Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 BK 12/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 BK 10/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 06.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.04.2015 verurteilt, den Bescheid vom 14.10.2013 aufzuheben und erneut zu entscheiden. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist Ablehnung einer Überprüfung eines Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides nach §§ 11 Abs. 4 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) in Verbindung mit § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchens – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) streitig.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist verheiratet mit der am 00.00.0000 geborenen Frau T. B. und Vater der am 00.00.0000 geborenen Tochter T., des am 00.00.0000 geborenen J. und des am 00.00.0000 geborenen I ...
Unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers im Fragebogen zur Überprüfung des Anspruchs auf Kinderzuschlag von Januar 2012 bis August 2012 bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 22.11.2012 "unter dem Vorbehalt der Rückforderung" Kinderzuschlag in Höhe von monatlich 225,00 EUR für die Zeit von September 2012 bis August 2013. In diesem Bescheid wies die Beklagte darauf hin, dass aufgrund schwankenden Einkommens die Höhe des Kinderzuschlags zunächst beruhend auf dem Durchschnittseinkommen der letzten drei Monate oder des letzten Bewilligungsabschnitts berechnet worden sei. Die erforderlichen Unterlagen zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Zahlungen und eine eventuelle Weiterzahlung würden rechtzeitig übersandt. Ergebe die Überprüfung, dass das durchschnittlich erzielte Einkommen tatsächlich höher oder niedriger als das zugrundegelegte war, könne dies zu einer Rückforderung oder Nachzahlung führen. Der Kläger wurde überdies darüber belehrt, dass er verpflichtet sei der Familienkasse alle wesentlichen Änderungen unverzüglich mitzuteilen.
Ausweislich der Akte übersandte die Beklagten dem Kläger am 26.07.2013 ein Anschreiben hinsichtlich der Prüfung des Anspruchs auf Kinderzuschlag. Der Inhalt dieses Schreibens ist aus der Akte nicht ersichtlich.
Mit Schreiben vom 18.09.2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er habe das Schreiben des Beklagten vom 26.07.2013 nicht bzw. nur unvollständig beantwortet. Es seien der Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kinderzuschlag, aktuelle Nachweise über die Kosten der Unterkunft im Jahre 2013, Lohnabrechnung des Klägers und seiner Ehefrau für den Zeitraum Oktober 2012 bis August 2013 und ein Nachweis über die Kfz-Haftpflichtversicherung im Jahre 2013 vorzulegen. Es wurde dem Kläger eine Frist bis zum 02.10.2013 gesetzt.
Mit Bescheid vom 14.10.2013 hob die Beklagte die Bewilligung von Kinderzuschlag für den Zeitraum September 2012 bis August 2013 unter Hinweis auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) in vollem Umfang auf und forderte Kinderzuschlag in Höhe von 2.700,00 EUR zurück. Zur Begründung gab sie an, der Kläger habe die erforderlichen Nachweise nicht vorgelegt, weswegen keine sicheren Erkenntnisse mehr über das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen vorlägen. Ein sog. "Ab-Vermerk" findet sich in der Akte der Beklagten nicht.
Mit Bescheid gleichen Datums versagte die Beklagte auch die Weiterbewilligung von Leistungen für den Zeitraum ab September 2013.
Am 21.11.2013 legte der Kläger den Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kinderzuschlag für den Zeitraum September 2012 bis August 2013 vor. Dem Antrag beigefügt waren Lohnabrechnungen der Ehefrau des Klägers betreffend den Zeitraum August 2012 bis August 2013 und Lohnabrechnungen des Klägers für Oktober 2012 bis Mai 2013.
Die Beklagte wertete diesen Fragebogen als Neuantrag und forderte weitere Unterlagen an, die der Kläger im Nachgang auch vorlegte.
Am 22.11.2013 legte der Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigte, Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.10.2013 ein. Die erforderlichen Unterlagen seien nachgereicht worden.
Mit Bescheid vom 28.01.2014 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Kinderzuschlag ab, da das Einkommen zu hoch sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04.07.2014 verwarf die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.10.2013 als unzulässig, da verfristet.
Mit Schreiben vom 23.02.2015 wandte sich der Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigte, erneut gegen den Bescheid vom 14.10.2013. Die erforderlichen Unterlagen seien nachgereicht worden.
Mit Bescheid vom 06.03.2015 wies die Beklagte den Antrag auf Überprüfung des Bescheides gemäß § 11 Abs. 4 BKGG i.V.m. § 44 SGB X zurück. Zur Begründung gab sie an, es sei weder aus den Unterlagen noch aus dem Vorbringen ersichtlich, aus welchem Grund die Entscheidung fehlerhaft sein könnte.
Hiergegen legte der Kläger am 11.03.2015 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 14.04.2015 als unbegründet zurückgewiesen wurde.
Am 13.05.2015 hat der Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigte, Klage erhoben.
Er beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.04.2015 zu verurteilen, über die beantragte Überprüfung und Rücknahme des Bescheides vom 14.10.2013 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 06.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.04.2015 ist aufzuheben, da er rechtswidrig und der Kläger hierdurch in seinen Rechten gemäß § 54 Abs. 2 Sozialgericht (SGG) verletzt ist. Die Beklagte hat erneut über den Rücknahme des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 14.10.2013 zu entscheiden.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergan-genheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Ver-waltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausge-gangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen nicht erbracht worden sind. Der fehlerhaften Nichterbringung von Sozialleistungen steht deren fehlerhafte Rückforderung gleich (Steinwedel in Kasseler Kommentar, 86. Ergänzungslieferung Juni 2015, § 44 Rn 4 m.w.N.; Schütze, in von Wulffen, SGB X , 7. Aufl. § 44 Rn. 16 m.w.N.). Für den Anwendungsbereich des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) wird diese Regelung freilich durch § 11 Abs. 4 BKGG modifiziert. Danach ist die Familienkasse nur zu einer Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft verpflichtet (sog. "gebundene Entscheidung"), während die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit im Ermessen der Familienkasse steht (vgl. dazu auch Pauli, in: Hambüchen/Appel/Irmen, Elterngeld/Elternzeit/Kindergeld, § 11 BKGG Rn. 6).
Diese Modifikation im BKGG war bei ihrer Einführung mit der Erwägung begründet worden, dass nicht begünstigende Verwaltungsakte im Kindergeldrecht überwiegend nur verhältnismäßig kurze Leistungszeiträume, bei denen die kurzfristige Gewährung von Kindergeld über die Vollendung des 18. Lebensjahr des Kindes hinaus in Betracht kommt, beträfen. Es sei nicht durch Billigkeitsgesichtspunkte geboten und würde zu einem unvertretbaren Verwaltungsaufwand führen, alle diese Fälle entsprechend dem allgemeinen sozialrechtlichen Verfahrensrecht wieder aufzunehmen. Deshalb sei es sachgerecht, die Rücknahme für die Vergangenheit dem Ermessen der Kindergeldstellen zu überlassen (vgl. BT-Drs. 8/2034, S. 41; dazu auch Bundes-verfassungsgericht – BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 06.04.2011 – 1 BvR 1765/09 = juris Rn. 47). Dieses Ermessen, so wird im Bereich des Kindergeldrechts vertreten, sei daran auszurichten, ob der Kindergeldberechtigte den bisher ergangenen, rechtswidrigen Verwaltungsakt durch unrichtige Angaben (mit)verursacht hat (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 06.04.2011 – 1 BvR 1765/09 m.w.N.).
Nach der Durchführungsanweisung Kinderzuschlag (Stand Juli 2015) DA 106a.7 Abs. 4 findet § 44 SGB X in Verbindung mit § 11 Abs. 4 BKGG auch auf nach dem 01.08.2006 gestellte Überprüfungsanträge im Zusammenhang mit der Gewährung von Kinderzuschlag Anwendung. Eine Rücknahme einer bestandskräftigen fehlerhaften Ablehnung, Aufhebung oder Bewilligung kommt danach dann in Betracht, wenn der Antragsteller die fehlerhafte Entscheidung der Familienkasse nicht zu vertreten hat. In Fällen, in denen der Antragsteller Unterlagen nicht, beziehungsweise nicht vollständig eingereicht oder falsche Angaben gemacht und dadurch die fehlerhafte Entscheidung selbst verursacht hat, ist danach die Rücknahme der fehlerhaften Entscheidung unter Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens für die Vergangenheit abzulehnen.
Vor dem Hintergrund der oben dargelegten ratio legis und der sachlichen Nähe des Kinderzuschlags zu den Regelungen des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II), erscheint nach Auffassung der Kammer fraglich, ob die Regelung des § 11 Abs. 4 BKGG insoweit nicht verfassungsrechtlich einer teleologischen Reduktion bedarf. Die Gründe, die seinerzeit zur Einführung des § 11 Abs. 4 BKGG (bzw. dessen Vorgängerreglung) geführt haben, betreffen nach Einschätzung der Kammer jedenfalls die rechtliche Situation im Zusammenhang mit der Bewilligung von Kinderzuschlag nicht. Im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende findet sich eine solche Einschränkung des § 44 SGB X ebenfalls nicht, so dass sich die Frage stellt, ob durch diese Regelung letztlich wesentlich Gleiches – ohne nachvollziehbarer Begründung – nicht wesentlich ungleich behandelt wird, was einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Grundgesetz (GG) bedingen würde (so bereits BVerfG Urteil vom 23.10.1951 – 2 BvG 1/51 – Südweststaat = juris, vgl. aus neuerer Zeit BVerfG Beschluss vom 21.06.2011 – 1 BvR 2035/07 – Mediziner-BAföG = juris; zur – umstrittenen – Zulässigkeit einer verfassungskonformen Reduktion von Normen vgl. etwa Sauer, Wortlautgrenze der verfassungskonformen Auslegung, 2006, S. 9 ff. m.w.N., abrufbar unter http://www.jura.unifreiburg.de/institute/ioeffr3/forschung/papers/sauer/IOER VerfassungskonformeAuslegung.pdf).
Hierauf kommt es im vorliegenden Fall indes nicht an.
Die mittlerweile unstreitig bestandskräftig gewordene Aufhebungsentscheidung war schon – unabhängig von der Frage eines Verursachungsbeitrags des Klägers – ursprünglich rechtswidrig. Es fehlt an der für eine Aufhebung des Bescheides vom 22.11.2012 erforderlichen Rechtsgrundlage.
Insbesondere liegen – entgegen der Annahme der Beklagten – die Voraussetzungen der Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) nicht vor. Voraussetzung für die Aufhebung eines - ursprünglich rechtmäßigen - Verwaltungsaktes nach § 48 SGB X ist nach Abs. 1 Satz 1, dass eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eingetreten ist. Das Vorliegen der Voraussetzungen des Satz 1 ist - dies macht schon der Wortlaut der Norm deutlich - zwingende Voraussetzung für eine Anwendung des Satzes 2 (Aufhebung auch für die Vergangenheit). Demgegenüber darf ein - ursprünglich rechtswidriger - begünstigter Verwaltungsakt auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen des § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Vorliegend hat die Beklagte "sehenden Auges", bei schwankendem monatlichem Einkommen dem Kläger Kinderzuschlag für einen Zeitraum von einem Jahr unter Berücksichtigung "alter" Daten bewilligt. Damit ist nach gängiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts von einer ursprünglich rechtswidrigen Bewilligung und mithin von einer Anwendbarkeit des § 45 SGB X auszugehen (vgl. BSG Urteil vom 21.06.2011 – B 4 AS 22/10 R = juris; in diesem Sinne auch Sozialgericht – SG – Cottbus Gerichtsbescheid vom 16.12.2013 – S 9 BK 16/10 = juris). Die Beklagte hat ihre Entscheidung indes eindeutig auf § 48 SGB X gestützt. Eine Umdeutung der Aufhebung nach § 48 SGB X in eine Rücknahme nach § 45 gemäß § 43 SGB X kommt nicht in Betracht. Sie scheitert schon – unabhängig von der Frage des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen – an dem nicht ausgeübten, nach § 45 SGB X erforderlichen, Ermessen.
Nun verkennt die Kammer durchaus nicht die schwierige Situation, in der sich die Beklagte aufgrund der unzureichenden materiell-rechtlichen Grundlage des BKGG befindet. Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 02.11.2012 (B 4 KG 2/11 R) diese Situation zutreffend wie folgt beschrieben:
"So ist der Leistungsträger nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass jeder Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig erhält. Auf Seiten der Leistungsberechtigten gilt, dass der Kinderzuschlag der Existenzsicherung i.S. des Art 1 Abs. 1 i.V.m. Art 20 Abs. 1 GG dient und damit der entstandene Bedarf umgehend gedeckt werden muss. Eine Verwirklichung dessen stößt jedoch häufig auf praktische Schwierigkeiten. Die Gewährung von Kinderzuschlag ist nach § 6a Abs. 1 BKGG von der Höhe des Einkommens des Antragstellers abhängig. Nach § 6a BKGG in der Neufassung des Bundeskindergeldgesetzes vom 28.1.2009 (BGBl. I 142) ist das "Einkommensfenster", in dem entweder ein Anspruch auf Kinderzuschlag besteht, mit dem Hilfebedürftigkeit i.S. des SGB II vermieden wird oder bei Unterschreitung der Mindesteinkommensgrenze ein Leistungsanspruch zur Sicherung des Lebensunterhalts aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende gegeben ist, sehr eng. Ohne konkrete Berechnungen im Einzelfall kann deshalb - zumindest bei schwankendem Einkommen - in der Regel nicht mit hinreichender Sicherheit prognostiziert werden, ob ein Anspruch auf Kinderzuschlag besteht. Hieraus folgt das Bedürfnis einer Bewilligung dieser Leistung bereits vor Abschluss aller notwendigen Ermittlungen zur Einkommenshöhe zu ermöglichen. § 6a BKGG trifft jedoch keine Regelung für eine solche "Vorwegzahlung". Er enthält anders als das SGB II (§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II) keinen Verweis auf § 328 SGB III, obwohl das Recht des Kinderzuschlags gerade dazu dient, Leistungen nach dem SGB II zu vermeiden und die Berechnung der Leistung über die Regeln der Einkommensberücksichtigung zwischen SGB II und § 6a BKGG in Teilbereichen identisch ist (s nur BSGE 108, 144 = SozR 4-5870 § 6a Nr. 2, RdNr. 13)."
Diese materiell-rechtlich in der Tat unbefriedigende Ausgangslage nimmt das Bundessozialgericht nun zum Anlass, dem Leistungsträger die Möglichkeit einer Befugnis zur Vorwegzahlung im Wege einer Nebenbestimmung nach § 32 Abs. 1 SGB X aufzuzeigen. Dies erscheint der Kammer dogmatisch bedenklich, ist doch eine entsprechende Zulassung durch Rechtsvorschrift nicht erkennbar (§32 Abs. 1 Alt. 1 SGB X). Dass durch die Nebenbestimmung einer Vorwegzahlung sichergestellt würde, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsakts erfüllt würde (§ 32 Abs. 1 Alt. 2 SGB X) sieht die Kammer ebenfalls nicht, werden hier doch gerade Leistungen bewilligt, ohne dass feststünde, dass überhaupt ein Anspruch besteht (str, vgl. zum Streitstand etwa Burkiczak in: jurisPK-SGB X, § 32 Rn.84 ff.).
Auch das Bundessozialgericht hat hinsichtlich der dogmatischen Tragfähigkeit der Konstruktion offensichtlich Bedenken, führt es in der genannten Entscheidung doch aus, diese Möglichkeit bestünde, "jedenfalls bis zur Schaffung einer endgültigen gesetzlichen Grundlage für den Bereich der Regelungen über den Kinderzuschlag" (BSG Urteil vom 02.11.2012 – B 4 KG 2/11 R = juris Rn. 16 a.E.).
Selbst wenn man aber mit dem Bundessozialgericht die Möglichkeit der Befugnis zur Vorwegzahlung im Wege einer Nebenbestimmung annehmen wollte, so bildete eine solche im vorliegenden Fall keine taugliche Rechtsgrundlage für den Aufhebungsbescheid vom 14.10.2013.
Unter Berücksichtigung der oben genannten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts enthielt der Bescheid vom 22.11.2012 keine entsprechende Nebenbestimmung einer Vorwegzahlung. Der insoweit formulierte "Vorbehalt der Rückforderung" genügt insoweit nicht (vgl. BSG Urteil vom 02.11.2012 – B 4 KG 2/11 R= juris Rn. 18). Die Beklagte hat im Übrigen die Aufhebung auch eindeutig auf § 48 SGB X und die Rückforderung auf § 50 SGB X gestützt.
Selbst wenn man indes – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Beklagte keine andere Möglichkeit der Entscheidung hatte – von einer ursprünglich rechtmä-ßigen Bewilligung der Beklagten und damit von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 48 SGB X ausgehen wollte, erscheint die mit Bescheid vom 14.10.2013 durch-geführte Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 22.11.2012 rechtswidrig.
Zwar ist der Kläger einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher Verhältnisse binnen der von der Beklagten gesetzten Frist nicht nachgekommen. Der Kläger ist nach Darstellung der Beklagten zweimal zur Vorlage von Unterlagen für den hier streitigen Zeitraum aufgefordert worden, wobei der Inhalt des ersten Schreibens aus der Akte nicht zu rekonstruieren ist. Ob er bereit zu diesem Zeitpunkt hinreichend unmissverständlich (vgl. dazu Merten, in: Hauck/Noftz, SGB X, Erg.-Lieferung 3/13 Dezember 2013, § 48 Rn. 39) auf die ihn treffenden Obliegenheiten hingewiesen worden ist kann die Kammer daher nicht mit Sicherheit feststellen. Klar und eindeutig wurde der Kläger allerdings im Schreiben vom 18.09.2013 darauf hingewiesen, dass ihn gemäß § 60 des Ersten Buch des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil – (SGB I) die Obliegenheit trifft, auf Anforderung Unterlagen vorzulegen, die für das Bestehen oder die Höhe des Anspruchs von Bedeutung sein können. In diesem Schreiben, das keinen Nachweis darüber enthält, wann es abgesandt worden ist, ist dem Kläger eine Frist bis zum 02.10.2013 gesetzt worden. Nachdem auch am 14.10.2013 keine Unterlagen vom Kläger vorgelegt worden sind, erließ die Beklagte den entsprechenden Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid. Die Kammer geht insoweit durchaus von dem vom Bundessozialgericht (BSG) geforderte "Pflichtwidrigkeitszusammenhang" zur Leistungserbringung aus (vgl. dazu BSG Urteil vom 09.02.2006 – B 7a AL 58/05 R = juris Rn. 17; Waschull, in: LPK-SGB X, 3. Aufl. 2011, § 48 Rn. 64).
Voraussetzung für die Aufhebung eines – ursprünglich rechtmäßigen - Verwaltungsaktes nach § 48 SGB X ist aber nach Abs. 1 Satz 1, dass eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eingetreten ist.
Die objektive Beweislast bzw. Feststellungslast für die wesentliche Änderung trägt – nach allgemeiner (sozial-)verwaltungsgerichtlicher Dogmatik - derjenige, der sich darauf beruft (vgl. hierzu schon BSG Urteil vom 24.10.1957 – 10 RV 945/55 = juris ; vgl. auch BSG Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 89/12 R = juris; Steinwedel, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, 76. Erg.-Lieferung Dezember 2012, § 48 Rn. 23; Schütze, in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010. § 48 Rn. 9; Merten, in: Hauck/Noftz, SGB X, Erg.-Lieferung 3/13 Dezember 2013, § 48 Rn. 29). Dies ist vorliegend die Beklagte.
Ist die wesentliche Änderung nachgewiesen, käme – beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 – eine Aufhebung in Betracht, s o w e i t der Betroffene der durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen nicht nachgekommen ist.
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte das Vorliegen einer wesentlichen Änderung weder dem Grunde nach, noch der Höhe nach nachgewiesen. Die Beklagte hatte zum Zeitpunkt der Entscheidung (noch) keine Kenntnisse ob – und ggf. in welchem Umfang – eine Änderung der Einkommensverhältnisse beim Kläger vorgelegen hat. Sie schließt aus der Nichtvorlage der erbetenen Unterlagen vielmehr, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Kinderzuschlag im streitigen Zeitraum nicht vorgelegen haben. Damit geht die Beklagte von einer Beweislastumkehr dergestalt aus, dass nunmehr nicht sie nachweisen muss, dass und in welcher Höhe die Voraussetzungen für die Bewilligung von Kinderzuschlag nicht mehr vorliegen. Die Beweislast, dass die Voraussetzungen weiterhin vorliegen, treffe nun vielmehr den Kläger.
Nun ist in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in bestimmten Fallkonstellationen durchaus eine Beweislastumkehr anerkannt worden. Dies waren in der Tat auch Fälle, in denen der Gegner der beweisbelasteten Partei den Beweis vereitelt oder erschwert oder die Beweisführung unmöglich ist, weil die zu beweisenden Tatsachen sich im Bereich des Gegners abgespielt haben und dieser an der ihm möglichen Sachverhaltsaufklärung nicht oder nicht rechtzeitig mitgewirkt hat (vgl. etwa BSG Urteil vom 07.07.2005 – B 3 P 8/04 R = juris; auch BSG Urteil vom 02.09.2004 – B 7 AL 88/03 = juris). So etwa ausdrücklich in einem solchen Fall, in dem der Kläger bei Antragstellung Angaben, die in seiner Verantwortungssphäre lagen bei Antragstellung nicht angegeben hatte und diese nun – nach gewisser Zeit – nicht mehr aufklärbar waren (vgl. BSG Urteil vom 24.05.2006 B 11a AL 7/05 R = juris Rn. 33). Das Bundessozialgericht hat in diesen Fällen nach Auffassung der Kammer aber hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es sich hierbei aber nur um besonders gelagerte Einzelfälle handeln kann.
Eine entsprechende Sonderkonstellation liegt hier nach Auffassung der Kammer hier nicht vor.
Die Beklagte hat im vorliegenden Fall mit Bescheid vom 22.11.2012 dem Kläger aufgrund dessen Angaben für seine Kinder für einen Zeitraum von insgesamt zwölf Monaten Leistungen unter dem "Vorbehalt der Rückforderung" (dazu bereits oben) in Höhe von monatlich 280,00 EUR bewilligt. Nach Auffassung der Kammer war – bei erkennbar unzureichender Darlegung der Einkommensverhältnisse – eine Bewilligung für einen solch langen Zeitraum nicht zwingend. Die Beklagte hat damit nach Auffassung der Kammer mit zu dem Dilemma beigetragen, in dem sie sich zum Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung befand. In einer solchen Situation erscheint die Annahme einer Beweislastumkehr der Kammer nicht angezeigt.
Die Beklagte hat somit schon die Änderung der wesentlichen Verhältnisse nicht nachgewiesen. Vor diesem Hintergrund scheitert auch die Aufhebung auf Grundlage etwa von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X. Die Anwendung von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X scheidet ebenfalls aus. Der Kläger hat nicht etwa grob fahrlässig verkannt, dass er keinen Anspruch mehr hatte.
Die Aufhebung des Bescheides war damit rechtwidrig. Eine Rückforderung nach § 50 Abs. 1 SGB X kam damit auch nicht in Betracht.
Dies wäre nach Auffassung der Kammer im Rahmen der vom Kläger angestrengten Überprüfung nach §§ 11 Abs. 4 BKGG i.V.m. § 44 SGB X zu berücksichtigenden gewesen. Es handelte sich insoweit um eine falsche Rechtsanwendung durch den Beklagten. Auf eine wie auch immer geartete Mitverantwortung des Klägers kommt es insoweit nicht an.
Selbst wenn aber die Aufhebungsentscheidung dem Grunde nach zunächst recht-mäßig gewesen sein sollte, so ergibt sich aus den der Beklagten seit November 2013 vorliegenden Unterlagen, dass die Annahme der Beklagten, der Kläger habe keinen Anspruch auf Kinderzuschlag, ebenfalls unzutreffend ist. Die Beklagte ist daher bei ihrer Entscheidung – unabhängig von der falschen Rechtsanwendung – auch von einem falschen Sachverhalt ausgegangen. Hinsichtlich dieses Sachverhalts vertritt sie nun die Auffassung, dies habe der Kläger zu vertreten, was die Beklagte nach § 11 Abs. 4 BKGG berechtige, die Rücknahme des streitigen Bescheides für die Vergangenheit abzulehnen.
Unabhängig von der oben aufgeworfenen Frage, ob die insoweit in den Durchführungsanweisungen enthaltenen ermessensleitenden Erwägungen, tatsächlich für Fälle des Kinderzuschlags sach- und verfassungsgerecht sind, entbehren die hier in Rede stehenden Bescheide aber offensichtlich auch jedweder Ermessensausübung. Auf die Notwendigkeit der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens weisen aber auch die Durchführungsanweisungen ausdrücklich hin.
Die Begründung des Bescheides vom 06.03.2015 lautet:
"Weder aus Ihrem Vorbringen noch aus den hier vorhandenen Unterlagen sind Anhaltspunkte erkennbar, wonach die im oben genannten Bescheid getroffene Entscheidung fehlerhaft sein könnte. Der Bescheid bleibt daher vollinhaltlich bestehen und wird nicht zurückgenommen. Ihr Antrag auf Neubescheidung wird daher abgelehnt."
Hier ist nicht im Ansatz zu erkennen, dass der Verfasser des Bescheides bei dessen Erlass das Bestehen von Ermessen nach § 11 Abs. 4 BKGG erkannt, geschweige denn ausgeübt hat (zum Ermessen, dessen Ausübung und Ermessensfehlern vgl. etwa Dörr/Franke, Sozialverwaltungsrecht, 2 Aufl. 2006, Kap. 3 II; Bull/Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht mit Verwaltungslehre, 8. Aufl. 2009, Rn. 584 ff.; Erich-sen/Ehlers [Hrsg.], Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2005, § 10 V 3). Es wird zwar zumindest auf die Vorschrift des § 11 Abs. 4 BKGG verwiesen. Dieser Verweis auf eine Norm, aus der sich die Notwendigkeit der Ausübung von Ermessen ergibt, reicht freilich nicht aus. Im Widerspruchsbescheid vom 14.04.2015 wird dann nicht einmal mehr die Norm des § 11 Abs. 4 BKGG genannt, sondern allein auf die Tatbestandsvoraussetzungen des § 44 SGB X verwiesen. Auch hier wird lapidar erklärt, der Kläger habe nichts vorgebracht, was für die Unrichtigkeit der Entscheidung sprechen würde. Es ergäben sich auch keine neuen Erkenntnisse, die dafür sprächen, dass die Entscheidung falsch sei, weswegen die Beklagte die sachliche Überprüfung des Bescheides vom 14.10.2013 habe ablehnen dürfe. Auch hier fehlt jeder Hinweis auf das Bestehen oder Ausüben von Ermessen. Schon aus diesem Grund wäre, selbst unterstellt die Argumentation der Beklagten wäre zutreffend, der angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides aufzuheben gewesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist Ablehnung einer Überprüfung eines Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides nach §§ 11 Abs. 4 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) in Verbindung mit § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchens – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) streitig.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist verheiratet mit der am 00.00.0000 geborenen Frau T. B. und Vater der am 00.00.0000 geborenen Tochter T., des am 00.00.0000 geborenen J. und des am 00.00.0000 geborenen I ...
Unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers im Fragebogen zur Überprüfung des Anspruchs auf Kinderzuschlag von Januar 2012 bis August 2012 bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 22.11.2012 "unter dem Vorbehalt der Rückforderung" Kinderzuschlag in Höhe von monatlich 225,00 EUR für die Zeit von September 2012 bis August 2013. In diesem Bescheid wies die Beklagte darauf hin, dass aufgrund schwankenden Einkommens die Höhe des Kinderzuschlags zunächst beruhend auf dem Durchschnittseinkommen der letzten drei Monate oder des letzten Bewilligungsabschnitts berechnet worden sei. Die erforderlichen Unterlagen zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Zahlungen und eine eventuelle Weiterzahlung würden rechtzeitig übersandt. Ergebe die Überprüfung, dass das durchschnittlich erzielte Einkommen tatsächlich höher oder niedriger als das zugrundegelegte war, könne dies zu einer Rückforderung oder Nachzahlung führen. Der Kläger wurde überdies darüber belehrt, dass er verpflichtet sei der Familienkasse alle wesentlichen Änderungen unverzüglich mitzuteilen.
Ausweislich der Akte übersandte die Beklagten dem Kläger am 26.07.2013 ein Anschreiben hinsichtlich der Prüfung des Anspruchs auf Kinderzuschlag. Der Inhalt dieses Schreibens ist aus der Akte nicht ersichtlich.
Mit Schreiben vom 18.09.2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er habe das Schreiben des Beklagten vom 26.07.2013 nicht bzw. nur unvollständig beantwortet. Es seien der Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kinderzuschlag, aktuelle Nachweise über die Kosten der Unterkunft im Jahre 2013, Lohnabrechnung des Klägers und seiner Ehefrau für den Zeitraum Oktober 2012 bis August 2013 und ein Nachweis über die Kfz-Haftpflichtversicherung im Jahre 2013 vorzulegen. Es wurde dem Kläger eine Frist bis zum 02.10.2013 gesetzt.
Mit Bescheid vom 14.10.2013 hob die Beklagte die Bewilligung von Kinderzuschlag für den Zeitraum September 2012 bis August 2013 unter Hinweis auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) in vollem Umfang auf und forderte Kinderzuschlag in Höhe von 2.700,00 EUR zurück. Zur Begründung gab sie an, der Kläger habe die erforderlichen Nachweise nicht vorgelegt, weswegen keine sicheren Erkenntnisse mehr über das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen vorlägen. Ein sog. "Ab-Vermerk" findet sich in der Akte der Beklagten nicht.
Mit Bescheid gleichen Datums versagte die Beklagte auch die Weiterbewilligung von Leistungen für den Zeitraum ab September 2013.
Am 21.11.2013 legte der Kläger den Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kinderzuschlag für den Zeitraum September 2012 bis August 2013 vor. Dem Antrag beigefügt waren Lohnabrechnungen der Ehefrau des Klägers betreffend den Zeitraum August 2012 bis August 2013 und Lohnabrechnungen des Klägers für Oktober 2012 bis Mai 2013.
Die Beklagte wertete diesen Fragebogen als Neuantrag und forderte weitere Unterlagen an, die der Kläger im Nachgang auch vorlegte.
Am 22.11.2013 legte der Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigte, Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.10.2013 ein. Die erforderlichen Unterlagen seien nachgereicht worden.
Mit Bescheid vom 28.01.2014 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Kinderzuschlag ab, da das Einkommen zu hoch sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04.07.2014 verwarf die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.10.2013 als unzulässig, da verfristet.
Mit Schreiben vom 23.02.2015 wandte sich der Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigte, erneut gegen den Bescheid vom 14.10.2013. Die erforderlichen Unterlagen seien nachgereicht worden.
Mit Bescheid vom 06.03.2015 wies die Beklagte den Antrag auf Überprüfung des Bescheides gemäß § 11 Abs. 4 BKGG i.V.m. § 44 SGB X zurück. Zur Begründung gab sie an, es sei weder aus den Unterlagen noch aus dem Vorbringen ersichtlich, aus welchem Grund die Entscheidung fehlerhaft sein könnte.
Hiergegen legte der Kläger am 11.03.2015 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 14.04.2015 als unbegründet zurückgewiesen wurde.
Am 13.05.2015 hat der Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigte, Klage erhoben.
Er beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.04.2015 zu verurteilen, über die beantragte Überprüfung und Rücknahme des Bescheides vom 14.10.2013 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 06.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.04.2015 ist aufzuheben, da er rechtswidrig und der Kläger hierdurch in seinen Rechten gemäß § 54 Abs. 2 Sozialgericht (SGG) verletzt ist. Die Beklagte hat erneut über den Rücknahme des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 14.10.2013 zu entscheiden.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergan-genheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Ver-waltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausge-gangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen nicht erbracht worden sind. Der fehlerhaften Nichterbringung von Sozialleistungen steht deren fehlerhafte Rückforderung gleich (Steinwedel in Kasseler Kommentar, 86. Ergänzungslieferung Juni 2015, § 44 Rn 4 m.w.N.; Schütze, in von Wulffen, SGB X , 7. Aufl. § 44 Rn. 16 m.w.N.). Für den Anwendungsbereich des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) wird diese Regelung freilich durch § 11 Abs. 4 BKGG modifiziert. Danach ist die Familienkasse nur zu einer Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft verpflichtet (sog. "gebundene Entscheidung"), während die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit im Ermessen der Familienkasse steht (vgl. dazu auch Pauli, in: Hambüchen/Appel/Irmen, Elterngeld/Elternzeit/Kindergeld, § 11 BKGG Rn. 6).
Diese Modifikation im BKGG war bei ihrer Einführung mit der Erwägung begründet worden, dass nicht begünstigende Verwaltungsakte im Kindergeldrecht überwiegend nur verhältnismäßig kurze Leistungszeiträume, bei denen die kurzfristige Gewährung von Kindergeld über die Vollendung des 18. Lebensjahr des Kindes hinaus in Betracht kommt, beträfen. Es sei nicht durch Billigkeitsgesichtspunkte geboten und würde zu einem unvertretbaren Verwaltungsaufwand führen, alle diese Fälle entsprechend dem allgemeinen sozialrechtlichen Verfahrensrecht wieder aufzunehmen. Deshalb sei es sachgerecht, die Rücknahme für die Vergangenheit dem Ermessen der Kindergeldstellen zu überlassen (vgl. BT-Drs. 8/2034, S. 41; dazu auch Bundes-verfassungsgericht – BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 06.04.2011 – 1 BvR 1765/09 = juris Rn. 47). Dieses Ermessen, so wird im Bereich des Kindergeldrechts vertreten, sei daran auszurichten, ob der Kindergeldberechtigte den bisher ergangenen, rechtswidrigen Verwaltungsakt durch unrichtige Angaben (mit)verursacht hat (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 06.04.2011 – 1 BvR 1765/09 m.w.N.).
Nach der Durchführungsanweisung Kinderzuschlag (Stand Juli 2015) DA 106a.7 Abs. 4 findet § 44 SGB X in Verbindung mit § 11 Abs. 4 BKGG auch auf nach dem 01.08.2006 gestellte Überprüfungsanträge im Zusammenhang mit der Gewährung von Kinderzuschlag Anwendung. Eine Rücknahme einer bestandskräftigen fehlerhaften Ablehnung, Aufhebung oder Bewilligung kommt danach dann in Betracht, wenn der Antragsteller die fehlerhafte Entscheidung der Familienkasse nicht zu vertreten hat. In Fällen, in denen der Antragsteller Unterlagen nicht, beziehungsweise nicht vollständig eingereicht oder falsche Angaben gemacht und dadurch die fehlerhafte Entscheidung selbst verursacht hat, ist danach die Rücknahme der fehlerhaften Entscheidung unter Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens für die Vergangenheit abzulehnen.
Vor dem Hintergrund der oben dargelegten ratio legis und der sachlichen Nähe des Kinderzuschlags zu den Regelungen des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II), erscheint nach Auffassung der Kammer fraglich, ob die Regelung des § 11 Abs. 4 BKGG insoweit nicht verfassungsrechtlich einer teleologischen Reduktion bedarf. Die Gründe, die seinerzeit zur Einführung des § 11 Abs. 4 BKGG (bzw. dessen Vorgängerreglung) geführt haben, betreffen nach Einschätzung der Kammer jedenfalls die rechtliche Situation im Zusammenhang mit der Bewilligung von Kinderzuschlag nicht. Im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende findet sich eine solche Einschränkung des § 44 SGB X ebenfalls nicht, so dass sich die Frage stellt, ob durch diese Regelung letztlich wesentlich Gleiches – ohne nachvollziehbarer Begründung – nicht wesentlich ungleich behandelt wird, was einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Grundgesetz (GG) bedingen würde (so bereits BVerfG Urteil vom 23.10.1951 – 2 BvG 1/51 – Südweststaat = juris, vgl. aus neuerer Zeit BVerfG Beschluss vom 21.06.2011 – 1 BvR 2035/07 – Mediziner-BAföG = juris; zur – umstrittenen – Zulässigkeit einer verfassungskonformen Reduktion von Normen vgl. etwa Sauer, Wortlautgrenze der verfassungskonformen Auslegung, 2006, S. 9 ff. m.w.N., abrufbar unter http://www.jura.unifreiburg.de/institute/ioeffr3/forschung/papers/sauer/IOER VerfassungskonformeAuslegung.pdf).
Hierauf kommt es im vorliegenden Fall indes nicht an.
Die mittlerweile unstreitig bestandskräftig gewordene Aufhebungsentscheidung war schon – unabhängig von der Frage eines Verursachungsbeitrags des Klägers – ursprünglich rechtswidrig. Es fehlt an der für eine Aufhebung des Bescheides vom 22.11.2012 erforderlichen Rechtsgrundlage.
Insbesondere liegen – entgegen der Annahme der Beklagten – die Voraussetzungen der Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) nicht vor. Voraussetzung für die Aufhebung eines - ursprünglich rechtmäßigen - Verwaltungsaktes nach § 48 SGB X ist nach Abs. 1 Satz 1, dass eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eingetreten ist. Das Vorliegen der Voraussetzungen des Satz 1 ist - dies macht schon der Wortlaut der Norm deutlich - zwingende Voraussetzung für eine Anwendung des Satzes 2 (Aufhebung auch für die Vergangenheit). Demgegenüber darf ein - ursprünglich rechtswidriger - begünstigter Verwaltungsakt auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen des § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Vorliegend hat die Beklagte "sehenden Auges", bei schwankendem monatlichem Einkommen dem Kläger Kinderzuschlag für einen Zeitraum von einem Jahr unter Berücksichtigung "alter" Daten bewilligt. Damit ist nach gängiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts von einer ursprünglich rechtswidrigen Bewilligung und mithin von einer Anwendbarkeit des § 45 SGB X auszugehen (vgl. BSG Urteil vom 21.06.2011 – B 4 AS 22/10 R = juris; in diesem Sinne auch Sozialgericht – SG – Cottbus Gerichtsbescheid vom 16.12.2013 – S 9 BK 16/10 = juris). Die Beklagte hat ihre Entscheidung indes eindeutig auf § 48 SGB X gestützt. Eine Umdeutung der Aufhebung nach § 48 SGB X in eine Rücknahme nach § 45 gemäß § 43 SGB X kommt nicht in Betracht. Sie scheitert schon – unabhängig von der Frage des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen – an dem nicht ausgeübten, nach § 45 SGB X erforderlichen, Ermessen.
Nun verkennt die Kammer durchaus nicht die schwierige Situation, in der sich die Beklagte aufgrund der unzureichenden materiell-rechtlichen Grundlage des BKGG befindet. Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 02.11.2012 (B 4 KG 2/11 R) diese Situation zutreffend wie folgt beschrieben:
"So ist der Leistungsträger nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass jeder Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig erhält. Auf Seiten der Leistungsberechtigten gilt, dass der Kinderzuschlag der Existenzsicherung i.S. des Art 1 Abs. 1 i.V.m. Art 20 Abs. 1 GG dient und damit der entstandene Bedarf umgehend gedeckt werden muss. Eine Verwirklichung dessen stößt jedoch häufig auf praktische Schwierigkeiten. Die Gewährung von Kinderzuschlag ist nach § 6a Abs. 1 BKGG von der Höhe des Einkommens des Antragstellers abhängig. Nach § 6a BKGG in der Neufassung des Bundeskindergeldgesetzes vom 28.1.2009 (BGBl. I 142) ist das "Einkommensfenster", in dem entweder ein Anspruch auf Kinderzuschlag besteht, mit dem Hilfebedürftigkeit i.S. des SGB II vermieden wird oder bei Unterschreitung der Mindesteinkommensgrenze ein Leistungsanspruch zur Sicherung des Lebensunterhalts aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende gegeben ist, sehr eng. Ohne konkrete Berechnungen im Einzelfall kann deshalb - zumindest bei schwankendem Einkommen - in der Regel nicht mit hinreichender Sicherheit prognostiziert werden, ob ein Anspruch auf Kinderzuschlag besteht. Hieraus folgt das Bedürfnis einer Bewilligung dieser Leistung bereits vor Abschluss aller notwendigen Ermittlungen zur Einkommenshöhe zu ermöglichen. § 6a BKGG trifft jedoch keine Regelung für eine solche "Vorwegzahlung". Er enthält anders als das SGB II (§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II) keinen Verweis auf § 328 SGB III, obwohl das Recht des Kinderzuschlags gerade dazu dient, Leistungen nach dem SGB II zu vermeiden und die Berechnung der Leistung über die Regeln der Einkommensberücksichtigung zwischen SGB II und § 6a BKGG in Teilbereichen identisch ist (s nur BSGE 108, 144 = SozR 4-5870 § 6a Nr. 2, RdNr. 13)."
Diese materiell-rechtlich in der Tat unbefriedigende Ausgangslage nimmt das Bundessozialgericht nun zum Anlass, dem Leistungsträger die Möglichkeit einer Befugnis zur Vorwegzahlung im Wege einer Nebenbestimmung nach § 32 Abs. 1 SGB X aufzuzeigen. Dies erscheint der Kammer dogmatisch bedenklich, ist doch eine entsprechende Zulassung durch Rechtsvorschrift nicht erkennbar (§32 Abs. 1 Alt. 1 SGB X). Dass durch die Nebenbestimmung einer Vorwegzahlung sichergestellt würde, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsakts erfüllt würde (§ 32 Abs. 1 Alt. 2 SGB X) sieht die Kammer ebenfalls nicht, werden hier doch gerade Leistungen bewilligt, ohne dass feststünde, dass überhaupt ein Anspruch besteht (str, vgl. zum Streitstand etwa Burkiczak in: jurisPK-SGB X, § 32 Rn.84 ff.).
Auch das Bundessozialgericht hat hinsichtlich der dogmatischen Tragfähigkeit der Konstruktion offensichtlich Bedenken, führt es in der genannten Entscheidung doch aus, diese Möglichkeit bestünde, "jedenfalls bis zur Schaffung einer endgültigen gesetzlichen Grundlage für den Bereich der Regelungen über den Kinderzuschlag" (BSG Urteil vom 02.11.2012 – B 4 KG 2/11 R = juris Rn. 16 a.E.).
Selbst wenn man aber mit dem Bundessozialgericht die Möglichkeit der Befugnis zur Vorwegzahlung im Wege einer Nebenbestimmung annehmen wollte, so bildete eine solche im vorliegenden Fall keine taugliche Rechtsgrundlage für den Aufhebungsbescheid vom 14.10.2013.
Unter Berücksichtigung der oben genannten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts enthielt der Bescheid vom 22.11.2012 keine entsprechende Nebenbestimmung einer Vorwegzahlung. Der insoweit formulierte "Vorbehalt der Rückforderung" genügt insoweit nicht (vgl. BSG Urteil vom 02.11.2012 – B 4 KG 2/11 R= juris Rn. 18). Die Beklagte hat im Übrigen die Aufhebung auch eindeutig auf § 48 SGB X und die Rückforderung auf § 50 SGB X gestützt.
Selbst wenn man indes – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Beklagte keine andere Möglichkeit der Entscheidung hatte – von einer ursprünglich rechtmä-ßigen Bewilligung der Beklagten und damit von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 48 SGB X ausgehen wollte, erscheint die mit Bescheid vom 14.10.2013 durch-geführte Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 22.11.2012 rechtswidrig.
Zwar ist der Kläger einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher Verhältnisse binnen der von der Beklagten gesetzten Frist nicht nachgekommen. Der Kläger ist nach Darstellung der Beklagten zweimal zur Vorlage von Unterlagen für den hier streitigen Zeitraum aufgefordert worden, wobei der Inhalt des ersten Schreibens aus der Akte nicht zu rekonstruieren ist. Ob er bereit zu diesem Zeitpunkt hinreichend unmissverständlich (vgl. dazu Merten, in: Hauck/Noftz, SGB X, Erg.-Lieferung 3/13 Dezember 2013, § 48 Rn. 39) auf die ihn treffenden Obliegenheiten hingewiesen worden ist kann die Kammer daher nicht mit Sicherheit feststellen. Klar und eindeutig wurde der Kläger allerdings im Schreiben vom 18.09.2013 darauf hingewiesen, dass ihn gemäß § 60 des Ersten Buch des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil – (SGB I) die Obliegenheit trifft, auf Anforderung Unterlagen vorzulegen, die für das Bestehen oder die Höhe des Anspruchs von Bedeutung sein können. In diesem Schreiben, das keinen Nachweis darüber enthält, wann es abgesandt worden ist, ist dem Kläger eine Frist bis zum 02.10.2013 gesetzt worden. Nachdem auch am 14.10.2013 keine Unterlagen vom Kläger vorgelegt worden sind, erließ die Beklagte den entsprechenden Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid. Die Kammer geht insoweit durchaus von dem vom Bundessozialgericht (BSG) geforderte "Pflichtwidrigkeitszusammenhang" zur Leistungserbringung aus (vgl. dazu BSG Urteil vom 09.02.2006 – B 7a AL 58/05 R = juris Rn. 17; Waschull, in: LPK-SGB X, 3. Aufl. 2011, § 48 Rn. 64).
Voraussetzung für die Aufhebung eines – ursprünglich rechtmäßigen - Verwaltungsaktes nach § 48 SGB X ist aber nach Abs. 1 Satz 1, dass eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eingetreten ist.
Die objektive Beweislast bzw. Feststellungslast für die wesentliche Änderung trägt – nach allgemeiner (sozial-)verwaltungsgerichtlicher Dogmatik - derjenige, der sich darauf beruft (vgl. hierzu schon BSG Urteil vom 24.10.1957 – 10 RV 945/55 = juris ; vgl. auch BSG Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 89/12 R = juris; Steinwedel, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, 76. Erg.-Lieferung Dezember 2012, § 48 Rn. 23; Schütze, in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010. § 48 Rn. 9; Merten, in: Hauck/Noftz, SGB X, Erg.-Lieferung 3/13 Dezember 2013, § 48 Rn. 29). Dies ist vorliegend die Beklagte.
Ist die wesentliche Änderung nachgewiesen, käme – beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 – eine Aufhebung in Betracht, s o w e i t der Betroffene der durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen nicht nachgekommen ist.
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte das Vorliegen einer wesentlichen Änderung weder dem Grunde nach, noch der Höhe nach nachgewiesen. Die Beklagte hatte zum Zeitpunkt der Entscheidung (noch) keine Kenntnisse ob – und ggf. in welchem Umfang – eine Änderung der Einkommensverhältnisse beim Kläger vorgelegen hat. Sie schließt aus der Nichtvorlage der erbetenen Unterlagen vielmehr, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Kinderzuschlag im streitigen Zeitraum nicht vorgelegen haben. Damit geht die Beklagte von einer Beweislastumkehr dergestalt aus, dass nunmehr nicht sie nachweisen muss, dass und in welcher Höhe die Voraussetzungen für die Bewilligung von Kinderzuschlag nicht mehr vorliegen. Die Beweislast, dass die Voraussetzungen weiterhin vorliegen, treffe nun vielmehr den Kläger.
Nun ist in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in bestimmten Fallkonstellationen durchaus eine Beweislastumkehr anerkannt worden. Dies waren in der Tat auch Fälle, in denen der Gegner der beweisbelasteten Partei den Beweis vereitelt oder erschwert oder die Beweisführung unmöglich ist, weil die zu beweisenden Tatsachen sich im Bereich des Gegners abgespielt haben und dieser an der ihm möglichen Sachverhaltsaufklärung nicht oder nicht rechtzeitig mitgewirkt hat (vgl. etwa BSG Urteil vom 07.07.2005 – B 3 P 8/04 R = juris; auch BSG Urteil vom 02.09.2004 – B 7 AL 88/03 = juris). So etwa ausdrücklich in einem solchen Fall, in dem der Kläger bei Antragstellung Angaben, die in seiner Verantwortungssphäre lagen bei Antragstellung nicht angegeben hatte und diese nun – nach gewisser Zeit – nicht mehr aufklärbar waren (vgl. BSG Urteil vom 24.05.2006 B 11a AL 7/05 R = juris Rn. 33). Das Bundessozialgericht hat in diesen Fällen nach Auffassung der Kammer aber hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es sich hierbei aber nur um besonders gelagerte Einzelfälle handeln kann.
Eine entsprechende Sonderkonstellation liegt hier nach Auffassung der Kammer hier nicht vor.
Die Beklagte hat im vorliegenden Fall mit Bescheid vom 22.11.2012 dem Kläger aufgrund dessen Angaben für seine Kinder für einen Zeitraum von insgesamt zwölf Monaten Leistungen unter dem "Vorbehalt der Rückforderung" (dazu bereits oben) in Höhe von monatlich 280,00 EUR bewilligt. Nach Auffassung der Kammer war – bei erkennbar unzureichender Darlegung der Einkommensverhältnisse – eine Bewilligung für einen solch langen Zeitraum nicht zwingend. Die Beklagte hat damit nach Auffassung der Kammer mit zu dem Dilemma beigetragen, in dem sie sich zum Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung befand. In einer solchen Situation erscheint die Annahme einer Beweislastumkehr der Kammer nicht angezeigt.
Die Beklagte hat somit schon die Änderung der wesentlichen Verhältnisse nicht nachgewiesen. Vor diesem Hintergrund scheitert auch die Aufhebung auf Grundlage etwa von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X. Die Anwendung von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X scheidet ebenfalls aus. Der Kläger hat nicht etwa grob fahrlässig verkannt, dass er keinen Anspruch mehr hatte.
Die Aufhebung des Bescheides war damit rechtwidrig. Eine Rückforderung nach § 50 Abs. 1 SGB X kam damit auch nicht in Betracht.
Dies wäre nach Auffassung der Kammer im Rahmen der vom Kläger angestrengten Überprüfung nach §§ 11 Abs. 4 BKGG i.V.m. § 44 SGB X zu berücksichtigenden gewesen. Es handelte sich insoweit um eine falsche Rechtsanwendung durch den Beklagten. Auf eine wie auch immer geartete Mitverantwortung des Klägers kommt es insoweit nicht an.
Selbst wenn aber die Aufhebungsentscheidung dem Grunde nach zunächst recht-mäßig gewesen sein sollte, so ergibt sich aus den der Beklagten seit November 2013 vorliegenden Unterlagen, dass die Annahme der Beklagten, der Kläger habe keinen Anspruch auf Kinderzuschlag, ebenfalls unzutreffend ist. Die Beklagte ist daher bei ihrer Entscheidung – unabhängig von der falschen Rechtsanwendung – auch von einem falschen Sachverhalt ausgegangen. Hinsichtlich dieses Sachverhalts vertritt sie nun die Auffassung, dies habe der Kläger zu vertreten, was die Beklagte nach § 11 Abs. 4 BKGG berechtige, die Rücknahme des streitigen Bescheides für die Vergangenheit abzulehnen.
Unabhängig von der oben aufgeworfenen Frage, ob die insoweit in den Durchführungsanweisungen enthaltenen ermessensleitenden Erwägungen, tatsächlich für Fälle des Kinderzuschlags sach- und verfassungsgerecht sind, entbehren die hier in Rede stehenden Bescheide aber offensichtlich auch jedweder Ermessensausübung. Auf die Notwendigkeit der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens weisen aber auch die Durchführungsanweisungen ausdrücklich hin.
Die Begründung des Bescheides vom 06.03.2015 lautet:
"Weder aus Ihrem Vorbringen noch aus den hier vorhandenen Unterlagen sind Anhaltspunkte erkennbar, wonach die im oben genannten Bescheid getroffene Entscheidung fehlerhaft sein könnte. Der Bescheid bleibt daher vollinhaltlich bestehen und wird nicht zurückgenommen. Ihr Antrag auf Neubescheidung wird daher abgelehnt."
Hier ist nicht im Ansatz zu erkennen, dass der Verfasser des Bescheides bei dessen Erlass das Bestehen von Ermessen nach § 11 Abs. 4 BKGG erkannt, geschweige denn ausgeübt hat (zum Ermessen, dessen Ausübung und Ermessensfehlern vgl. etwa Dörr/Franke, Sozialverwaltungsrecht, 2 Aufl. 2006, Kap. 3 II; Bull/Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht mit Verwaltungslehre, 8. Aufl. 2009, Rn. 584 ff.; Erich-sen/Ehlers [Hrsg.], Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2005, § 10 V 3). Es wird zwar zumindest auf die Vorschrift des § 11 Abs. 4 BKGG verwiesen. Dieser Verweis auf eine Norm, aus der sich die Notwendigkeit der Ausübung von Ermessen ergibt, reicht freilich nicht aus. Im Widerspruchsbescheid vom 14.04.2015 wird dann nicht einmal mehr die Norm des § 11 Abs. 4 BKGG genannt, sondern allein auf die Tatbestandsvoraussetzungen des § 44 SGB X verwiesen. Auch hier wird lapidar erklärt, der Kläger habe nichts vorgebracht, was für die Unrichtigkeit der Entscheidung sprechen würde. Es ergäben sich auch keine neuen Erkenntnisse, die dafür sprächen, dass die Entscheidung falsch sei, weswegen die Beklagte die sachliche Überprüfung des Bescheides vom 14.10.2013 habe ablehnen dürfe. Auch hier fehlt jeder Hinweis auf das Bestehen oder Ausüben von Ermessen. Schon aus diesem Grund wäre, selbst unterstellt die Argumentation der Beklagten wäre zutreffend, der angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides aufzuheben gewesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
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