventionelle Operation nur dann, wenn man von den denkbar niedrigsten Kosten ausgehen würde, die für diese Operation abrechenbar wären, nämlich 13.386,00 EUR. Da die Kosten, die im Fall der Versicherten für eine konventionelle Operation angefallen wären, nur fiktiv ermittelt werden können, hält es die Kammer für unangemessen und unrealistisch, vom niedrigsten Kostenwert auszugehen. Die Klägerin hat die 70 Behandlungsfälle des Jahres 2009, in denen in ihrem Haus eine konventionelle AKE-Operation durchgeführt worden ist, zusammengestellt und aus den dafür abgerechneten und erzielten Erlöse einen Mittelwert von ca. 25.479,00 EUR errechnet. Vergleicht man diesen Wert mit den Kosten, die die Klägerin für die bei der Versicherten durchgeführten TAVI geltend macht, so sind die Kosten für die konventionelle Operation ca. 6.463,00 EUR höher als die einer TAVI. Im statistischen Vergleich ist die konventionelle Operation somit um ein Drittel teurer als die TAVI. Dies belegt, dass die TAVI im Fall der Versicherten die wirtschaftlichere Behandlungsalternative war.
Unabhängig von alledem hätte die Klägerin jedenfalls Anspruch auf die Vergütung, die bei fiktivem wirtschaftlichen Alternativverhalten angefallen wäre, wenn sie die Versicherte in nicht wirtschaftlicher Weise behandelte hätte. Ein Krankenhaus hat nämlich stets, auch bei der Vergütung der Krankenhausbehandlung durch Fallpauschalen, einen Vergütungsanspruch gegen einen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nur für eine erforderliche, wirtschaftliche Krankenhausbehandlung. Das folgt aus Wortlaut, Regelungssystem und Zweck der Vergütung sowie der Entwicklungsgeschichte des Gesetzes. Wählt das Krankenhaus einen unwirtschaftlichen Behandlungsweg, kann es allenfalls die Vergütung beanspruchen, die bei fiktivem wirtschaftlichem Alternativverhalten angefallen wäre (BSG, Urteil vom 01.07.2014 – B 1 KR 62/12 R). Im vorliegenden Fall der Versicherten hätte die Beklagte deren Behandlung durch die Klägerin zumindest mit 13.386,00 EUR vergüten müssen, da dies die – theoretisch – kostengünstigste Behandlungsalternative gewesen wäre. Wie aufgezeigt, wäre die von der Beklagten favorisierte offen-chirurgische Operation realistisch (statistisch) betrachtet jedoch teurer als die durchgeführte TAVI gewesen. Im Hinblick darauf steht der Klägerin jedenfalls die Vergütung für die tatsächlich durchgeführte, kostengünstigere Behandlung zu, das ist der mit der Klage geltend gemacht Betrag von 19.016,18 EUR
Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1 und 2, 63 Abs. 2 GKG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung vom 12. bis 13.11.2009 sowie vom 25.11. bis 04.12.2009 zwecks einer kathetergeführten Aortenklappenimplantation (TAVI) in Höhe von 19.016,18 EUR.
Die Klägerin betreibt ein zugelassenes Krankenhaus (Hochschulklinik). Dort wurde die bei der Beklagten versicherte X. N., geb. 00.00.00 (im Folgenden: Versicherte), im Jahre 2009 mehrfach behandelt, und zwar &61485; in der medizinischen Klinik I (Klinik für Kardiologie, Pneumologie, Angiologie und internistische Intensivmedizin) vom 14. bis 16.10., vom 18. bis 20.10. und vom 29.10. bis 02.11. 2009 stationär, am 11.11.2009 ambulant und vom 12.11. bis 13.11.2009 stationär, &61485; in der Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie vom 25.11. bis 04.12.2009 stationär. Sie litt an einer hochgradigen Aortenklappenstenose, einer koronaren Gefäßerkrankung, einem Zustand nach zweifacher Stentimplantation, Pulmonalstenose sowie Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung, Zustand nach Magenresektion, Asthma bronchiale und Osteoporose. In einer interdisziplinären Fallkonferenz der Klinik für Kardiologie und der Klinik für Herzchirurgie stellten die teilnehmenden Ärzte nach Aufklärung der Versicherten und deren Einwilligung in das Verfahren die Indikation für eine kathetergeführte Aortenklappenimplantation (TAVI/Transcatheder Aortic Valve Implantation). Am 26.11.2009 wurde die TAVI transapikal (über die Herzspitze) durchgeführt.
Am 16.12.2009 stellte die Klägerin der Beklagten für die Behandlung der Versicherten vom 12. bis 13.11. und vom 25.11. bis 04.12.2009 einen Gesamtbetrag von 19.016,18 EUR in Rechnung. Grundlage der Forderungen waren u.a. die Fallpauschalen-Ziffer (DRG) F09B (andere kardiothorakale Eingriffe ohne Herz-Lungen-Maschine, ohne komplizierende Konstellation, Alter &61502; 2 Jahre und ( 10 Jahre oder äußerst schwere CC) und die Ziffer NUB09-16 (transapikaler Herzklappenersatz). Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst und leitete dann eine Überprüfung der Abrechnung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein. Dieser kam am 26.01.2012 zum Ergebnis, dass zwar ein "interventioneller/transapikaler Aortenklappenersatz" erbracht worden sei, jedoch eine Kostenübernahme nicht empfohlen werden könne, da folgende "Prüfkriterien" nicht erfüllt gewesen seien; &61485; eine Inoperalibität oder aber ein massiv erhöhtes Risiko für die offen-chirurgische Standard-OP sei nicht belegt; &61485; eine verpflichtende Teilnahme an einer klinischen Studie, zumindest aber am deutschen Aortenklappenregister sei nicht nachgewiesen.
Gestützt hierauf teilte die Beklagte der Klägerin am 27.01.2012 mit, die "stationäre Behandlung" vom 12.11. bis 04.12.2009 sei nicht indiziert gewesen. Sie verrechnete den gezahlten Betrag mit einer späteren (unstreitigen) Forderung der Klägerin aus anderen Behandlungsfällen.
Die Klägerin widersprach dem Gutachten: die Versicherte sei 81 Jahre alt gewesen; es sei bei ihr eine hochgradige Aortenklappenstenose festgestellt worden, die operationswürdig gewesen sei; der Fall sei interdisziplinär im Rahmen einer Konferenz diskutiert worden; aufgrund des Vorliegens eines EuroSCORE (= European System for Cardiac Operative Risk Evaluation) von 10 Punkten, des fortgeschrittenen Alters und des Allgemeinzustandes der Patientin sei bei zu hohem Risiko für eine konventionelle Operation und unter Berücksichtigung des Patientenwunsches eine TAVI geplant und durchgeführt worden; zum Zeitpunkt der Operation habe das nationale Aortenklappenregister noch nicht existiert, dies sei erst im Juli 2010 gestartet.
In einem von der Beklagten veranlassten weiteren Gutachten vom 18.07.2012 blieb der MDK bei seiner ablehnenden Auffassung. Zur Begründung führte er aus, bei der TAVI handele es sich um eine neue Behandlungsmethode, die sich 2009 in der Phase der klinischen Erprobung bzw. frühen Phase der kommerziellen Anwendung befunden habe. Die Prothesen würden laufend weiterentwickelt und verbessert. Damals und heute sei die Anwendung vorgesehen für hochgradige, symptomatische, native Aortenklappenstenose mit und ohne Insuffizienz mit leitliniengerechter OP-Indikation bei Patienten, die wegen Alter und Kormorbidität ein zu hohes geschätztes Mortalitätsrisiko für eine konventionelle Aortenklappenersatz-OP haben (logistischer EuroSCORE ) 20 %) oder aus anderen Gründen inoperabel seien. Der Goldstandard in der Therapie der hochgradigen symptomatischen Aortenstenose bei operationsfähigem Patienten sei der operative Herzklappenersatz, bei dem die Mortalitätsrate gering und die Langzeitergebnisse bezüglich des Überlebens und der Klappenfunktion gut seien; dieser Goldstandard sei ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich. Die TAVI stelle eine Therapieoption dar für Patienten, die wegen Alter und Kormorbilität inoperabel seien bzw. von der Thoraxchirurgie wegen zu hohem OP-Risiko abgelehnt würden; für diese Patienten habe bislang keine effektive Therapie zur Verfügung gestanden. Nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen habe die Versicherte nicht die Voraussetzungen für eine TAVI erfüllt.
Am 25.04.2013 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hält den Anspruch auf Vergütung der streitigen Behandlung für begründet. Nach umfangreichen Voruntersuchungen der Versicherten, Befunderhebung und Diagnosestellung seien die in Frage kommenden Möglichkeiten zur Behandlung der Aortenklappenstenose erörtert worden. Als Behandlungsalternativen seien die konventionelle Operationsmethode und die minimal-invasive TAVI in Betracht gekommen. Bei der konventionellen OP-Methode werde das Brustbein ganz oder teilweise gespalten, der Brustkorb geöffnet und unter Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine die degenerativ veränderte Klappe entfernt und durch eine mechanische oder biologische Klappe ersetzt. Die TAVI erfolge ohne Spaltung des Brustbeins und könne ohne Herz-Lungen-Maschine durchgeführt werden. Bei dieser Methode werde die alte Klappe nicht ausgetauscht, sondern von einer zusammengefalteten Ersatzklappe, die über den Katheder eingeführt werde, überdeckt. Dabei werde die alte Herzklappe in die Wand der Aorta gedrückt und die Neue spanne sich nach Zurückziehen des Katheters im Bereich der Alten auf. Sie sei in einem Metallgeflecht verankert, das sich im Bereich der alten Klappe und der Aorta verhake. Der Eingriff werde am schlagenden Herzen vorgenommen. Meist werde der Katheter über die Leistenarterie eingeführt; falls die Leistenarterien zu klein seien oder die Hauptschlagader schwer verkalkt sei, werde – wie im Fall der Versicherten – die Klappe über die Herzspitze eingeführt. Dabei werde zwischen der fünften und sechsten Rippe im Bereich der Herzspitze ein kleiner Hautschnitt von etwa 5 cm Länge vorgenommen. Nach ärztlicher Aufklärung über die infrage kommenden Behandlungsalternativen einschließlich der damit verbundenen Risiken und Eingriffsfolgen habe sich die Versicherte, insbesondere aufgrund ihrer Osteoporoseerkrankung, für die minimal-invasive Intervention entschlossen. In der der interdisziplinären Fallkonferenz vom 12.11.2009 sei zwischen den behandelnden Ärzten der herzchirurgischen Klinik und der kardiologischen Klinik die Indikationsstellung für eine TAVI nochmals erörtert und aufgrund des fortgeschrittenen Lebensalters der Versicherten, des hohen kardiovaskulären Risikos bei einem konventionellen Eingriff unter Berücksichtigung der Osteoporoseerkrankung und der nach umfassender Aufklärung der Behandlungsalternativen allein für den minimal-invasiven Eingriff erteilten Einwilligung der Versicherten bestätigt worden. Der logistische EuroSCORE, der das postoperative Mortalitätsrisiko von Patienten bei einer konventionellen offenen Herzoperation betreffe, sei von den Ärzten mit 17,33 % ermittelt worden. Soweit es sich beim EuroSCORE um das am meistens verwendete Risikostratifizierungsmodell handele, sei zu berücksichtigen, dass derartige Vorhersagemodelle nur die Gesamtmortalität einer Patientengruppe angeben, jedoch ungenau und unsicher in der Vorhersage der Mortalität des einzelnen Patienten seien. Mit dem EuroSCORE werde nur das Risiko für einen operativen Eingriff bestimmt, ohne jedoch Aussagen über die Indikation für einen minimal-invasiven Eingriff zu treffen. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Versicherte infolge ihrer Osteoporosebeschwerden ihre Einwilligung nur für die TAVI gegeben habe; die konventionelle Operation mit Spaltung des Brustbeins habe sie ausdrücklich abgelehnt.
Die Klägerin hat dargelegt, welche Kosten bei Durchführung der konventionellen Operation entstanden wären bzw. hätten entstehen können. Sie hat hierzu die Behandlungsfälle des Jahres 2009 ausgewertet. Bei 70 Patienten und Patientinnen, die älter als 75 Jahre gewesen seien, sei ein konventioneller Aortenklappenersatz am offenen Herzen durchgeführt worden. Die Vergütung des günstigsten Behandlungsfalls habe bei 13.386,00 EUR, die des teuersten Behandlungsfalls bei 128.914,62 EUR gelegen. Der durchschnittliche Erlös der 70 Behandlungsfälle liege bei 25.479,00 EUR pro Behandlungsfall. Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr 19.016,18 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2012 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verbleibt – auch im Hinblick auf das Ergebnis des vom Gericht eingeholten Gutachtens – bei ihrer bisherigen Auffassung und verweist auf eine ergänzende Stellungnahme des MDK vom 15.05.2014. Die Ausführungen des Sachverständigen seien fachlich-inhaltlich unscharf, eine erforderliche dezidierte kardiologisch/herzchirurgische medizinische Abwägung habe nicht stattgefunden. Die Beklagte hält die Bewertungs- und Anforderungskriterien für eine TAVI im Fall der Versicherten für nicht erfüllt. Als für die Beurteilung des Vergütungsanspruchs relevanter Umstand sei der von der Klägerin ermittelte logistische EuroSCORE von 17,33 % nicht nachvollziehbar; die medizinischen Voraussetzungen der Versicherten hätten eine andere Bewertung erfordert. Die Tatsache, dass die Versicherte die TAVI gewünscht und die konventionelle Operation abgelehnt habe, sei für die Frage, welche Vergütung einem Leistungserbringer zustehe, nicht relevant. Nach den Ausführungen des MDK sei festzustellen, dass es bei der Versicherten nicht nur möglich, sondern vielmehr auch geboten gewesen wäre, den Weg über eine offen-chirurgische OP der Herzklappe zu wählen. Die Beklagte hat dargelegt, dass bei einer konventionellen Operation die DRG F03F mit 13.386,00 EUR abrechenbar gewesen wäre. Die demgegenüber um 5.630,18 EUR höheren Kosten für eine TAVI seien unter dem Primat des Wirtschaftlichkeitsgebotes nicht abrechenbar. Bei Abwägung der Kosten sei die offen-chirurgische OP die kostengünstigere und damit wirtschaftlichere Maßnahme.
Das Gericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts ein medizinisches Sachverständigengutachten von dem Internisten und Krankenhausabrechnungssachverständigen Dr. W. eingeholt. Wegen des Ergebnisses wird auf das Gutachten vom 18.03.2014 und die ergänzende Stellungnahme vom 28.07.2014 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der die Versicherte betreffende Patientenakte der Klägerin, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als (echte) Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Bei einer auf Erstattung überzahlter Behandlungskosten eines Versicherten gerichteten Klage einer Krankenkasse gegen ein Krankenhaus geht es um einen so genannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (vgl. BSG, Urteil vom 17.06.2000 – B 3 KR 33/99 R = BSGE 86,166 = SozR 3-2500 § 112 Nr. 1; Urteil vom 23.07.2002 – B 3 KR 64/01 R = SozR 3-2500 § 112 Nr. 3). Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen, die Einhaltung einer Klagefrist nicht geboten.
Die Klage ist auch begründet.
Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs der Klägerin ist § 109 Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. dem aus § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V folgenden Krankenhausbehandlungsanspruch der Versicherten. Die näheren Einzelheiten über Aufnahme und Entlassung der Versicherten, Kostenübernahme, Abrechnung der Entgelte sowie die Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung ist in den zwischen der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen einerseits und verschiedenen Krankenkassen sowie Landesverbänden der Krankenkassen andererseits geschlossenen Verträgen nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB V geregelt. Es sind dies der zwar gekündigte, aber in der Übergangszeit bis zum Abschluss eines neuen Vertrages offensichtlich weiter angewandte Vertrag über "Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung" (KBV) und der Vertrag zur "Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung" (KÜV).
Das Krankenhaus hat auch bei der Vergütung der Krankenhausbehandlung durch Fallpauschalen (DRG = Diagnosis Related Group) einen Vergütungsanspruch gegen einen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nur für eine "erforderliche" Krankenhausbehandlung. Das folgt aus dem Regelungssystem sowie aus dem Zweck der Vergütung. Sie dient als Gegenleistung für die Erfüllung der Pflicht des zugelassenen Krankenhauses, Krankenhausbehandlung (§ 39 SGB V) der Versicherten im Rahmen des Versorgungsauftrags zu leisten. Die Leistung des Krankenhauses ist nämlich zur Erfüllung des Leistungsanspruchs des Versicherten bestimmt (vgl. BSG Großer Senat, Beschluss vom 25.09.2007 – GS 1/06). Die Zahlungsverpflichtung einer KK entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und im Sinne von § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. z.B. BSG, Urteil vom 13.12.2001 – B 3 KR 11/01 R; Urteil vom 23.07.2002 – B 3 KR 64/01, Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KN 1/07 KR R; Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R). Diese Voraussetzungen waren im Behandlungsfall der Versicherten erfüllt.
Die Klägerin hat der Beklagten zurecht für die Behandlung der Versicherten 19.016,18 EUR in Rechnung gestellt. Die konkrete Anspruchshöhe ergibt sich insbesondere aus der Fallpauschale DRG F09B und den Kosten für die neue Herzklappe (Abrechnungsziffer: NUB09-16). Die Behandlungskosten sind von der Klägerin in der Rechnung vom 16.12.2009 sachlich-rechtlich zutreffend berechnet worden; dies wird von der Beklagten nicht bestritten. Die TAVI genügte im Fall der Versicherten auch dem Wirtschaftlichkeitsgebot; die Behandlung war ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich und überstieg nicht das Maß des Notwendigen (vgl. §§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1, 70 Abs. 1 SGB V). Davon ist die Kammer aufgrund aller ihr über den Behandlungsfall bekannt gewordenen Umstände und nicht zuletzt aufgrund des nachvollziehbaren Abrechnungsgutachtens des Sachverständigen Dr. W. vom 18.03.2014 und dessen ergänzender Stellungnahme vom 28.07.2014 überzeugt. Der Sachverständige hat die Krankenhausunterlagen ausgewertet und sich mit den Argumenten des MDK und der Ärzte des Krankenhauses auseinandergesetzt. Er hat dabei auch die Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) beachtet und richtig angewandt. Dies gilt insbesondere auch in Bezug auf die weiteren in der Rechnung der Klägerin vom 16.12.2009 kodierten Ziffern, speziell NUB09-16 (Transapikaler Herzklappenersatz; Operationen- und Prozedurenschlüssel OPS 5-35a.01).
Allerdings handelt(e) es sich bei der durchgeführten TAVI um eine neue Behandlungsmethode, die – mangels Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) – noch keinen Eingang in den Regelleistungskatalog der GKV gefunden hat(te). Für die Bewertung einer neuen Methode, die im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt wird, gilt jedoch, dass sie als Leistung der GKV ausgeschlossen ist, wenn der G-BA in einer Richtlinie festgestellt hat, dass die Methode nicht zu Lasten der Krankenkasse erbracht werden darf (§ 137c Abs. 1 S. 2SGB V). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Regelung des § 137c SGB V über ihren Wortlaut hinaus im Sinne einer generellen Erlaubnis aller beliebigen Methoden für das Krankenhaus bis zum Erlass eines Verbots nach § 137c SGB V ausgelegt werden darf. Sie normiert vielmehr einen bloßen Verbotsvorbehalt. Sie setzt die Geltung des alle Naturalleistungsbereiche erfassenden Qualitätsgebots (§ 2 Abs. 1 S. 3 SGB V) auch im stationären Bereich nicht außer Kraft (st. Rspr.; vgl BSG, Urteil vom 17.12.2013 – B 1 KR 70/12 R – m.w.N.). Die TAVI genügte im streitigen Behandlungsfall auch dem Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V, wonach Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben.
Die TAVI stellt eine von Kardiologen entwickelte Behandlungsmethode für Patienten mit hochgradiger, symptomatischer Aortenklappenstenose dar. Dieser minimal-invasive Ansatz sollte ursprünglich Patienten eine Behandlung ermöglichen, bei denen der konventionelle operative Aortenklappenersatz (AKE) mit einem erhöhten Operationsrisiko behaftet war. Mittlerweile liegen randomisierte Studienergebnisse vor, die einen signifikanten Überlebensvorteil der TAVI gegenüber dem konservativen Vorgehen belegen. Weitere Studien zu operationsfähigen Hochrisikopatienten zeigen, dass die minimal-invasive TAVI der der konventionellen AKE bei dieser Patientengruppe hinsichtlich harter klinischer Endpunkte mindestens ebenbürtig ist (Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Qualitätskriterien zur Durchführung der transvaskulären Aortenklappenimplantation [TAVI], 2014, S. 4; im Folgenden: Positionspapier 2014). Bereits im Jahre 2009 war im gemeinsamen Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie und der Deutschen Gesellschaft für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie (Positionspapier zur kathedergeführten Aortenklappenintervention, in: Der Kardiologe 3-2009, S. 199 ff.; im Folgenden: Positionspapier 2009) versucht worden, die Indikationsstellung zur TAVI gegenüber der konventionellen AKE über die Beurteilung u.a. des postoperativen Risikos einer konventionellen Operation durch den so genannten logistischen EuroSCORE darzustellen. Danach sollten nur Patienten einer TAVI zugeführt werden, die eine erwartete Operationsletalität von mehr als 20 % erwarten ließen (Positionspapier 2009, S. 200). Allerdings musste auch 2009 schon berücksichtigt werden, dass die Risiko-Scores bislang für dieses Patientenkollektiv nicht validiert worden waren, da die bisherigen Scoringsysteme zur Risikoabschätzung im wesentlichen an Koronarkranken validiert und für Klappenerkrankte nicht immer zutreffend waren. Insbesondere der EuroSCORE überschätzte die antizipierte Letalität der chirurgischen Aortenklappenimplantation erheblich (Positionspapier 2009, S. 200, 201; vgl. auch: SYNTAX-, STS- und EuroSCORE – wie genau sind sie in der Risikobewertung bei Herzerkrankungen? in: Journal für Kardiologie, 2011, S. 355 ff.). Inzwischen geht die wissenschaftliche Meinung dahin, dass die Beurteilung des peri- und postoperativen Risikos aufgrund der Score-Systeme nicht mehr als alleinige Grundlage der Indikationsstellung zur TAVI gegenüber dem operativen AKE bei hochgradiger, symptomatischer Aortenklappenstenose angesehen werden kann (Positionspapier 2014, S. 8). Jüngere Patienten unter 75 Jahren mit einem logistischen EuroSCORE ) als 10 % sollten primär der konventionellen AKE zugeführt werden, sofern nicht andere klinische bzw. anatomische Faktoren einer erhöhtes OP-Risiko nahelegen. Patienten im Alter von 75 Jahren oder darüber mit einem hohen logistischen EuroSCORE von 20 % oder darüber sollten primär einer Behandlung mittels TAVI zugeführt werden, ebenso wie Patienten im Alter von 85 Jahren und darüber unabhängig vom Risikoscore. Für alle Patienten, die diese Kriterien nicht erfüllen, sollte die therapeutische Entscheidung nach Abschätzung des individuellen Morbilitäts- und Mortalitätsrisikos in einem interdisziplinären Dialog zwischen Herzchirurgen und Kardiologen gefunden werden, der auch den Wunsch des Patienten, nach entsprechender gemeinsamer Aufklärung über die Chancen und Risiken beider Therapieverfahren, mit einbezieht (Positionspapier 2014, S. 9, 10).
Der wiedergegebene Stand der Wissenschaft sowohl aus dem Jahre 2009 als auch aktuell im Jahre 2014 zeigt, dass der EuroSCORE ein wesentliches Kriterium für die Indikationsstellung einer TAVI und damit für die Beurteilung von deren Notwendigkeit und Qualität sein kann, jedoch nicht in dem entscheidenden Ausmaß, wie es der MDK bei der Bewertung des streitigen Behandlungsfalles angenommen hat.
Bereits der Vergleich der verschiedenen Parameter, die die Ärzte der Klägerin einerseits und des MDK andererseits zur Ermittlung des EuroSCOREs angestellt haben, zeigt, wie ungenau das EuroSCORE-Ergebnis ist bzw. sein kann. Während der MDK das Mortalitätsrisiko im Fall einer konventionellen AKE im Fall der Versicherten bei 8,07 gesehen hat, führten die von den Ärzten der Klägerin eingegebenen Kriterien zu einem EuroSCORE von 16,78 %. Der von der Klägerin ermittelte EuroSCORE von 17,33 %, der sich in der entsprechenden Tabelle in der Patientenakte über die Versicherte findet, ist nicht nachvollziehbar; er beruht offensichtlich auf einem Eingabefehler und konnte auch von der Klägerin nicht erklärt werden. Allerdings haben die Ärzte der Klägerin und des MDK in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass einige Parameter von ihnen nicht, andere unzutreffend in die EuroSCORE-Kalkulation eingestellt worden sind. Im Rahmen des Fachgesprächs in der mündlichen Verhandlung, an dem auf Seiten der Klägerin eine Medizincontrollerin, der Direktor der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie sowie ein Internist und Kardiologe, auf Seiten der Beklagten ein Sachgebietsleiter für den Bereich Krankenhaus und ein Internist und Kardiologe für den MDK beteiligt waren, wurden übereinstimmend folgende in die EuroSCORE-Kalkulation einstellbare Parameter für den Behandlungsfall der Versicherten festgestellt: &61485; Alter: 81 Jahre, &61485; Geschlecht: weiblich, &61485; COPD: ja, &61485; Eingeschränkte Ejektionsfunktion (EF): 30 bis 50 %, &61485; Kombinationseingriff: kein isolierter ACVB-Eingriff: ja. Hieraus errechnet sich ein logistischer EuroSCORE von 18,66 %. Dieser Wert liegt nahe an der 20 %-Grenze, die sowohl im Positionspapier 2009 als auch im Positionspapier 2014 angesetzt worden ist.
Dabei ist zu berücksichtigen, wie Prof. Dr. B. in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass vom EuroSCORE bei weitem nicht alle Kriterien erfasst werden, die etwas über das Risiko der konventionellen Operationsmethode aussagen können. Bei der Versicherten bestand (auch) eine Osteoporose. Gerade diese war für die Versicherte einerseits, aber auch die behandelnden Ärzte ein wesentliches Kriterium, das gegen eine konventionelle AKE-Operation gesprochen hat. Gleiches gilt für das hohe Alter der Versicherten. Nach den Maßstäben, die inzwischen in der medizinischen Fachwelt angelegt werden (vgl. Positionspapier 2014, S. 9), liegt die Altersgrenze, ab der primär eine TAVI durchgeführt werden sollte, bei 75 Jahren und einem logistischen EuroSCORE von 20 % und darüber; Patienten im Alter von 85 Jahren und darüber sollten sogar unabhängig vom Risikoscore primär mittels TAVI behandelt werden. Die Versicherte war zum Behandlungszeitpunkt im 82. Lebensjahr. Sie lag also sowohl mit dem Alter als auch mit dem EuroSCORE näher an den Grenzwerten, die für eine TAVI sprechen als an denjenigen, die primär für die konventionelle Operation sprechen.
Unter Berücksichtigung all dieser Umstände war für die Kammer das Ergebnis der interdisziplinären Fallkonferenz der Herzchirurgen und Kardiologen der Klägerin vom 12.11.2009 entscheidend. Ausweislich des Protokolls dieser Konferenz wurde die Versicherte von den beteiligten Herzchirurgen und Kardiologen gesehen, die erhobenen Befunde wurden festgestellt und gründlich erörtert. Daraus ergab sich die Indikationsstellung zur TAVI.
Nicht unberücksichtigt bleiben kann in diesem Zusammenhang auch, dass die Versicherte nicht nur ihre Einwilligung zur TAVI gegeben hat, sondern nach entsprechender Aufklärung über die Behandlungsalternativen die konventionelle AKE-Operation ausdrücklich abgelehnt hat. Der Beklagten ist zuzugeben, dass allein der Wunsch eines Patienten für eine bestimmte Behandlungsmethode nicht einen entsprechenden Leistungsanspruch gegenüber der Krankenkasse begründen kann. Bei einer derart schwerwiegenden Operation, wie sie bei der Versicherten anstand, kann der Wunsch des Versicherten im Rahmen des Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsgebotes aber auch nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben.
Der Beklagten ist zuzugeben, dass im Fall der Versicherten – medizinisch vertretbar – sowohl die konventionelle AKE-Operation als auch die TAVI als Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung gestanden haben. Bei Abwägung der Kosten, die bei der TAVI angefallen sind und die bei einer konventionellen Operation voraussichtlich angefallen wären, stellt sich die TAVI nicht als unwirtschaftlich dar. Kostengünstiger wäre die konventionelle Operation nur dann, wenn man von den denkbar niedrigsten Kosten ausgehen würde, die für diese Operation abrechenbar wären, nämlich 13.386,00 EUR. Da die Kosten, die im Fall der Versicherten für eine konventionelle Operation angefallen wären, nur fiktiv ermittelt werden können, hält es die Kammer für unangemessen und unrealistisch, vom niedrigsten Kostenwert auszugehen. Die Klägerin hat die 70 Behandlungsfälle des Jahres 2009, in denen in ihrem Haus eine konventionelle AKE-Operation durchgeführt worden ist, zusammengestellt und aus den dafür abgerechneten und erzielten Erlöse einen Mittelwert von ca. 25.479,00 EUR errechnet. Vergleicht man diesen Wert mit den Kosten, die die Klägerin für die bei der Versicherten durchgeführten TAVI geltend macht, so sind die Kosten für die konventionelle Operation ca. 6.463,00 EUR höher als die einer TAVI. Im statistischen Vergleich ist die konventionelle Operation somit um ein Drittel teurer als die TAVI. Dies belegt, dass die TAVI im Fall der Versicherten die wirtschaftlichere Behandlungsalternative war.
Unabhängig von alledem hätte die Klägerin jedenfalls Anspruch auf die Vergütung, die bei fiktivem wirtschaftlichen Alternativverhalten angefallen wäre, wenn sie die Versicherte in nicht wirtschaftlicher Weise behandelte hätte. Ein Krankenhaus hat nämlich stets, auch bei der Vergütung der Krankenhausbehandlung durch Fallpauschalen, einen Vergütungsanspruch gegen einen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nur für eine erforderliche, wirtschaftliche Krankenhausbehandlung. Das folgt aus Wortlaut, Regelungssystem und Zweck der Vergütung sowie der Entwicklungsgeschichte des Gesetzes. Wählt das Krankenhaus einen unwirtschaftlichen Behandlungsweg, kann es allenfalls die Vergütung beanspruchen, die bei fiktivem wirtschaftlichem Alternativverhalten angefallen wäre (BSG, Urteil vom 01.07.2014 – B 1 KR 62/12 R). Im vorliegenden Fall der Versicherten hätte die Beklagte deren Behandlung durch die Klägerin zumindest mit 13.386,00 EUR vergüten müssen, da dies die – theoretisch – kostengünstigste Behandlungsalternative gewesen wäre. Wie aufgezeigt, wäre die von der Beklagten favorisierte offen-chirurgische Operation realistisch (statistisch) betrachtet jedoch teurer als die durchgeführte TAVI gewesen. Im Hinblick darauf steht der Klägerin jedenfalls die Vergütung für die tatsächlich durchgeführte, kostengünstigere Behandlung zu, das ist der mit der Klage geltend gemacht Betrag von 19.016,18 EUR
Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1 und 2, 63 Abs. 2 GKG.
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