Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
12
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 12 SB 627/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 SB 177/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) von 50 auf 40 streitig.
Bei der am 00.00.0000 geborenen Klägerin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 16.04.2010 aufgrund eines Anfallsleidens, einer depressiven Störung mit Folgen und Bewegungseinschränkungen der Kiefergelenke einen GdB von 50 fest.
Im April 2011 kam es erstmals zu einer Nachprüfung durch den Beklagten. In diesem Zusammenhang erklärte die Klägerin, sie sei der Auffassung, ihr Gesundheitszustand habe sich verschlechtert. Der ärztliche Dienst des Beklagten wertete einen Befundbericht des Psychiaters Dr. Q im Rahmen eines Rentenverfahrens sowie Arztberichte des Nuklearmediziners Dr. T, der Pulmologen Dres. C, X und T, der Neurologischen Klinik der St. B gGmbH, des Neurologischen Fach- und Rehabilitationskrankenhauses Kliniken T sowie des Orthopäden S aus und kam zu der Einschätzung, der GdB sei weiterhin mit 50 zutreffend berücksichtigt. Der letzte Anfall der Klägerin sei im April 2010 nachgewiesen. Mit Bescheid vom 11.05.2011 lehnte der Beklagte seinerzeit die Feststellung des begehrten höheren GdB ab.
Im Mai 2013 überprüfte der Beklagte den Sachverhalt abermals und forderte einen Befundbericht des Neurologen N an, aus dem sich ergab, dass die Klägerin unter Medikation derzeit anfallsfrei sei. Der ärztliche Dienst kam zu der Einschätzung, dass der GdB für das Anfallsleiden nunmehr mit einem GdB von 30 zu berücksichtigen und der Gesamt-GdB auf 40 herabzusetzen sei. Im August 2013 hörte der Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Absenkung an. Hierbei nannte die Klägerin weitere Behandler. Der Beklagte holte daraufhin Befundberichte des HNO-Arztes Dr. F, des Orthopäden S, der Fachklinik für Q sowie der Allgemeinmediziner Dres. T ein und wertete diese, zusammen mit einem Arztbericht des Radiologen T und des Internisten und Lungen- und Bronchialheilkundlers Dr. X durch seinen ärztlichen Dienst aus. Dieser kam zu der Einschätzung, das Anfallsleiden sei zutreffend mit einem GdB von 30, die depressive Störung weiter mit einem GdB von 30 und darüber hinaus die Bewegungseinschränkung der Kiefergelenke, eine Funktionsstörung der Wirbelsäule, eine Funktionsstörung der oberen Gliedmaße sowie eine Hörstörung mit Ohrgeräuschen jeweils mit einem GdB von 10 zu bewerten. Der Beklagte teilte das Ergebnis der Klägerin im Dezember 2013 mit. Im Februar 2014 vertrat die Klägerin unter Hinweis auf ein Attest des Neurologen N aus Januar 2014 die Auffassung, dass sie die beabsichtigte Herabsetzung für rechtswidrig halte. Der ärztliche Dienst nahm auch hierzu Stellung, blieb aber bei seiner Einschätzung.
Mit Bescheid vom 13.03.2014 stellte der Beklagte daraufhin unter Aufhebung des Bescheides vom 16.04.2010 den GdB nunmehr mit 40 fest.
Unter dem 21.03.2014 legte die Klägerin, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte, Widerspruch ein. Nachdem dieser – trotz entgegenstehender Ankündigung – nicht begründet worden war, wies die Bezirksregierung N den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2014 als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat am 11.07.2014, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte, Klage erhoben. Sie hat weiterhin die Auffassung vertreten, die Anfallsfreiheit der Klägerin rechtfertige nicht die Herabsetzung des GdB, weil diese mit einer Medikation erkauft sei, die erhebliche Nebenwirkungen für die Klägerin habe. Daneben seien die Auswirkungen des Tinnitus nicht hinreichend berücksichtigt worden.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten des HNO-Arztes Dr. F, der Psychiaterin G, des Neurologen N und der Allgemeinmediziner Dres. T sowie durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Fachgutachtens des Dr. H, welches dieser im Februar 2015 dem Gericht vorgelegt hat.
Im Nachgang hat die Klägerin ein weiteres Attest des Neurologen N aus März 2015 sowie einen Bericht des Radiologen Dr. P betreffend ein MRT der Halswirbelsäule vom 04.02.2015 sowie ein Attest des Orthopäden S vom 25.03.2015 vorgelegt. Hierzu hat der Beklagte Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
Der Kammervorsitzende hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass es sich prozessual vorliegend um eine Anfechtungssituation handele
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 21.04.2015 hat die Klägerin, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte, beantragt,
den Bescheid vom 13.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2014 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und nimmt überdies Bezug auf die Ausführungen des gerichtlich bestellten Gutachters sowie die Stellungnahmen seines ärztlichen Beraters im Gerichtsverfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Gerichtsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG nicht in ihren Rechten verletzt, da diese rechtmäßig sind. Der Klägerin stand zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides kein höherer GdB als 40 zu.
Rechtsgrundlage des Bescheides vom 13.03.2014 ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Bei den Feststellungsbescheiden nach § 69 Abs. 1 und 2 SGB IX handelt es sich um Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (BSG Urteil vom 12.11.1996 – 9 RVs 5/95 = juris; BSG Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 6/12 R = juris Rn. 30; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 05.01.2011- L 6 (7) SB 135/06 = juris Rn. 20 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 19.09.2000 – B 9 SB 3/00 R = juris). Eine Aufhebung ist dabei nur "insoweit" zulässig, als eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.01.2011, a.a.O.; BSG Urteil vom 19.09.2000, a.a.O.). Eine wesentliche Änderung ist anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung des Behinderungszustandes eine Herabsetzung oder Erhöhung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 ergibt. Die Änderung der Bezeichnung der Funktionsbeeinträchtigungen oder das Hinzutreten weiterer Funktionsbeeinträchtigungen allein ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB stellen keine wesentliche Änderung dar (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 05.01.2011, a.a.O. unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 24.06.1998 – B 9 SB 18/97 R = juris). Handelt es sich bei den anerkannten Behinderungen um solche, bei denen der GdB wegen der Art der Erkrankung höher festgesetzt wurde, als es die tatsächlich nachweisbaren Funktionseinschränkungen erfordern, liegt eine Änderung der Verhältnisse im Sinne von § 48 SGB X auch dann vor, wenn für die den Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde liegenden Erkrankungen die sogenannte Heilungsbewährung abgelaufen ist (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 05.01.2011, a.a.O.).
Ob eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X eingetreten ist, muss im Rahmen einer gegen einen Herabsetzungsbescheid gerichteten Anfechtungsklage durch einen Vergleich der Verhältnisse zum Zeitpunkt des Erlasses des letzten bindend gewordenen Bescheides mit denjenigen zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung der Beklagten ermittelt werden. Bei einer derartigen Neufeststellung handelt es sich nicht um eine reine Fortschreibung des im letzten maßgeblichen Bescheid festgestellten GdB, sondern um dessen Neuermittlung unter Berücksichtigung der verschiedenen aktuellen Funktionsbeeinträchtigungen (so zutreffend LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 05.01.2011- L 6 (7) SB 135/06 = juris Rn. 21 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 19.09.2000, - B 9 SB 3/00 R - = juris; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 18.06.2002, - L 6 SB 142/00 = juris).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht es zur Überzeugung der Kammer fest, dass im Gesundheitszustand der Klägerin im Vergleich zu den gesundheitlichen Verhältnissen, die dem Bescheid vom 16.04.2010 zugrunde gelegen haben, eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten ist.
Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 16.04.2010 war die Klägerin hinsichtlich des bei ihr bestehenden Anfallsleiden noch nicht dergestalt medikamentös eingestellt, dass eine Anfallsfreiheit erreicht worden wäre. Noch im April 2010 war es zu einem entsprechenden Anfall gekommen. Dies hat sich zwischenzeitlich geändert. Bei der Klägerin ist es – dies steht für die Kammer auf Grund der vorliegenden Arzt- und Befundberichte sowie des Gutachtens des Dr. H fest – seit mehr als drei Jahren nicht mehr zu Anfällen gekommen. Das Gutachten beruht auf umfangreichen Untersuchungen, die von einem erfahrenen- und zertifizierten - medizinischen Gutachter unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat keinen Anlass, an der Richtigkeit und Vollständigkeit der in dem Gutachten erhobenen medizinischen Befunde zu zweifeln. Substantiierte Einwendungen gegen die medizinischen Feststellungen sind von den Beteiligten ebenfalls nicht vorgebracht worden.
Aufgrund der vorliegenden Arzt- und Befundberichte sowie des eingeholten Gutachtens steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt im Wesentlichen unter folgenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen gelitten hat:
1. Epilepsie mit Grand-mal Anfälle, fokalen Anfällen und Absencen, seit mehr als drei Jahren anfallsfrei 2. Dysthymie mit wahrscheinlich pseudodementiellen Beschwerden 3. Arthropathie der Kiefergelenke bei Zustand nach beidseitiger Kieferfraktur 4. Cervikalsyndrom, LWS-Syndrom 5. Funktionsstörung der oberen Extremitäten, Zustand nach Karpaltunnelsyndrom 6. Tinnitus beidseits
Für das Anfallsleiden hat der Beklagte zutreffend gemäß Teil B Ziffer 3.1.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen GdB von 30 in Ansatz gebracht. Daneben ist für das Funktionssystem der Psyche gemäß Teil B Ziffer 3.7 bei der Klägerin die bestehende Dysthymie zu berücksichtigen, für die ebenfalls ein GdB von 30 in Ansatz zu bringen ist. Die Klägerin hat gegenüber dem Gutachter angegeben, sie leide unter beträchtlichen Angstzuständen. Sie sähe unter anderem ihre Zukunft als ungewiss an. Auch bestünden erhebliche kognitive Störungen mit Störungen der Merk- und Konzentrationsfähigkeit. Ihre Gedanken würden häufig abschweifen und sie würde vergessen, was sie gerade habe machen wollen. So habe sie auch die Einnahme ihrer Medikation schon einige Male vergessen. Auch im beruflichen Alltag machten ihr die kognitiven Einschränkungen zu schaffen. Sie fühle sich wegen ihrer Epilepsie krank-kaputt und sei deswegen depressiv geworden. Die Klägerin berichtet, sie gehe gelegentlich mit ihrem Hund spazieren. Ihren behandelnden Psychiater besuche sie niederfrequent. Der Gutachter beschreibt im Rahmen des psychischen Befundes, dass die Klägerin pünktlich erschien und zu allen Aspekten bei der Untersuchung vollständig orientiert gewesen sei. Hinweise auf ausgeprägtere kognitive Funktionsstörungen hätten sich nicht gefunden. Die Klägerin habe präzise und erschöpfend zu den anamnestischen Daten berichtet. Auch seien im weiteren Verlauf keine besonderen Ermüdungserscheinungen, Konzentrationsstörungen oder wesentliche Wortfindungsstörungen aufgefallen. Hinsichtlich der Merkmale Antrieb, Wille und Psychomotorik war die Klägerin nach den Feststellungen des Gutachters normal veranlagt. Der affektive Rapport war gut, ein Kontakt war schnell zu der Klägerin herzustellen. In der Stimmungslage habe sie leicht dysthym-verstimmt gewirkt. Merkmale einer ausgeprägteren Depression hätten sich nicht finden lassen. Auch hätten keine Hinweise auf inhaltliche oder formale Denkstörungen gezeigt. Während der gesamten Untersuchung habe die Klägerin durchgehend eine unauffällige Ausdrucks- und Verhaltensweise gezeigt.
Im Hinblick auf die bei der Klägerin beschriebenen kognitiven Defizite hat der Gutachter zum einen den Mini-Mental-Status-Test (MMST) durchgeführt, bei dem Klägerin mit 27 von 30 Punkten ein Ergebnis im Normalbereich des Alterskollektivs erzielt hat. Beim DemTec Test erreichte die Klägerin 11 von 18 Punkten, so dass im Ergebnis von einer leichten kognitiven Beeinträchtigung auszugehen ist. Der Gutachter interpretiert diese entweder als Folge eines von der Klägerin früher erlittenen Schädel-Hirn-Traumas, die Klägerin hatte nach eigenen Angaben im Alter von 16 Jahren bei einem Verkehrsunfall eine Schädelbasisfraktur erlitten, oder als Folge der aktuell eingenommenen antiepileptischen Medikation (Valproinsäure) oder im Sinne von sog. pseudodementiellen Beschwerden, als einem Symptom der bestehenden Dysthymie. Hinsichtlich der Schwere der kognitiven Einschränkungen ist mit dem Gutachter aufgrund des von ihm beschriebenen klinischen Eindrucks in Verbindung mit den Ergebnissen der durchgeführten testpsychologischen Untersuchungen davon auszugehen, dass es sich um leichtere Einschränkungen handelt. Mit dem Gutachter geht die Kammer davon aus, dass bei der Klägerin, insgesamt eine leichtere depressive Episode vorliegt, wobei durchaus schon eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, auch durch die teilweise erlebten kognitiven Defizite, anzunehmen ist. Damit ist der Bewertungsspielraum von 30 bis 40 eröffnet. Soweit die Klägerin hier insbesondere die Beeinträchtigungen im beruflichen Alltag in den Vordergrund gestellt hat, ist freilich zu berücksichtigen, dass gemäß Teil A Ziffer 2 lit. b) im Schwerbehindertenrecht ein besonderes berufliches Betroffensein unerheblich ist. Die Kammer geht – unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme, des Ausmaßes des geschilderten beruflichen und privaten Aktivitätsniveaus sowie der weitmaschigen fachärztlichen Behandlung mit dem Gutachter davon aus, dass der GdB mit 30 die Beschwerden der Klägerin angemessen abbildet. Hierbei sind auch die vom Gutachter beschriebenen psychosomatischen Beschwerden mit berücksichtigt.
Für das Funktionssystem der Mundhöhle ist in entsprechender Anwendung von Teil B Ziffer 7.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein GdB von 10 in Ansatz zu bringen, da die Kaufunktion und die Mundöffnungsfunktion bei der Klägerin nur unwesentlich beeinträchtigt ist.
Für das Funktionssystem der Wirbelsäule ist ebenfalls gemäß Teil B Ziffer 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein GdB von 10 in Ansatz zu bringen.
Die Klägerin leidet und litt in der Vergangenheit immer wieder an Schmerzen im gesamten Bereich der Wirbelsäule. Wesentliche Funktionseinschränkungen sind diesbezüglich indes – jedenfalls für den maßgeblichen Zeitpunkt – nicht objektiviert. Der im Rahmen des Verwaltungsverfahrens eingeholte Befundbericht des behandelnden Orthopäden S beschreibt zu verschiedenen Gelegenheiten Druckschmerzhaftigkeiten. Die Beweglichkeit beschrieb er im Übrigen als frei. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem im Laufe des Verfahrens eingereichten Attest des Herrn S. Aus diesem ergibt sich vielmehr, dass die Klägerin wegen Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule zuletzt 2013 und dann erst wieder Anfang 2015 in Behandlung war. 2013 waren – wie ausgeführt – Bewegungseinschränkungen nicht objektiviert. Soweit er im Januar 2015 einen paravertrebralen Druckschmerz der Lendenwirbelsäule links und einen positiven Facettentest der Lendenwirbelsäule links beschreibt und im März 2015 muskuläre Verspannungen im Bereich der Halswirbelsäule sind damit ebenfalls keine wesentlichen Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule zum maßgeblichen Zeitpunkt objektiviert. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund des im Februar 2015 durchgeführten MRT Untersuchung der Halswirbelsäule. Es ist dort ein kleiner Bandscheibenvorfall HWK6/7 und eine flachbogige Bandscheibenvorwölbung im Segment HWK5/6 mit geringfügiger Foramenenge nachgewiesen worden. Hieraus resultierende Beeinträchtigungen sind indes für den Juni 2014 weiterhin nicht nachgewiesen. Zum damaligen Zeitpunkt war die Klägerin vielmehr, wie sich aus den Befundberichten ergibt, nicht in orthopädischer Behandlung wegen der Wirbelsäule. Soweit die Klägerin im Schriftsatz vom 20.03.2015 angegeben hat, sie leide unter "zum Teil dramatischen Schluckbeschwerden, die relativ neu aufgetreten seien" und die sie auf die Halswirbelsäulenbeeinträchtigungen zurückführe, so sind diese nach Auffassung der Kammer zum einen bislang nicht hinreichend objektiviert. Zum anderen sind sie aber nach der eigenen Darstellung der Klägerin "relativ neu" aufgetreten und lagen jedenfalls auch zum hier maßgeblichen Zeitpunkt nicht vor bzw. waren nicht im Ansatz objektiviert. Die Klägerin ist im Rahmen der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen worden, dass – sollten die nunmehr in den neuen Attesten beschriebenen Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten andauern – sie die Möglichkeit habe, einen Änderungsantrag zu stellen. Die neuen Befunde sind indes nicht geeignet, die angefochtenen Entscheidungen des Beklagten als rechtswidrig erscheinen zu lassen.
Soweit die Klägerin am 17.06.2014 wegen einer Epicondylitis radialis rechts bei Orthopäden in Behandlung war, ist hieraus für das Funktionssystem der oberen Extremitäten kein GdB in Ansatz zu bringen. Weitere Behandlungen deswegen sind nicht ersichtlich, so dass von einer Besserung auszugehen ist. Auch der Gutachter konnte im Rahmen der oberen Extremitäten keine funktionellen Beschwerden feststellen. Solche wurden von der Klägerin auch nicht beschrieben. Der Beklagte hatte hierfür noch einen GdB von 10 in Ansatz gebracht.
Für den von der Klägerin seit mehr als 20 Jahren beschriebenen Tinnitus ist unter Berücksichtigung der Feststellungen des Gutachters Dr. H und dem eingeholten Befundbericht des HNO-Arztes Dr. F gemäß Teil B Ziffer 5.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein GdB von höchstens 10 in Ansatz zu bringen. Erhebliche, separat durch den Tinnitus bedingte, psychovegetative Begleiterscheinungen nicht beschrieben. Die Feststellung eines höheren GdB kommt nach Auffassung der Kammer nicht in Betracht. Im Übrigen weist der Gutachter Dr. H zutreffend darauf hin, dass die psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin bereits unter Ziffer 3.7 beschrieben und mit berücksichtigt worden sind.
Weitere wesentliche Funktionsbeeinträchtigungen, die einen GdB von wenigstens 10 sind nicht objektiviert.
Auf der Grundlage der genannten Einzel-GdB-Werte ist bei der Klägerin für den maßgeblichen Zeitpunkt nach § 69 Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden.
§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX schreibt vor, bei Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen den Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen. Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorientierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 42 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R = juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R = juris).
Im vorliegenden Fall sind bei der Klägerin die Auswirkungen der medikamentös eingestellten Epilepsie und die daneben bestehenden psychischen Beeinträchtigungen einschließlich der oben näher beschriebenen kognitiven Einschränkungen zu berücksichtigen. Hieraus ist nach Auffassung der Kammer – in Übereinstimmung mit dem Beklagten und dem Gutachter Dr. H - unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen ein Gesamt-GdB auf 40 zu erhöhen. Die daneben bestehenden Beeinträchtigungen, die allesamt keinen GdB von mehr als 10 bedingen, sind nicht geeignet, den GdB weiter zu erhöhen. Weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen, die geeignet wären, den GdB zu erhöhen sind nicht objektiviert. Die Feststellung eines höheren GdB, insbesondere die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft, kommt vorliegend nicht in Betracht.
Die Beeinträchtigungen der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt lassen sich gemäß Teil A Nr. 3 lit. b) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze nicht mehr mit einem einzelnen Gesundheitsschaden vergleichen ließ, für den die Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen festen GdB-Wert von 50 angeben (vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 - L 13 SB 127/11 = juris Rn. 49 ff. unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG und den hierzu vertretenen Meinungsstand in der Literatur). Die Klägerin ist, dies steht zur Überzeugung der Kammer fest, nicht mit Menschen mit besonders schweren Wirbelsäulenschäden, wie z. B. die Versteifung großer Teile der Wirbelsäule oder mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten, die nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten sind, vergleichbar. Soweit sich dies ggf. nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt zu ihren Lasten geändert haben sollte, kann die Klägerin dies durch Stellen eines Änderungsantrages geltend machen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) von 50 auf 40 streitig.
Bei der am 00.00.0000 geborenen Klägerin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 16.04.2010 aufgrund eines Anfallsleidens, einer depressiven Störung mit Folgen und Bewegungseinschränkungen der Kiefergelenke einen GdB von 50 fest.
Im April 2011 kam es erstmals zu einer Nachprüfung durch den Beklagten. In diesem Zusammenhang erklärte die Klägerin, sie sei der Auffassung, ihr Gesundheitszustand habe sich verschlechtert. Der ärztliche Dienst des Beklagten wertete einen Befundbericht des Psychiaters Dr. Q im Rahmen eines Rentenverfahrens sowie Arztberichte des Nuklearmediziners Dr. T, der Pulmologen Dres. C, X und T, der Neurologischen Klinik der St. B gGmbH, des Neurologischen Fach- und Rehabilitationskrankenhauses Kliniken T sowie des Orthopäden S aus und kam zu der Einschätzung, der GdB sei weiterhin mit 50 zutreffend berücksichtigt. Der letzte Anfall der Klägerin sei im April 2010 nachgewiesen. Mit Bescheid vom 11.05.2011 lehnte der Beklagte seinerzeit die Feststellung des begehrten höheren GdB ab.
Im Mai 2013 überprüfte der Beklagte den Sachverhalt abermals und forderte einen Befundbericht des Neurologen N an, aus dem sich ergab, dass die Klägerin unter Medikation derzeit anfallsfrei sei. Der ärztliche Dienst kam zu der Einschätzung, dass der GdB für das Anfallsleiden nunmehr mit einem GdB von 30 zu berücksichtigen und der Gesamt-GdB auf 40 herabzusetzen sei. Im August 2013 hörte der Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Absenkung an. Hierbei nannte die Klägerin weitere Behandler. Der Beklagte holte daraufhin Befundberichte des HNO-Arztes Dr. F, des Orthopäden S, der Fachklinik für Q sowie der Allgemeinmediziner Dres. T ein und wertete diese, zusammen mit einem Arztbericht des Radiologen T und des Internisten und Lungen- und Bronchialheilkundlers Dr. X durch seinen ärztlichen Dienst aus. Dieser kam zu der Einschätzung, das Anfallsleiden sei zutreffend mit einem GdB von 30, die depressive Störung weiter mit einem GdB von 30 und darüber hinaus die Bewegungseinschränkung der Kiefergelenke, eine Funktionsstörung der Wirbelsäule, eine Funktionsstörung der oberen Gliedmaße sowie eine Hörstörung mit Ohrgeräuschen jeweils mit einem GdB von 10 zu bewerten. Der Beklagte teilte das Ergebnis der Klägerin im Dezember 2013 mit. Im Februar 2014 vertrat die Klägerin unter Hinweis auf ein Attest des Neurologen N aus Januar 2014 die Auffassung, dass sie die beabsichtigte Herabsetzung für rechtswidrig halte. Der ärztliche Dienst nahm auch hierzu Stellung, blieb aber bei seiner Einschätzung.
Mit Bescheid vom 13.03.2014 stellte der Beklagte daraufhin unter Aufhebung des Bescheides vom 16.04.2010 den GdB nunmehr mit 40 fest.
Unter dem 21.03.2014 legte die Klägerin, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte, Widerspruch ein. Nachdem dieser – trotz entgegenstehender Ankündigung – nicht begründet worden war, wies die Bezirksregierung N den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2014 als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat am 11.07.2014, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte, Klage erhoben. Sie hat weiterhin die Auffassung vertreten, die Anfallsfreiheit der Klägerin rechtfertige nicht die Herabsetzung des GdB, weil diese mit einer Medikation erkauft sei, die erhebliche Nebenwirkungen für die Klägerin habe. Daneben seien die Auswirkungen des Tinnitus nicht hinreichend berücksichtigt worden.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten des HNO-Arztes Dr. F, der Psychiaterin G, des Neurologen N und der Allgemeinmediziner Dres. T sowie durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Fachgutachtens des Dr. H, welches dieser im Februar 2015 dem Gericht vorgelegt hat.
Im Nachgang hat die Klägerin ein weiteres Attest des Neurologen N aus März 2015 sowie einen Bericht des Radiologen Dr. P betreffend ein MRT der Halswirbelsäule vom 04.02.2015 sowie ein Attest des Orthopäden S vom 25.03.2015 vorgelegt. Hierzu hat der Beklagte Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
Der Kammervorsitzende hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass es sich prozessual vorliegend um eine Anfechtungssituation handele
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 21.04.2015 hat die Klägerin, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte, beantragt,
den Bescheid vom 13.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2014 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und nimmt überdies Bezug auf die Ausführungen des gerichtlich bestellten Gutachters sowie die Stellungnahmen seines ärztlichen Beraters im Gerichtsverfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Gerichtsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG nicht in ihren Rechten verletzt, da diese rechtmäßig sind. Der Klägerin stand zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides kein höherer GdB als 40 zu.
Rechtsgrundlage des Bescheides vom 13.03.2014 ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Bei den Feststellungsbescheiden nach § 69 Abs. 1 und 2 SGB IX handelt es sich um Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (BSG Urteil vom 12.11.1996 – 9 RVs 5/95 = juris; BSG Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 6/12 R = juris Rn. 30; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 05.01.2011- L 6 (7) SB 135/06 = juris Rn. 20 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 19.09.2000 – B 9 SB 3/00 R = juris). Eine Aufhebung ist dabei nur "insoweit" zulässig, als eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.01.2011, a.a.O.; BSG Urteil vom 19.09.2000, a.a.O.). Eine wesentliche Änderung ist anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung des Behinderungszustandes eine Herabsetzung oder Erhöhung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 ergibt. Die Änderung der Bezeichnung der Funktionsbeeinträchtigungen oder das Hinzutreten weiterer Funktionsbeeinträchtigungen allein ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB stellen keine wesentliche Änderung dar (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 05.01.2011, a.a.O. unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 24.06.1998 – B 9 SB 18/97 R = juris). Handelt es sich bei den anerkannten Behinderungen um solche, bei denen der GdB wegen der Art der Erkrankung höher festgesetzt wurde, als es die tatsächlich nachweisbaren Funktionseinschränkungen erfordern, liegt eine Änderung der Verhältnisse im Sinne von § 48 SGB X auch dann vor, wenn für die den Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde liegenden Erkrankungen die sogenannte Heilungsbewährung abgelaufen ist (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 05.01.2011, a.a.O.).
Ob eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X eingetreten ist, muss im Rahmen einer gegen einen Herabsetzungsbescheid gerichteten Anfechtungsklage durch einen Vergleich der Verhältnisse zum Zeitpunkt des Erlasses des letzten bindend gewordenen Bescheides mit denjenigen zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung der Beklagten ermittelt werden. Bei einer derartigen Neufeststellung handelt es sich nicht um eine reine Fortschreibung des im letzten maßgeblichen Bescheid festgestellten GdB, sondern um dessen Neuermittlung unter Berücksichtigung der verschiedenen aktuellen Funktionsbeeinträchtigungen (so zutreffend LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 05.01.2011- L 6 (7) SB 135/06 = juris Rn. 21 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 19.09.2000, - B 9 SB 3/00 R - = juris; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 18.06.2002, - L 6 SB 142/00 = juris).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht es zur Überzeugung der Kammer fest, dass im Gesundheitszustand der Klägerin im Vergleich zu den gesundheitlichen Verhältnissen, die dem Bescheid vom 16.04.2010 zugrunde gelegen haben, eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten ist.
Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 16.04.2010 war die Klägerin hinsichtlich des bei ihr bestehenden Anfallsleiden noch nicht dergestalt medikamentös eingestellt, dass eine Anfallsfreiheit erreicht worden wäre. Noch im April 2010 war es zu einem entsprechenden Anfall gekommen. Dies hat sich zwischenzeitlich geändert. Bei der Klägerin ist es – dies steht für die Kammer auf Grund der vorliegenden Arzt- und Befundberichte sowie des Gutachtens des Dr. H fest – seit mehr als drei Jahren nicht mehr zu Anfällen gekommen. Das Gutachten beruht auf umfangreichen Untersuchungen, die von einem erfahrenen- und zertifizierten - medizinischen Gutachter unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat keinen Anlass, an der Richtigkeit und Vollständigkeit der in dem Gutachten erhobenen medizinischen Befunde zu zweifeln. Substantiierte Einwendungen gegen die medizinischen Feststellungen sind von den Beteiligten ebenfalls nicht vorgebracht worden.
Aufgrund der vorliegenden Arzt- und Befundberichte sowie des eingeholten Gutachtens steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt im Wesentlichen unter folgenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen gelitten hat:
1. Epilepsie mit Grand-mal Anfälle, fokalen Anfällen und Absencen, seit mehr als drei Jahren anfallsfrei 2. Dysthymie mit wahrscheinlich pseudodementiellen Beschwerden 3. Arthropathie der Kiefergelenke bei Zustand nach beidseitiger Kieferfraktur 4. Cervikalsyndrom, LWS-Syndrom 5. Funktionsstörung der oberen Extremitäten, Zustand nach Karpaltunnelsyndrom 6. Tinnitus beidseits
Für das Anfallsleiden hat der Beklagte zutreffend gemäß Teil B Ziffer 3.1.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen GdB von 30 in Ansatz gebracht. Daneben ist für das Funktionssystem der Psyche gemäß Teil B Ziffer 3.7 bei der Klägerin die bestehende Dysthymie zu berücksichtigen, für die ebenfalls ein GdB von 30 in Ansatz zu bringen ist. Die Klägerin hat gegenüber dem Gutachter angegeben, sie leide unter beträchtlichen Angstzuständen. Sie sähe unter anderem ihre Zukunft als ungewiss an. Auch bestünden erhebliche kognitive Störungen mit Störungen der Merk- und Konzentrationsfähigkeit. Ihre Gedanken würden häufig abschweifen und sie würde vergessen, was sie gerade habe machen wollen. So habe sie auch die Einnahme ihrer Medikation schon einige Male vergessen. Auch im beruflichen Alltag machten ihr die kognitiven Einschränkungen zu schaffen. Sie fühle sich wegen ihrer Epilepsie krank-kaputt und sei deswegen depressiv geworden. Die Klägerin berichtet, sie gehe gelegentlich mit ihrem Hund spazieren. Ihren behandelnden Psychiater besuche sie niederfrequent. Der Gutachter beschreibt im Rahmen des psychischen Befundes, dass die Klägerin pünktlich erschien und zu allen Aspekten bei der Untersuchung vollständig orientiert gewesen sei. Hinweise auf ausgeprägtere kognitive Funktionsstörungen hätten sich nicht gefunden. Die Klägerin habe präzise und erschöpfend zu den anamnestischen Daten berichtet. Auch seien im weiteren Verlauf keine besonderen Ermüdungserscheinungen, Konzentrationsstörungen oder wesentliche Wortfindungsstörungen aufgefallen. Hinsichtlich der Merkmale Antrieb, Wille und Psychomotorik war die Klägerin nach den Feststellungen des Gutachters normal veranlagt. Der affektive Rapport war gut, ein Kontakt war schnell zu der Klägerin herzustellen. In der Stimmungslage habe sie leicht dysthym-verstimmt gewirkt. Merkmale einer ausgeprägteren Depression hätten sich nicht finden lassen. Auch hätten keine Hinweise auf inhaltliche oder formale Denkstörungen gezeigt. Während der gesamten Untersuchung habe die Klägerin durchgehend eine unauffällige Ausdrucks- und Verhaltensweise gezeigt.
Im Hinblick auf die bei der Klägerin beschriebenen kognitiven Defizite hat der Gutachter zum einen den Mini-Mental-Status-Test (MMST) durchgeführt, bei dem Klägerin mit 27 von 30 Punkten ein Ergebnis im Normalbereich des Alterskollektivs erzielt hat. Beim DemTec Test erreichte die Klägerin 11 von 18 Punkten, so dass im Ergebnis von einer leichten kognitiven Beeinträchtigung auszugehen ist. Der Gutachter interpretiert diese entweder als Folge eines von der Klägerin früher erlittenen Schädel-Hirn-Traumas, die Klägerin hatte nach eigenen Angaben im Alter von 16 Jahren bei einem Verkehrsunfall eine Schädelbasisfraktur erlitten, oder als Folge der aktuell eingenommenen antiepileptischen Medikation (Valproinsäure) oder im Sinne von sog. pseudodementiellen Beschwerden, als einem Symptom der bestehenden Dysthymie. Hinsichtlich der Schwere der kognitiven Einschränkungen ist mit dem Gutachter aufgrund des von ihm beschriebenen klinischen Eindrucks in Verbindung mit den Ergebnissen der durchgeführten testpsychologischen Untersuchungen davon auszugehen, dass es sich um leichtere Einschränkungen handelt. Mit dem Gutachter geht die Kammer davon aus, dass bei der Klägerin, insgesamt eine leichtere depressive Episode vorliegt, wobei durchaus schon eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, auch durch die teilweise erlebten kognitiven Defizite, anzunehmen ist. Damit ist der Bewertungsspielraum von 30 bis 40 eröffnet. Soweit die Klägerin hier insbesondere die Beeinträchtigungen im beruflichen Alltag in den Vordergrund gestellt hat, ist freilich zu berücksichtigen, dass gemäß Teil A Ziffer 2 lit. b) im Schwerbehindertenrecht ein besonderes berufliches Betroffensein unerheblich ist. Die Kammer geht – unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme, des Ausmaßes des geschilderten beruflichen und privaten Aktivitätsniveaus sowie der weitmaschigen fachärztlichen Behandlung mit dem Gutachter davon aus, dass der GdB mit 30 die Beschwerden der Klägerin angemessen abbildet. Hierbei sind auch die vom Gutachter beschriebenen psychosomatischen Beschwerden mit berücksichtigt.
Für das Funktionssystem der Mundhöhle ist in entsprechender Anwendung von Teil B Ziffer 7.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein GdB von 10 in Ansatz zu bringen, da die Kaufunktion und die Mundöffnungsfunktion bei der Klägerin nur unwesentlich beeinträchtigt ist.
Für das Funktionssystem der Wirbelsäule ist ebenfalls gemäß Teil B Ziffer 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein GdB von 10 in Ansatz zu bringen.
Die Klägerin leidet und litt in der Vergangenheit immer wieder an Schmerzen im gesamten Bereich der Wirbelsäule. Wesentliche Funktionseinschränkungen sind diesbezüglich indes – jedenfalls für den maßgeblichen Zeitpunkt – nicht objektiviert. Der im Rahmen des Verwaltungsverfahrens eingeholte Befundbericht des behandelnden Orthopäden S beschreibt zu verschiedenen Gelegenheiten Druckschmerzhaftigkeiten. Die Beweglichkeit beschrieb er im Übrigen als frei. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem im Laufe des Verfahrens eingereichten Attest des Herrn S. Aus diesem ergibt sich vielmehr, dass die Klägerin wegen Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule zuletzt 2013 und dann erst wieder Anfang 2015 in Behandlung war. 2013 waren – wie ausgeführt – Bewegungseinschränkungen nicht objektiviert. Soweit er im Januar 2015 einen paravertrebralen Druckschmerz der Lendenwirbelsäule links und einen positiven Facettentest der Lendenwirbelsäule links beschreibt und im März 2015 muskuläre Verspannungen im Bereich der Halswirbelsäule sind damit ebenfalls keine wesentlichen Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule zum maßgeblichen Zeitpunkt objektiviert. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund des im Februar 2015 durchgeführten MRT Untersuchung der Halswirbelsäule. Es ist dort ein kleiner Bandscheibenvorfall HWK6/7 und eine flachbogige Bandscheibenvorwölbung im Segment HWK5/6 mit geringfügiger Foramenenge nachgewiesen worden. Hieraus resultierende Beeinträchtigungen sind indes für den Juni 2014 weiterhin nicht nachgewiesen. Zum damaligen Zeitpunkt war die Klägerin vielmehr, wie sich aus den Befundberichten ergibt, nicht in orthopädischer Behandlung wegen der Wirbelsäule. Soweit die Klägerin im Schriftsatz vom 20.03.2015 angegeben hat, sie leide unter "zum Teil dramatischen Schluckbeschwerden, die relativ neu aufgetreten seien" und die sie auf die Halswirbelsäulenbeeinträchtigungen zurückführe, so sind diese nach Auffassung der Kammer zum einen bislang nicht hinreichend objektiviert. Zum anderen sind sie aber nach der eigenen Darstellung der Klägerin "relativ neu" aufgetreten und lagen jedenfalls auch zum hier maßgeblichen Zeitpunkt nicht vor bzw. waren nicht im Ansatz objektiviert. Die Klägerin ist im Rahmen der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen worden, dass – sollten die nunmehr in den neuen Attesten beschriebenen Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten andauern – sie die Möglichkeit habe, einen Änderungsantrag zu stellen. Die neuen Befunde sind indes nicht geeignet, die angefochtenen Entscheidungen des Beklagten als rechtswidrig erscheinen zu lassen.
Soweit die Klägerin am 17.06.2014 wegen einer Epicondylitis radialis rechts bei Orthopäden in Behandlung war, ist hieraus für das Funktionssystem der oberen Extremitäten kein GdB in Ansatz zu bringen. Weitere Behandlungen deswegen sind nicht ersichtlich, so dass von einer Besserung auszugehen ist. Auch der Gutachter konnte im Rahmen der oberen Extremitäten keine funktionellen Beschwerden feststellen. Solche wurden von der Klägerin auch nicht beschrieben. Der Beklagte hatte hierfür noch einen GdB von 10 in Ansatz gebracht.
Für den von der Klägerin seit mehr als 20 Jahren beschriebenen Tinnitus ist unter Berücksichtigung der Feststellungen des Gutachters Dr. H und dem eingeholten Befundbericht des HNO-Arztes Dr. F gemäß Teil B Ziffer 5.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein GdB von höchstens 10 in Ansatz zu bringen. Erhebliche, separat durch den Tinnitus bedingte, psychovegetative Begleiterscheinungen nicht beschrieben. Die Feststellung eines höheren GdB kommt nach Auffassung der Kammer nicht in Betracht. Im Übrigen weist der Gutachter Dr. H zutreffend darauf hin, dass die psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin bereits unter Ziffer 3.7 beschrieben und mit berücksichtigt worden sind.
Weitere wesentliche Funktionsbeeinträchtigungen, die einen GdB von wenigstens 10 sind nicht objektiviert.
Auf der Grundlage der genannten Einzel-GdB-Werte ist bei der Klägerin für den maßgeblichen Zeitpunkt nach § 69 Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden.
§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX schreibt vor, bei Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen den Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen. Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorientierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 42 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R = juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R = juris).
Im vorliegenden Fall sind bei der Klägerin die Auswirkungen der medikamentös eingestellten Epilepsie und die daneben bestehenden psychischen Beeinträchtigungen einschließlich der oben näher beschriebenen kognitiven Einschränkungen zu berücksichtigen. Hieraus ist nach Auffassung der Kammer – in Übereinstimmung mit dem Beklagten und dem Gutachter Dr. H - unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen ein Gesamt-GdB auf 40 zu erhöhen. Die daneben bestehenden Beeinträchtigungen, die allesamt keinen GdB von mehr als 10 bedingen, sind nicht geeignet, den GdB weiter zu erhöhen. Weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen, die geeignet wären, den GdB zu erhöhen sind nicht objektiviert. Die Feststellung eines höheren GdB, insbesondere die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft, kommt vorliegend nicht in Betracht.
Die Beeinträchtigungen der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt lassen sich gemäß Teil A Nr. 3 lit. b) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze nicht mehr mit einem einzelnen Gesundheitsschaden vergleichen ließ, für den die Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen festen GdB-Wert von 50 angeben (vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 - L 13 SB 127/11 = juris Rn. 49 ff. unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG und den hierzu vertretenen Meinungsstand in der Literatur). Die Klägerin ist, dies steht zur Überzeugung der Kammer fest, nicht mit Menschen mit besonders schweren Wirbelsäulenschäden, wie z. B. die Versteifung großer Teile der Wirbelsäule oder mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten, die nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten sind, vergleichbar. Soweit sich dies ggf. nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt zu ihren Lasten geändert haben sollte, kann die Klägerin dies durch Stellen eines Änderungsantrages geltend machen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
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