Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 14 KR 501/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 13.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2017 verpflichtet, die Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Krankenversicherung für die Zeit ab 01.10.2016 bis zum 30.04.2017 festzustellen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Befreiung von der Pflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung für die Zeit ab Oktober 2016.
Leistungen der Beklagten hat der Kläger im streitbefangenen Zeitraum nicht in Anspruch genommen.
Der Kläger ist als Arzt an der Universitätsklinik in B. beim Land O. beschäftigt.
Bevor er gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) von der gesetzlichen Kranken – und Pflegeversicherungspflicht befreit und bei der Krankenkasse C. privat versichert war, war er - bis Ende 2014 - bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert.
Ab dem 22.10.2016 bis zum 01.05.2017 nahm der Kläger nach der Geburt seines ersten Kindes Elternzeit mit einer Teilzeitbeschäftigung von 25 % in Anspruch. Sein Bruttoeinkommen belief sich im Oktober 2016 auf 3.489,53 EUR und ab November 2016 auf weniger als 1.200 EUR monatlich.
Am 16.12.2016 teilte das Landesamt für Besoldung und Versorgung (LBV) dem Kläger mit, dass die Versicherungspflichtgrenze ab Januar 2017 von jährlich 56.250 EUR auf 57.600 EUR erhöht werde. Da das derzeitige Einkommen ohne Familienzuschläge ab Januar 2017 unter der neuen Versicherungspflichtgrenze liege, sei er ab diesem Zeitpunkt versicherungspflichtig in der gesetzlichen Kranken – und Pflegeversicherung. Eine Befreiung von der eintretenden Versicherungspflicht sei nicht möglich. Daher werde er bei seiner Krankenkasse als Pflichtmitglied angemeldet. Die Arbeitnehmerbeiträge zur Kranken – und Pflegeversicherung würden vom LBV einbehalten und zusammen mit dem Arbeitgeberanteil an die Krankenkasse abgeführt. In der Folge, noch im Jahr 2016, erkundigte sich der Kläger telefonisch beim LBV, wie weit seine Pflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung reiche. Dabei wurde ihm mitgeteilt, die zum Jahresbeginn 2017 eintretende Versicherungspflicht bestehe für die Elternzeit.
Am 16.01.2017 erhielt die Beklagte durch eine Anmeldung des Arbeitgebers zur Sozialversicherung Kenntnis von der Versicherungspflicht des Klägers als Beschäftigter - ab Januar 2017.
Unter dem 17.01.2017 begrüßte die Beklagte den Kläger aufgrund einer arbeitgeberseitigen Anmeldung und fügte einen "Mitgliedschaftsantrag Berufstätige" für die Zeit ab dem 01.01.2017 bei. Parallel hierzu äußerte eine private Versicherungsmaklerin dem Kläger gegenüber Zweifel am Eintritt einer Versicherungspflicht erst ab Januar 2017, erklärte sich die Auskunft des LBV jedoch damit, dass wohl eine durchschnittliche Berechnung des Jahreseinkommens (2016) vorzunehmen sei. Gleichwohl kontaktierte sie für den Kläger nach dessen Einlassung die Beklagte telefonisch (in deren Verwaltungsakte sich hierüber kein Gesprächsvermerk befindet), bevor der Kläger im Anschluss am 20.02.2017 und 21.02.2017 selbst telefonisch mit der Beklagten in Verbindung trat und nunmehr erstmals Kenntnis von einem Eintritt der Versicherungspflicht zum Oktober 2016 erhielt, ferner davon, dass eine Befreiung von der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht grundsätzlich 3 Monate nach Eintritt der Versicherungspflicht beantragt werden müsse. Die Beklagte übersandte dem Kläger in der Folge einen Antragsvordruck und sagte die Prüfung der Befreiung zu.
Unter dem 10.02.2017 schließlich teilte das Landesamt für Besoldung und Versorgung dem Kläger mit, um weiter in der privaten Krankenversicherung während der Teilzeit in der Elternzeit zu bleiben, könne er sich von der Krankenversicherungspflicht während der Elternzeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB V befreien lassen. Er möge sich von der gesetzlichen Krankenkasse einen Befreiungsbescheid ausstellen lassen. Sobald dieser vorliege, könne das LBV die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung wieder rückgängig machen.
Unter dem 25.02.2017 übersandte der Kläger der Beklagten den ausgefüllten Vordruck zum Antrag einer Befreiung von der Krankenversicherungspflicht unter Vorlage des Schreibens des LBV, nachdem die Versicherungspflicht erst zum Januar 2017 beginnen sollte. Er bitte nochmals freundlichst zu beachten, dass er die vorgeschriebenen Fristen nicht habe einhalten können.
Unter dem 08.03.2017 forderte das LBV für die Zeit von Oktober bis Dezember 2016 die Beiträge zur gesetzlichen Kranken – und Pflegeversicherung, sowie den Zuschuss zur privaten Kranken – und Pflegeversicherung von dem Kläger zurück; insgesamt 892,81 EUR. Die Beklagte habe mitgeteilt, dass der Kläger seit dem 01.10.2016 zur Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung anzumelden sei
Mit Bescheid vom 21.03.2017 begrüßte die Beklagte – auch im Namen der Pflegeversicherung - den Kläger als ihr Mitglied in der gesetzlichen Kranken – und Pflegeversicherung seit Oktober 2016.
Im Juni 2017 erinnerte der Kläger an seinem Antrag auf Befreiung von der Krankenversicherungspflicht. Mit Bescheid vom 13.06.2017 teilte die Beklagte dem Kläger mit, in der Zeit während der Reduzierung der Arbeitszeit sei leider eine Befreiung von der Versicherungspflicht nicht möglich, da der Antrag nicht innerhalb von drei Monaten nach Beginn der Versicherungspflicht ab dem 01.10.2016 gestellt worden sei.
Hiergegen legte der Kläger über seinen Bevollmächtigten am 27.06.2017 Widerspruch ein. Dem Kläger sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Mit Schreiben vom 14.07.2017 informierte die Beklagte den Bevollmächtigten des Klägers über ihre Ansicht, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Rahmen des § 8 Abs. 2 SGB V nach dem Gemeinsamen Rundschreiben 81a vom 01.01.1981 zu § 27 SGB X nicht möglich sei. Nach der Rechtsprechung des BSG komme eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand selbst dann nicht in Betracht, wenn das Fristversäumnis auf der Unkenntnis des Versicherten von der Befreiungsregelung beruhe. Der Kläger habe seine Tätigkeit in Elternzeit ab dem 01.10.2016 nicht in vollem Umfang aufgenommen. Somit trete Versicherungspflicht in der Krankenversicherung ab diesem Zeitpunkt ein.
Unter dem 17.08.2017 erwiderte der Bevollmächtigte des Klägers, aus den in Bezug genommenen Entscheidungen des BSG lasse sich für den vorliegenden Fall nicht ableiten, dass eine Wiedereinsetzung völlig und ohne jede Einschränkung ausgeschlossen sei. Das BSG habe ausdrücklich festgehalten, dass die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung bei einer Frist des materiellen Sozialrechts zwar begrenzt, jedoch nicht bedeutungslos sei - zumindest für den Fall, dass der Antragsteller nicht wegen einer Gesetzesunkenntnis, sondern aus anderen Gründen an der Einhaltung der Frist schuldlos verhindert gewesen sei. Eben dies sei vorliegend der Fall, da der Kläger von seinem Arbeitgeber mit der ersten Lohnabrechnung und auch danach nicht darüber informiert worden sei, dass er mit Aufnahme seiner Beschäftigung überhaupt der Versicherungspflicht unterlag. Diese Feststellung sei erst durch die Beklagte rückwirkend zum 01.10.2016 getroffen worden, dem Kläger aber sogar noch mit Schreiben des LBV vom 16.12.2016 mitgeteilt worden, dass er erst ab dem 01.01.2017 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung unterliege, eine Befreiung von der eintretenden Versicherungspflicht jedoch nicht möglich sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.10.2017 wies die Beklagte den Widerspruch aus dem mit Schreiben vom 14.07.2017 dargelegten Gründen als unbegründet zurück.
Hiergegen hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 24.11.2017 Klage erhoben. Im Falle des Klägers habe die Verhinderung zur Einhaltung der Frist für den Befreiungsantrag nicht auf der Unkenntnis von der gesetzlichen Regelung, sondern darauf beruht, dass dessen Arbeitgeber noch am 16.12.2016 davon ausgegangen sei, dass der Kläger erst ab dem 01.01.2017 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung unterliege und auch die Beklagte erst im März 2017, nach Prüfung der sozialversicherungsrechtlichen Situation des Klägers, zu dem Ergebnis gekommen sei, dass dieser bereits ab Oktober 2016 dort pflichtversichert sei. Auch aufgrund der Bezügemitteilungen für die letzten Monate des Jahres 2016 sei für den Kläger der Eindruck entstanden, dass er auch nach dem Wechsel in Elternzeit nicht in der gesetzlichen Kranken – und Pflegeversicherung pflichtversichert sei. Dem Kläger sei deshalb Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Ungeachtet dessen sei zu prüfen, ob der Kläger tatsächlich bereits ab Oktober 2016 pflichtversichert sei, oder nicht erst ab Dezember 2016, da er unter Berücksichtigung der Bezüge für die Monate Januar bis November 2016 im Monatsdurchschnitt noch oberhalb der für das Jahr 2016 gültigen Bemessungsgrenze und 56.250 EUR gelegen habe.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2017 zu verpflichten, die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung für die Zeit ab dem 01.10.2016 bis April 2017 festzustellen.
Der Vertreter der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte habe selbst erst verspätet und nach Ablauf der Dreimonatsfrist, nämlich Mitte Januar 2017, durch den Arbeitgeber des Klägers von dessen Versicherungspflicht erfahren. Insofern sei eine rechtzeitige Beratung des Klägers über die Möglichkeit der Befreiung nicht möglich gewesen.
Unerheblich sei nach der Rechtsprechung des BSG, dass der Kläger nicht allein über die Möglichkeit der Befreiung, sondern über das bestehende Pflichtversicherung an sich in Unkenntnis gewesen sei.
Entscheidungsgründe:
A. Klagegegenstand ist allein die Anfechtung der Ablehnung Feststellung der Befreiung von der Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Eine Befreiung von der gesetzlichen Pflegeversicherung ist vom Klagegegenstand nicht erfasst. Bereits der Antrag des Klägers gegenüber der Beklagten war – geleitet durch deren Vordruck – allein auf die Befreiung von der Krankenversicherungspflicht gerichtet. Nachdem Empfängerhorizont waren die ablehnenden Bescheide der Beklagten insofern ebenfalls nur auf die Pflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung bezogen. Während der Ausgangsbescheid vom 13.06.2017 sich diesbezüglich nicht eindeutig verhält, bezieht sich der Widerspruchsbescheid vom 26.10.2017 letztlich eindeutig auf die Befreiung von der Krankenversicherungspflicht zum 01.10.2016. Es wird ausgeführt, die Befreiung von der Krankenversicherungspflicht sei leider nicht möglich. Eine Erweiterung im Klageverfahren war danach von vorne herein nicht mehr möglich. Auch der Klageantrag verhält sich allein zu einer Befreiung von der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht.
Die Pflegekasse bei der Beklagten wird das Ergebnis des Klageverfahrens jedoch nach § 44 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) jedoch von Amts wegen zu berücksichtigen haben (vgl. § 20 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI)). Die in der GKV nach § 8 Sozialgesetzbuch Fünfte Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) erfolgte Befreiung von der Versicherungspflicht (vgl. C.) führt nach dem Grundsatz "Pflegeversicherung folgt Krankenversicherung" auch zum Fehlen der Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung. Die in § 22 SGB XI bestehende eigenständige Regelung über die Befreiung von der Versicherungspflicht gilt insoweit nur für die nach § 20 Abs. 3 SGB XI freiwillig in der GKV Versicherten (Klein in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 2. Aufl. 2017, § 20 SGB XI, Rn. 34)
B. Die Klage ist zulässig. Sie ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (vgl. § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG) statthaft (BSG, Urteil vom 03. Februar 1994 – 12 RK 78/92 –, SozR 3-2500 § 5 Nr 15, SozR 3-2500 § 6 Nr 7, Rn. 15; BSG, Urteil vom 23. Oktober 1996 – 4 RK 1/96 –, BSGE 79, 184-189, SozR 3-2500 § 10 Nr 8, Rn. 17; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 29. März 2017 – L 1 LW 2/14 –, juris). Denn über die Versicherungsfreiheit (nach § 8 Sozialgesetzbuch Fünfte Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V)) hat eine Entscheidung der Krankenkasse zu ergehen. Bei der Befreiung handelt es sich um einen feststellenden konstitutiven Verwaltungsakt (Hampel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 8 SGB V, Rn. 118; Moritz-Ritter, in: Hänlein/Schuler, SGB V. 5. Auflage 2016, § 8, Rn. 15).
C. Die Klage ist auch begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung der Befreiung von der Versicherungspflicht und wird insofern durch den ablehnenden Bescheid der Beklagten seinen Rechten verletzt (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG).
Der Anspruch folgt aus § 8 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 Sozialgesetzbuch Fünfte Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V). Danach wird auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit, wer versicherungspflichtig wird durch Aufnahme einer nicht vollen Erwerbstätigkeit nach § 1 Abs. 6 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes während der Elternzeit; die Befreiung erstreckt sich nur auf die Elternzeit.
Das Befreiungsrecht steht den vor der Elternzeit versicherungsfreien Personen zu. Denn bislang versicherungspflichtige Arbeitnehmer werden nicht durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit versicherungspflichtig. Ihre Mitgliedschaft bleibt vielmehr erhalten, solange nach den gesetzlichen Vorschriften Erziehungsgeld oder Elterngeld bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen wird (§ 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V). Begünstigt werden insbesondere Arbeitnehmer, die vor der Elternzeit wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V) versicherungsfrei waren, dann aber durch Aufnahme einer nicht vollen Erwerbstätigkeit versicherungspflichtig werden. Ihnen sollte ausweislich der Gesetzesbegründung ermöglicht werden, ihren bereits begründeten privaten Krankenversicherungsschutz auch während der Elternzeit fortzuführen (BT-Drs. 10/3792, S. 22; Hampel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 8 SGB V, Rn. 56).
I. Die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes sind erfüllt:
1. Der Kläger nahm in der Zeit ab dem 22.10.2016 bis zum 01.05.2017 Elternzeit gemäß § 1 Abs. 6 Alt. 1 des Bundeselterngeld – und Elternzeitgesetzes, in dem er seine zuvor vollschichtige Erwerbstätigkeit auf 25 % (entsprechend einer Wochenarbeitszeit von 10 Stunden) reduzierte.
2. Hiernach war er als Angestellter gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung. Gemäß § 175 Abs. 3 S. 1, 2 SGB V bestand die Versicherungspflicht bei der Beklagten, da der Kläger seinem Arbeitgeber als zur Meldung verpflichteten Stelle im Sinne des § 175 Abs. 3 S. 1 SGB V i.V.m. § 28 Buchst. a Abs. 1 S. 1 Nr. 18 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften der Sozialversicherung (SGB IV) nicht unverzüglich, binnen spätestens 2 Wochen nach Eintritt der Versicherungspflicht, eine Mitgliedbescheinigung einer anderen gesetzlichen Krankenversicherung vorlegte und der Kläger deshalb bei der Beklagten, bei der zuletzt eine gesetzliche Krankenversicherung bestand, angemeldet worden ist.
Bereits mit Beginn des Monates Oktober 2016 war der Kläger nicht mehr nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V von der Versicherungspflicht befreit. Hiernach sind Arbeiter und Angestellte versicherungsfrei, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze nach den Absätzen 6 oder 7 übersteigt; Zuschläge, die mit Rücksicht auf den Familienstand gezahlt werden, bleiben unberücksichtigt. Für den Kläger ist die Entgeltgrenze des Abs. 6 maßgeblich, da er am 31.12.2002 nicht wegen Überschreitens der seinerzeit geltenden Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei war.
Nach § 6 Abs. 6 SGB V betrug die Jahresarbeitsentgeltgrenze (§ 14 Abs. 1 SGB IV) nach Abs. 1 Nr. 1 im Jahr 2003 45.900 Euro. Sie ändert sich zum 1. Januar eines jeden Jahres in dem Verhältnis, in dem die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Abs. 2 Satz 1 des Sechsten Buches) im vergangenen Kalenderjahr zu den entsprechenden Bruttolöhnen und -gehältern im vorvergangenen Kalenderjahr stehen. Die veränderten Beträge werden nur für das Kalenderjahr, für das die Jahresarbeitsentgeltgrenze bestimmt wird, auf das nächsthöhere Vielfache von 450 aufgerundet. Die Bundesregierung setzt die Jahresarbeitsentgeltgrenze in der Rechtsverordnung nach § 160 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch fest. Im Jahr 2016 lag die Jahresarbeitsentgeltgrenze bei 56.250 EUR jährlich bzw. 4.687,50 EUR monatlich, im Jahr 2017 betrug die Grenze 57.600 EUR jährlich bzw. 4.800 EUR monatlich.
Während der Kläger (seit 2015) die entsprechenden Jahresarbeitsentgeltgrenzen überstieg und nicht gesetzlich pflichtversichert war, erreichte der Kläger sie aufgrund der am 22.10.2017 beginnenden Elternzeit ab Oktober 2016 nicht mehr. Denn bereits im Oktober 2016 erzielte er nur noch ein Bruttoeinkommen i.H.v. 3.489,53 EUR.
Soweit der Bevollmächtigte des Klägers in den Raum gestellt hat, die Versicherungspflicht habe möglicherweise erst ab Dezember 2016 bestanden, weil der Kläger bis dorthin im Jahresdurchschnitt die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschritten habe, ist dem eine Absage zu erteilen.
Das maßgebende regelmäßige Arbeitsentgelt im Sinne des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V, § 14 Abs. 1 SGB IV ist das Arbeitsentgelt, auf das jemand im Laufe des auf den Beurteilungszeitpunkt folgenden Jahres (nicht notwendig des Kalenderjahres) einen Anspruch hat oder das ihm sonst mit hinreichender Sicherheit zufließen wird (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.8.2010, L 4 R 3332/08 -,Rn. 31; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. Februar 2013 – L 8 R 920/10 –, Rn. 89, juris).
Bei einer Unterschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze tritt Krankenversicherungspflicht damit – nach allgemeiner Auffassung – in monatlicher Betrachtung sofort ein, also mit dem Zeitpunkt des Unterschreibens, und nicht erst mit dem Beginn des folgenden Kalenderjahres (BSG, Urteil vom 29. Juni 1993 – 12 RK 48/91 –, BSGE 72, 292-297, SozR 3-2500 § 10 Nr 2, Rn. 19 f. unter Verweis auf st. Rspr.; BSG, Urteil vom 29. Juni 1993 – 12 RK 11/91 –, SozR 3-2200 § 205 Nr 3, Rn. 20 zur Vorgängervorschrift des § 173 e RVG; vgl. BT-Drs 10/3792, S. 22 zu § 22 Nr. 1; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 13. August 2010 – L 4 R 3332/08 –, juris; nachgehend: BSG, Beschluss vom 30. Juni 1965 – GS 2/64 –, BSGE 23, 129, SozR Nr 49 zu § 165 RVO; Gerlach, in: Hauck-Noftz, SGB V, Bd. 2, 6/12, § 6, Rn. 62 - 64; Ulmer in: BeckOK SozR/Ulmer, Stand Juni 2018 SGB V § 6, Rn. 19; Baier, in: Krauskopf, Bd. 1, 11/11, § 6 SGB V, Rn. 61; Simon in: Berchthold/Huster/Rehborn, Gesundheitsrecht, 2. Aufl. 2018, Rn. 15 f.; vgl. ferner: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Juli 2006 – L 5 KR 4868/05 –, Rn. 28, juris). Dies kann im Wege eines Umkehrschlusses aus § 8 Abs. 4 S. 1 SGB V entnommen werden (vgl. Felix in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 6 SGB V, Rn. 32; zu Abs. 4 insgesamt: Peters in: KassKomm, SGB V, Stand Mai 2018, § 6, Rn. 19 f.). Wird die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschritten, endet die Versicherungspflicht hiernach mit Ablauf des Jahres, in dem sie überschritten wird. Für einen Entfall der Versicherungspflicht findet sich gerade keine entsprechende Regelung. Andererseits wäre § 8 Abs. 4 SGB V überflüssig, wenn bereits nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB V eine Entscheidung über die Versicherungspflicht allein zum Jahreswechsel erfolgen würde. Von dem allgemeinen Verständnis gehen auch die Befreiungstatbestände des § 8 Abs. 1 Nr. 2-3 SGB V aus.
II. Der erforderliche Antrag des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB V war deshalb bis zum Ablauf des Monats Dezember 2016 (vgl. § 26 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) i.V.m. 187 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) zu stellen. Denn gemäß § 8 Abs. 2 S. 1 SGB V ist der Antrag innerhalb von 3 Monaten nach Beginn der Versicherungspflicht bei der Krankenkasse zu stellen.
1. Soweit der Kläger den Antrag erst unter dem 25.02.2017 (bzw. frühestens im Rahmen der Telefonate vom 20. und 21.02.2017)bei der Beklagten stellte, war er deshalb offensichtlich verfristet.
2. Dem Kläger war jedoch – entgegen der Auffassung der Beklagten – gemäß § 27 Abs. 1 SGB X Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Nach § 27 Abs. 1 SGB X ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert ist, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen. Gemäß Abs. 2 ist innerhalb von 2 Wochen nach Wegfall des Hindernisses der Antrag zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrages sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies geschehen, kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden. Nach Abs. 5 ist die Wiedereinsetzung unzulässig, wenn sich aus einer Rechtsvorschrift ergibt, dass sie ausgeschlossen ist. Dabei hängt vom Regelungsgehalt im Einzelfall ab, ob der Ausschluss der Wiedereinsetzung vorgesehen ist (BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 4 AS 99/10 R -, juris).
a) Das Rundschreiben der Gesetzlichen Krankenversicherungen 81a Tit. 3 vom 01.01.1981, auf das sich die Beklagte im Widerspruchsverfahren bezogen hat, ist insofern unzutreffend, als dort behauptet wird, nach der Rechtsprechung des BSG sei die Frist aus § 8 Abs. 2 SGB V absolut. Der Rechtssatz des im Widerspruchsbescheid zitierten Urteils des BSG vom 23.02.1977 (BSG, Urteil vom 23. Februar 1977 – 12 RK 2/76 –, Rn. 13, juris), dass gegen die Versäumung einer materiell-rechtlich wirkenden Ausschlussfrist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich sei (vgl. BSG, Urteil vom 10. Juni 1980 – 11 RK 11/79 –, Rn. 14, juris), ist in dieser Generalität (seit Inkrafttreten des SGB X mit seinem § 27) überholt (seit BSG, Urteil vom 25. Oktober 1988 – 12 RK 22/87 –, BSGE 64, 153-159, SozR 1300 § 27 Nr 4, Rn. 19; Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 11. Dezember 2008 – L 1 KR 63/07 –, Rn. 29, juris; Hampel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 8 SGB V, Rn. 114 mit zahlr. weiteren Nachw.; Just, in: Becker/ Kingreen, SGB V, 5. Aufl. 2017, § 8, Rn. 17; Peters, Kasseler Kommentar, 96. Ergänzungslieferung, September 2017, § 8 SGB V, Rn. 52; a. A. Dalichau, in: ders, SGB V, Band 1, Stand 2/2015, § 6, II, 1.)). Dies ergibt sich bereits aus den Ausführungen aus der im Widerspruchsbescheid weiter zitierten Entscheidung des BSG vom 09.02.1993 (BSG, Urteil vom 09. Februar 1993 – 12 RK 28/92 –, BSGE 72, 80-85, SozR 3-1300 § 27 Nr 3, Rn. 18). Das BSG hat in dieser Entscheidung schlicht offen gelassen, ob die Frist, innerhalb derer ein Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner zu stellen ist, dahingehend auszulegen ist, dass eine Wiedereinsetzung generell unzulässig ist (a.a.O. Rn. 19). Eine Wiedereinsetzung ist grundsätzlich auch bei Versäumung einer Frist des materiellen Sozialrechts zulässig ist. Sie ist nach § 27 Abs. 5 SGB X nur unzulässig, wenn dies ausdrücklich bestimmt ist oder sich durch Auslegung nach dem Zweck der jeweiligen Fristbestimmung und der ihr zugrundeliegenden Interessenabwägung ergibt (BSG, Urteil vom 09. Februar 1993 – 12 RK 28/92 –, BSGE 72, 80-85, SozR 3-1300 § 27 Nr 3, Rn. 18 BSG, Urteil vom 25. Oktober 1988 – 12 RK 22/87 –, BSGE 64, 153-159, SozR 1300 § 27 Nr 4, Rn. 19). Im Zweifel ist von der Möglichkeit einer Wiedereinsetzung auszugehen, da sie nach § 27 Abs. 1 SGB X die Regel ist und eine Ausnahme hiervon nach der Wertung des § 27 Abs. 5 SGB X deutlich werden muss (BSG, Urteil vom 25. Oktober 1988 – 12 RK 22/87 –, BSGE 64, 153-159, SozR 1300 § 27 Nr 4, Rn. 25: "im Zweifel zu bejahen"; Hampel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 8 SGB V, Rn. 114).
Eine Wiedereinsetzung in die Frist des § 8 Abs. 2 Satz 1 SGB V ist grundsätzlich möglich. Die Frist in § 8 Abs. 2 Satz 1 SGB V ist weder als Ausschlussfrist bezeichnet, obwohl die Norm erst nach Inkrafttreten des § 27 SGB X eingeführt worden ist (§ 8 Abs. 2 SGB V: zum 01.01.1989 - BGBl I 1988, 2477; § 27 SGB X: 01.01.1981 BGBl I 1980, 1469) (zu diesem Gesichtspunkt: BSG, Urteil vom 25. Oktober 1988 – 12 RK 22/87 –, BSGE 64, 153-159, SozR 1300 § 27 Nr 4, Rn. 24), noch lässt sich der Vorschrift oder ihrem Zweck mit der erforderlichen Bestimmtheit entnehmen, dass ein Fristversäumnis nicht unter bestimmten Umständen entschuldigt werden könnte (vgl. zur Vorgängervorschrift des § 173 Buchst. a RVO: BT-Drs., S. 24; 8/166; Sommer in: Peters, Handbuch KV (SGB V), § 8 Rn. 61; Peters in: KassKomm-SGB, SGB V, Stand Mai 2018, § 8 Rn. 52; Baier in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 8 Rn. 15; Hampel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 8 SGB V, Rn. 114; Moritz-Ritter, in: Hänlein/Schuler, 5. Aufl. 2016, § 8, Rn. 26 gegen die Wiedereinsetzung: Gemeinsames Rundschreiben vom 17.03.2004, unter A.III.2. Antragstellung; Marburger, Handbuch des Beitragswesens, A 6, S. 247; Gerlach in: Hauck/Noftz, SGB V, § 8 Rn. 102 unter Hinweis auf veraltete (s.o.) Rechtsprechung des BSG - Urteil vom 23. Februar 1977 – 12 RK 2/76 –, Rn. 13, juris; Urteil vom 14. Juli 1982 – 5a RKn 15/81 –, Rn. 9, juris - vor Einführung des § 27 SGB X; offen gelassen: BSG, Urteil vom 27. April 2016 – B 12 KR 24/14 R –, SozR 4-2500 § 8 Nr 4, Rn. 26; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Juni 2011 – L 1 KR 548/10 –, Rn. 28, juris; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. November 2014 – L 1 KR 138/13 –, Rn. 30, juris; Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 03. September 2012 – L 1 KR 69/10 –, Rn. 18, juris; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Juni 2012 – L 11 KR 572/11 –, Rn. 20, juris). Bei vergleichbarer Interessenstruktur hat das BSG mit entsprechender Begründung bereits entschieden, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Frist von 3 Monaten zum Beitritt zur freiwilligen Versicherung möglich ist (BSG, Urteil vom 14. Mai 2002 – B 12 KR 14/01 R –, SozR 3-2500 § 9 Nr 4, SozR 3-7610 § 1896 Nr 1, Rn. 19; auch diesbezüglich anders das Rundschreiben 81a zu § 27 SGB X, auf das sich die Beklagte stützt). In beiden Fällen geht es um Erklärungen, die für die Zugehörigkeit zum System der gesetzlichen Krankenversicherung, von Bedeutung sind. Dabei besteht einerseits ein Bedürfnis nach Rechtssicherheit (der Versichertengemeinschaft), dass die Bindung der Erklärung an eine Frist rechtfertigt, andererseits ist nicht zu erkennen, inwiefern die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die Allgemeinheit bzw. die Versichertengemeinschaft, vertreten durch die gesetzliche Krankenversicherung eine unzumutbare Belastung darstellen könnte (vgl. Peters in: KassKomm-SGB, SGB V, Stand Mai 2018, § 8 Rn. 52). Im Rahmen des § 8 Abs. 2 (S. 2) SGB V wirkt der Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht zudem erst ab dem Monat der Antragstellung, soweit zuvor bereits Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch genommen worden sind. Dadurch wird das Interesse der Versichertengemeinschaft ohnehin weitgehend berücksichtigt.
b) Die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, S. 1-3 SGB X für die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind erfüllt.
aa) Der Kläger war ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert.
(1) Zutreffend weist die Beklagte zunächst darauf hin, dass ein schuldloses Fristversäumnis wegen des Grundsatzes der formellen Publizität von Gesetzen nicht vorliegt, wenn der Betroffene eine im Gesetz selbst ausdrücklich geregelte Frist aus Unkenntnis verstreichen lässt (BSG, Urteil vom 09. Februar 1993 – 12 RK 28/92 –, BSGE 72, 80-85, SozR 3-1300 § 27 Nr 3, Rn. 19, 20; BSG, Urteil vom 14. November 2002 – B 13 RJ 39/01 R –, SozR 3-2600 § 115 Nr 9, Rn. 28; BSG, Urteil vom 14. November 2002 – B 13 RJ 39/01 R –, SozR 3-2600 § 115 Nr 9, Rn. 28; BSG, Urteil vom 22. Oktober 1996 – 13 RJ 23/95 –, BSGE 79, 168-177, SozR 3-2600 § 115 Nr 1, Rn. 32; BSG, Urteil vom 24. November 2005 – B 12 RA 9/03 R –, SozR 4-2600 § 6 Nr 5, Rn. 19; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Juni 2011 – L 1 KR 548/10 –, Rn. 28, juris; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Juni 2012 – L 11 KR 572/11 –, Rn. 21, juris; Just, in: Becker/Kingreen, SGB V, 5. Aufl. 2017, § 8, Rn. 17; Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 27 SGB X, Rn. 24). Dies gilt auch dann, wenn der Antragsteller die Frist zur Befreiung von einer Pflicht zur Sozialversicherung deshalb versäumt, weil er während des Fristlaufes über das Bestehen der Versicherungspflicht an sich in Unkenntnis ist (BSG, Urteil vom 24. November 2005 – B 12 RA 9/03 R –, SozR 4-2600 § 6 Nr 5, Rn. 7, 19, ohne allerdings auf eine Differenzierung zwischen Unkenntnis von der Versicherungspflicht und versäumter Befreiung von der Frist einzugehen, sondern unter Zitat der Rechtsprechung des Senates, dass eine Unkenntnis solcher Rechte, deren befristete Ausübung des Gesetz selbst ausdrücklich regelt, eine Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht rechtfertigen könne).
Nach dem Grundsatz der formellen Publizität bei der Verkündung von Gesetzen (BVerfG, Beschluss vom 02. April 1963 – 2 BvL 22/60 –, BVerfGE 16, 6-25) gelten diese mit ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt allen Normadressaten als bekannt, ohne Rücksicht darauf, ob und wann diese individuell und tatsächlich Kenntnis erlangt haben.
Sofern sich daran knüpfend in Rechtsprechung und Literatur die Formulierung findet, eine Unkenntnis solcher Rechte, deren befristete Ausübung "das Gesetz selbst ausdrücklich regelt" (statt vieler etwa BSG, Urteil vom 14. November 2002 – B 13 RJ 39/01 R –, SozR 3-2600 § 115 Nr 9, Rn. 28; BSG, Urteil vom 24. November 2005 – B 12 RA 9/03 R –, SozR 4-2600 § 6 Nr 5, Rn. 19 Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 27 SGB X, Rn. 24), könne daher eine Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht rechtfertigen (BSG, a.a.O.; grundlegend: BSG, Urteil vom 21. Juni 1990 – 12 RK 27/88 –, BSGE 67, 90-97, SozR 3-1200 § 13 Nr 1, SozR 3-1100 Art 82 Nr 1, Rn. 15 ff.), werden zugleich die Grenzen des Grundsatzes der formellen Publizität deutlich. Nach ihm ist zu unterstellen/ zu verlangen, dass der Adressat den Gesetzestext kennt. Soweit dieser jedoch nicht selbsterklärend ist bzw. – entgegen der Rechtspraxis – auf ein Verständnis weist, dass das Bestehen einer Versicherungspflicht oder ein Fristversäumnis für den Antrag auf Befreiung gerade nicht nahelegt, kann ein Verschulden des Betroffenen nicht mit dem Grundsatz der formellen Publizität an Gesetzen begründet werden.
Entsprechend hat das Bundessozialgericht bereits kurz nach dem Urteil vom 09. Februar 1993 (12 RK 28/92 –, BSGE 72, 80-85, SozR 3-1300 § 27 Nr 3, Rn. 19, 20) auf das sich die Beklagte stützt ausgeführt:
"Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 9. Februar 1993 (12 RK 28/92, SozR 3-1300 § 27 Nr 3, demnächst auch in BSGE Bd 72) zwar entschieden, daß nach dem Grundsatz der formellen Publizität von Gesetzen die Unkenntnis von der in Art 56 Abs 4 des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) enthaltenen Frist für einen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner nicht als schuldlos angesehen werden konnte. Jene Frist war jedoch datumsmäßig (30. Juni 1989) ausdrücklich in einem neu verkündeten Gesetz von hohem Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit enthalten. Dieses traf für den Ablauf der hier maßgebenden Antragsfrist nicht zu. Sie war für einen Nichtjuristen wie den Sohn der Kläger aus mehreren Gründen schwer erkennbar, weil für eine zutreffende Beurteilung der Rechtslage mehrere Einzelheiten bekannt sein mußten: Einmal die Begrenzung der Familienhilfe auf das Alter von 25 Jahren in § 205 Abs 3 Satz 2 RVO sowie das Nichteingreifen eines Verlängerungstatbestandes nach § 205 Abs 3 Satz 3 RVO. Sodann die erwähnte Entscheidung des BSG vom 14. Januar 1981 (SozR 2200 § 205 Nr 36), wonach bei Überschreiten der Altersgrenze im Laufe eines Semesters eine Lücke im Versicherungsschutz eintrat, was in dem Urteil ausdrücklich als unbefriedigend bezeichnet worden ist. Schließlich das Beitrittsrecht und die Befristung des entsprechenden Antrags (§ 176b Abs 1 Nr 2, Abs 2 Satz 2 RVO) zusammen mit dem Umstand, daß die Satzung keine längere als die Monatsfrist bestimmt hatte (§ 176b Abs 2 Satz 4 RVO)." (BSG, Urteil vom 11. Mai 1993 – 12 RK 36/90 –, SozR 3-2200 § 176b Nr 1, SozR 3-1300 § 27 Nr 4, Rn. 15; die Möglichkeit einer Ausnahme andeutend auch: BSG, Urteil vom 24. November 2005 – B 12 RA 9/03 R –, SozR 4-2600 § 6 Nr 5, Rn. 22).
Zwar konnte das BSG die Frage, ob unter solchen rechtlichen Verhältnissen der Grundsatz der formellen Publizität von Gesetzen noch dazu führen kann, eine Rechtskenntnis als unverschuldet im Sinne der Wiedereinsetzungsregelung anzusehen, offenlassen. Die gleichwohl geäußerten Bedenken weisen nach Auffassung der Kammer allerdings treffend auf die Grenzen des Grundsatzes der formellen Publizität, wie sie sich aus dessen Inhalt selbst ergeben.
(2) Dass die Versicherungspflicht vorliegend – aufgrund einer Unterschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze - bereits zum Oktober 2016 (vgl. I. 2.) und nicht erst – wie das Landesamt für Besoldung und Versorgung im Kläger mitteilte – ab Januar 2017 eintreten würde, ist selbst für rechtlich geschulte Personen nicht aus dem Gesetzestext selbst zu erkennen. Es ist der Kammer bekannt, dass Arbeitgeber bisweilen eine Überprüfung – wohlmöglich einen Umkehrschluss (vgl. I. 2.) nicht ziehend durch § 8 Abs. 4 SGB V fehlgeleitet – die Jahresarbeitsentgeltgrenze auch hinsichtlich eines etwaigen Unterschreitens im Rahmen ihrer Meldepflichten lediglich zum Jahreswechsel prüfen. Der vorliegende Fall verdeutlicht, dass selbst bei einer Behörde wie dem LBV - die für eine große Zahl von Beschäftigten die Meldepflicht trägt – die allgemeine Auffassung in Rechtsprechung und rechtswissenschaftlicher Literatur bezüglich des Zeitpunktes des Eintretens der Versicherungspflicht bei Absinken des Arbeitsentgeltes (vgl. I. 2.) nicht ausreichend Beachtung findet.
Der Gesetzeswortlaut des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V entspricht der langjährigen Rechtspraxis nicht (anders im seitens der Beklagte angeführten Fall des BSG, Urteil vom 24. November 2005 – B 12 RA 9/03 R –, SozR 4-2600 § 6 Nr 5, Rn. 7, 19: Hier war die Beurteilung der Rentenversicherungspflicht aufgrund des Tatbestandes § 6 Abs. 1 Buchst. a SGB VI bei Kenntnis der Vorschrift möglich).
Seinem Wortlaut nach stellt § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V darauf ab, ob das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt die jeweils maßgebliche Jahresarbeitsentgeltgrenze übersteigt. Eine unbefangene Lektüre der Norm würde es nahelegen, am Ende des Kalenderjahres zu prüfen, ob das Arbeitsentgelt höher oder niedriger war als die Grenze, um so ggf. die Feststellung treffen zu können, dass zum 01.01. des Folgejahres Versicherungsfreiheit oder Versicherungspflicht eintritt – jedenfalls soweit das Arbeitsentgelt auch die im Folgejahr geltende Jahresarbeitsentgeltgrenze übersteigen (vgl. § 6 Abs. 4 Satz 2 SGB V). /unterschreiten wird. Während die erste Frage zurückschauend beantwortet werden könnte, würde die Beantwortung der zweiten naturgemäß eine Prognose mit Blick in die Zukunft erfordern. Bereits die Jahresarbeitsentgeltgrenze, auf deren Überschreiten es ankommt, bezieht sich auf ein bestimmtes Kalenderjahr; die maßgebliche Grenze gilt nach der auf Grundlage von § 160 SGB VI erlassenen Verordnung "für das Jahr X". Die Rechtspraxis verfährt allerdings – wie für das Unterschreiten bereits dargelegt (vgl. II. 2.) - gänzlich anders. Wann das regelmäßige Arbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze unterschreitet, beurteilt sich demgemäß nicht danach, ob am 31.12. des Jahres tatsächlich ein Arbeitsentgelt unterhalb der maßgeblichen Grenze bezogen wurde bzw. beansprucht werden konnte. Dies gilt so nicht einmal für die Konstellation des Überschreitens: Zwar ist hier der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt nach § 6 Abs. 4 SGB V – im Gegensatz zur Konstellation des Unterschreitens - das Jahresende. Wann das regelmäßige Arbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze übersteigt, beurteilt sich aber nicht danach, ob am 31.12. des Jahres tatsächlich ein Arbeitsentgelt jenseits der maßgeblichen Grenze bezogen wurde bzw. beansprucht werden konnte. Vielmehr ist das Kalenderjahr für die Frage des "Übersteigens" ohne jede Bedeutung; entscheidend ist vielmehr, ob die aktuelle Entlohnung (hier zum Jahreswechsel) – hochgerechnet auf einen Zeitraum von 12 Monaten – die maßgebliche Grenze überschreiten wird. Diese Gesetzesanwendung hat – auch in der Rechtsprechung des BSG (BSG, Beschluss vom 30. Juni 1965 – GS 2/64 –, BSGE 23, 129, SozR Nr 49 zu § 165 RVO, Rn. 15; BSG, Urteil vom 07. Dezember 1989 – 12 RK 19/87 –, BSGE 66, 124-128, SozR 2200 § 165 Nr 97) – eine "lange Tradition" (Felix in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 6 SGB V, Rn. 16, 17).
(3) Konnte der Kläger unter Beachtung des Grundsatzes der formellen Publizität danach erst zum Beginn des Jahres 2017 mit seiner Versicherungspflicht rechnen, wäre sein Antrag auf Befreiung vom 25.02.2017 hiernach innerhalb der Frist des § 8 Abs. 2 S. 1 SGB V erfolgt.
Außerhalb des Grundsatzes der formellen Publizität ist dem Kläger für die tatsächliche Fristversäumnis kein Verschulden anzulasten.
Ein Verschulden ist dem Beteiligten dann nicht vorzuwerfen, wenn er mit der Sorgfalt gehandelt hat, die einem gewissenhaft Handelnden nach den Umständen des Einzelfalls vernünftigerweise zuzumuten ist. Auch leichte Fahrlässigkeit genügt, um Verschulden anzunehmen. Der Maßstab hierfür ist subjektiv, d.h. es kommt darauf an, was dem konkret Betroffenen zuzumuten war, sodass auch besondere Kenntnisse Berücksichtigung finden müssen. Des Weiteren sind insbesondere der Geisteszustand, das Alter, der Bildungsgrad und die Geschäftsgewandtheit des Betroffenen zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 15. August 2000 – B 9 VG 1/99 R –, SozR 3-3100 § 60 Nr 3, SozR 3-3100 § 61 Nr 2, SozR 3-1200 § 14 Nr 30, Rn. 13; Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 27 SGB X, Rn. 18). Unterliegt der Beteiligte einem Rechtsirrtum, so kommt es für die Wiedereinsetzung darauf an, ob dieser auch bei sorgfältiger Prüfung unvermeidbar war (Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 27 SGB X, Rn. 25; von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 27, Rn. 18).
So liegt der Fall hier. Dabei ist unerheblich, dass der Kläger sich zum Beginn seiner Elternzeit – seiner Einlassung in der mündlichen Verhandlung zufolge – schon über den Eintritt einer Versicherungspflicht keine Gedanken gemacht hat. § 8 Abs. 2 S. 1 SGB V räumte ihm insoweit zum einen eine 3-monatige Frist ein. Zum anderen kommt Wiedereinsetzung selbst dann in Betracht, wenn zwar ein Verschulden vorliegt, aber bei normalem Ablauf der Dinge die Folgen des Verschuldens durch ein von anderer Seite zu erwartendes pflichtgemäßes Handeln ausgeschaltet worden wäre (Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 27 SGB X, Rn. 19; vgl. ferner: BSG, Urteil vom 30. Januar 2002 – B 5 RJ 10/01 R –, SozR 3-1500 § 67 Nr 21).
Innerhalb der Frist des § 8 Abs. 2 S. 1 SGB V wäre nicht mehr Sorgfalt geboten und zumutbar gewesen, als den gem. § 198 SGB V meldepflichtigen Arbeitgeber um Auskunft zu ersuchen. Denn zu einer gesetzlichen Krankenversicherung stand der Kläger bereits seit Ende 2014 in keiner Rechtsbeziehung mehr, so dass sich eine dortige Nachfrage ihm nicht aufdrängen konnte. Noch binnen der Frist des § 8 Abs. 2 S. 1 SGB V, nämlich unter dem 16.12.2016, teilte das Landesamt für Besoldung und Versorgung (als für den Arbeitgeber, das Land Nordrhein – Westfalen, zuständige Stelle) dem Kläger fälschlicherweise mit, dass er (erst) ab Januar 2017 versicherungspflichtig werde. Eine Befreiung von der eingetretenen Versicherungspflicht sei dabei nicht möglich. Auch die bereits zuvor übersandten Bezügemitteilungen des LBV für die Monate Oktober und November und Dezember 2016 wiesen für den Kläger darauf hin, dass sich an seinem Versicherungsstatus nichts geändert habe. In der Folge bestätigte das LBV – nach der Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, an deren Richtigkeit zu zweifeln die Kammer keinen Anlass sieht, zumal der Kläger ehrlich eingeräumt hat, sich zunächst über die Konsequenzen der Elternzeit auf seine Versicherungspflicht keine Gedanken gemacht zu haben – im Rahmen von Telefonaten dahingehend, dass der Kläger die Auskunft erhielt, die zum 01.01.2017 beginnende Pflichtversicherung bestehe bis zum Ende der Elternzeit. Dieser (pflichtwidrigen) Auskunft einer Landesbehörde hat der Kläger vertraut, ohne dass ihm dies vorwerfbar wäre oder ihm zugerechnet werden könnte (vgl. BSG a.a.O., Rn. 19; Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 27 SGB X, Rn. 29 ff.; Siefert, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 27, Rn. 25-30). Die Anforderungen an die subjektive Vermeidbarkeit einer Rechtsunkenntnis würden überspannt, wollte man etwa gleichwohl die Überprüfung der Auskunft durch einen Rechtsanwalt o. ä. verlangen.
bb) Auch die übrigen Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, 2 SGB X sind erfüllt. Erst Anfang Januar 2017 entstanden bei dem Kläger nach seiner Einlassung in der mündlichen Verhandlung im Rahmen eines Gespräches mit einer Maklerin einer privaten Versicherung zufällig Zweifel an der Auskunft des LBV, wobei in einem Gesprächsvermerk der Beklagten vom 21.02.2017 festgehalten ist, dass die Versicherungsmaklerin letztlich von der Richtigkeit der Auskunft des LBV ausging. Parallel dazu erhielt die Beklagte am 16.01.2017 die Meldung des Arbeitgebers des Klägers zur Sozialversicherung. Unter dem 17.01.2017 begrüßte sie den Kläger aufgrund dieser Anmeldung - ausdrücklich für die Zeit ab dem 01.01.2017. Erst nachdem die private Versicherungsmaklerin und in der Folge der Kläger selbst sich mit der Beklagten telefonisch ins Benehmen setzte, konnte die Beklagte den Zeitpunkt des Eintritts der Versicherungspflicht des Klägers erkennen und erhielt der Kläger hiervon und von der Möglichkeit eines Antrages auf Befreiung Kenntnis, dessen Frist bereits abgelaufen war. Nach den Vermerken über die entsprechenden Gespräche war dies am 21.02.2017. Die Beklagte übersandte dem Kläger daraufhin am selben Tag einen Antragsvordruck für die Befreiung von der Krankenversicherungspflicht, den der Kläger bereits unter dem 25.02.2016 ausgefüllt zurücksandte. Selbst wenn der Antrag nicht bereits telefonisch gestellt worden ist, ist er in jedem Fall binnen 2 Wochen nach Wegfall der des Hinderungsgrundes für die Einhaltung der Frist (Rechtsunkenntnis) gestellt worden (§ 27 Abs. 2 S. 1 SGB X). Da der Kläger seinem Antrag das Schreiben des LBV beifügte, nachdem die Versicherungspflicht erst zum 01.01.2017 beginnen solle, hat er die Tatsachen zur Begründung eines Antrages auf Wiedereinsetzung auch glaubhaft gemacht (§ 27 Abs. 2 S. 2 SGB X). Sofern er nochmals darauf hinwies, dass er die vorgeschriebene Frist somit habe nicht einhalten können, hat er jedenfalls konkludent den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt (§ 27 Abs. 1 S. 1 SGB X), so dass es auf die Möglichkeit der Beklagten, die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag von Amts wegen zu gewähren (§ 27 Abs. 2 S. 4 SGB X) nicht erst ankommt.
III. Zuletzt ist die Voraussetzung des § 8 Abs. 2 S. 4 SGB V erfüllt. Der Kläger hat seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Befreiung von der Versicherungspflicht den Nachweis beigefügt, dass eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall, nämlich (weiterhin) eine private Krankenversicherung bestand.
Da er bis dahin keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch genommen hatte, wirkte sein Antrag gemäß § 8 Abs. 2 S. 2 SGB V auf den Beginn der Versicherungspflicht zurück.
Die Befreiung wirkte gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB X für die gesamte Dauer der Elternzeit, also bis einschließlich des Monates April 2017.
Soweit die Feststellung einer weiteren Befreiung nicht begehrt worden ist (möglicherweise hat der Kläger seine private Krankenversicherung für den Rest des Jahres 2017 auch gekündigt oder ruhend gestellt) ist ohne Bedeutung, dass der Kläger - entgegen der Auskunft der Beklagten, die diesbezüglich allein auf die Meldung des Arbeitgebers verwiesen hat, der sie im Rahmen der Feststellung des Zeitpunkts des Eintritts der Versicherungspflicht (insoweit) zu Recht keine Relevanz beimessen wollte – letztlich für das gesamte Jahr 2017 bestanden hätte (vgl. § 6 Abs. 4 SGB V; Baier, in Kraußkopf, SGB V, Bd. 1, Stand November 2011, § 6, Rn. 58).
D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Befreiung von der Pflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung für die Zeit ab Oktober 2016.
Leistungen der Beklagten hat der Kläger im streitbefangenen Zeitraum nicht in Anspruch genommen.
Der Kläger ist als Arzt an der Universitätsklinik in B. beim Land O. beschäftigt.
Bevor er gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) von der gesetzlichen Kranken – und Pflegeversicherungspflicht befreit und bei der Krankenkasse C. privat versichert war, war er - bis Ende 2014 - bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert.
Ab dem 22.10.2016 bis zum 01.05.2017 nahm der Kläger nach der Geburt seines ersten Kindes Elternzeit mit einer Teilzeitbeschäftigung von 25 % in Anspruch. Sein Bruttoeinkommen belief sich im Oktober 2016 auf 3.489,53 EUR und ab November 2016 auf weniger als 1.200 EUR monatlich.
Am 16.12.2016 teilte das Landesamt für Besoldung und Versorgung (LBV) dem Kläger mit, dass die Versicherungspflichtgrenze ab Januar 2017 von jährlich 56.250 EUR auf 57.600 EUR erhöht werde. Da das derzeitige Einkommen ohne Familienzuschläge ab Januar 2017 unter der neuen Versicherungspflichtgrenze liege, sei er ab diesem Zeitpunkt versicherungspflichtig in der gesetzlichen Kranken – und Pflegeversicherung. Eine Befreiung von der eintretenden Versicherungspflicht sei nicht möglich. Daher werde er bei seiner Krankenkasse als Pflichtmitglied angemeldet. Die Arbeitnehmerbeiträge zur Kranken – und Pflegeversicherung würden vom LBV einbehalten und zusammen mit dem Arbeitgeberanteil an die Krankenkasse abgeführt. In der Folge, noch im Jahr 2016, erkundigte sich der Kläger telefonisch beim LBV, wie weit seine Pflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung reiche. Dabei wurde ihm mitgeteilt, die zum Jahresbeginn 2017 eintretende Versicherungspflicht bestehe für die Elternzeit.
Am 16.01.2017 erhielt die Beklagte durch eine Anmeldung des Arbeitgebers zur Sozialversicherung Kenntnis von der Versicherungspflicht des Klägers als Beschäftigter - ab Januar 2017.
Unter dem 17.01.2017 begrüßte die Beklagte den Kläger aufgrund einer arbeitgeberseitigen Anmeldung und fügte einen "Mitgliedschaftsantrag Berufstätige" für die Zeit ab dem 01.01.2017 bei. Parallel hierzu äußerte eine private Versicherungsmaklerin dem Kläger gegenüber Zweifel am Eintritt einer Versicherungspflicht erst ab Januar 2017, erklärte sich die Auskunft des LBV jedoch damit, dass wohl eine durchschnittliche Berechnung des Jahreseinkommens (2016) vorzunehmen sei. Gleichwohl kontaktierte sie für den Kläger nach dessen Einlassung die Beklagte telefonisch (in deren Verwaltungsakte sich hierüber kein Gesprächsvermerk befindet), bevor der Kläger im Anschluss am 20.02.2017 und 21.02.2017 selbst telefonisch mit der Beklagten in Verbindung trat und nunmehr erstmals Kenntnis von einem Eintritt der Versicherungspflicht zum Oktober 2016 erhielt, ferner davon, dass eine Befreiung von der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht grundsätzlich 3 Monate nach Eintritt der Versicherungspflicht beantragt werden müsse. Die Beklagte übersandte dem Kläger in der Folge einen Antragsvordruck und sagte die Prüfung der Befreiung zu.
Unter dem 10.02.2017 schließlich teilte das Landesamt für Besoldung und Versorgung dem Kläger mit, um weiter in der privaten Krankenversicherung während der Teilzeit in der Elternzeit zu bleiben, könne er sich von der Krankenversicherungspflicht während der Elternzeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB V befreien lassen. Er möge sich von der gesetzlichen Krankenkasse einen Befreiungsbescheid ausstellen lassen. Sobald dieser vorliege, könne das LBV die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung wieder rückgängig machen.
Unter dem 25.02.2017 übersandte der Kläger der Beklagten den ausgefüllten Vordruck zum Antrag einer Befreiung von der Krankenversicherungspflicht unter Vorlage des Schreibens des LBV, nachdem die Versicherungspflicht erst zum Januar 2017 beginnen sollte. Er bitte nochmals freundlichst zu beachten, dass er die vorgeschriebenen Fristen nicht habe einhalten können.
Unter dem 08.03.2017 forderte das LBV für die Zeit von Oktober bis Dezember 2016 die Beiträge zur gesetzlichen Kranken – und Pflegeversicherung, sowie den Zuschuss zur privaten Kranken – und Pflegeversicherung von dem Kläger zurück; insgesamt 892,81 EUR. Die Beklagte habe mitgeteilt, dass der Kläger seit dem 01.10.2016 zur Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung anzumelden sei
Mit Bescheid vom 21.03.2017 begrüßte die Beklagte – auch im Namen der Pflegeversicherung - den Kläger als ihr Mitglied in der gesetzlichen Kranken – und Pflegeversicherung seit Oktober 2016.
Im Juni 2017 erinnerte der Kläger an seinem Antrag auf Befreiung von der Krankenversicherungspflicht. Mit Bescheid vom 13.06.2017 teilte die Beklagte dem Kläger mit, in der Zeit während der Reduzierung der Arbeitszeit sei leider eine Befreiung von der Versicherungspflicht nicht möglich, da der Antrag nicht innerhalb von drei Monaten nach Beginn der Versicherungspflicht ab dem 01.10.2016 gestellt worden sei.
Hiergegen legte der Kläger über seinen Bevollmächtigten am 27.06.2017 Widerspruch ein. Dem Kläger sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Mit Schreiben vom 14.07.2017 informierte die Beklagte den Bevollmächtigten des Klägers über ihre Ansicht, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Rahmen des § 8 Abs. 2 SGB V nach dem Gemeinsamen Rundschreiben 81a vom 01.01.1981 zu § 27 SGB X nicht möglich sei. Nach der Rechtsprechung des BSG komme eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand selbst dann nicht in Betracht, wenn das Fristversäumnis auf der Unkenntnis des Versicherten von der Befreiungsregelung beruhe. Der Kläger habe seine Tätigkeit in Elternzeit ab dem 01.10.2016 nicht in vollem Umfang aufgenommen. Somit trete Versicherungspflicht in der Krankenversicherung ab diesem Zeitpunkt ein.
Unter dem 17.08.2017 erwiderte der Bevollmächtigte des Klägers, aus den in Bezug genommenen Entscheidungen des BSG lasse sich für den vorliegenden Fall nicht ableiten, dass eine Wiedereinsetzung völlig und ohne jede Einschränkung ausgeschlossen sei. Das BSG habe ausdrücklich festgehalten, dass die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung bei einer Frist des materiellen Sozialrechts zwar begrenzt, jedoch nicht bedeutungslos sei - zumindest für den Fall, dass der Antragsteller nicht wegen einer Gesetzesunkenntnis, sondern aus anderen Gründen an der Einhaltung der Frist schuldlos verhindert gewesen sei. Eben dies sei vorliegend der Fall, da der Kläger von seinem Arbeitgeber mit der ersten Lohnabrechnung und auch danach nicht darüber informiert worden sei, dass er mit Aufnahme seiner Beschäftigung überhaupt der Versicherungspflicht unterlag. Diese Feststellung sei erst durch die Beklagte rückwirkend zum 01.10.2016 getroffen worden, dem Kläger aber sogar noch mit Schreiben des LBV vom 16.12.2016 mitgeteilt worden, dass er erst ab dem 01.01.2017 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung unterliege, eine Befreiung von der eintretenden Versicherungspflicht jedoch nicht möglich sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.10.2017 wies die Beklagte den Widerspruch aus dem mit Schreiben vom 14.07.2017 dargelegten Gründen als unbegründet zurück.
Hiergegen hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 24.11.2017 Klage erhoben. Im Falle des Klägers habe die Verhinderung zur Einhaltung der Frist für den Befreiungsantrag nicht auf der Unkenntnis von der gesetzlichen Regelung, sondern darauf beruht, dass dessen Arbeitgeber noch am 16.12.2016 davon ausgegangen sei, dass der Kläger erst ab dem 01.01.2017 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung unterliege und auch die Beklagte erst im März 2017, nach Prüfung der sozialversicherungsrechtlichen Situation des Klägers, zu dem Ergebnis gekommen sei, dass dieser bereits ab Oktober 2016 dort pflichtversichert sei. Auch aufgrund der Bezügemitteilungen für die letzten Monate des Jahres 2016 sei für den Kläger der Eindruck entstanden, dass er auch nach dem Wechsel in Elternzeit nicht in der gesetzlichen Kranken – und Pflegeversicherung pflichtversichert sei. Dem Kläger sei deshalb Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Ungeachtet dessen sei zu prüfen, ob der Kläger tatsächlich bereits ab Oktober 2016 pflichtversichert sei, oder nicht erst ab Dezember 2016, da er unter Berücksichtigung der Bezüge für die Monate Januar bis November 2016 im Monatsdurchschnitt noch oberhalb der für das Jahr 2016 gültigen Bemessungsgrenze und 56.250 EUR gelegen habe.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2017 zu verpflichten, die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung für die Zeit ab dem 01.10.2016 bis April 2017 festzustellen.
Der Vertreter der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte habe selbst erst verspätet und nach Ablauf der Dreimonatsfrist, nämlich Mitte Januar 2017, durch den Arbeitgeber des Klägers von dessen Versicherungspflicht erfahren. Insofern sei eine rechtzeitige Beratung des Klägers über die Möglichkeit der Befreiung nicht möglich gewesen.
Unerheblich sei nach der Rechtsprechung des BSG, dass der Kläger nicht allein über die Möglichkeit der Befreiung, sondern über das bestehende Pflichtversicherung an sich in Unkenntnis gewesen sei.
Entscheidungsgründe:
A. Klagegegenstand ist allein die Anfechtung der Ablehnung Feststellung der Befreiung von der Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Eine Befreiung von der gesetzlichen Pflegeversicherung ist vom Klagegegenstand nicht erfasst. Bereits der Antrag des Klägers gegenüber der Beklagten war – geleitet durch deren Vordruck – allein auf die Befreiung von der Krankenversicherungspflicht gerichtet. Nachdem Empfängerhorizont waren die ablehnenden Bescheide der Beklagten insofern ebenfalls nur auf die Pflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung bezogen. Während der Ausgangsbescheid vom 13.06.2017 sich diesbezüglich nicht eindeutig verhält, bezieht sich der Widerspruchsbescheid vom 26.10.2017 letztlich eindeutig auf die Befreiung von der Krankenversicherungspflicht zum 01.10.2016. Es wird ausgeführt, die Befreiung von der Krankenversicherungspflicht sei leider nicht möglich. Eine Erweiterung im Klageverfahren war danach von vorne herein nicht mehr möglich. Auch der Klageantrag verhält sich allein zu einer Befreiung von der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht.
Die Pflegekasse bei der Beklagten wird das Ergebnis des Klageverfahrens jedoch nach § 44 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) jedoch von Amts wegen zu berücksichtigen haben (vgl. § 20 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI)). Die in der GKV nach § 8 Sozialgesetzbuch Fünfte Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) erfolgte Befreiung von der Versicherungspflicht (vgl. C.) führt nach dem Grundsatz "Pflegeversicherung folgt Krankenversicherung" auch zum Fehlen der Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung. Die in § 22 SGB XI bestehende eigenständige Regelung über die Befreiung von der Versicherungspflicht gilt insoweit nur für die nach § 20 Abs. 3 SGB XI freiwillig in der GKV Versicherten (Klein in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 2. Aufl. 2017, § 20 SGB XI, Rn. 34)
B. Die Klage ist zulässig. Sie ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (vgl. § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG) statthaft (BSG, Urteil vom 03. Februar 1994 – 12 RK 78/92 –, SozR 3-2500 § 5 Nr 15, SozR 3-2500 § 6 Nr 7, Rn. 15; BSG, Urteil vom 23. Oktober 1996 – 4 RK 1/96 –, BSGE 79, 184-189, SozR 3-2500 § 10 Nr 8, Rn. 17; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 29. März 2017 – L 1 LW 2/14 –, juris). Denn über die Versicherungsfreiheit (nach § 8 Sozialgesetzbuch Fünfte Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V)) hat eine Entscheidung der Krankenkasse zu ergehen. Bei der Befreiung handelt es sich um einen feststellenden konstitutiven Verwaltungsakt (Hampel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 8 SGB V, Rn. 118; Moritz-Ritter, in: Hänlein/Schuler, SGB V. 5. Auflage 2016, § 8, Rn. 15).
C. Die Klage ist auch begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung der Befreiung von der Versicherungspflicht und wird insofern durch den ablehnenden Bescheid der Beklagten seinen Rechten verletzt (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG).
Der Anspruch folgt aus § 8 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 Sozialgesetzbuch Fünfte Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V). Danach wird auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit, wer versicherungspflichtig wird durch Aufnahme einer nicht vollen Erwerbstätigkeit nach § 1 Abs. 6 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes während der Elternzeit; die Befreiung erstreckt sich nur auf die Elternzeit.
Das Befreiungsrecht steht den vor der Elternzeit versicherungsfreien Personen zu. Denn bislang versicherungspflichtige Arbeitnehmer werden nicht durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit versicherungspflichtig. Ihre Mitgliedschaft bleibt vielmehr erhalten, solange nach den gesetzlichen Vorschriften Erziehungsgeld oder Elterngeld bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen wird (§ 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V). Begünstigt werden insbesondere Arbeitnehmer, die vor der Elternzeit wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V) versicherungsfrei waren, dann aber durch Aufnahme einer nicht vollen Erwerbstätigkeit versicherungspflichtig werden. Ihnen sollte ausweislich der Gesetzesbegründung ermöglicht werden, ihren bereits begründeten privaten Krankenversicherungsschutz auch während der Elternzeit fortzuführen (BT-Drs. 10/3792, S. 22; Hampel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 8 SGB V, Rn. 56).
I. Die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes sind erfüllt:
1. Der Kläger nahm in der Zeit ab dem 22.10.2016 bis zum 01.05.2017 Elternzeit gemäß § 1 Abs. 6 Alt. 1 des Bundeselterngeld – und Elternzeitgesetzes, in dem er seine zuvor vollschichtige Erwerbstätigkeit auf 25 % (entsprechend einer Wochenarbeitszeit von 10 Stunden) reduzierte.
2. Hiernach war er als Angestellter gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung. Gemäß § 175 Abs. 3 S. 1, 2 SGB V bestand die Versicherungspflicht bei der Beklagten, da der Kläger seinem Arbeitgeber als zur Meldung verpflichteten Stelle im Sinne des § 175 Abs. 3 S. 1 SGB V i.V.m. § 28 Buchst. a Abs. 1 S. 1 Nr. 18 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften der Sozialversicherung (SGB IV) nicht unverzüglich, binnen spätestens 2 Wochen nach Eintritt der Versicherungspflicht, eine Mitgliedbescheinigung einer anderen gesetzlichen Krankenversicherung vorlegte und der Kläger deshalb bei der Beklagten, bei der zuletzt eine gesetzliche Krankenversicherung bestand, angemeldet worden ist.
Bereits mit Beginn des Monates Oktober 2016 war der Kläger nicht mehr nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V von der Versicherungspflicht befreit. Hiernach sind Arbeiter und Angestellte versicherungsfrei, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze nach den Absätzen 6 oder 7 übersteigt; Zuschläge, die mit Rücksicht auf den Familienstand gezahlt werden, bleiben unberücksichtigt. Für den Kläger ist die Entgeltgrenze des Abs. 6 maßgeblich, da er am 31.12.2002 nicht wegen Überschreitens der seinerzeit geltenden Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei war.
Nach § 6 Abs. 6 SGB V betrug die Jahresarbeitsentgeltgrenze (§ 14 Abs. 1 SGB IV) nach Abs. 1 Nr. 1 im Jahr 2003 45.900 Euro. Sie ändert sich zum 1. Januar eines jeden Jahres in dem Verhältnis, in dem die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Abs. 2 Satz 1 des Sechsten Buches) im vergangenen Kalenderjahr zu den entsprechenden Bruttolöhnen und -gehältern im vorvergangenen Kalenderjahr stehen. Die veränderten Beträge werden nur für das Kalenderjahr, für das die Jahresarbeitsentgeltgrenze bestimmt wird, auf das nächsthöhere Vielfache von 450 aufgerundet. Die Bundesregierung setzt die Jahresarbeitsentgeltgrenze in der Rechtsverordnung nach § 160 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch fest. Im Jahr 2016 lag die Jahresarbeitsentgeltgrenze bei 56.250 EUR jährlich bzw. 4.687,50 EUR monatlich, im Jahr 2017 betrug die Grenze 57.600 EUR jährlich bzw. 4.800 EUR monatlich.
Während der Kläger (seit 2015) die entsprechenden Jahresarbeitsentgeltgrenzen überstieg und nicht gesetzlich pflichtversichert war, erreichte der Kläger sie aufgrund der am 22.10.2017 beginnenden Elternzeit ab Oktober 2016 nicht mehr. Denn bereits im Oktober 2016 erzielte er nur noch ein Bruttoeinkommen i.H.v. 3.489,53 EUR.
Soweit der Bevollmächtigte des Klägers in den Raum gestellt hat, die Versicherungspflicht habe möglicherweise erst ab Dezember 2016 bestanden, weil der Kläger bis dorthin im Jahresdurchschnitt die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschritten habe, ist dem eine Absage zu erteilen.
Das maßgebende regelmäßige Arbeitsentgelt im Sinne des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V, § 14 Abs. 1 SGB IV ist das Arbeitsentgelt, auf das jemand im Laufe des auf den Beurteilungszeitpunkt folgenden Jahres (nicht notwendig des Kalenderjahres) einen Anspruch hat oder das ihm sonst mit hinreichender Sicherheit zufließen wird (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.8.2010, L 4 R 3332/08 -,Rn. 31; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. Februar 2013 – L 8 R 920/10 –, Rn. 89, juris).
Bei einer Unterschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze tritt Krankenversicherungspflicht damit – nach allgemeiner Auffassung – in monatlicher Betrachtung sofort ein, also mit dem Zeitpunkt des Unterschreibens, und nicht erst mit dem Beginn des folgenden Kalenderjahres (BSG, Urteil vom 29. Juni 1993 – 12 RK 48/91 –, BSGE 72, 292-297, SozR 3-2500 § 10 Nr 2, Rn. 19 f. unter Verweis auf st. Rspr.; BSG, Urteil vom 29. Juni 1993 – 12 RK 11/91 –, SozR 3-2200 § 205 Nr 3, Rn. 20 zur Vorgängervorschrift des § 173 e RVG; vgl. BT-Drs 10/3792, S. 22 zu § 22 Nr. 1; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 13. August 2010 – L 4 R 3332/08 –, juris; nachgehend: BSG, Beschluss vom 30. Juni 1965 – GS 2/64 –, BSGE 23, 129, SozR Nr 49 zu § 165 RVO; Gerlach, in: Hauck-Noftz, SGB V, Bd. 2, 6/12, § 6, Rn. 62 - 64; Ulmer in: BeckOK SozR/Ulmer, Stand Juni 2018 SGB V § 6, Rn. 19; Baier, in: Krauskopf, Bd. 1, 11/11, § 6 SGB V, Rn. 61; Simon in: Berchthold/Huster/Rehborn, Gesundheitsrecht, 2. Aufl. 2018, Rn. 15 f.; vgl. ferner: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Juli 2006 – L 5 KR 4868/05 –, Rn. 28, juris). Dies kann im Wege eines Umkehrschlusses aus § 8 Abs. 4 S. 1 SGB V entnommen werden (vgl. Felix in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 6 SGB V, Rn. 32; zu Abs. 4 insgesamt: Peters in: KassKomm, SGB V, Stand Mai 2018, § 6, Rn. 19 f.). Wird die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschritten, endet die Versicherungspflicht hiernach mit Ablauf des Jahres, in dem sie überschritten wird. Für einen Entfall der Versicherungspflicht findet sich gerade keine entsprechende Regelung. Andererseits wäre § 8 Abs. 4 SGB V überflüssig, wenn bereits nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB V eine Entscheidung über die Versicherungspflicht allein zum Jahreswechsel erfolgen würde. Von dem allgemeinen Verständnis gehen auch die Befreiungstatbestände des § 8 Abs. 1 Nr. 2-3 SGB V aus.
II. Der erforderliche Antrag des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB V war deshalb bis zum Ablauf des Monats Dezember 2016 (vgl. § 26 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) i.V.m. 187 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) zu stellen. Denn gemäß § 8 Abs. 2 S. 1 SGB V ist der Antrag innerhalb von 3 Monaten nach Beginn der Versicherungspflicht bei der Krankenkasse zu stellen.
1. Soweit der Kläger den Antrag erst unter dem 25.02.2017 (bzw. frühestens im Rahmen der Telefonate vom 20. und 21.02.2017)bei der Beklagten stellte, war er deshalb offensichtlich verfristet.
2. Dem Kläger war jedoch – entgegen der Auffassung der Beklagten – gemäß § 27 Abs. 1 SGB X Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Nach § 27 Abs. 1 SGB X ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert ist, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen. Gemäß Abs. 2 ist innerhalb von 2 Wochen nach Wegfall des Hindernisses der Antrag zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrages sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies geschehen, kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden. Nach Abs. 5 ist die Wiedereinsetzung unzulässig, wenn sich aus einer Rechtsvorschrift ergibt, dass sie ausgeschlossen ist. Dabei hängt vom Regelungsgehalt im Einzelfall ab, ob der Ausschluss der Wiedereinsetzung vorgesehen ist (BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 4 AS 99/10 R -, juris).
a) Das Rundschreiben der Gesetzlichen Krankenversicherungen 81a Tit. 3 vom 01.01.1981, auf das sich die Beklagte im Widerspruchsverfahren bezogen hat, ist insofern unzutreffend, als dort behauptet wird, nach der Rechtsprechung des BSG sei die Frist aus § 8 Abs. 2 SGB V absolut. Der Rechtssatz des im Widerspruchsbescheid zitierten Urteils des BSG vom 23.02.1977 (BSG, Urteil vom 23. Februar 1977 – 12 RK 2/76 –, Rn. 13, juris), dass gegen die Versäumung einer materiell-rechtlich wirkenden Ausschlussfrist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich sei (vgl. BSG, Urteil vom 10. Juni 1980 – 11 RK 11/79 –, Rn. 14, juris), ist in dieser Generalität (seit Inkrafttreten des SGB X mit seinem § 27) überholt (seit BSG, Urteil vom 25. Oktober 1988 – 12 RK 22/87 –, BSGE 64, 153-159, SozR 1300 § 27 Nr 4, Rn. 19; Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 11. Dezember 2008 – L 1 KR 63/07 –, Rn. 29, juris; Hampel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 8 SGB V, Rn. 114 mit zahlr. weiteren Nachw.; Just, in: Becker/ Kingreen, SGB V, 5. Aufl. 2017, § 8, Rn. 17; Peters, Kasseler Kommentar, 96. Ergänzungslieferung, September 2017, § 8 SGB V, Rn. 52; a. A. Dalichau, in: ders, SGB V, Band 1, Stand 2/2015, § 6, II, 1.)). Dies ergibt sich bereits aus den Ausführungen aus der im Widerspruchsbescheid weiter zitierten Entscheidung des BSG vom 09.02.1993 (BSG, Urteil vom 09. Februar 1993 – 12 RK 28/92 –, BSGE 72, 80-85, SozR 3-1300 § 27 Nr 3, Rn. 18). Das BSG hat in dieser Entscheidung schlicht offen gelassen, ob die Frist, innerhalb derer ein Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner zu stellen ist, dahingehend auszulegen ist, dass eine Wiedereinsetzung generell unzulässig ist (a.a.O. Rn. 19). Eine Wiedereinsetzung ist grundsätzlich auch bei Versäumung einer Frist des materiellen Sozialrechts zulässig ist. Sie ist nach § 27 Abs. 5 SGB X nur unzulässig, wenn dies ausdrücklich bestimmt ist oder sich durch Auslegung nach dem Zweck der jeweiligen Fristbestimmung und der ihr zugrundeliegenden Interessenabwägung ergibt (BSG, Urteil vom 09. Februar 1993 – 12 RK 28/92 –, BSGE 72, 80-85, SozR 3-1300 § 27 Nr 3, Rn. 18 BSG, Urteil vom 25. Oktober 1988 – 12 RK 22/87 –, BSGE 64, 153-159, SozR 1300 § 27 Nr 4, Rn. 19). Im Zweifel ist von der Möglichkeit einer Wiedereinsetzung auszugehen, da sie nach § 27 Abs. 1 SGB X die Regel ist und eine Ausnahme hiervon nach der Wertung des § 27 Abs. 5 SGB X deutlich werden muss (BSG, Urteil vom 25. Oktober 1988 – 12 RK 22/87 –, BSGE 64, 153-159, SozR 1300 § 27 Nr 4, Rn. 25: "im Zweifel zu bejahen"; Hampel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 8 SGB V, Rn. 114).
Eine Wiedereinsetzung in die Frist des § 8 Abs. 2 Satz 1 SGB V ist grundsätzlich möglich. Die Frist in § 8 Abs. 2 Satz 1 SGB V ist weder als Ausschlussfrist bezeichnet, obwohl die Norm erst nach Inkrafttreten des § 27 SGB X eingeführt worden ist (§ 8 Abs. 2 SGB V: zum 01.01.1989 - BGBl I 1988, 2477; § 27 SGB X: 01.01.1981 BGBl I 1980, 1469) (zu diesem Gesichtspunkt: BSG, Urteil vom 25. Oktober 1988 – 12 RK 22/87 –, BSGE 64, 153-159, SozR 1300 § 27 Nr 4, Rn. 24), noch lässt sich der Vorschrift oder ihrem Zweck mit der erforderlichen Bestimmtheit entnehmen, dass ein Fristversäumnis nicht unter bestimmten Umständen entschuldigt werden könnte (vgl. zur Vorgängervorschrift des § 173 Buchst. a RVO: BT-Drs., S. 24; 8/166; Sommer in: Peters, Handbuch KV (SGB V), § 8 Rn. 61; Peters in: KassKomm-SGB, SGB V, Stand Mai 2018, § 8 Rn. 52; Baier in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 8 Rn. 15; Hampel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 8 SGB V, Rn. 114; Moritz-Ritter, in: Hänlein/Schuler, 5. Aufl. 2016, § 8, Rn. 26 gegen die Wiedereinsetzung: Gemeinsames Rundschreiben vom 17.03.2004, unter A.III.2. Antragstellung; Marburger, Handbuch des Beitragswesens, A 6, S. 247; Gerlach in: Hauck/Noftz, SGB V, § 8 Rn. 102 unter Hinweis auf veraltete (s.o.) Rechtsprechung des BSG - Urteil vom 23. Februar 1977 – 12 RK 2/76 –, Rn. 13, juris; Urteil vom 14. Juli 1982 – 5a RKn 15/81 –, Rn. 9, juris - vor Einführung des § 27 SGB X; offen gelassen: BSG, Urteil vom 27. April 2016 – B 12 KR 24/14 R –, SozR 4-2500 § 8 Nr 4, Rn. 26; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Juni 2011 – L 1 KR 548/10 –, Rn. 28, juris; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. November 2014 – L 1 KR 138/13 –, Rn. 30, juris; Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 03. September 2012 – L 1 KR 69/10 –, Rn. 18, juris; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Juni 2012 – L 11 KR 572/11 –, Rn. 20, juris). Bei vergleichbarer Interessenstruktur hat das BSG mit entsprechender Begründung bereits entschieden, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Frist von 3 Monaten zum Beitritt zur freiwilligen Versicherung möglich ist (BSG, Urteil vom 14. Mai 2002 – B 12 KR 14/01 R –, SozR 3-2500 § 9 Nr 4, SozR 3-7610 § 1896 Nr 1, Rn. 19; auch diesbezüglich anders das Rundschreiben 81a zu § 27 SGB X, auf das sich die Beklagte stützt). In beiden Fällen geht es um Erklärungen, die für die Zugehörigkeit zum System der gesetzlichen Krankenversicherung, von Bedeutung sind. Dabei besteht einerseits ein Bedürfnis nach Rechtssicherheit (der Versichertengemeinschaft), dass die Bindung der Erklärung an eine Frist rechtfertigt, andererseits ist nicht zu erkennen, inwiefern die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die Allgemeinheit bzw. die Versichertengemeinschaft, vertreten durch die gesetzliche Krankenversicherung eine unzumutbare Belastung darstellen könnte (vgl. Peters in: KassKomm-SGB, SGB V, Stand Mai 2018, § 8 Rn. 52). Im Rahmen des § 8 Abs. 2 (S. 2) SGB V wirkt der Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht zudem erst ab dem Monat der Antragstellung, soweit zuvor bereits Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch genommen worden sind. Dadurch wird das Interesse der Versichertengemeinschaft ohnehin weitgehend berücksichtigt.
b) Die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, S. 1-3 SGB X für die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind erfüllt.
aa) Der Kläger war ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert.
(1) Zutreffend weist die Beklagte zunächst darauf hin, dass ein schuldloses Fristversäumnis wegen des Grundsatzes der formellen Publizität von Gesetzen nicht vorliegt, wenn der Betroffene eine im Gesetz selbst ausdrücklich geregelte Frist aus Unkenntnis verstreichen lässt (BSG, Urteil vom 09. Februar 1993 – 12 RK 28/92 –, BSGE 72, 80-85, SozR 3-1300 § 27 Nr 3, Rn. 19, 20; BSG, Urteil vom 14. November 2002 – B 13 RJ 39/01 R –, SozR 3-2600 § 115 Nr 9, Rn. 28; BSG, Urteil vom 14. November 2002 – B 13 RJ 39/01 R –, SozR 3-2600 § 115 Nr 9, Rn. 28; BSG, Urteil vom 22. Oktober 1996 – 13 RJ 23/95 –, BSGE 79, 168-177, SozR 3-2600 § 115 Nr 1, Rn. 32; BSG, Urteil vom 24. November 2005 – B 12 RA 9/03 R –, SozR 4-2600 § 6 Nr 5, Rn. 19; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Juni 2011 – L 1 KR 548/10 –, Rn. 28, juris; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Juni 2012 – L 11 KR 572/11 –, Rn. 21, juris; Just, in: Becker/Kingreen, SGB V, 5. Aufl. 2017, § 8, Rn. 17; Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 27 SGB X, Rn. 24). Dies gilt auch dann, wenn der Antragsteller die Frist zur Befreiung von einer Pflicht zur Sozialversicherung deshalb versäumt, weil er während des Fristlaufes über das Bestehen der Versicherungspflicht an sich in Unkenntnis ist (BSG, Urteil vom 24. November 2005 – B 12 RA 9/03 R –, SozR 4-2600 § 6 Nr 5, Rn. 7, 19, ohne allerdings auf eine Differenzierung zwischen Unkenntnis von der Versicherungspflicht und versäumter Befreiung von der Frist einzugehen, sondern unter Zitat der Rechtsprechung des Senates, dass eine Unkenntnis solcher Rechte, deren befristete Ausübung des Gesetz selbst ausdrücklich regelt, eine Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht rechtfertigen könne).
Nach dem Grundsatz der formellen Publizität bei der Verkündung von Gesetzen (BVerfG, Beschluss vom 02. April 1963 – 2 BvL 22/60 –, BVerfGE 16, 6-25) gelten diese mit ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt allen Normadressaten als bekannt, ohne Rücksicht darauf, ob und wann diese individuell und tatsächlich Kenntnis erlangt haben.
Sofern sich daran knüpfend in Rechtsprechung und Literatur die Formulierung findet, eine Unkenntnis solcher Rechte, deren befristete Ausübung "das Gesetz selbst ausdrücklich regelt" (statt vieler etwa BSG, Urteil vom 14. November 2002 – B 13 RJ 39/01 R –, SozR 3-2600 § 115 Nr 9, Rn. 28; BSG, Urteil vom 24. November 2005 – B 12 RA 9/03 R –, SozR 4-2600 § 6 Nr 5, Rn. 19 Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 27 SGB X, Rn. 24), könne daher eine Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht rechtfertigen (BSG, a.a.O.; grundlegend: BSG, Urteil vom 21. Juni 1990 – 12 RK 27/88 –, BSGE 67, 90-97, SozR 3-1200 § 13 Nr 1, SozR 3-1100 Art 82 Nr 1, Rn. 15 ff.), werden zugleich die Grenzen des Grundsatzes der formellen Publizität deutlich. Nach ihm ist zu unterstellen/ zu verlangen, dass der Adressat den Gesetzestext kennt. Soweit dieser jedoch nicht selbsterklärend ist bzw. – entgegen der Rechtspraxis – auf ein Verständnis weist, dass das Bestehen einer Versicherungspflicht oder ein Fristversäumnis für den Antrag auf Befreiung gerade nicht nahelegt, kann ein Verschulden des Betroffenen nicht mit dem Grundsatz der formellen Publizität an Gesetzen begründet werden.
Entsprechend hat das Bundessozialgericht bereits kurz nach dem Urteil vom 09. Februar 1993 (12 RK 28/92 –, BSGE 72, 80-85, SozR 3-1300 § 27 Nr 3, Rn. 19, 20) auf das sich die Beklagte stützt ausgeführt:
"Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 9. Februar 1993 (12 RK 28/92, SozR 3-1300 § 27 Nr 3, demnächst auch in BSGE Bd 72) zwar entschieden, daß nach dem Grundsatz der formellen Publizität von Gesetzen die Unkenntnis von der in Art 56 Abs 4 des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) enthaltenen Frist für einen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner nicht als schuldlos angesehen werden konnte. Jene Frist war jedoch datumsmäßig (30. Juni 1989) ausdrücklich in einem neu verkündeten Gesetz von hohem Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit enthalten. Dieses traf für den Ablauf der hier maßgebenden Antragsfrist nicht zu. Sie war für einen Nichtjuristen wie den Sohn der Kläger aus mehreren Gründen schwer erkennbar, weil für eine zutreffende Beurteilung der Rechtslage mehrere Einzelheiten bekannt sein mußten: Einmal die Begrenzung der Familienhilfe auf das Alter von 25 Jahren in § 205 Abs 3 Satz 2 RVO sowie das Nichteingreifen eines Verlängerungstatbestandes nach § 205 Abs 3 Satz 3 RVO. Sodann die erwähnte Entscheidung des BSG vom 14. Januar 1981 (SozR 2200 § 205 Nr 36), wonach bei Überschreiten der Altersgrenze im Laufe eines Semesters eine Lücke im Versicherungsschutz eintrat, was in dem Urteil ausdrücklich als unbefriedigend bezeichnet worden ist. Schließlich das Beitrittsrecht und die Befristung des entsprechenden Antrags (§ 176b Abs 1 Nr 2, Abs 2 Satz 2 RVO) zusammen mit dem Umstand, daß die Satzung keine längere als die Monatsfrist bestimmt hatte (§ 176b Abs 2 Satz 4 RVO)." (BSG, Urteil vom 11. Mai 1993 – 12 RK 36/90 –, SozR 3-2200 § 176b Nr 1, SozR 3-1300 § 27 Nr 4, Rn. 15; die Möglichkeit einer Ausnahme andeutend auch: BSG, Urteil vom 24. November 2005 – B 12 RA 9/03 R –, SozR 4-2600 § 6 Nr 5, Rn. 22).
Zwar konnte das BSG die Frage, ob unter solchen rechtlichen Verhältnissen der Grundsatz der formellen Publizität von Gesetzen noch dazu führen kann, eine Rechtskenntnis als unverschuldet im Sinne der Wiedereinsetzungsregelung anzusehen, offenlassen. Die gleichwohl geäußerten Bedenken weisen nach Auffassung der Kammer allerdings treffend auf die Grenzen des Grundsatzes der formellen Publizität, wie sie sich aus dessen Inhalt selbst ergeben.
(2) Dass die Versicherungspflicht vorliegend – aufgrund einer Unterschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze - bereits zum Oktober 2016 (vgl. I. 2.) und nicht erst – wie das Landesamt für Besoldung und Versorgung im Kläger mitteilte – ab Januar 2017 eintreten würde, ist selbst für rechtlich geschulte Personen nicht aus dem Gesetzestext selbst zu erkennen. Es ist der Kammer bekannt, dass Arbeitgeber bisweilen eine Überprüfung – wohlmöglich einen Umkehrschluss (vgl. I. 2.) nicht ziehend durch § 8 Abs. 4 SGB V fehlgeleitet – die Jahresarbeitsentgeltgrenze auch hinsichtlich eines etwaigen Unterschreitens im Rahmen ihrer Meldepflichten lediglich zum Jahreswechsel prüfen. Der vorliegende Fall verdeutlicht, dass selbst bei einer Behörde wie dem LBV - die für eine große Zahl von Beschäftigten die Meldepflicht trägt – die allgemeine Auffassung in Rechtsprechung und rechtswissenschaftlicher Literatur bezüglich des Zeitpunktes des Eintretens der Versicherungspflicht bei Absinken des Arbeitsentgeltes (vgl. I. 2.) nicht ausreichend Beachtung findet.
Der Gesetzeswortlaut des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V entspricht der langjährigen Rechtspraxis nicht (anders im seitens der Beklagte angeführten Fall des BSG, Urteil vom 24. November 2005 – B 12 RA 9/03 R –, SozR 4-2600 § 6 Nr 5, Rn. 7, 19: Hier war die Beurteilung der Rentenversicherungspflicht aufgrund des Tatbestandes § 6 Abs. 1 Buchst. a SGB VI bei Kenntnis der Vorschrift möglich).
Seinem Wortlaut nach stellt § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V darauf ab, ob das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt die jeweils maßgebliche Jahresarbeitsentgeltgrenze übersteigt. Eine unbefangene Lektüre der Norm würde es nahelegen, am Ende des Kalenderjahres zu prüfen, ob das Arbeitsentgelt höher oder niedriger war als die Grenze, um so ggf. die Feststellung treffen zu können, dass zum 01.01. des Folgejahres Versicherungsfreiheit oder Versicherungspflicht eintritt – jedenfalls soweit das Arbeitsentgelt auch die im Folgejahr geltende Jahresarbeitsentgeltgrenze übersteigen (vgl. § 6 Abs. 4 Satz 2 SGB V). /unterschreiten wird. Während die erste Frage zurückschauend beantwortet werden könnte, würde die Beantwortung der zweiten naturgemäß eine Prognose mit Blick in die Zukunft erfordern. Bereits die Jahresarbeitsentgeltgrenze, auf deren Überschreiten es ankommt, bezieht sich auf ein bestimmtes Kalenderjahr; die maßgebliche Grenze gilt nach der auf Grundlage von § 160 SGB VI erlassenen Verordnung "für das Jahr X". Die Rechtspraxis verfährt allerdings – wie für das Unterschreiten bereits dargelegt (vgl. II. 2.) - gänzlich anders. Wann das regelmäßige Arbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze unterschreitet, beurteilt sich demgemäß nicht danach, ob am 31.12. des Jahres tatsächlich ein Arbeitsentgelt unterhalb der maßgeblichen Grenze bezogen wurde bzw. beansprucht werden konnte. Dies gilt so nicht einmal für die Konstellation des Überschreitens: Zwar ist hier der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt nach § 6 Abs. 4 SGB V – im Gegensatz zur Konstellation des Unterschreitens - das Jahresende. Wann das regelmäßige Arbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze übersteigt, beurteilt sich aber nicht danach, ob am 31.12. des Jahres tatsächlich ein Arbeitsentgelt jenseits der maßgeblichen Grenze bezogen wurde bzw. beansprucht werden konnte. Vielmehr ist das Kalenderjahr für die Frage des "Übersteigens" ohne jede Bedeutung; entscheidend ist vielmehr, ob die aktuelle Entlohnung (hier zum Jahreswechsel) – hochgerechnet auf einen Zeitraum von 12 Monaten – die maßgebliche Grenze überschreiten wird. Diese Gesetzesanwendung hat – auch in der Rechtsprechung des BSG (BSG, Beschluss vom 30. Juni 1965 – GS 2/64 –, BSGE 23, 129, SozR Nr 49 zu § 165 RVO, Rn. 15; BSG, Urteil vom 07. Dezember 1989 – 12 RK 19/87 –, BSGE 66, 124-128, SozR 2200 § 165 Nr 97) – eine "lange Tradition" (Felix in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 6 SGB V, Rn. 16, 17).
(3) Konnte der Kläger unter Beachtung des Grundsatzes der formellen Publizität danach erst zum Beginn des Jahres 2017 mit seiner Versicherungspflicht rechnen, wäre sein Antrag auf Befreiung vom 25.02.2017 hiernach innerhalb der Frist des § 8 Abs. 2 S. 1 SGB V erfolgt.
Außerhalb des Grundsatzes der formellen Publizität ist dem Kläger für die tatsächliche Fristversäumnis kein Verschulden anzulasten.
Ein Verschulden ist dem Beteiligten dann nicht vorzuwerfen, wenn er mit der Sorgfalt gehandelt hat, die einem gewissenhaft Handelnden nach den Umständen des Einzelfalls vernünftigerweise zuzumuten ist. Auch leichte Fahrlässigkeit genügt, um Verschulden anzunehmen. Der Maßstab hierfür ist subjektiv, d.h. es kommt darauf an, was dem konkret Betroffenen zuzumuten war, sodass auch besondere Kenntnisse Berücksichtigung finden müssen. Des Weiteren sind insbesondere der Geisteszustand, das Alter, der Bildungsgrad und die Geschäftsgewandtheit des Betroffenen zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 15. August 2000 – B 9 VG 1/99 R –, SozR 3-3100 § 60 Nr 3, SozR 3-3100 § 61 Nr 2, SozR 3-1200 § 14 Nr 30, Rn. 13; Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 27 SGB X, Rn. 18). Unterliegt der Beteiligte einem Rechtsirrtum, so kommt es für die Wiedereinsetzung darauf an, ob dieser auch bei sorgfältiger Prüfung unvermeidbar war (Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 27 SGB X, Rn. 25; von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 27, Rn. 18).
So liegt der Fall hier. Dabei ist unerheblich, dass der Kläger sich zum Beginn seiner Elternzeit – seiner Einlassung in der mündlichen Verhandlung zufolge – schon über den Eintritt einer Versicherungspflicht keine Gedanken gemacht hat. § 8 Abs. 2 S. 1 SGB V räumte ihm insoweit zum einen eine 3-monatige Frist ein. Zum anderen kommt Wiedereinsetzung selbst dann in Betracht, wenn zwar ein Verschulden vorliegt, aber bei normalem Ablauf der Dinge die Folgen des Verschuldens durch ein von anderer Seite zu erwartendes pflichtgemäßes Handeln ausgeschaltet worden wäre (Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 27 SGB X, Rn. 19; vgl. ferner: BSG, Urteil vom 30. Januar 2002 – B 5 RJ 10/01 R –, SozR 3-1500 § 67 Nr 21).
Innerhalb der Frist des § 8 Abs. 2 S. 1 SGB V wäre nicht mehr Sorgfalt geboten und zumutbar gewesen, als den gem. § 198 SGB V meldepflichtigen Arbeitgeber um Auskunft zu ersuchen. Denn zu einer gesetzlichen Krankenversicherung stand der Kläger bereits seit Ende 2014 in keiner Rechtsbeziehung mehr, so dass sich eine dortige Nachfrage ihm nicht aufdrängen konnte. Noch binnen der Frist des § 8 Abs. 2 S. 1 SGB V, nämlich unter dem 16.12.2016, teilte das Landesamt für Besoldung und Versorgung (als für den Arbeitgeber, das Land Nordrhein – Westfalen, zuständige Stelle) dem Kläger fälschlicherweise mit, dass er (erst) ab Januar 2017 versicherungspflichtig werde. Eine Befreiung von der eingetretenen Versicherungspflicht sei dabei nicht möglich. Auch die bereits zuvor übersandten Bezügemitteilungen des LBV für die Monate Oktober und November und Dezember 2016 wiesen für den Kläger darauf hin, dass sich an seinem Versicherungsstatus nichts geändert habe. In der Folge bestätigte das LBV – nach der Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, an deren Richtigkeit zu zweifeln die Kammer keinen Anlass sieht, zumal der Kläger ehrlich eingeräumt hat, sich zunächst über die Konsequenzen der Elternzeit auf seine Versicherungspflicht keine Gedanken gemacht zu haben – im Rahmen von Telefonaten dahingehend, dass der Kläger die Auskunft erhielt, die zum 01.01.2017 beginnende Pflichtversicherung bestehe bis zum Ende der Elternzeit. Dieser (pflichtwidrigen) Auskunft einer Landesbehörde hat der Kläger vertraut, ohne dass ihm dies vorwerfbar wäre oder ihm zugerechnet werden könnte (vgl. BSG a.a.O., Rn. 19; Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 27 SGB X, Rn. 29 ff.; Siefert, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 27, Rn. 25-30). Die Anforderungen an die subjektive Vermeidbarkeit einer Rechtsunkenntnis würden überspannt, wollte man etwa gleichwohl die Überprüfung der Auskunft durch einen Rechtsanwalt o. ä. verlangen.
bb) Auch die übrigen Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, 2 SGB X sind erfüllt. Erst Anfang Januar 2017 entstanden bei dem Kläger nach seiner Einlassung in der mündlichen Verhandlung im Rahmen eines Gespräches mit einer Maklerin einer privaten Versicherung zufällig Zweifel an der Auskunft des LBV, wobei in einem Gesprächsvermerk der Beklagten vom 21.02.2017 festgehalten ist, dass die Versicherungsmaklerin letztlich von der Richtigkeit der Auskunft des LBV ausging. Parallel dazu erhielt die Beklagte am 16.01.2017 die Meldung des Arbeitgebers des Klägers zur Sozialversicherung. Unter dem 17.01.2017 begrüßte sie den Kläger aufgrund dieser Anmeldung - ausdrücklich für die Zeit ab dem 01.01.2017. Erst nachdem die private Versicherungsmaklerin und in der Folge der Kläger selbst sich mit der Beklagten telefonisch ins Benehmen setzte, konnte die Beklagte den Zeitpunkt des Eintritts der Versicherungspflicht des Klägers erkennen und erhielt der Kläger hiervon und von der Möglichkeit eines Antrages auf Befreiung Kenntnis, dessen Frist bereits abgelaufen war. Nach den Vermerken über die entsprechenden Gespräche war dies am 21.02.2017. Die Beklagte übersandte dem Kläger daraufhin am selben Tag einen Antragsvordruck für die Befreiung von der Krankenversicherungspflicht, den der Kläger bereits unter dem 25.02.2016 ausgefüllt zurücksandte. Selbst wenn der Antrag nicht bereits telefonisch gestellt worden ist, ist er in jedem Fall binnen 2 Wochen nach Wegfall der des Hinderungsgrundes für die Einhaltung der Frist (Rechtsunkenntnis) gestellt worden (§ 27 Abs. 2 S. 1 SGB X). Da der Kläger seinem Antrag das Schreiben des LBV beifügte, nachdem die Versicherungspflicht erst zum 01.01.2017 beginnen solle, hat er die Tatsachen zur Begründung eines Antrages auf Wiedereinsetzung auch glaubhaft gemacht (§ 27 Abs. 2 S. 2 SGB X). Sofern er nochmals darauf hinwies, dass er die vorgeschriebene Frist somit habe nicht einhalten können, hat er jedenfalls konkludent den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt (§ 27 Abs. 1 S. 1 SGB X), so dass es auf die Möglichkeit der Beklagten, die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag von Amts wegen zu gewähren (§ 27 Abs. 2 S. 4 SGB X) nicht erst ankommt.
III. Zuletzt ist die Voraussetzung des § 8 Abs. 2 S. 4 SGB V erfüllt. Der Kläger hat seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Befreiung von der Versicherungspflicht den Nachweis beigefügt, dass eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall, nämlich (weiterhin) eine private Krankenversicherung bestand.
Da er bis dahin keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch genommen hatte, wirkte sein Antrag gemäß § 8 Abs. 2 S. 2 SGB V auf den Beginn der Versicherungspflicht zurück.
Die Befreiung wirkte gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB X für die gesamte Dauer der Elternzeit, also bis einschließlich des Monates April 2017.
Soweit die Feststellung einer weiteren Befreiung nicht begehrt worden ist (möglicherweise hat der Kläger seine private Krankenversicherung für den Rest des Jahres 2017 auch gekündigt oder ruhend gestellt) ist ohne Bedeutung, dass der Kläger - entgegen der Auskunft der Beklagten, die diesbezüglich allein auf die Meldung des Arbeitgebers verwiesen hat, der sie im Rahmen der Feststellung des Zeitpunkts des Eintritts der Versicherungspflicht (insoweit) zu Recht keine Relevanz beimessen wollte – letztlich für das gesamte Jahr 2017 bestanden hätte (vgl. § 6 Abs. 4 SGB V; Baier, in Kraußkopf, SGB V, Bd. 1, Stand November 2011, § 6, Rn. 58).
D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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