S 12 SB 414/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
12
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 12 SB 414/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) streitig.

Mit Bescheid vom 13.06.2012 stellte der Beklagte bei dem am 00.00.0000 geborenen Kläger aufgrund von Funktionseinschränkungen des Herz-Kreislaufsystems, Funktionsstörungen der oberen Gliedmaße sowie Funktionsstörungen der unteren Gliedmaße einen GdB von 40 fest.

Am 26.07.2013 stellte der Kläger beim Beklagten einen Änderungsantrag. Hierbei gab er an, der Rücken und die Knie seien besonders beeinträchtigt. Darüber hinaus bestünden Luftbeschwerden.

Der Beklagte holte einen Befundbericht des behandelnden Allgemeinmediziners Dr. I ein und wertete diesen, zusammen mit Arztberichten des Kardiologen Dr. W, des Radiolgen Dr. T und des Gefäßchirurgen Dr. L, durch seinen ärztlichen Dienst aus. Dieser kam zu der Einschätzung der GdB für die Funktionseinschränkungen des Herz- Kreislaufsystems sei weiterhin mit 30, die für die Funktionsstörungen der oberen Gliedmaße weiterhin mit 20 und die für die Funktionsstörungen der unteren Gliedmaße weiterhin mit 10 zu bewerten. Der Gesamt-GdB betrage weiterhin 40.

Mit Bescheid vom 10.10.2013 lehnte der Beklagte darauf hin den Antrag auf Feststellung eines höheren GdB ab. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch mit der Begründung ein, er halte die Feststellung, dass sich eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustands nicht ergeben habe, für falsch. Es hätten sich sein Gesundheitszustand und seine Belastbarkeit in den letzten Jahren deutlich verschlechtert.

Der ärztliche Dienst des Beklagten wertete daraufhin die vorliegenden Befunde erneut aus, kam jedoch zu keiner für den Kläger günstigeren Einschätzung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.04.2014 wies die Bezirksregierung Münster daraufhin den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.

Am 02.05.2014 hat der Kläger Klage erhoben. Er vertritt weiterhin die Auffassung, die bei ihm vorliegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen seien nicht hinreichend berücksichtigt worden. Die bei ihm vorliegenden körperlichen Beeinträchtigungen, insbesondere nach seinem Herzinfarkt, belasteten ihn stark. Seine körperliche Leistungsfähigkeit sei infolge seiner Erkrankung deutlich herabgesetzt. Schon bei geringen Anstrengungen müsse er Pausen einlegen und sei vor diesem Hintergrund körperlich kaum noch belastbar. Im Gegensatz zu früher könne er sich in das normale Alltagsgeschehen nicht mehr gut eingliedern.

Das Gericht hat Befundberichte des Neurologen und Psychiaters Dr. B, des Internisten Dr. G, des Kardiologen Dr. W und des Allgemeinmediziners I eingeholt sowie darüber hinaus ein fachinternistisch-arbeitsmedizinische Gutachten des Dr. Q eingeholt, welches dieser gegenüber dem Gericht am 24.10.2014 erstattet hat.

Mit Schreiben vom 27.10.2014 hat der Kammervorsitzende den Kläger darauf hingewiesen, dass die Klage nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keine Aussicht auf Erfolg habe und der Kläger die Rücknahme derselben erwägen solle. Eine Reaktion des Klägers hierauf ist ausgeblieben.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 10.03.2015, zu dem der Kläger ausweislich Postzustellungsurkunde am 10.02.2015 geladen worden ist, ist der Kläger, dessen persönliches Erscheinen nicht angeordnet war, nicht erschienen.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 10.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.04.2014 zu verurteilen, bei ihm einen höheren GdB als 40 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und nimmt im übrigen Bezug auf die Feststellungen des gerichtlichen Gutachters Dr. Q.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Wandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Ihm steht derzeit kein höherer GdB als 40 zu.

Nach § 2 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion oder geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft dargestellt. Bei dem Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.

Die Bemessung des Gesamt-GdB hat dabei in mehreren Schritten zu erfolgen und ist tatrichterliche Aufgabe (BSG Beschluss vom 09.12.2010 – B 9 SB 35/10 B = juris Rn. 5 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).

Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinn von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX und die daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. Sodann sind diese den in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Schließlich ist unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-GdB zu bilden (BSG Urteil vom 30.09.2009 – B 9 SB 4/08 R = juris Rn. 18 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).

Nach Teil A Ziffer 3 der Anlage zu § 2 der aufgrund § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassenen Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (BGBl. I 2008, S. 2412 - Versorgungsmedizin-Verordnung) vom 10.12.2008 (Versorgungsmedizinische Grundsätze), die wegen § 69 Abs. 1, Satz 4 SGB IX auch im Schwerbehindertenrecht zur Anwendung kommt, sind zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung rechnerische Methoden, insbesondere eine Addition der Einzelgrade der Behinderung, nicht zulässig. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad der Behinderung bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad der Behinderung 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei ist gemäß Teil A Ziffer 3 lit. d) ee) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu beachten, dass leichtere Gesundheitsstörungen mit einem Einzelgrad der Behinderung von 10 nicht zu einer Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung führen, selbst wenn mehrere dieser leichteren Behinderungen kumulativ nebeneinander vorliegen. Auch bei Leiden mit einem Einzelgrad der Behinderung von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine Zunahme des Gesamtausmaßes der Behinderung zu schließen.

Schließlich sind bei der Festlegung des Gesamt-GdB zudem die Auswirkungen im konkreten Fall mit denjenigen zu vergleichen, für die in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen feste GdB-Werte angegeben sind (BSG Urteil vom 02.12.2010 – B 9 SB 4/10 R = juris Rn. 25; vgl. auch Teil A Ziffer 3 lit. b) Versorgungsmedizinische Grundsätze).

Die anspruchsbegründenden Tatsachen sind, dies gilt nach allgemeinen Grundsätzen des sozialgerichtlichen Verfahrens auch im Schwerbehindertenrecht grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R = juris Rn. 14; Bayerisches LSG Urteil vom 18.06.2013 – L 15 BL 6/10 = juris Rn. 67 ff.; Bayerisches LSG Urteil vom 05.02.2013 – L 15 SB 23/10= juris). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R = juris Rn. 11), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 1/92 = juris Rn. 14). Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs oder rechtlichen Handelns auf ihr Vorliegen stützen.

Im vorliegenden Fall steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die bei dem Kläger vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht die Feststellung eines GdB von mehr als 40 rechtfertigen.

Der Kläger leidet zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung unter

1. Funktionsstörung von Herz und Kreislauf 2. Zustand nach Carotisoperation links 3. Funktionsstörung der oberen Gliedmaße 4. Funktionsstörung der unteren Gliedmaße 5. Polyneuropathie 6. Funktionsstörung der Wirbelsäule

Das Vorliegen dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen steht nach Auffassung der Kammer aufgrund der im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten Befund- und Arztberichte, sowie des Gutachtens des Dr. Q fest. Das Gutachten beruht auf umfangreichen Untersuchungen, die von einem erfahrenen medizinischen Gutachter unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat keinen Anlass an der Richtigkeit der in dem Gutachten erhobenen medizinischen Befunde und gestellten Diagnosen zu zweifeln. Die Beteiligten haben auch keine substantiierten Einwände gegen die medizinischen Feststellungen erhoben.

Für das Funktionssystem Herz und Kreislauf ist der GdB gemäß Teil B Ziffer 9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit einem GdB von 30 zutreffend bewertet, wobei nach Auffassung der Kammer dieser Wert – im Hinblick auf die objektivierten Beeinträchtigungen des Klägers – wohlwollend hoch ist.

Beim Kläger ist es im Jahr 2010 zu einem Nicht-ST-Hebungsinfarkt gekommen, woraufhin am 01.06.2010 notfallmäßig eine zweifache aortokoronare Bypassoperation (AVCB) durchgeführt wurde. Gemäß Teil B Ziffer 9.1.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ist bei operativen Eingriffen am Herzen der GdB von den verbleibenden Leistungsbeeinträchtigungen abhängig. Der behandelnde Kardiologe beschreibt im Rahmen der bei den regelmäßigen Kontrolluntersuchungen erstellten Arztberichten eine subjektive Beschwerdefreiheit des Klägers. Ergometrisch war der der Kläger bis 125 Watt ohne Auffälligkeiten und mit adäquatem Blutdruckverhalten belastbar. Für diese Leistungseinschränkung allein ist der GdB von 30 in jedem Fall zu hoch. Ziffer 9.1.1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze macht deutlich, dass ein GdB von 20 bis 40 bei pathologischen Messdaten bei einer Belastung mit 75 Watt anzusetzen ist. Der Kläger war noch um 50 Watt weiter belastbar. Der Kläger leidet freilich auch unter erhöhtem Blutdruck. Dieser ist allerdings mit Metobeta® 50 (Wirkstoff: Metoprolol tartrat) und Valsartan offensichtlich gut eingestellt ist, teilweise nach Angaben des Klägers freilich auch etwas zu niedrig, was Schindelgefühle bei ihm hervorrufe. Bei der Untersuchung ermittelte der Gutachter Werte nach Riva-Rocci von 115/80 mmHg. Hierfür allein könnte gemäß Teil B Ziffer 9.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze kein GdB von mehr als 10 in Ansatz gebracht werden. Es ist allerdings zu beachten, dass der Kläger – bei ansonsten unauffälliger Lungenfunktion – unter einem trockenen Husten leidet, was u.U. Nebenwirkung der Einnahme von Valsartan sein kann. Als Folge der Venenentnahme für den Bypass ist beim Kläger eine Schwellneigung im Unterschenkel verblieben. Hier trägt der Kläger einen Kompressionsstrumpf Klasse II, was einer mittleren Kompression entspricht (vgl. Diehm, Durchblutungsstörungen, 1996, S. 291). Wenn man dies alles mit berücksichtigt, ist die bisherige Feststellung des GdB von 30 für das Funktionssystem Herz und Kreislauf– wie bereits festgestellt – für den Kläger äußerst wohlwollend. Eine Erhöhung kommt insoweit auch nicht im Hinblick auf die 2011 durchgeführte Endarteriektomie (vgl. dazu Debus/Gross-Fengels, Operative und interventionelle Gefäßmedizin, 2012, S. 621) der linken inneren Halsschlagader in Betracht. Aktuell sind keine weiteren Stenose objektiviert.

Im Bereich der oberen Extremitäten beklagt der Kläger Beschwerden beim Anheben des linken Arms. Eine fachorthopädische Behandlung diesbezüglich erfolgt nach Angaben des Klägers aktuell nicht. Ein Arztbericht des Orthopäden X aus dem Jahr 2009 diagnostizierte beim Kläger eine beidseitige Schultereckgelenksarthrose. Im Rahmen der Untersuchung durch Dr. Q ermittelte dieser nach Neutral-Null eine Beweglichkeit der Schultergelenke vorwärts/rückwärts rechts mit 120°/0°/20° und links mit 100°/0°/30°, die Beweglichkeit seitwärts/körperwärts rechts mit 120°/0/°20° und links mit 110°/0°/20° und die einwärts/auswärts Drehung mit 90°/0°/40°. Hier zeigt sich also beidseits, links stärker als rechts, eine eingeschränkte Beweglichkeit (vgl. zu den anatomisch normalen Bewegungsausmaßen, Wülker, Orthopädie und Unfallchirurgie, 2. Aufl. 2010, S. 296). Eine Muskelminderung des linken Armes konnte nicht festgestellt werden. In der Vergangenheit hatten sich freilich auch teilweise immer wieder schlechtere Werte gezeigt, etwa ein Abduktion links bis 90°. Unter Berücksichtigung von Teil B Ziffer 18.13 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze erscheint es daher gerechtfertigt, auch wenn aktuell die Werte sich besser zeigten, der GdB weiter mit 20 zu bewerten.

Im Bereich der unteren Extremitäten gab der Kläger gegenüber dem Gutachter an, er bekomme insbesondere bei Kälte Beschwerden in den Knien. Einmal wöchentlich nehme er deshalb auch ein Schmerzmittel ein. Eine fachorthopädische Behandlung finde nicht statt. Ausweislich der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren eingeholten Unterlagen sind beim Kläger in der Vergangenheit eine Gonarthrose und eine Gelenkspaltverschmälerung medial im Bereich beider Knie diagnostiziert worden. Wesentliche Bewegungseinschränkungen sind aber weder in der Vergangenheit noch im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. Q zu Tage getreten. Die Kniegelenksbeweglichkeit war mit 130°/0°/0° beidseits altersentsprechend normgerecht (vgl. zu den anatomisch normalen Bewegungsausmaßen, Schünke, Topgraphie und Funktion des Bewegungssystems, 2. Aufl. 2014, S. 62). Die gelegentlichen Kniebeschwerden bei Kälte rechtfertigen nach Auffassung der Kammer, die sich insoweit nach eigener Prüfung der Feststellung des Gutachters anschließt, allerhöchstens einen GdB von 10. Die Hüftgelenke zeigten sich bei der Untersuchung ebenfalls weitgehend altersentsprechend normal (vgl. zu den anatomisch normalen Bewegungsausmaßen, Wülker, Orthopädie und Unfallchirurgie, 2. Aufl. 2010, S. 7). Der Kläger gibt Taubheit und Kribbeln in den Beinen an. Bei der Untersuchung durch Dr. Q waren sowohl der Patellasehnen- als auch der Achillessehnenreflex beidseits nicht ausführbar, die Berühungsempfindlichkeit im Bereich der Füße war herabgesetzt (Hypästhesie). Beim Kläger ist danach nach den Feststellungen des Gutachters von einer Polyneuropathie auszugehen, was sich auch in den Vorbefunden widerspiegelt. Gemäß Teil B Ziffer 3.11 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ist bei der Bewertung des GdB hier auf die Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund motorischer Ausfälle und sensiblen Störungen sowie deren Kombination abzustellen. Zwar fand sich – wie dargelegt – eine lokal begrenzte Hypästhesie. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger aber den Zehspitzgang ebenso wie die Hackenstellung gut ausführen konnte und überdies das Gangbild insgesamt unauffällig war, ist derzeit insoweit nur von einer geringen Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die lediglich einen GdB von 10 bedingt.

Für das Funktionssystem der Wirbelsäule kann ebenfalls gemäß Teil B Ziffer 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein GdB von höchstens 10 in Ansatz gebracht werden. Im Rahmen der Untersuchung fand sich im Bereich der Halswirbelsäule lediglich eine leichte Einschränkung der Seitenneigung mit 20°/0°/20°. Im Übrigen lagen die Werte im altersgemäßen Normbereich. Der Finger-Boden-Abstand wurde mit 40 cm ermittelt. Eine Wurzelreizsymptomatik zeigte sich nicht. Im Übrigen war die Wirbelsäule altersentsprechend normal beweglich (vgl. dazu Grifka/Krämer, Orthopädische Unfallchirurgie, 9. Aufl. 2013, S. 157 f.).

Wesentliche weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen, die einen GdB bedingen könnten sind nicht objektiviert.

Vor diesem Hintergrund ist bei dem Kläger § 69 Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden.

§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX schreibt vor, bei Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen den Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen. Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorientierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 42 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R = juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R = juris).

Im Vordergrund stehen vorliegend die Beeinträchtigungen im Bereich von Herz- und Kreislauf. Diese bedingen – wie oben ausgeführt – soeben einen GdB von 30. Neben diesem konnte der Beklagte – für den Kläger sehr wohlwollend - erhöhend die Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten berücksichtigen und hieraus einen GdB von 40 bilden. Nach Auffassung der Kammer ist dies aber schon äußerst wohlwollend. Die Feststellung eines GdB von mindestens 50, kommt nach obigen Ausführungen keinesfalls in Betracht. Die objektivierten Beeinträchtigungen des Klägers lassen sich nicht gemäß Teil A Nr. 3 lit. b) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit einem einzelnen Gesundheitsschaden vergleichen, für den die Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen festen GdB-Wert von 50 angeben (vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 - L 13 SB 127/11 = juris Rn. 49 ff. unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG und den hierzu vertretenen Meinungsstand in der Literatur). Insbesondere lassen sich Beeinträchtigungen vergleichbar einer Versteifung großer Teile der Wirbelsäule, anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthesen die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst, schwere Skoliose (ab ca. 70° nach Cobb), oder aber einer Versteifung des Hüftgelenks in ungünstiger Stellung oder dem Verlust eines Beins im Unterschenkel bei dem Kläger nicht feststellen. Die begehrte Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft kommt damit derzeit nicht in Betracht.

Die Kammer konnte die Streitsache auch in Abwesenheit des Klägers entscheiden, ohne seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG) zu verletzen. Der Kläger war zum Termin ordnungsgemäß geladen und gemäß § 110 Abs. 1 Satz 2 SGG auf die Möglichkeit der Entscheidung nach Aktenlage in seiner Abwesenheit hingewiesen worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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