Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
12
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 12 SB 527/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 19.3.2013 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 04.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbeschei-des vom 09.10.2013 verurteilt, bei der Klägerin für die Zeit ab dem 16.07.2013 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen "B" und "H" festzustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem Grunde nach zu 4/7.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen H und B streitig.
Die am 00.00.0000 geborene Klägerin stellte, vertreten durch ihre Mutter, am 18.12.2012 beim Landesamt für Gesundheit und Soziales des Landes Berlin - Ver-sorgungsamt - einen Antrag auf Feststellung eines GdB sowie auf Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens B. Zur Begründung verwies sie auf ein Kurzgutachten von Prof. Dr. T., ärztlicher Leiter des Zentrums für Menschen mit angeborenen Alkoholschäden (FASD) in der Charité. Dieser diagnostizierte bei der Klägerin ein fetales Alkohol Syndrom (FAS) im Rahmen einer Fetalen Alkohol Spektrum Störung (FASD). Der ärztliche Dienst des Versorgungsamtes Berlin kam zu der Einschätzung, bei der Klä-gerin liege ein GdB von 50 vor; Merkzeichen seien nicht festzustellen.
Mit Bescheid vom 19.03.2013 stellte das Landesamt für Gesundheit und Soziales des Landes Berlin bei der Klägerin einen GdB von 50 fest. Die Feststellung der bean-tragten Merkzeichen lehnte es ab.
Unter dem 16.04.2013 legte die Klägerin, vertreten durch ihren damaligen Verfah-rensbevollmächtigten, Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 15.07.2013 wurde der Widerspruch damit begründet, dass die bei der Klägerin vorliegenden gesundheitli-chen Beeinträchtigungen, die auf dem fetalen Alkohol Syndrom beruhten, sowohl einem höheren GdB rechtfertigten als auch weitere Merkzeichen. Der GdB sei mit 80 zu bewerten. Daneben seien das Merkzeichen B und zusätzlich das Merkzeichen H zu vergeben. Die Klägerin sei aufgrund ihrer gesundheitlichen Konstitution nicht in der Lage, sich allein im öffentlichen Nahverkehr zu bewegen. Ohne Begleitpersonen sei sie völlig hilflos. Zur rechtlichen Einordnung fetale Alkohol Spektrum Störungen werde zudem auf das im Auftrag der Drogenbeauftragten der Bundesregierung er-stellte Gutachten vom 15.11.2011 verwiesen (vgl. http://www.drogenbeauftragte.de/fileadmin/dateien-dba/DrogenundSucht/ Alko-hol/Downloads/11-11-30 Rechtsgutachten FASD.pdf).
Unter dem 06.08.2013 teilte die Klägerin unter Beifügung des entsprechenden Pfle-gegutachtens mit, dass für sie seit März 2013 die Pflegestufe I bewilligt worden sei.
Der ärztliche Dienst nahm erneut Stellung und kann hierbei zu der Einschätzung, dass die bisherige Entscheidung weiter zutreffend sei. Im Hinblick auf das im Rah-men des Widerspruchsverfahrens erstmalig beantragte Merkzeichen H erging am 04.09.2013 ein weiterer Bescheid, in dem dieses Merkzeichen ebenfalls abgelehnt wurde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.10.2013 wies das Landesamt für Gesundheit und Soziales des Landes Berlin den Widerspruch als unbegründet zurück.
Die Klägerin und ihre Mutter waren zwischenzeitlich von C. nach O. verzogen.
Am 15.11.2013 hat die Klägerin, vertreten durch ihre Mutter, Klage beim Sozialge-richt C. erhoben.
Mit Beschluss vom 16.05.2014 hat das Sozialgericht C., auf entsprechenden Antrag der Klägerin hin, den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Sozialgericht B. verwie-sen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten des Kinder-krankenhauses C. und des behandelnden Kinderarztes Dr. H. sowie durch Einholung eines Gutachtens der Fachärztin für Nervenheilkunde und Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T., welches diese im Juni 2015 gegenüber dem Gericht erstatte-te.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 20.08.2015 hat die Klägerin, vertreten durch ihre Mutter, beantragt
den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 19.03.2013 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 14.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2013 aufzuheben und bei der Klägerin ab Antragstellung einen GdB von 80 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruch-nahme der Merkzeichen "B" und "H" festzustellen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wiederholt und vertieft er das Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezo-gene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide insoweit im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, als bei ihr ab dem 09.10.2013 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen H und B festzustellen ist (dazu unter II. und III.). Soweit die Klägerin darüber hinaus die Feststellung eines höheren GdB be-gehrt, ist die Klage abzuweisen (dazu unter I.).
I. Nach § 2 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion oder geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft dargestellt. Bei dem Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
Die Bemessung des Gesamt-GdB hat dabei in mehreren Schritten zu erfolgen und ist tatrichterliche Aufgabe (BSG Beschluss vom 09.12.2010 – B 9 SB 35/10 B = juris Rn. 5 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinn von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX und die daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. Sodann sind diese den in den Versor-gungsmedizinischen Grundsätzen genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Schließlich ist unter Berücksichtigung der wech-selseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-GdB zu bilden (BSG Ur-teil vom 30.09.2009 – B 9 SB 4/08 R = juris Rn. 18 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Nach Teil A Ziffer 3 der Anlage zu § 2 der aufgrund § 30 Abs. 17 Bundesversor-gungsgesetzes (BVG) erlassenen Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (BGBl. I 2008, S. 2412 - Versorgungs-medizin-Verordnung) vom 10.12.2008 (Versorgungsmedizinische Grundsätze), die wegen § 69 Abs. 1, Satz 4 SGB IX auch im Schwerbehindertenrecht zur Anwendung kommt, sind zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung rechnerische Me-thoden, insbesondere eine Addition der Einzelgrade der Behinderung, nicht zulässig. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad der Behinderung bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchti-gungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad der Behinderung 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei ist gemäß Teil A Ziffer 3 lit. d) ee) der Versor-gungsmedizinischen Grundsätze zu beachten, dass leichtere Gesundheitsstörungen mit einem Einzelgrad der Behinderung von 10 nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-grades der Behinderung führen, selbst wenn mehrere dieser leichteren Behinderun-gen kumulativ nebeneinander vorliegen. Auch bei Leiden mit einem Einzelgrad der Behinderung von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine Zunahme des Ge-samtausmaßes der Behinderung zu schließen.
Schließlich sind bei der Festlegung des Gesamt-GdB zudem die Auswirkungen im konkreten Fall mit denjenigen zu vergleichen, für die in den Versorgungsmedizini-schen Grundsätzen feste GdB-Werte angegeben sind (BSG Urteil vom 02.12.2010 – B 9 SB 4/10 R = juris Rn. 25; vgl. auch Teil A Ziffer 3 lit. b) Versorgungsmedizinische Grundsätze).
Die anspruchsbegründenden Tatsachen sind, dies gilt nach allgemeinen Grundsät-zen des sozialgerichtlichen Verfahrens auch im Schwerbehindertenrecht grundsätz-lich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuwei-sen (vgl. BSG Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R = juris Rn. 14; Bayerisches LSG Urteil vom 18.06.2013 – L 15 BL 6/10 = juris Rn. 67 ff.; Bayerisches LSG Urteil vom 05.02.2013 – L 15 SB 23/10= juris). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrschein-lichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünfti-ger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R = juris Rn. 11), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 1/92 = juris Rn. 14). Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs oder rechtlichen Handelns auf ihr Vorliegen stützen.
Die Klägerin leidet zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Wesentli-chen unter tiefer gehenden Entwicklungsstörung und Lernbehinderungen, vermutlich auf dem Boden einer Alkoholembryopathie (Synonym: fetales Alkoholsyndrom).
Das Vorliegen dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen steht nach Auffassung der Kammer aufgrund der im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten Befund- und Arztberichte sowie dem Gutachter der Frau Dr. T. fest.
Für das Funktionssystem Nerven und Psyche ist der GdB gemäß Teil B Ziffer 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit 50 zu bewerten. Das Krankheitsbild des fetalen Alkoholsyndrom (vgl. zu den Charakteristika einer Alkoholembryopathie etwa, Schneider/Husslein/Schneider, Geburtshilfe, 2000, S. 215 ff.; Singer/Teyssen, Kom-pendium Alkohol, 2002, S. 379 ff.; vgl. in diesem Zusammenhang auch Schind-ler/Hoff-Emden, Fetale Alkoholspektrum-Störungen (FASD) in der sozialrechtlichen Praxis, Rechtsgutachten, 2011, erstellt im Auftrag der Drogenbeauftragten der Bun-desregierung, abrufbar unter http://www.drogenbeauftragte.de/fileadmin/ dateien-dba/DrogenundSucht/Alkohol/Downloads/11-11-30 Rechtsgutachten FASD.pdf) äußert sich in verschiedensten klinischen Symptomen wie insbesondere kranio-faszialen Veränderungen sowie neurologischen und psychopathologischen Störungen (hierzu und zu weiteren Folgen vgl. Singer/Teyssen, Kompendium Alkohol, 2002, S. 379 ff.). Im Fall der Klägerin stehen, dies steht zur Überzeugung der Kammer ins-besondere aufgrund des Gutachtens der Frau Dr. T. aber auch der glaubhaften Aus-sagen der Mutter der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung fest, die Entwicklungsstörungen verbunden mit einer Lernbehinderung im Vordergrund.
Diese Beeinträchtigungen sind nach Auffassung der Kammer entsprechend der Krite-rien in Teil B 3.5 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu bewerten.
Diese betreffen die Bewertung tiefgreifender Entwicklungsstörungen, wie insbeson-dere bei frühkindlichem Autismus, atypischem Autismus oder Asperger-Syndrom. Die Aufzählung ist nach Auffassung der Kammer aber nicht abschließend, können doch – wie im Fall der Klägerin – entsprechende Entwicklungsstörungen auch Folge einer Alkoholembryopathie sein. Vor dem Hintergrund, dass eine wissenschaftlich aner-kannte, allgemein verbindliche Übereinkunft über die Definition von Schweregraden bei tief greifenden Entwicklungsstörungen derzeit nicht besteht, ist das Ausmaß der Teilhabebeeinträchtigung bei diesen Störungen insbesondere durch eine mangelnde Integrationsfähigkeit der Betroffenen und der daraus resultierenden sozialen Anpas-sungsschwierigkeiten bestimmt (BR-Drs. 713/10, S. 5). Liegen solche tief greifenden Entwicklungsstörungen vor, so beträgt der GdB beim Fehlen sozialer Anpassungs-schwierigkeiten 10-20, beim Bestehen von leichten sozialen Anpassungsschwierig-keiten 30-40, bei mittleren sozialen Anpassungsschwierigkeiten 50-70 und bei schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten 100. Soziale Anpassungsschwierig-keiten liegen nach Teil B Ziffer 3.5 insbesondere vor, wenn die Integrationsfähigkeit in Lebensbereiche (wie zum Beispiel Regel-Kindergarten, Regel-Schule, allgemeiner Arbeitsmarkt, öffentliches Leben, häusliches Leben) nicht ohne besondere Förderung oder Unterstützung (zum Beispiel durch Eingliederungshilfe) gegeben ist oder wenn die Betroffenen einer über das dem jeweiligen Alter entsprechende Maß hinausge-henden Beaufsichtigung bedürfen. Mittlere soziale Anpassungsschwierigkeiten liegen insbesondere vor, wenn die Integration in Lebensbereiche nicht ohne umfassende Unterstützung (zum Beispiel einen Integrationshelfer als Eingliederungshilfe) möglich ist. Schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten liegen insbesondere vor, wenn die Integration in Lebensbereiche auch mit umfassender Unterstützung nicht möglich ist."
Im Falle der Klägerin ist mit der Gutachterin Dr. T. vom Vorliegen tiefer gehender Entwicklungsverzögerungen auszugehen. Diese zeigen sich zum einen in der man-gelnden Integration der Klägerin in eine sog. "Normalschule", darüber hinaus auch in der von der Gutachterin und der Kindesmutter beschriebenen fehlenden Distanz auch zu ihr fremden Personen. Schließlich, dies steht für die Kammer – unter Be-rücksichtigung der Feststellungen im Gutachten der Frau Dr. T., der eingeholten Be-fundberichte der behandelnden Kinderpsychiater und Kinderärzte und der Ausfüh-rungen der Mutter im Rahmen der mündlichen Verhandlung- ebenfalls fest, bleibt die Klägerin mit ihren kognitiven Fähigkeiten hinter Gleichaltrigen ohne entsprechende Beeinträchtigungen zurück, was sich ebenfalls auf die Integration der Klägerin nega-tiv auswirkt. Diese Defizite, hiervon ist die Kammer aufgrund der Feststellungen der Gutachterin und den Darstellungen des Sozialpädiatrischen Zentrums des St.-Marien-Hospitals überzeugt, haben sich seit der Untersuchung in der Charité zwi-schenzeitlich deutlich – vor dem Hintergrund verschiedenster Maßnahmen (Kranken-gymnastik, Ergotherapie) – gebessert. Insgesamt ist hier – auch unter Berücksichti-gung der glaubhaften Schilderung der Mutter der Klägerin im Rahmen der mündli-chen Verhandlung – trotz der beschriebenen Besserungen bei der Klägerin auch derzeit weiterhin von mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten auszuge-hen, was einen Bewertungsspielraum von 50 bis 70 eröffnet. Unter Berücksichtigung der bei der Klägerin durchaus bestehenden – und von der Gutachterin überzeugend beschriebenen – Kompetenzen, sowohl auf sozialem, kommunikativen, aber auch intellektuellen Gebiet, ist dieser insgesamt mit einem GdB von 50 hinreichend bewer-tet. Die Kammer schließt sich vor diesem Hintergrund insoweit auch der Einschät-zung der erfahrenen Gutachterin Dr. T. an.
II. Die Klägerin hat indes einen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Vo-raussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens H.
In den Schwerbehindertenausweis ist das Merkzeichen H einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33b Einkommenssteuergesetz (EStG) oder entsprechender Vorschriften ist, vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 Schwerbehinder-tenausweisverordnung. Entsprechend § 33b Abs. 6 Satz 3 EStG ist derjenige als hilflos anzusehen, der infolge von Gesundheitsstörungen nicht nur vorübergehend für eine Reihe häufiger und wiederkehrender Verrichtungen und zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Von der tatbestandlich vorausgesetzten "Reihe von Verrichtungen" kann - entspre-chend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - regelmäßig erst dann ausge-gangen werden, wenn es sich "um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machen" (BSG, Urteil vom 24.11.2005 B 9 a SB 1/05 R). Der Umfang der wegen der Behinderung notwendigen zusätzlichen Hilfeleistungen muss erheblich sein. Dabei ist in der Regel auf die Zahl der Verrichtungen, den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen (vgl. BSG, a.a.O.). Mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben in der sozia-len Pflegeversicherung (vgl. § 15 SGB IX) ist die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie nach dem täglichen Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen zu beurteilen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.06.2007, L 8 SB 1421/06; vgl. auch BSG, a.a.O.). Nicht hilflos ist danach jedenfalls, wer nur in relativ geringem Umfange, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Auch bei darüber hinausgehendem Zeitaufwand sind danach indes nicht zwingend die Voraussetzungen der Hilflosigkeit gegeben. Vielmehr ist der tägliche Zeitaufwand für die Hilfeleistung erst dann für sich allein genommen erheblich, wenn dieser mindestens zwei Stunden erreicht (vgl. zu alledem BSG, a.a.O.). Bei einem Hilfebedarf zwischen einer und zwei Stunden ist bei der Frage der Erheblichkeit auf weitere Umstände, insbesondere den wirtschaftlichen Wert abzustellen. Insbesondere für den Fall einer hohen Anzahl von Verrichtungen bzw. deren ungünstiger zeitlicher Verteilung, ist auch bei einem Hilfebedarf von zwischen einer und zwei Stunden von dessen Erheblichkeit auszugehen (vgl. BSG, a.a.O.; LSG Baden-Württemberg, a.a.O.).
Diese Definition des Begriffs der Hilflosigkeit ist dem Grunde nach auch bei Kindern maßgebend (vgl. BSG Urteil vom 29.08.1990 – 9a/9 RVs 7/89 = juris). Allerdings sind bei der Beurteilung der Hilflosigkeit von Kindern und Jugendlichen nicht nur die bei der Hilflosigkeit genannten "Verrichtungen" zu beachten. Auch die Anleitung zu diesen "Verrichtungen", die Förderung der körperlichen und geistigen Entwicklung (z.B. durch Anleitung im Gebrauch der Gliedmaßen oder durch Hilfen zum Erfassen der Umwelt oder zum Erlernen der Sprache) sowie die notwendige Überwachung gehören zu den Hilfeleistungen, die für die Frage der Hilflosigkeit von Bedeutung sind (vgl. Teil A Nr. 5 lit a) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze. Freilich ist bei der Beurteilung der Hilflosigkeit bei Kindern stets nur der Teil der Hilflosigkeit zu berücksichtigen, der wegen der Behinderung den Umfang der Hilflosigkeit eines gesunden gleichaltrigen Kindes überschreitet. Der Umfang der wegen der Behinderungen zusätzlichen notwendigen Hilfeleistungen muss erheblich sein (vgl. Teil A Nr. 5 lit. b) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze).
Hiervon ist bei der Klägerin isoliert betrachtet nicht auszugehen. Auch unter Berück-sichtigung besonderer Zeiten für Anleitungen zu Verrichtungen rechtfertigt der zeitli-che Umfang erforderlicher Hilfeleistungen für sich allein derzeit die Vergabe des Merkzeichens H nicht. Die Kammer schließt sich insoweit den nachvollziehbaren Ausführungen der Frau Dr. T. in ihrem Gutachten an. Zwar fehlen im Gutachten fremdanamnestische Angaben der Mutter (dazu unten) doch kommt die erfahrene Gutachterin unter Berücksichtigung der – insoweit durchaus kritisch zu hinterfragen-den – Angaben der kindlichen Klägerin vor allem aber auch aufgrund des persönli-chen Eindrucks zu diesem Ergebnis, welches letztlich auch durch die Feststellungen des MDK im Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit bestätigt wird. Die Kammer hat keinen Anlass an den insoweit getroffenen Feststellungen zu zweifeln.
Gemäß Teil A Nr. 5 lit. d) bb) der Versorgungsmedizinschen Grundsätze ist aller-dings bei der Annahme tiefgreifender Entwicklungsstörungen, die allein einen GdB von 50 bedingen und bei anderen gleich schweren im Kindesalter beginnenden Ver-haltens- und emotionalen Störungen mit lang andauernden erheblichen Einordungs-schwierigkeiten regelhaft Hilflosigkeit bis zum 18. Lebensjahr anzunehmen.
Nach Auffassung der Kammer ist dies auch bei der Klägerin zu beachten. Wie bereits oben dargelegt, geht die Kammer mit der Gutachterin Frau Dr. T. vom Vorliegen tiefgreifender Entwicklungsstörungen in entsprechender Anwendung von Teil B Ziffer 3.5 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze aus. Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass die Regelung des Teil B Ziffer 3.5 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ebenso wie die (Neu-)Fassung von Teil A Ziffer 5 lit. d) bb) der Versorgungsmedizinschen Grundsätze durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 17.12.2010 (BGBl. I, S 2124) bzw. die Vierte Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Versordnung vom 28.10.2011 (BGBl I S, 2153) primär andere Krankheitsbilder als die Folgen einer Alkoholembryopathie im Blick hatte. Es ging vor allem um psychische Störungen, die im Kindesalter beginnen, wie etwa frühkindlichem Autismus, atypischem Autismus oder Asperger-Syndrom. Die regelhafte Vergabe des Merkzeichens H sollte hier der Tatsache Rechnung tragen, dass diese Krankheiten aufgrund der neuronalen Veränderungen in Pubertät und Adoleszenz insbesondere in der Zeit bis zum 18. Lebensjahr oftmals eine hohe Krankheitsausprägung haben (vgl. BR-Drs. 713/10, S. 5). Der Wortlaut ist indes nicht auf die oben beschriebenen Störungen beschränkt. Letztlich ist der Grund der Entwicklungsstörung unerheblich, sofern diese eine gewisse Schwere überschritten hat. Diese Voraussetzungen liegen – wie oben dargelegt – bei der Klägerin vor.
III. Darüber hinaus liegen bei der Klägerin auch die gesundheitlichen Voraussetzungen der Inanspruchnahme des Merkzeichens B vor.
Für die unentgeltliche Beförderung einer Begleitperson nach § 145 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX ist in Verbindung mit § 146 Abs. 2 SGB IX die Notwendigkeit ständiger Begleitung zu beurteilen. Ständige Begleitung ist – nach ständiger Rechtsprechung und unter Berücksichtigung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (dazu schon oben) – bei schwerbehinderten Menschen, bei denen die Voraussetzungen für die Merkzei-chen G oder H vorliegen, notwendig, wenn sie infolge der Behinderung zur Vermei-dung von Gefahren für sich oder andere bei der Benutzung von öffentlichen Ver-kehrsmitteln regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Gemäß Teil D Ziffer 2. lit a) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze sind bei Kindern dieselben Kriterien maßgeblich wie bei Erwachsenen. Das Merkzeichen H liegt bei der Klägerin vor (vgl. dazu oben II.).
Die Frage, ob die Versorgungsmedizinischen Grundsätze als Rechtsverordnung ver-bindliche Festlegungen hinsichtlich der Voraussetzungen für die Vergabe von Merk-zeichen enthalten, war bislang umstritten. So wurde teilweise die Auffassung vertre-ten, eine Ermächtigungsgrundlage zur Schaffung einer Rechtsverordnung betreffend die im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche sei nicht gegeben. Insbesondere ent-halte die durch die Versorgungsmedizinischen Grundsätze in Bezug genommene Regelung des § 30 Abs. 17 BVG a.F. (nunmehr § 30 Abs. 16 BVG) keine entspre-chende Ermächtigung (Dau, jurisPR-SozR 4/2009 Anm. 4; LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 02.10.2012 - L 8 SB 1914/10 = juris Rn. 26). Die Regelungen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zum Nachteilsausgleich B seien damit man-gels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. Rechtsgrundlage seien daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu in ständiger Rechtsprechung anzuwendenden Grundsätze. Dieser Auffassung hatte sich – norm-theoretisch - in der Vergangenheit auch die erkennende Kammer angeschlossen. Sie hatte aber stets darauf hingewiesen, dass gleichwohl die Feststellungen des Teil D Ziffer 2 mit in die Bewertung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens B einbezogen werden können, wenn-gleich freilich nicht als Rechtsgrundlage im Sinne einer Rechtsverordnung. Die Fest-stellungen in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen werden auf Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grund-sätze evidenzbasierter Medizin erstellt und fortentwickelt, vgl. § 2 Versorgungsmedi-zin-Verordnung. Sie enthalten - im Hinblick auf das Merkzeichen B - im Wesentlichen die gleichen Regelungen, wie bereits Ziffer 32 der vom Bundesministerium für Ge-sundheit und soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehinder-tenrecht (Teil 2 SGB IX), zuletzt aus dem Jahr 2008, (AHP 2008). Die Festlegungen der Anhaltspunkte sind von der Rechtsprechung - als antizipierte Sachverständigen-gutachten - bei der Frage der Beurteilung der Zuerkennung von Merkzeichen zugrundegelegt worden. Eine entsprechende Funktion erfüllten nach Auffassung der Kammer bislang auch die nunmehr in Teil D Ziffer 2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze dargelegten Regelungen (vgl. hierzu etwa SG Aachen – S 12 SB 240/13 = juris (zum Merkzeichen aG); für eine Anwendung der in den Versorgungsmedizini-schen Grundsätzen dargelegten Anforderungen auch Bayerisches LSG Urteil vom 26.09.2012 - L 15 SB 46/09 = juris Rn. 61; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 19.12.2011 - L 13 SB 12/08 = juris Rn. 29; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 16.11.2011 - L 11 SB 67/09 = juris Rn. 34; wohl auch LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 09.08.2012 - L 10 SB 10/12 = juris Rn. 15; LSG Nordrhein-Westfalen Ur-teil vom 13.07.2010 - L 6 SB 133/09 = juris Rn. 29; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 13.07.2010 - 6 SB 133/09 = juris Rn. 27; a.A. offensichtlich LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 12.10.2011 - L 6 SB 3032/11 = juris Rn. 39 ff.). Auf diese Problematik hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich reagiert (vgl. BT-Drucks. 18/3190, S. 5). Durch Gesetz zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhe-bung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015 (BGBl. II, S. 15) wurde in § 70 SGB IX ein Absatz 2 angefügt, in dem nun das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ausdrücklich ermächtigt wird, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung und die medizinischen Voraussetzungen für die Verga-be von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehinderten-ausweis einzutragen sind. Darüber hinaus wurde § 159 SGB IX um einen Absatz 7 erweitert, wonach, sofern noch keine Verordnung nach § 70 Absatz 2 erlassen ist, die Maßstäbe des § 30 Absatz 1 des BVG und der auf Grund des § 30 Absatz 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend. Diese Änderungen sind am 15.01.2015 in Kraft getreten. Damit hat der Gesetzgeber nunmehr nach Auffassung der Kammer eine eindeutige und hinreichende normative Grundlage für die Anwendung der Versorgungsmedizini-schen Grundsätze auch hinsichtlich der Voraussetzungen für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Merkzeichen ge-schaffen (in diesem Sinne auch LSG Baden-Württemberg Urteil vom 22.05.2015 – L 8 SB 70/13 = juris; Vogl in: jurisPK-SGB IX, § 159 Rn. 38 f; ders., in: jurisPK-SGB IX, § 146 Rn. 5 f.). Spätestens seit dem 15.01.2015 ist damit klar, dass die Versor-gungsmedizinischen Grundsätze als Rechtsverordnung unmittelbare – auch die Ge-richte bindende – Wirkung entfalten. Für die Zeit davor bleibt es nach Auffassung der Kammer indes dabei, dass die in Teil B Ziffer 1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze richterrechtlich zur Bestimmung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen herangezogen werden konnten. Im Ergebnis ergeben sich hier-durch mithin keine Änderungen (so auch LSG Baden-Württemberg Urteil vom 22.05.2015 – L 8 SB 70/13 = juris).
Es ist demnach nach Teil D Ziffer 2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu klären, ob die Klägerin bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen ist, ob sie etwa beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen ist oder ob Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen erforderlich sind. Die Gutachterin ver-neint diese Voraussetzungen. Zur Begründung gab sie – ausgehend von den Dar-stellungen der Klägerin – an, die Klägerin werde mit einem Schulbus täglich zur Schule gefahren und sie sei alleine mit dem Taxi zur Untersuchung gekommen. Dies trifft zwar auch zu, berücksichtigt aber nach Auffassung der Kammer bestimmte Be-sonderheiten zu wenig. Die Mutter der Klägerin war zweimal durch die Gutachterin zu einem Gespräch betreffend die Klägerin eingeladen worden, die sie beide hat ver-streichen lassen. Zur Begründung gab die Mutter im Rahmen der mündlichen Ver-handlung an, sie sei gesundheitlich angeschlagen gewesen und sei in dieser Zeit mehrfach stationär im Krankenhaus behandelt worden. Dies habe sie auch der Gut-achterin bzw. deren Mitarbeitern gegenüber erklärt. Nach Angabe der Gutachterin habe die Mutter am 11.05.2015 mitgeteilt, sie fühle sich nicht wohl und sei am 13.05.2015 ohne Angabe von Gründen nicht mit zur Begutachtung der Klägerin ge-kommen. Einen weiteren Termin habe sie ebenfalls ohne nähere Begründung ver-streichen lassen. Was tatsächlich zwischen der Mutter und der Gutachterpraxis kommuniziert worden ist und was nicht lässt sich mit letzter Gewissheit nicht aufklä-ren. Wesentlich ist aber, dass bei der Erstellung des Gutachtens wesentliche fremd-anamnestische Angaben (zur Bedeutung der Fremdanamnese vgl. die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für neurowissenschaftliche Begutachtung (DGNB), Allge-meine Grundlagen der medizinischen Begutachtung; Deutsche Rentenversicherung Bund, Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung, 7. Aufl. 2011, S. 500 ff.; Widder/Gaidzik, Begutachtung in der Neurologie, 2. Aufl. 2011, S. 70.) fehlten. Diese hat die Mutter der Klägerin mit Schriftsatz vom 13.08.2015 per Email vom 18.08.2015 bei Gericht eingereicht. Die Kammer hat die Mutter der Kläge-rin im Termin zur mündlichen Verhandlung insbesondere zur Frage der Selbständig-keit der Klägerin im öffentlichen Nahverkehr befragt. Die Mutter erklärte in diesem Zusammenhang, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, sich ohne Hilfe mit öffentli-chen Verkehrsmitteln zu bewegen. Soweit sie allein – was die Kammer in diesem Alter durchaus für bemerkenswert hält – mit einem Taxi zur Begutachtung gefahren sei, sie dies nur möglich gewesen, weil die Klägerin vom Taxifahrer von der Haustüre bis in die Praxis begleitet worden sein. Das Prozedere kenne die Klägerin. Bei dem Schulbus, den die Klägerin benutze handele es sich ebenfalls um einen, der die Kin-der am Haus abhole und bis zur Schule fahre und sie nachmittags auch wieder bis nach Hause fahre. Treffe die Klägerin auf ungewohnte Situationen oder unbekanntes Terrain, komme es bisweilen zu panikartigen Reaktionen der Klägerin. Ohne Beglei-tung sei die Klägerin weder in der Lage zu erfassen, wohin sie müsse noch entspre-chende öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Aufgrund der bei ihr bestehenden "Vertrauensseligkeit" sei vielmehr damit zu rechnen, dass sie sich ohne Hemmnisse ihr unbekannten Personen anschließe.
Die Kammer hat keinen Anlass an den Aussagen der Mutter der Klägerin zu zweifeln. Die Tatsache, dass sie teilweise von den Angaben der Klägerin gegenüber der Gutachterin abweichen, ist nach Auffassung der Kammer zweitrangig, zumal die Gutachterin selbst festgestellt hat, dass die Klägerin bemüht war, ein möglichst "angepasstes" Bild von sich zu zeichnen.
Nach alledem steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin ohne ent-sprechende fremde Hilfe öffentliche Verkehrsmittel nicht nutzen kann und zwar in einem Maße, welches über das altersentsprechen Normale hinausgeht.
Die Kostentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen H und B streitig.
Die am 00.00.0000 geborene Klägerin stellte, vertreten durch ihre Mutter, am 18.12.2012 beim Landesamt für Gesundheit und Soziales des Landes Berlin - Ver-sorgungsamt - einen Antrag auf Feststellung eines GdB sowie auf Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens B. Zur Begründung verwies sie auf ein Kurzgutachten von Prof. Dr. T., ärztlicher Leiter des Zentrums für Menschen mit angeborenen Alkoholschäden (FASD) in der Charité. Dieser diagnostizierte bei der Klägerin ein fetales Alkohol Syndrom (FAS) im Rahmen einer Fetalen Alkohol Spektrum Störung (FASD). Der ärztliche Dienst des Versorgungsamtes Berlin kam zu der Einschätzung, bei der Klä-gerin liege ein GdB von 50 vor; Merkzeichen seien nicht festzustellen.
Mit Bescheid vom 19.03.2013 stellte das Landesamt für Gesundheit und Soziales des Landes Berlin bei der Klägerin einen GdB von 50 fest. Die Feststellung der bean-tragten Merkzeichen lehnte es ab.
Unter dem 16.04.2013 legte die Klägerin, vertreten durch ihren damaligen Verfah-rensbevollmächtigten, Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 15.07.2013 wurde der Widerspruch damit begründet, dass die bei der Klägerin vorliegenden gesundheitli-chen Beeinträchtigungen, die auf dem fetalen Alkohol Syndrom beruhten, sowohl einem höheren GdB rechtfertigten als auch weitere Merkzeichen. Der GdB sei mit 80 zu bewerten. Daneben seien das Merkzeichen B und zusätzlich das Merkzeichen H zu vergeben. Die Klägerin sei aufgrund ihrer gesundheitlichen Konstitution nicht in der Lage, sich allein im öffentlichen Nahverkehr zu bewegen. Ohne Begleitpersonen sei sie völlig hilflos. Zur rechtlichen Einordnung fetale Alkohol Spektrum Störungen werde zudem auf das im Auftrag der Drogenbeauftragten der Bundesregierung er-stellte Gutachten vom 15.11.2011 verwiesen (vgl. http://www.drogenbeauftragte.de/fileadmin/dateien-dba/DrogenundSucht/ Alko-hol/Downloads/11-11-30 Rechtsgutachten FASD.pdf).
Unter dem 06.08.2013 teilte die Klägerin unter Beifügung des entsprechenden Pfle-gegutachtens mit, dass für sie seit März 2013 die Pflegestufe I bewilligt worden sei.
Der ärztliche Dienst nahm erneut Stellung und kann hierbei zu der Einschätzung, dass die bisherige Entscheidung weiter zutreffend sei. Im Hinblick auf das im Rah-men des Widerspruchsverfahrens erstmalig beantragte Merkzeichen H erging am 04.09.2013 ein weiterer Bescheid, in dem dieses Merkzeichen ebenfalls abgelehnt wurde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.10.2013 wies das Landesamt für Gesundheit und Soziales des Landes Berlin den Widerspruch als unbegründet zurück.
Die Klägerin und ihre Mutter waren zwischenzeitlich von C. nach O. verzogen.
Am 15.11.2013 hat die Klägerin, vertreten durch ihre Mutter, Klage beim Sozialge-richt C. erhoben.
Mit Beschluss vom 16.05.2014 hat das Sozialgericht C., auf entsprechenden Antrag der Klägerin hin, den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Sozialgericht B. verwie-sen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten des Kinder-krankenhauses C. und des behandelnden Kinderarztes Dr. H. sowie durch Einholung eines Gutachtens der Fachärztin für Nervenheilkunde und Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T., welches diese im Juni 2015 gegenüber dem Gericht erstatte-te.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 20.08.2015 hat die Klägerin, vertreten durch ihre Mutter, beantragt
den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 19.03.2013 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 14.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2013 aufzuheben und bei der Klägerin ab Antragstellung einen GdB von 80 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruch-nahme der Merkzeichen "B" und "H" festzustellen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wiederholt und vertieft er das Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezo-gene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide insoweit im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, als bei ihr ab dem 09.10.2013 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen H und B festzustellen ist (dazu unter II. und III.). Soweit die Klägerin darüber hinaus die Feststellung eines höheren GdB be-gehrt, ist die Klage abzuweisen (dazu unter I.).
I. Nach § 2 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion oder geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft dargestellt. Bei dem Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
Die Bemessung des Gesamt-GdB hat dabei in mehreren Schritten zu erfolgen und ist tatrichterliche Aufgabe (BSG Beschluss vom 09.12.2010 – B 9 SB 35/10 B = juris Rn. 5 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinn von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX und die daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. Sodann sind diese den in den Versor-gungsmedizinischen Grundsätzen genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Schließlich ist unter Berücksichtigung der wech-selseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-GdB zu bilden (BSG Ur-teil vom 30.09.2009 – B 9 SB 4/08 R = juris Rn. 18 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Nach Teil A Ziffer 3 der Anlage zu § 2 der aufgrund § 30 Abs. 17 Bundesversor-gungsgesetzes (BVG) erlassenen Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (BGBl. I 2008, S. 2412 - Versorgungs-medizin-Verordnung) vom 10.12.2008 (Versorgungsmedizinische Grundsätze), die wegen § 69 Abs. 1, Satz 4 SGB IX auch im Schwerbehindertenrecht zur Anwendung kommt, sind zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung rechnerische Me-thoden, insbesondere eine Addition der Einzelgrade der Behinderung, nicht zulässig. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad der Behinderung bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchti-gungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad der Behinderung 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei ist gemäß Teil A Ziffer 3 lit. d) ee) der Versor-gungsmedizinischen Grundsätze zu beachten, dass leichtere Gesundheitsstörungen mit einem Einzelgrad der Behinderung von 10 nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-grades der Behinderung führen, selbst wenn mehrere dieser leichteren Behinderun-gen kumulativ nebeneinander vorliegen. Auch bei Leiden mit einem Einzelgrad der Behinderung von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine Zunahme des Ge-samtausmaßes der Behinderung zu schließen.
Schließlich sind bei der Festlegung des Gesamt-GdB zudem die Auswirkungen im konkreten Fall mit denjenigen zu vergleichen, für die in den Versorgungsmedizini-schen Grundsätzen feste GdB-Werte angegeben sind (BSG Urteil vom 02.12.2010 – B 9 SB 4/10 R = juris Rn. 25; vgl. auch Teil A Ziffer 3 lit. b) Versorgungsmedizinische Grundsätze).
Die anspruchsbegründenden Tatsachen sind, dies gilt nach allgemeinen Grundsät-zen des sozialgerichtlichen Verfahrens auch im Schwerbehindertenrecht grundsätz-lich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuwei-sen (vgl. BSG Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R = juris Rn. 14; Bayerisches LSG Urteil vom 18.06.2013 – L 15 BL 6/10 = juris Rn. 67 ff.; Bayerisches LSG Urteil vom 05.02.2013 – L 15 SB 23/10= juris). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrschein-lichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünfti-ger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R = juris Rn. 11), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 1/92 = juris Rn. 14). Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs oder rechtlichen Handelns auf ihr Vorliegen stützen.
Die Klägerin leidet zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Wesentli-chen unter tiefer gehenden Entwicklungsstörung und Lernbehinderungen, vermutlich auf dem Boden einer Alkoholembryopathie (Synonym: fetales Alkoholsyndrom).
Das Vorliegen dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen steht nach Auffassung der Kammer aufgrund der im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten Befund- und Arztberichte sowie dem Gutachter der Frau Dr. T. fest.
Für das Funktionssystem Nerven und Psyche ist der GdB gemäß Teil B Ziffer 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit 50 zu bewerten. Das Krankheitsbild des fetalen Alkoholsyndrom (vgl. zu den Charakteristika einer Alkoholembryopathie etwa, Schneider/Husslein/Schneider, Geburtshilfe, 2000, S. 215 ff.; Singer/Teyssen, Kom-pendium Alkohol, 2002, S. 379 ff.; vgl. in diesem Zusammenhang auch Schind-ler/Hoff-Emden, Fetale Alkoholspektrum-Störungen (FASD) in der sozialrechtlichen Praxis, Rechtsgutachten, 2011, erstellt im Auftrag der Drogenbeauftragten der Bun-desregierung, abrufbar unter http://www.drogenbeauftragte.de/fileadmin/ dateien-dba/DrogenundSucht/Alkohol/Downloads/11-11-30 Rechtsgutachten FASD.pdf) äußert sich in verschiedensten klinischen Symptomen wie insbesondere kranio-faszialen Veränderungen sowie neurologischen und psychopathologischen Störungen (hierzu und zu weiteren Folgen vgl. Singer/Teyssen, Kompendium Alkohol, 2002, S. 379 ff.). Im Fall der Klägerin stehen, dies steht zur Überzeugung der Kammer ins-besondere aufgrund des Gutachtens der Frau Dr. T. aber auch der glaubhaften Aus-sagen der Mutter der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung fest, die Entwicklungsstörungen verbunden mit einer Lernbehinderung im Vordergrund.
Diese Beeinträchtigungen sind nach Auffassung der Kammer entsprechend der Krite-rien in Teil B 3.5 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu bewerten.
Diese betreffen die Bewertung tiefgreifender Entwicklungsstörungen, wie insbeson-dere bei frühkindlichem Autismus, atypischem Autismus oder Asperger-Syndrom. Die Aufzählung ist nach Auffassung der Kammer aber nicht abschließend, können doch – wie im Fall der Klägerin – entsprechende Entwicklungsstörungen auch Folge einer Alkoholembryopathie sein. Vor dem Hintergrund, dass eine wissenschaftlich aner-kannte, allgemein verbindliche Übereinkunft über die Definition von Schweregraden bei tief greifenden Entwicklungsstörungen derzeit nicht besteht, ist das Ausmaß der Teilhabebeeinträchtigung bei diesen Störungen insbesondere durch eine mangelnde Integrationsfähigkeit der Betroffenen und der daraus resultierenden sozialen Anpas-sungsschwierigkeiten bestimmt (BR-Drs. 713/10, S. 5). Liegen solche tief greifenden Entwicklungsstörungen vor, so beträgt der GdB beim Fehlen sozialer Anpassungs-schwierigkeiten 10-20, beim Bestehen von leichten sozialen Anpassungsschwierig-keiten 30-40, bei mittleren sozialen Anpassungsschwierigkeiten 50-70 und bei schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten 100. Soziale Anpassungsschwierig-keiten liegen nach Teil B Ziffer 3.5 insbesondere vor, wenn die Integrationsfähigkeit in Lebensbereiche (wie zum Beispiel Regel-Kindergarten, Regel-Schule, allgemeiner Arbeitsmarkt, öffentliches Leben, häusliches Leben) nicht ohne besondere Förderung oder Unterstützung (zum Beispiel durch Eingliederungshilfe) gegeben ist oder wenn die Betroffenen einer über das dem jeweiligen Alter entsprechende Maß hinausge-henden Beaufsichtigung bedürfen. Mittlere soziale Anpassungsschwierigkeiten liegen insbesondere vor, wenn die Integration in Lebensbereiche nicht ohne umfassende Unterstützung (zum Beispiel einen Integrationshelfer als Eingliederungshilfe) möglich ist. Schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten liegen insbesondere vor, wenn die Integration in Lebensbereiche auch mit umfassender Unterstützung nicht möglich ist."
Im Falle der Klägerin ist mit der Gutachterin Dr. T. vom Vorliegen tiefer gehender Entwicklungsverzögerungen auszugehen. Diese zeigen sich zum einen in der man-gelnden Integration der Klägerin in eine sog. "Normalschule", darüber hinaus auch in der von der Gutachterin und der Kindesmutter beschriebenen fehlenden Distanz auch zu ihr fremden Personen. Schließlich, dies steht für die Kammer – unter Be-rücksichtigung der Feststellungen im Gutachten der Frau Dr. T., der eingeholten Be-fundberichte der behandelnden Kinderpsychiater und Kinderärzte und der Ausfüh-rungen der Mutter im Rahmen der mündlichen Verhandlung- ebenfalls fest, bleibt die Klägerin mit ihren kognitiven Fähigkeiten hinter Gleichaltrigen ohne entsprechende Beeinträchtigungen zurück, was sich ebenfalls auf die Integration der Klägerin nega-tiv auswirkt. Diese Defizite, hiervon ist die Kammer aufgrund der Feststellungen der Gutachterin und den Darstellungen des Sozialpädiatrischen Zentrums des St.-Marien-Hospitals überzeugt, haben sich seit der Untersuchung in der Charité zwi-schenzeitlich deutlich – vor dem Hintergrund verschiedenster Maßnahmen (Kranken-gymnastik, Ergotherapie) – gebessert. Insgesamt ist hier – auch unter Berücksichti-gung der glaubhaften Schilderung der Mutter der Klägerin im Rahmen der mündli-chen Verhandlung – trotz der beschriebenen Besserungen bei der Klägerin auch derzeit weiterhin von mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten auszuge-hen, was einen Bewertungsspielraum von 50 bis 70 eröffnet. Unter Berücksichtigung der bei der Klägerin durchaus bestehenden – und von der Gutachterin überzeugend beschriebenen – Kompetenzen, sowohl auf sozialem, kommunikativen, aber auch intellektuellen Gebiet, ist dieser insgesamt mit einem GdB von 50 hinreichend bewer-tet. Die Kammer schließt sich vor diesem Hintergrund insoweit auch der Einschät-zung der erfahrenen Gutachterin Dr. T. an.
II. Die Klägerin hat indes einen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Vo-raussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens H.
In den Schwerbehindertenausweis ist das Merkzeichen H einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33b Einkommenssteuergesetz (EStG) oder entsprechender Vorschriften ist, vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 Schwerbehinder-tenausweisverordnung. Entsprechend § 33b Abs. 6 Satz 3 EStG ist derjenige als hilflos anzusehen, der infolge von Gesundheitsstörungen nicht nur vorübergehend für eine Reihe häufiger und wiederkehrender Verrichtungen und zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Von der tatbestandlich vorausgesetzten "Reihe von Verrichtungen" kann - entspre-chend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - regelmäßig erst dann ausge-gangen werden, wenn es sich "um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machen" (BSG, Urteil vom 24.11.2005 B 9 a SB 1/05 R). Der Umfang der wegen der Behinderung notwendigen zusätzlichen Hilfeleistungen muss erheblich sein. Dabei ist in der Regel auf die Zahl der Verrichtungen, den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen (vgl. BSG, a.a.O.). Mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben in der sozia-len Pflegeversicherung (vgl. § 15 SGB IX) ist die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie nach dem täglichen Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen zu beurteilen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.06.2007, L 8 SB 1421/06; vgl. auch BSG, a.a.O.). Nicht hilflos ist danach jedenfalls, wer nur in relativ geringem Umfange, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Auch bei darüber hinausgehendem Zeitaufwand sind danach indes nicht zwingend die Voraussetzungen der Hilflosigkeit gegeben. Vielmehr ist der tägliche Zeitaufwand für die Hilfeleistung erst dann für sich allein genommen erheblich, wenn dieser mindestens zwei Stunden erreicht (vgl. zu alledem BSG, a.a.O.). Bei einem Hilfebedarf zwischen einer und zwei Stunden ist bei der Frage der Erheblichkeit auf weitere Umstände, insbesondere den wirtschaftlichen Wert abzustellen. Insbesondere für den Fall einer hohen Anzahl von Verrichtungen bzw. deren ungünstiger zeitlicher Verteilung, ist auch bei einem Hilfebedarf von zwischen einer und zwei Stunden von dessen Erheblichkeit auszugehen (vgl. BSG, a.a.O.; LSG Baden-Württemberg, a.a.O.).
Diese Definition des Begriffs der Hilflosigkeit ist dem Grunde nach auch bei Kindern maßgebend (vgl. BSG Urteil vom 29.08.1990 – 9a/9 RVs 7/89 = juris). Allerdings sind bei der Beurteilung der Hilflosigkeit von Kindern und Jugendlichen nicht nur die bei der Hilflosigkeit genannten "Verrichtungen" zu beachten. Auch die Anleitung zu diesen "Verrichtungen", die Förderung der körperlichen und geistigen Entwicklung (z.B. durch Anleitung im Gebrauch der Gliedmaßen oder durch Hilfen zum Erfassen der Umwelt oder zum Erlernen der Sprache) sowie die notwendige Überwachung gehören zu den Hilfeleistungen, die für die Frage der Hilflosigkeit von Bedeutung sind (vgl. Teil A Nr. 5 lit a) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze. Freilich ist bei der Beurteilung der Hilflosigkeit bei Kindern stets nur der Teil der Hilflosigkeit zu berücksichtigen, der wegen der Behinderung den Umfang der Hilflosigkeit eines gesunden gleichaltrigen Kindes überschreitet. Der Umfang der wegen der Behinderungen zusätzlichen notwendigen Hilfeleistungen muss erheblich sein (vgl. Teil A Nr. 5 lit. b) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze).
Hiervon ist bei der Klägerin isoliert betrachtet nicht auszugehen. Auch unter Berück-sichtigung besonderer Zeiten für Anleitungen zu Verrichtungen rechtfertigt der zeitli-che Umfang erforderlicher Hilfeleistungen für sich allein derzeit die Vergabe des Merkzeichens H nicht. Die Kammer schließt sich insoweit den nachvollziehbaren Ausführungen der Frau Dr. T. in ihrem Gutachten an. Zwar fehlen im Gutachten fremdanamnestische Angaben der Mutter (dazu unten) doch kommt die erfahrene Gutachterin unter Berücksichtigung der – insoweit durchaus kritisch zu hinterfragen-den – Angaben der kindlichen Klägerin vor allem aber auch aufgrund des persönli-chen Eindrucks zu diesem Ergebnis, welches letztlich auch durch die Feststellungen des MDK im Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit bestätigt wird. Die Kammer hat keinen Anlass an den insoweit getroffenen Feststellungen zu zweifeln.
Gemäß Teil A Nr. 5 lit. d) bb) der Versorgungsmedizinschen Grundsätze ist aller-dings bei der Annahme tiefgreifender Entwicklungsstörungen, die allein einen GdB von 50 bedingen und bei anderen gleich schweren im Kindesalter beginnenden Ver-haltens- und emotionalen Störungen mit lang andauernden erheblichen Einordungs-schwierigkeiten regelhaft Hilflosigkeit bis zum 18. Lebensjahr anzunehmen.
Nach Auffassung der Kammer ist dies auch bei der Klägerin zu beachten. Wie bereits oben dargelegt, geht die Kammer mit der Gutachterin Frau Dr. T. vom Vorliegen tiefgreifender Entwicklungsstörungen in entsprechender Anwendung von Teil B Ziffer 3.5 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze aus. Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass die Regelung des Teil B Ziffer 3.5 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ebenso wie die (Neu-)Fassung von Teil A Ziffer 5 lit. d) bb) der Versorgungsmedizinschen Grundsätze durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 17.12.2010 (BGBl. I, S 2124) bzw. die Vierte Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Versordnung vom 28.10.2011 (BGBl I S, 2153) primär andere Krankheitsbilder als die Folgen einer Alkoholembryopathie im Blick hatte. Es ging vor allem um psychische Störungen, die im Kindesalter beginnen, wie etwa frühkindlichem Autismus, atypischem Autismus oder Asperger-Syndrom. Die regelhafte Vergabe des Merkzeichens H sollte hier der Tatsache Rechnung tragen, dass diese Krankheiten aufgrund der neuronalen Veränderungen in Pubertät und Adoleszenz insbesondere in der Zeit bis zum 18. Lebensjahr oftmals eine hohe Krankheitsausprägung haben (vgl. BR-Drs. 713/10, S. 5). Der Wortlaut ist indes nicht auf die oben beschriebenen Störungen beschränkt. Letztlich ist der Grund der Entwicklungsstörung unerheblich, sofern diese eine gewisse Schwere überschritten hat. Diese Voraussetzungen liegen – wie oben dargelegt – bei der Klägerin vor.
III. Darüber hinaus liegen bei der Klägerin auch die gesundheitlichen Voraussetzungen der Inanspruchnahme des Merkzeichens B vor.
Für die unentgeltliche Beförderung einer Begleitperson nach § 145 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX ist in Verbindung mit § 146 Abs. 2 SGB IX die Notwendigkeit ständiger Begleitung zu beurteilen. Ständige Begleitung ist – nach ständiger Rechtsprechung und unter Berücksichtigung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (dazu schon oben) – bei schwerbehinderten Menschen, bei denen die Voraussetzungen für die Merkzei-chen G oder H vorliegen, notwendig, wenn sie infolge der Behinderung zur Vermei-dung von Gefahren für sich oder andere bei der Benutzung von öffentlichen Ver-kehrsmitteln regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Gemäß Teil D Ziffer 2. lit a) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze sind bei Kindern dieselben Kriterien maßgeblich wie bei Erwachsenen. Das Merkzeichen H liegt bei der Klägerin vor (vgl. dazu oben II.).
Die Frage, ob die Versorgungsmedizinischen Grundsätze als Rechtsverordnung ver-bindliche Festlegungen hinsichtlich der Voraussetzungen für die Vergabe von Merk-zeichen enthalten, war bislang umstritten. So wurde teilweise die Auffassung vertre-ten, eine Ermächtigungsgrundlage zur Schaffung einer Rechtsverordnung betreffend die im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche sei nicht gegeben. Insbesondere ent-halte die durch die Versorgungsmedizinischen Grundsätze in Bezug genommene Regelung des § 30 Abs. 17 BVG a.F. (nunmehr § 30 Abs. 16 BVG) keine entspre-chende Ermächtigung (Dau, jurisPR-SozR 4/2009 Anm. 4; LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 02.10.2012 - L 8 SB 1914/10 = juris Rn. 26). Die Regelungen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zum Nachteilsausgleich B seien damit man-gels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. Rechtsgrundlage seien daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu in ständiger Rechtsprechung anzuwendenden Grundsätze. Dieser Auffassung hatte sich – norm-theoretisch - in der Vergangenheit auch die erkennende Kammer angeschlossen. Sie hatte aber stets darauf hingewiesen, dass gleichwohl die Feststellungen des Teil D Ziffer 2 mit in die Bewertung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens B einbezogen werden können, wenn-gleich freilich nicht als Rechtsgrundlage im Sinne einer Rechtsverordnung. Die Fest-stellungen in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen werden auf Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grund-sätze evidenzbasierter Medizin erstellt und fortentwickelt, vgl. § 2 Versorgungsmedi-zin-Verordnung. Sie enthalten - im Hinblick auf das Merkzeichen B - im Wesentlichen die gleichen Regelungen, wie bereits Ziffer 32 der vom Bundesministerium für Ge-sundheit und soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehinder-tenrecht (Teil 2 SGB IX), zuletzt aus dem Jahr 2008, (AHP 2008). Die Festlegungen der Anhaltspunkte sind von der Rechtsprechung - als antizipierte Sachverständigen-gutachten - bei der Frage der Beurteilung der Zuerkennung von Merkzeichen zugrundegelegt worden. Eine entsprechende Funktion erfüllten nach Auffassung der Kammer bislang auch die nunmehr in Teil D Ziffer 2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze dargelegten Regelungen (vgl. hierzu etwa SG Aachen – S 12 SB 240/13 = juris (zum Merkzeichen aG); für eine Anwendung der in den Versorgungsmedizini-schen Grundsätzen dargelegten Anforderungen auch Bayerisches LSG Urteil vom 26.09.2012 - L 15 SB 46/09 = juris Rn. 61; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 19.12.2011 - L 13 SB 12/08 = juris Rn. 29; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 16.11.2011 - L 11 SB 67/09 = juris Rn. 34; wohl auch LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 09.08.2012 - L 10 SB 10/12 = juris Rn. 15; LSG Nordrhein-Westfalen Ur-teil vom 13.07.2010 - L 6 SB 133/09 = juris Rn. 29; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 13.07.2010 - 6 SB 133/09 = juris Rn. 27; a.A. offensichtlich LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 12.10.2011 - L 6 SB 3032/11 = juris Rn. 39 ff.). Auf diese Problematik hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich reagiert (vgl. BT-Drucks. 18/3190, S. 5). Durch Gesetz zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhe-bung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015 (BGBl. II, S. 15) wurde in § 70 SGB IX ein Absatz 2 angefügt, in dem nun das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ausdrücklich ermächtigt wird, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung und die medizinischen Voraussetzungen für die Verga-be von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehinderten-ausweis einzutragen sind. Darüber hinaus wurde § 159 SGB IX um einen Absatz 7 erweitert, wonach, sofern noch keine Verordnung nach § 70 Absatz 2 erlassen ist, die Maßstäbe des § 30 Absatz 1 des BVG und der auf Grund des § 30 Absatz 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend. Diese Änderungen sind am 15.01.2015 in Kraft getreten. Damit hat der Gesetzgeber nunmehr nach Auffassung der Kammer eine eindeutige und hinreichende normative Grundlage für die Anwendung der Versorgungsmedizini-schen Grundsätze auch hinsichtlich der Voraussetzungen für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Merkzeichen ge-schaffen (in diesem Sinne auch LSG Baden-Württemberg Urteil vom 22.05.2015 – L 8 SB 70/13 = juris; Vogl in: jurisPK-SGB IX, § 159 Rn. 38 f; ders., in: jurisPK-SGB IX, § 146 Rn. 5 f.). Spätestens seit dem 15.01.2015 ist damit klar, dass die Versor-gungsmedizinischen Grundsätze als Rechtsverordnung unmittelbare – auch die Ge-richte bindende – Wirkung entfalten. Für die Zeit davor bleibt es nach Auffassung der Kammer indes dabei, dass die in Teil B Ziffer 1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze richterrechtlich zur Bestimmung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen herangezogen werden konnten. Im Ergebnis ergeben sich hier-durch mithin keine Änderungen (so auch LSG Baden-Württemberg Urteil vom 22.05.2015 – L 8 SB 70/13 = juris).
Es ist demnach nach Teil D Ziffer 2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu klären, ob die Klägerin bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen ist, ob sie etwa beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen ist oder ob Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen erforderlich sind. Die Gutachterin ver-neint diese Voraussetzungen. Zur Begründung gab sie – ausgehend von den Dar-stellungen der Klägerin – an, die Klägerin werde mit einem Schulbus täglich zur Schule gefahren und sie sei alleine mit dem Taxi zur Untersuchung gekommen. Dies trifft zwar auch zu, berücksichtigt aber nach Auffassung der Kammer bestimmte Be-sonderheiten zu wenig. Die Mutter der Klägerin war zweimal durch die Gutachterin zu einem Gespräch betreffend die Klägerin eingeladen worden, die sie beide hat ver-streichen lassen. Zur Begründung gab die Mutter im Rahmen der mündlichen Ver-handlung an, sie sei gesundheitlich angeschlagen gewesen und sei in dieser Zeit mehrfach stationär im Krankenhaus behandelt worden. Dies habe sie auch der Gut-achterin bzw. deren Mitarbeitern gegenüber erklärt. Nach Angabe der Gutachterin habe die Mutter am 11.05.2015 mitgeteilt, sie fühle sich nicht wohl und sei am 13.05.2015 ohne Angabe von Gründen nicht mit zur Begutachtung der Klägerin ge-kommen. Einen weiteren Termin habe sie ebenfalls ohne nähere Begründung ver-streichen lassen. Was tatsächlich zwischen der Mutter und der Gutachterpraxis kommuniziert worden ist und was nicht lässt sich mit letzter Gewissheit nicht aufklä-ren. Wesentlich ist aber, dass bei der Erstellung des Gutachtens wesentliche fremd-anamnestische Angaben (zur Bedeutung der Fremdanamnese vgl. die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für neurowissenschaftliche Begutachtung (DGNB), Allge-meine Grundlagen der medizinischen Begutachtung; Deutsche Rentenversicherung Bund, Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung, 7. Aufl. 2011, S. 500 ff.; Widder/Gaidzik, Begutachtung in der Neurologie, 2. Aufl. 2011, S. 70.) fehlten. Diese hat die Mutter der Klägerin mit Schriftsatz vom 13.08.2015 per Email vom 18.08.2015 bei Gericht eingereicht. Die Kammer hat die Mutter der Kläge-rin im Termin zur mündlichen Verhandlung insbesondere zur Frage der Selbständig-keit der Klägerin im öffentlichen Nahverkehr befragt. Die Mutter erklärte in diesem Zusammenhang, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, sich ohne Hilfe mit öffentli-chen Verkehrsmitteln zu bewegen. Soweit sie allein – was die Kammer in diesem Alter durchaus für bemerkenswert hält – mit einem Taxi zur Begutachtung gefahren sei, sie dies nur möglich gewesen, weil die Klägerin vom Taxifahrer von der Haustüre bis in die Praxis begleitet worden sein. Das Prozedere kenne die Klägerin. Bei dem Schulbus, den die Klägerin benutze handele es sich ebenfalls um einen, der die Kin-der am Haus abhole und bis zur Schule fahre und sie nachmittags auch wieder bis nach Hause fahre. Treffe die Klägerin auf ungewohnte Situationen oder unbekanntes Terrain, komme es bisweilen zu panikartigen Reaktionen der Klägerin. Ohne Beglei-tung sei die Klägerin weder in der Lage zu erfassen, wohin sie müsse noch entspre-chende öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Aufgrund der bei ihr bestehenden "Vertrauensseligkeit" sei vielmehr damit zu rechnen, dass sie sich ohne Hemmnisse ihr unbekannten Personen anschließe.
Die Kammer hat keinen Anlass an den Aussagen der Mutter der Klägerin zu zweifeln. Die Tatsache, dass sie teilweise von den Angaben der Klägerin gegenüber der Gutachterin abweichen, ist nach Auffassung der Kammer zweitrangig, zumal die Gutachterin selbst festgestellt hat, dass die Klägerin bemüht war, ein möglichst "angepasstes" Bild von sich zu zeichnen.
Nach alledem steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin ohne ent-sprechende fremde Hilfe öffentliche Verkehrsmittel nicht nutzen kann und zwar in einem Maße, welches über das altersentsprechen Normale hinausgeht.
Die Kostentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved