S 15 P 99/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 15 P 99/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 26.02.2015 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 07.07.2015 in der Gestalt des Wider- spruchsbescheides vom 26.08.2015 verurteilt, die Kosten für den Einbau einer Duschkabine und einer Thermostatarmatur nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu übernehmen. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte.

Tatbestand:

Streitig ist die Übernahme der Kosten für den Einbau einer Duschkabine und einer Thermostatarmatur als wohnumfeldverbessernde Maßnahmen.

Die im Jahre 0000 geborene, unter Betreuung stehende Klägerin ist bei der Beklagten pflegeversichert. Sie leidet unter fortgeschrittener Demenz mit Gedächtnis- und Orientierungsstörungen, regelmäßiger Harn- und Stuhlinkontinenz, arterieller Hypertonie, Herz-rhythmusstörungen, mäßiggradiger Bewegungseinschränkung beider Schulter-, Hüft- und Kniegelenke sowie der Lendenwirbelsäule, leichtgradiger Spastik in beiden Ellenbogengelenken und gelegentlichem Schwindel. Gemeinsam mit ihrem Ehemann bewohnt sie eine Mietwohnung im Souterrain eines ihrem Sohn gehörenden Zweifamilienhauses. Seit dem 01.03.2015 bezieht sie von der Beklagten Leistungen wegen Schwerstpflegebedürftigkeit nach Maßgabe der Pflegestufe III (gerichtlicher Vergleich vom 13.10.2016 im Verfahren S 15 P 98/15). Am 09.02.2015 beantragte der Betreuer der Klägerin bei der Beklagten als Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes den Einbau einer bodengleichen Dusche, da die bisherigen Wohnverhältnisse mit Rollstuhl nicht befahrbar seien und die Einstiegshöhe 35 cm betrage. Er fügte ein Angebot der Firma Rible über 3.009,74 EUR und des Fliesenlegermeisters Königs über 678,30 EUR bei. In einer Stellungnahme nach Aktenlage befürwortete der Sozialmedizinische Dienst (SMD) der Beklagten den Einbau einer bodengleichen Dusche und eines Haltegriffes; die übrigen Maßnahmen im Kostenvoran-schlag seien nicht erforderlich (Duscharmatur und Klappsitz) bzw. nicht pflegeerleichternd (Duschkabine). Mit Bescheid vom 26.02.2015 gewährte die Beklagte einen Zuschuss in Höhe von 1.871,89 EUR, wobei die veranschlagte Duscharmatur einschließlich der Thermostatarmatur, ein Eckschwammkorb, ein Duschklappsitz und die Duschkabine nicht berücksichtigt wurden.

Auf den Widerspruch des Betreuers der Klägerin fand am 06.05.2015 ein Hausbe-such durch den SMD der Beklagten statt. Hierbei wurde festgestellt, dass die Pflegesituation durch die Installation eines Duschklappsitzes verbessert werde. Dies gelte jedoch nicht für eine Duschkabine, da diese eine Einengung und Behinderung des Pflegebereichs in der Dusche bewirke. Der durch die Duschkabine erzielbare Spritzschutz stelle keine Verbesserung der Pflegesituation dar. Das geplante Anbringen einer Thermostatarmatur statt der vorhandenen Einhebelmischarmatur ohne thermostatische Regelung stelle den Austausch vorhandener sanitärer Einrichtungen gegen zeitgemäßere Produkte dar, der nicht zuschussfähig sei. Da das Duschen vollständig durch einen Pflegedienst übernommen werde, könne erwartet werden, dass zuverlässig verhindert werde, dass die Klägerin unbeabsichtigt die Einhebelmischarmatur betätige und eine zu heiße Wassertemperatur verursache, zumal die extrem antriebsgeminderte und verlangsamte Klägerin nach gutachterlicher Einschätzung kaum zu einer solchen Maßnahme in der Lage sei. Bei dem beantragten Eckschwammkörbchen handele es sich um einen nicht zuschussfähigen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens.

Durch Teilabhilfebescheid vom 07.07.2015 bewilligte die Beklagte weitere Kosten für den Einbau eines Duschklappsitzes; insgesamt wurde ein Betrag in Höhe von 2.420,82 EUR übernommen (Bescheid vom 12.01.2016). Den weitergehenden Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten durch Widerspruchsbescheid vom 26.08.2015 als unbegründet zurück. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, bei dem Eckschwammkorb handele es sich um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, die beantragte Duschkabine bewirke eine Einengung und Behinderung des Pflegebereichs in der Dusche und die Thermostatarmatur stelle eine Modernisierungsmaßnahme dar. Das auch im Bereich der Pflegeversicherung geltende Wirtschaftlichkeitsgebot gestatte es nicht, solche Maßnahmen zu bezuschussen, die allgemein der Steigerung des Wohnkomforts dienten oder die ein Haus- oder Wohnungsbesitzer auch ohne Vorliegen von Pflegebedürftigkeit vorgenommen hätte.

Hiergegen richtet sich die am 22.09.2015 erhobene Klage, mit der nur noch die Be-zuschussung der Duschkabine und der Thermostatarmatur begehrt wird. Die Klägerin trägt vor, die Thermostatarmatur stelle keine Modernisierungsmaßnahme dar, sondern sei dringend erforderlich, um sie vor Verletzungen zu schützen. Da sie, um sich abzustützen, immer wieder nach der nächstbesten Möglichkeit greife um Halt zu finden, bestehe die große Gefahr, dass sie nach dem derzeit vorhandenen Mischhebel greife und es durch ungewollte Einstellungen zu Verbrühungen komme. Die Mischbatterie befinde sich unmittelbar hinter dem Duschklappsitz, so dass sie sich nur ungünstig dagegen lehnen müsse, um die Temperatur bereits zu verstellen. Da sie stuhlinkontinent sei, werde sie im Bedarfsfall im Stehen abgeduscht. Beim Hinsetzen greife sie unwillkürlich nach der Mischbatterie und verstelle die Wassertemperatur. Die beantragte Duschkabinenabtrennung sei keineswegs für die Pflege hinderlich. Die beantragte Duschkabine sei weiträumig zu öffnen, so dass auch das Pflegepersonal mit eintreten könne. Gleichzeitig verhindere die Duschkabine, dass das Wasser aus der Dusche sich im Badezimmer verteile und hierdurch sowohl die Fliesen unkontrollierbar rutschig mache als auch das Mobiliar beschädige. Ein von der Beklagten vorgeschlagener Duschvorhang beeinträchtige die Pflege, da ein solcher Vorhang sich beim Duschen aufgrund thermischer Gegebenheiten in die Duschkabine nach innen ziehe und an den Pflegepersonen festklebe. Durch die fehlende Duschabtrennung seien bereits die Türzargen und das Badmobiliar durch die ständige Feuchtigkeit angegriffen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 26.02.2015 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 07.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.08.2015 zu verurteilen, die Kosten für den Einbau einer Duschkabine und einer Thermostatarmatur als weitere Maßnahmen der Wohnumfeldverbesserung zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid. Im Rahmen des Klageverfahrens hat sie sich bereit erklärt, weitere Kosten in Höhe von 55,- EUR für eine Duschwinkelstange inklusive Befestigungsmaterialien und einen Duschvorhang zu übernehmen.

Das Gericht hat im gleichzeitig verhandelten Parallelverfahren S 15 P 98/15 Beweis erhoben über den Hilfebedarf der Klägerin seit März 2015 durch Vernehmung der Altenpflegerin Monique Schiffer als Zeugin. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Anlage 1 zur Sitzungsniederschrift verwiesen.

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten – insbesondere die vom Betreuer der Klägerin zur Verfügung gestellten Fotos des Bades – und den der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese haben vorgelegen und waren, soweit von Bedeutung, Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist auch sachlich begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 26.02.2015 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 07.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.08.2015 entspricht nicht der Sach- und Rechtslage und ist daher rechtswidrig. Durch ihn wird die Klägerin beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), weil sie Anspruch auf die Übernahme weiterer Kosten für den Einbau einer Duschkabine und einer Thermostatarmatur als Maßnahme der Verbesserung ihres individuellen Wohnumfeldes hat.

Gemäß § 40 Abs. 4 Satz 1 SGB XI können subsidiär finanzielle Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes des Pflegebedürftigen gewährt werden, wenn dadurch im Einzelfall die häusliche Pflege ermöglicht oder erheblich erleichtert oder eine möglichst selbstständige Lebensführung wiederhergestellt wird. Die Zuschüsse dürfen einen Betrag in Höhe von 4.000,- EUR je Maßnahme nicht übersteigen (§ 40 Abs. 4 Satz 2 SGB XI).

Unzweifelhaft sollen die beantragten Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes der Klägerin der Ermöglichung bzw. erheblichen Erleichterung ihrer häuslichen Pflege dienen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zielt das Tatbestandsmerkmal "Ermöglichung oder erhebliche Erleichterung der häuslichen Pflege" darauf ab, die Pflegebedürftigen möglichst lange in der häuslichen Wohnumgebung belassen und eine Heimunterbringung abwenden zu können (BSG, Urteil vom 17.07.2008 – B 3 P 12/07 RSozR 4-3300 § 40 Nr. 9). Eine Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes "ermöglicht" die häusliche Pflege, wenn sie objektiv erforderlich ist, um die Pflege im häuslichen Umfeld erst durchführen zu können (BSG SozR 3-3300 § 40 Nr. 4). "Erheblich erleichtert" wird die häusliche Pflege, wenn ohne Durchführung der zu bezuschussenden Maßnahmen eine Überforderung der Pflegeperson droht und deshalb eine stationäre Unterbringung des Pflegebedürftigen in Betracht zu ziehen ist. Maßstab für die Beurteilung der Erheblichkeit der mit der Maßnahme angestrebten Erleichterung der Pflege ist, ob damit die Pflege in zentralen Bereichen des Hilfebedarfs deutlich und spürbar ein-facher wird (BSG, Urteil vom 25.11.2015 – B 3 P 3/14 R – SozR 4-3300 § 40 Nr. 13). Aus der Perspektive des Pflegebedürftigen kann eine erhebliche Pflegeerleichterung vorliegen, wenn er sich bei der Pflege weniger anstrengen muss oder eine für ihn und die Pflegeperson potentiell gefahrvolle Situation vermieden wird (BSG, Urteil vom 25.11.2015 a.a.O.).

Der beantragte Austausch der vorhandenen Einhebelmischbatterie durch eine Thermostatarmatur stellt entgegen der Auffassung der Beklagten keine von der Pflegeversicherung nicht zu übernehmende Modernisierungsmaßnahme dar, sondern ist zur Weiterführung der Pflege der Klägerin im häuslichen Umfeld erforderlich. Denn dadurch wird verhindert, dass die Klägerin bei unwillkürlichen Bewegungen auf der Suche nach Halt die Wassertemperatur verstellt und der Gefahr von Verbrühungen und entsprechenden Ausweichbewegungen mit potentiellen Stürzen ausgesetzt ist. Dies folgt zur Überzeugung der Kammer aus den Schilderungen des Ehemannes der Klägerin und den eingereichten Fotos über die Ausstattung der Dusche. Da die Klägerin wegen ihrer Inkontinenz im Stehen abgeduscht wird und sich die vorhandene Mischbatterie unmittelbar über bzw. neben dem Duschklappsitz befindet, besteht eine große Gefahr, dass die Klägerin zum Festhalten nach der Einhebelmischbatterie anstatt nach dem weiter außen angebrachten Haltegriff greift. Soweit der SMD in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 06.05.2015 ein solches Verhalten wegen der Antriebsminderung und Verlangsamung der Klägerin für unwahrscheinlich gehal-ten hat, ist diese Einschätzung durch das Ergebnis der Beweisaufnahme widerlegt. Die Zeugin Schiffer, die die Klägerin seit Januar 2015 aus der Tagespflegeeinrich-tung kennt, hat bekundet, dass die Klägerin einen ständigen Bewegungsdrang habe und häufig hinfalle. Außerdem dürfte es bereits ausreichen, dass die Klägerin sich während des Duschvorganges beim Sitzen unglücklich nach hinten anlehnt, um die Temperatur bei der vorhandenen Mischbatterie bereits zu verändern.

Durch die beantragte Duschkabine wird entgegen der Auffassung der Beklagten die Pflege nicht erschwert, sondern erleichtert. Ausweislich der vorgelegten Unterlagen ist die bodengleiche Dusche so groß, dass die Pflegeperson die Dusche gemeinsam mit der Klägerin betreten und die Klägerin duschen kann. Die vorgesehene Duschkabine ist weiträumig zu öffnen, so dass insoweit keine Beeinträchtigung entsteht. Die Duschkabine ist darüber hinaus erforderlich, um die Klägerin vor Stürzen auf dem nassen Fußboden zu bewahren. Der von der Beklagten vorgeschlagene Duschvorhang kann diesen Zweck nicht erfüllen, da er sich einerseits aufgrund der thermischen Verhältnisse nach innen ziehen und an der Pflegeperson festkleben und andererseits den Austritt des Wassers auf den Fußboden nicht verhindern kann. Denn eine Möglichkeit, den Duschvorhang zum Boden hin zu befestigen fehlt, da keine Duschtasse vorhanden ist.

Die Zuschussgewährung für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes steht nach § 40 Abs. 4 Satz 1 SGB XI im Ermessen der Pflegekassen, weil sie bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen den Zuschuss gewähren "können", aber nicht müssen (Udsching, SGB XI, 4. Aufl. 2015, § 40 Rdnr. 32). Das Ermessen bezieht sich sowohl auf das "Ob" der Bezuschussung als auch auf deren Höhe. Gleichwohl konnte die Kammer vorliegend eine Verurteilung der Beklagten zur Übernahme der beantragten Kosten nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen, d.h. bis zu einem Gesamtbetrag in Höhe von 1.579,18 EUR (4.000,- EUR - 2.420,82 EUR) aussprechen. Durch die Übernahme der Kosten für den Einbau einer bodengleichen Dusche und eines Duschklappsitzes hat die Beklagte das ihr zustehende Ermessen dahingehend ausgeübt, dass sie grundsätzlich zur Finanzierung der kompletten Um-baumaßnahme bereit ist, wenn die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Sie hat die Zahlung für die Thermostatarmatur und die Duschkabine allein aus Rechtsgründen abgelehnt, weil es sich ihrer Auffassung nach hierbei nicht um pflegeerleichternde Maßnahmen handelt. Entsprechend hat sie ihre Ablehnungsentscheidung allein auf die negative Beurteilung des SMD gestützt. Damit hat sie schlüssig zu erkennen gegeben, dass sie im Falle der abweichenden gerichtlichen Bewertung kein weiteres Leistungshindernis sieht (vgl. BSG, Urteil vom 25.11.2015 a.a.O.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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