S 13 KR 379/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 379/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 263/16
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf operative Ganzkörperstraffung ihrer Haut zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Die 0000 geborene Klägerin hatte Ende 2007 ein Körpergewicht von 180 kg bei einer Größe von 170 cm. Dies entsprach einem BMI (Body-Mass-Index) von 62,3. Durch Ernährungsumstellung und sportliche Aktivitäten nahm sie 95 kg ab und wog im April 2015 nur noch 85 kg (BMI: 29,4). Durch die Gewichtsreduktion kam es zu einem generalisierten Hautüberschuss mit herabhängender Haut an Ober- und Unterbauch, Brust, Armen, Oberschenkeln und Gesäß. Dadurch bedingt kam es zu vermehrtem Schwitzen, ständiger Feuchtigkeitsansammlung mit Ekzemen und Hautentzündungen im Sinne von Intertrigo im Bereich der Haut-Umschlagfalten, hygienischen Problemen im Alltag, Schamgefühl mit Libidoverlust, Problemen beim Sport und bei der Bekleidungsausstattung (Bericht der Klinik für Plastische und Ästhetische Chirurgie des Luisenhospitals Aachen vom 24.04.2015). Nach eigenen Angaben war die Klägerin wegen der Hautirritationen einmal beim Hautarzt; die weiteren Verordnungen von Cremes, Pudern und (Pilz-)Salben erfolgten durch den Hausarzt.

Am 28.05.2015 beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten für eine operative Ganzkörperstraffung/Fettschürzenoperation in mehreren Schritten. Sie legte hierzu den Bericht der Ärzte des Luisenhospitals vom 24.04.2015 vor, in dem diese eine gebietsbezogene Entfernung der Hautüberschüsse in mehreren operativen Schritten als "alleinige sinnvolle Behandlungsmaßnahme" ansahen, für die "eine eindeutige medizinische Indikation" gegeben sei. Desweiteren legte die Klägerin Atteste der Allgemeinmediziner Dr. P. vom 16.03.2015 und Dr. I. vom 31.03.2015 vor, in denen die Operation "aus psychischen und dermatologischen Gründen" befürwortet wurde, und überreichte Lichtbilder ihres Körpers.

In einem von der Beklagten eingeholten Gutachten des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vom 18.06.2015 stellte Dr. F. nach Untersuchung der Klägerin fest, die bei dieser bestehenden Hautweichteilüberschüsse erreichten kein krankhaftes Ausmaß; es würden dadurch weder funktionelle Defizite noch hautärztlich therapierefraktäre Hautentzündungen verursacht; sie führten auch nicht zu einer Entstellung. Seelische Beschwerden sollten mit den Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie, nicht jedoch mit operativen Eingriffen an der Körperkontur behandelt werden. Der MDK verwies auf die sozialgerichtliche Rechtsprechung verschiedener Landessozialgerichte und des Bundessozialgerichts.

Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Antrag durch Bescheid vom 19.06.2015 ab.

Dagegen erhob die Klägerin am 07.07.2015 Widerspruch. Sie legte hierzu ärztliche Bescheinigungen ihrer behandelnden Frauenärztin Dr. C. vom 31.07.2015, der Hautärztin Dr. L. vom 25.08.2015, der Ärzte des Luisenhospitals vom 17.08.2015 und des Allgemeinmediziners Dr. P. vom 16.07.2015 vor, in denen diese die operativen Maßnahmen befürworteten. Die Klägerin meinte, es handele sich um einen medizinisch notwendigen Eingriff, nicht um eine kosmetisch begründete Maßnahme.

In einem weiteren von der Beklagten veranlassten MDK-Gutachten vom 17.09.2015 kamen Dr. N. und Dr. G. zu keiner anderen Beurteilung als das Vorgutachten. Die MDK-Ärztinnen führten aus, zum Zeitpunkt der Untersuchung hätten Hautreizungen unter den Brüsten sowie im Bereich der Oberarme, der Bauchfalte und der Oberschenkel nicht bestanden; im Übrigen seien solche gegebenenfalls behandelbar; es hätten sich keine Hinweise auf ein therapierefraktäres Ekzem im Bereich der Hautfalten ergeben.

Darauf wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 09.11.2015 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 11.12.2015 Klage erhoben. Sie verweist auf das Attest des Luisenhospitals vom 24.04.2015. Sie meint, die Beklagte gehe rechtsirrig davon aus, dass die Krankheit, für welche die Ganzkörperstraffung verlangt werde, die dermatologische und/oder die psychologische Problematik sei. Tatsächlich sei die durch die Ganzkörperstraffung zu behandelnde Krankheit aber die Adipositas; diese sei erst dann überwunden, wenn auch alle Folgeerscheinungen mit den medizinisch notwendigen Maßnahmen beseitigt seien. Die Klägerin räumt ein, dass krankhaftes Schwitzen und rezidivierende Hauterkrankungen zwar dermatologisch behandelt und psychologischen Folgeerscheinungen auf therapeutischem Wege begegnet werden könnten. Dadurch würden aber nur die Symptome behandelt, nicht jedoch die Ursachen beseitigt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.06.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.11.2015 zu verurteilen, ihr operative Ganzkörperstraffungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung. Eine Indikation für die Hautstraffungsoperationen bestehe nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine operative Straffung der Haut im Bereich des Bauches, der Oberarme und der Oberschenkel zu Lasten der GKV.

Gem. § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte An-spruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung setzt also eine "Krankheit" voraus. Damit wird in der Rechtsprechung ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand umschrieben, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (BSG, Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 3/03 R = BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 3 m.w.N.). Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt (BSG, Urteil vom 28.02.2008 - B 1 KR 19/07 R = SozR 4-2500 § 27 Nr. 14 m.w.N.).

Entgegen der Auffassung der Klägerin besteht derzeit keine krankheitswertige Adipositas, der durch eine Ganzkörperstraffung begegnet werten könnte und müsste. Die bei der Klägerin infolge der Reduzierung des Körpergewichts um 95 kg entstandenen Hautlappenüberschüsse in mehreren Bereichen des Körpers, teilweise im Sinne sogenannter "Fettschürzen", können schon deshalb nicht als behandlungsbedürftige Krankheit bewertet werden, weil damit keine körperliche Fehlfunktion verbunden ist (vgl. hierzu Urteile der Kammer vom 08.09.2009 - S 13 KR 85/09 – und vom 03.08.2010 – S 13 KR 162/09 - , LSG NRW Urteil vom 08.05.2008 - L 5 KR 91/07 -; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16.11.2006 - L 4 KR 60/04 -; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.01.2006 - L 5 KR 65/05 -; Sächsisches LSG, Urteil vom 23.03.2005 - L 1 KR 24/04 -; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.07.2004 - L 11 KR 896/94 -).

Eine Regelwidrigkeit und damit eine Krankheit ließe sich allenfalls in Bezug auf Hautveränderungen (Ekzem/Rötung/Pilzbildung) begründen, sofern diese durch überhängende Hautfalten hervorgerufen würden, wie die Klägerin und ihre Ärzte dies angesprochen haben. Solche Hautveränderungen führen jedoch nicht dazu, dass die beantragten operativen Eingriffe vorgenommen werden müssten; denn sie sind dermatologisch behandelbar. Die Klägerin hat selbst eingeräumt, dass gegebenenfalls auftretende Hautreizungen/Hautirritationen dermatologisch durch Pflege, Cremes, Puder, Salben und entsprechende Hygiene behandelt werden können. Es ist weder dargelegt noch aus den Arztberichten ersichtlich, dass bei ihr eine therapieresistente Hauterkrankung durch die Hautfalten vorliegt.

Soweit die Ärzte und die Klägerin eine psychische Belastung durch die erschlaffte Haut ("Schamgefühl mit Libidoverlust", "psychisch durch die Fettschürzen massivst beeinträchtigt") geltend machen, vermag dies eine operative Ganzkörperstraffung ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Denn nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteile vom 19.10.2004 und 28.02.2008, a.a.O.) ist derartigen Belastungen nicht mit chirurgischen Eingriffen in eine an sich gesunde Körpersubstanz, sondern mit Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu begegnen (ebenso in Bezug auf eine Bauchdeckenplastik: LSG NRW, Urteil vom 08.05.2008 - L 5 KR 91/07; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.01.2006 - L 5 KR 65/05; Sächsisches LSG, Urteil vom 23.03.2005 - L 1 KR 24/04 und LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.07.2004 - L 11 KR 896/04; speziell in Bezug auf eine Bodylift-(Hautstraffungs-)Operation: LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16.11.2006 - L 4 KR 60/04; vgl auch die Urteile der Kammer vom 08.09.2009 – S 13 KR 85/09, vom 03.08.2010 – S 13 KR 162/09 und vom 18.12.2012 – S 13 KR 103/12)).

Die Leistungspflicht der Beklagten lässt sich im Hinblick auf die Hautlappenüberschüsse auch nicht damit begründen, dass die Klägerin wegen einer äußerlichen Entstellung als behandlungsbedürftig anzusehen und die begehrten Straffungsoperationen durchzuführen wären. Die Kammer konnte sich aufgrund der von der Klägerin vorgelegten Fotografien davon überzeugen, dass die überschüssige Haut in keinem Bereich des Körpers entstellend ist. Um eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Anormalität. Vielmehr - so das BSG (Urteil vom 28.02.2008, a.a.O.) - "muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit und damit zugleich erwarten lässt, dass der Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Be-achtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuzie-hen und zu vereinsamen droht, sodass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist ... Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein: Es genügt nicht allein ein markantes Gesicht oder generell die ungewöhnliche Ausgestaltung von Organen, etwa die Ausbildung eines sechsten Fingers an einer Hand. Vielmehr muss die körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden sein, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt". Nach diesen Maßstäben sind nach Überzeugung der Kammer die Hautlappenüberschüsse der Klägerin nicht entstellend. Die Haut hängt zwar vielfach schlaff herunter und Hautfalten bildet Schürzen; diese Erscheinungen können jedoch durch weite Kleidung bedeckt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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