Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
83
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 147/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid des Beklagten vom 20. März 2002 wird aufgehoben. Im übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtli-chen Kosten der Beigeladenen zu 1) bis 6), die diese selbst tragen. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für not-wendig erklärt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Regressfestsetzung im Rahmen der Richtgrößenprüfung 1999.
Der Kläger ist Facharzt für Orthopädie und war im Jahr 1999 in B-Z zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Mit Schreiben vom 26. Juni 2001 teilte der Prüfungsausschuss für die Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach § 106 SGB V bei der KV Berlin (Prüfungsausschuss) dem Kläger mit, dass die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit nach Richtgrößen wegen Überschrei-tung der Richtgrößen um 253,92 % für das Jahr 1999 von Amts wegen durchgeführt werde. Mit Schreiben vom 6. Juli 2001 begehrte der Kläger Akteneinsicht, um Praxisbesonderheiten geltend machen zu können. Mit Bescheid vom 2. August 2001 setzte der Prüfungsausschuss einen Regress in Höhe von 1.095.165,56 DM fest. Praxisbesonderheiten wurden nicht aner-kannt, da sie mangels Mitwirkung des Klägers nicht berücksichtigt hätten werden können. Am 4. Oktober 2001 legte die Beigeladene zu 1), am 11. Oktober 2001 der Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung seines Widerspruchs führte der Kläger mit Schriftsatz seiner Prozessbe-vollmächtigten vom 8. März 2002 aus, dass die Prüfgremien die Praxisbesonderheiten selbst ermitteln müssten. Es fehle eine geeignete Datenbasis, die Ermittlung der Verordnungsdaten sei fehlerhaft. Die Richtgrößen 1999 seien erst verspätet veröffentlicht worden. Im übrigen machte der Kläger Praxisbesonderheiten geltend, die im Rahmen der Richtgrößenprüfung 1998 voll anerkannt worden seien. Mit Bescheid vom 20. März 2002 wies der Beklagte den Wider-spruch der Beigeladenen zu 1) zurück. Auf den Widerspruch des Klägers reduzierte er die Re-gresssumme auf 980.716,49 DM (= 501.432,38 EUR). Im übrigen wies er den Widerspruch zu-rück. Zur Begründung führte er im wesentlichen aus: Die von den Krankenkassen gemeldeten Verordnungskosten könnten der Richtgrößenprüfung zu Grunde gelegt werden. Die elektroni-sche Datenübermittlung sei ausreichend, die Vorlage der Originalverordnungsblätter oder der Print-Images sei gesetzlich nicht vorgesehen. Praxisbesonderheiten hätten auch nach ausführli-cher mündlicher Verhandlung nur in Höhe von 126.539,00 DM festgestellt werden können. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die schriftliche Ausfertigung des Bescheides vom 13. Mai 2002 Bezug genommen.
Gegen die Regressfestsetzung richtet sich die am 16. Mai 2002 erhobene Klage, zu deren Be-gründung der Kläger ausführt, dass der Bescheid auf einer fehlerhaften Datenermittlung der von ihm veranlassten Verordnungskosten beruhe. Die von den Krankenkassen übermittelten Werte stellten keine geeignete Datenbasis dar. Die gesetzliche Vermutung der Richtigkeit der von den Krankenkassen an die Prüfgremien gemeldeten Verordnungskosten setze voraus, dass die gemeldeten Verordnungsdaten den gesetzlichen Anforderungen des § 296 SGB V genüg-ten. Die Daten müssten derart differenziert sein, dass ihm eine detaillierte Prüfung der Verord-nungsdaten im Abgleich mit seinen eigenen Unterlagen möglich sei. Da diese Daten weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren vorgelegen hätten, könnten sie einem Regress nicht zu Grunde gelegt werden. Der Kläger bestreitet, die im Richtgrößenverfahren zu Grunde geleg-ten Verordnungskosten tatsächlich in diesem Umfang verursacht zu haben. Des weiteren rügt er unter anderem eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes gemäß § 20 SGB X, die Nichtberücksichtigung von bestehenden Praxisbesonderheiten und einen diesbezüglichen Ver-stoß gegen die Begründungspflichten, die Unzuständigkeit der Krankenkassenverbände und der Beigeladenen zu 1) zur Richtgrößenvereinbarung 1999, die verspätete Veröffentlichung der Richtgrößen und deren rechtswidrige Rückwirkung sowie die Rechtswidrigkeit der Prüfkrite-rien 1999.
Der Kläger beantragt, dem Beschluss des Prüfungsausschusses vom 2. August 2001 in Gestalt der Ent-scheidung des Beklagten vom 20. März 2002 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich im wesentlichen auf die Begründung des angegriffenen Bescheides.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Mit Schreiben vom 1. Februar 2007 hat der Beklagte mitgeteilt, dass durch Verordnungsunter-lagen 668.904,13 DM Verordnungskosten belegt seien. Sofern man diese der Richtgrößenprü-fung 1999 zu Grunde lege, ergebe sich unter Berücksichtigung der anerkannten Praxisbeson-derheiten eine Überschreitung der Richtgrößensumme von 1,58% (Richtgrößenwerte 1998) be-ziehungsweise 2,48% (Richtgrößenwerte 1999).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhand-lung und der Entscheidungsfindung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Soweit sich die Klage gegen den Beschluss des Prüfungsausschusses vom 2. August 2001 rich-tet, ist sie unzulässig. Es fehlt an einem entsprechenden Rechtsschutzbedürfnis. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vergleiche vgl. z. B. BSG, SozR 3 – 2500 § 106 Nr. 22; Leitherer in: Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage 2005, § 95, Rn. 2b) wird Gegen-stand eines gerichtlichen Verfahrens der Wirtschaftlichkeitsprüfung nur der Bescheid des Be-klagten. Dieser Bescheid ersetzt den Bescheid des Prüfungsausschusses, so dass der Entschei-dung des Prüfungsausschusses keinerlei rechtliche Wirkung mehr zukommt.
Soweit sich die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 20. März 2002 wendet, ist sie zulässig und begründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Rechtsgrundlage für den im angegriffenen Bescheid ausgesprochenen Regress ist § 106 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5a S. 1 SGB V i.V.m. § 84 Abs. 3 und 4 SGB V in der Fassung des GKV-SolG vom 19. Dezember 1998 und den im KV-Blatt veröffentlichten Richtgrößen für 1998 und 1999 und der Richtgrößenvereinbarung 1999. Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung durch arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen bei Überschreitung der Richtgrößen nach § 84 SGB V geprüft. Bei einer Überschreitung der Richtgrößen um mehr als 15 vom Hundert werden Prüfungen ohne Antragstellung durchgeführt; bei einer Über-schreitung um mehr als 25 vom Hundert hat der Vertragsarzt den sich daraus ergebenden Mehraufwand zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen vereinbaren mit der Kassenärztlichen Vereinigung einheitliche arztgruppenspezifische Richtgrößen für das Volu-men der je Arzt verordneten Leistungen, insbesondere von Arznei-, Verband- und Heilmitteln.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Eine Überschreitung der Richtgrößen um mehr als 25 vom Hundert der durch den Kläger veranlassten Verordnungskosten von Arznei-, Ver-band- und Heilmitteln ist nicht festzustellen. Der Kläger hat im streitgegenständlichen Zeit-raum Verordnungskosten in nachgewiesener Höhe von 668.904,13 DM verursacht. Diese sind mittels vorliegenden Verordnungsblättern beziehungsweise Printimages beim Beklagten nach-gewiesen. Da die Höhe der auf diese Weise belegten Verordnungskosten von keinem der Betei-ligten bestritten wird, können sie von der Kammer ohne weitere Ermittlungen der Entschei-dung zu Grunde gelegt werden. Gründe, an der genannten Summe zu zweifeln, ergeben sich vorliegend nicht. Abzüglich der von dem Beklagten anerkannten Praxisbesonderheiten ergibt sich nur eine geringfügige Überschreitung der Richtgrößensumme von deutlich unter 25 %. Es wird auf die Aufstellung des Beklagten vom 1. Februar 2007 Bezug genommen. Ob der Prü-fung die Richtgrößenwerte 1998, 1999 oder ein Mischwert aus beiden Größen zugrunde zu le-gen ist, kann offen bleiben, da in keinem Fall eine Überschreitung von 25 % festgestellt wer-den kann.
Die von den Krankenkassen gemeldeten und dem Beschluss des Beklagten zu Grunde gelegten Verordnungskosten in Höhe von 1.873.084,26 DM können der Richtgrößenprüfung 1999 da-gegen nicht zu Grunde gelegt werden. Zwar ist für den Nachweis der von einem Vertragsarzt veranlassten Verordnungskosten an Arznei-, Verband- und Heilmitteln nicht die Vorlage der Originalverordnungsblätter oder der Print-Images erforderlich. Vielmehr reicht es grundsätz-lich aus, wenn die nach § 296 Abs. 3 SGB V von den Krankenkassen zu übermittelnden, elek-tronisch erfassten Daten gemeldet werden, denn für diese Daten gilt der Anscheinsbeweis der Richtigkeit (BSG, Urteil v. 2. November 2005, -B 6 KA 63/04 R-, BSGE 95, 199-219, Rn. 33). Mangels der Gewährung ausreichenden rechtlichen Gehörs durch den Beklagten scheidet eine Prüfung auf Grundlage dieser Daten vorliegend jedoch aus. Gemäß § 24 Abs. 1 SGB X ist, be-vor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gele-genheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Hiermit wird das in Art. 103 GG verankerte Grundrecht auf rechtliches Gehör konkretisiert. Hierzu hat die Behörde gemäß § 25 Abs. 1 S. 1 SGB X den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidi-gung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Dem Kläger wurde keine Gelegenheit gegeben, sich zur Richtigkeit der elektronisch ermittel-ten und übermittelten Verordnungskosten zu äußern und dementsprechend mögliche Fehler bei der Kostenermittlung nachzuweisen. Denn das vom Bundessozialgericht im angeführten Urteil aufgezeigte Verwaltungsverfahren setzt voraus, dass sowohl den Prüfgremien als auch dem ge-prüften Arzt sämtliche von den Krankenkassen zu meldenden Verordnungsdaten zur Verfü-gung stehen, und zwar in Form der erweiterten Arzneimitteldatei gemäß Abschnitt 5 § 3 des Vertrags über den Datenaustausch auf Datenträgern – Anlage 6 BMV-Ä bzw. EKV-Ä (BSG, a.a.O., Rn. 32). Entsprechende ausgedruckte Verordnungslisten oder aufbereitete Daten in e-lektronischer Form wurden weder im Verwaltungsverfahren und noch im Gerichtsverfahren, auch auf Nachfrage des Beklagten und des Gerichts, vorgelegt – mit Ausnahme der Arzneikos-ten der Betriebskrankenkassen. Die lediglich nach Kassenart zusammengefassten Arznei- und Heilmittelausgaben, wie sie sich in einer einseitigen Aufstellung in den Verwaltungsakten be-finden, genügen nicht zur Gewährung ausreichenden rechtlichen Gehörs (BSG a.a.O).
Der Einhaltung des in den Rn. 32 und 33 des genannten BSG-Urteils vorgezeichneten Verfah-rens kommt jedoch entscheidende Bedeutung zu. Denn die Summe der vom betroffenen Arzt im geprüften Zeitraum tatsächlich zu Lasten der Krankenkassen verursachten Kosten ist zentra-ler Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit seiner Verordnungsweise und gegebenenfalls für die Festsetzung eines Schadensregresses (BSG a.a.O., Rn. 30), weil dem Beklagten bei der Festsetzung der Regresssumme kein Ermessen zusteht. Daher kann unbe-rücksichtigt bleiben, dass der Kläger im Verwaltungsverfahren – soweit ersichtlich – Aktenein-sicht nicht genommen hat (vgl. zu diesem Erfordernis BSG a.a.O., Rn. 32). Zum einen hatte er Akteneinsicht beantragt, ohne dass diese ihm vor der Entscheidung des Prüfungsausschusses oder des Beklagten gewährt worden wäre. Zum anderen wäre die Akteneinsicht schon deswe-gen nicht weiterführend gewesen, weil die erweiterte Arzneimitteldatei von den Krankenkassen nicht vorgelegt worden war. Das rechtliche Gehör ist auch weder gem. § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X nachgeholt worden noch ist seine Verletzung gem. § 42 SGB X unbeachtlich (§ 42 S. 2 SGB X).
Aufgrund dessen, dass die elektronisch ermittelten und gemeldeten Verordnungskosten der Prüfung nicht zugrunde zu legen sind, können nur die mittels Einzelverordnungsblättern bzw. Printimages nachgewiesenen Verordnungskosten nachgewiesenen, individuell ermittelten Kos-ten herangezogen werden (vgl. BSG a.a.O., Rn. 33; § 298 SGB V), was zu dem bereits oben genannten Ergebnis der lediglich geringfügigen Überschreitung der Richtgrößensumme durch den Kläger führt.
Daran ändert auch die von dem Beigeladenen zu 3) mit Schriftsatz vom 14. Februar 2007 in schriftlicher Form vorgelegte erweiterte Arzneikostendatei nichts. Würde man die solcherma-ßen nachgewiesenen Kosten von 12.787,61 DM berücksichtigen, so führte dies zu einer Erhö-hung der nachgewiesenen Verordnungskosten von lediglich 2.186,19 DM, da mittels Verord-nungsblätter nachgewiesene Kosten in Höhe von 10.601,42 DM bereits in die berücksichtigten Kosten eingeflossen sind. Diese geringfügige Erhöhung würde nicht zu einer Überschreitung der Richtgrößen auf über 25 % führen. Es ist aber bereits fraglich, ob die Vorlage der erweiter-ten Arzneimitteldatei für nur einige Krankenkassen ausreicht und eine "Mischform" der Er-mittlung der Verordnungskosten ermöglicht. Hiergegen spricht, dass hinsichtlich des An-scheinsbeweises der Richtigkeit, der der erweiterten Arzneimitteldatei zukommt, nicht nach den einzelnen Dateien der Krankenkassen zu unterscheiden ist, sondern der Nachweis erst dann, aber auch gerade dann und für die Gesamtheit der Dateien aller Krankenkassen erschüt-tert wird, wenn 5 % der elektronisch erfassten Verordnungskosten fehlerhaft sind (BSG, a.a.O., Rn. 33). Daher ist zu verlangen, dass zumindest 95% aller elektronisch ermittelten Verord-nungskosten in Form der erweiterten Arzneimitteldatei dem Arzt zur Einsichtnahme zur Ver-fügung gestellt werden, um nicht den Nachweis anhand der Originalverordnungsblätter führen zu müssen.
Auch dass die meisten Krankenkassen(-verbände) die Verordnungsdaten des Jahres 1999 ge-mäß § 304 SGB V zwischenzeitlich vernichtet haben und diese daher im Gerichtsverfahren nicht mehr zur Verfügung stellen können, ändert an der rechtlichen Bewertung nichts. Denn zum einen hätte die Übermittlung gem. § 296 Abs. 3 SGB V bereits im Rahmen des Verfahrens vor dem Prüfungsausschuss erfolgen müssen. Die Prüfgremien unterliegen dann nicht dem Lö-schungsgebot, so lange das Prüfverfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Zum anderen kann die Löschung der Daten, auch wenn sie rechtlich vorgeschrieben ist, in Anbetracht des Grundrechts des Klägers auf rechtliches Gehör nach Art. 103 GG nicht zu seinen Lasten gehen.
Über die weiteren streitigen Punkte brauchte angesichts dessen, dass eine Überschreitung der Richtgrößen um 25 % unter Berücksichtigung der bereits anerkannten Praxisbesonderheiten nicht vorliegt, nicht entschieden zu werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m §§ 155 Abs. 1 S. 3, 162 Abs. 2 und 154 Abs. 3 VwGO.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Regressfestsetzung im Rahmen der Richtgrößenprüfung 1999.
Der Kläger ist Facharzt für Orthopädie und war im Jahr 1999 in B-Z zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Mit Schreiben vom 26. Juni 2001 teilte der Prüfungsausschuss für die Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach § 106 SGB V bei der KV Berlin (Prüfungsausschuss) dem Kläger mit, dass die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit nach Richtgrößen wegen Überschrei-tung der Richtgrößen um 253,92 % für das Jahr 1999 von Amts wegen durchgeführt werde. Mit Schreiben vom 6. Juli 2001 begehrte der Kläger Akteneinsicht, um Praxisbesonderheiten geltend machen zu können. Mit Bescheid vom 2. August 2001 setzte der Prüfungsausschuss einen Regress in Höhe von 1.095.165,56 DM fest. Praxisbesonderheiten wurden nicht aner-kannt, da sie mangels Mitwirkung des Klägers nicht berücksichtigt hätten werden können. Am 4. Oktober 2001 legte die Beigeladene zu 1), am 11. Oktober 2001 der Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung seines Widerspruchs führte der Kläger mit Schriftsatz seiner Prozessbe-vollmächtigten vom 8. März 2002 aus, dass die Prüfgremien die Praxisbesonderheiten selbst ermitteln müssten. Es fehle eine geeignete Datenbasis, die Ermittlung der Verordnungsdaten sei fehlerhaft. Die Richtgrößen 1999 seien erst verspätet veröffentlicht worden. Im übrigen machte der Kläger Praxisbesonderheiten geltend, die im Rahmen der Richtgrößenprüfung 1998 voll anerkannt worden seien. Mit Bescheid vom 20. März 2002 wies der Beklagte den Wider-spruch der Beigeladenen zu 1) zurück. Auf den Widerspruch des Klägers reduzierte er die Re-gresssumme auf 980.716,49 DM (= 501.432,38 EUR). Im übrigen wies er den Widerspruch zu-rück. Zur Begründung führte er im wesentlichen aus: Die von den Krankenkassen gemeldeten Verordnungskosten könnten der Richtgrößenprüfung zu Grunde gelegt werden. Die elektroni-sche Datenübermittlung sei ausreichend, die Vorlage der Originalverordnungsblätter oder der Print-Images sei gesetzlich nicht vorgesehen. Praxisbesonderheiten hätten auch nach ausführli-cher mündlicher Verhandlung nur in Höhe von 126.539,00 DM festgestellt werden können. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die schriftliche Ausfertigung des Bescheides vom 13. Mai 2002 Bezug genommen.
Gegen die Regressfestsetzung richtet sich die am 16. Mai 2002 erhobene Klage, zu deren Be-gründung der Kläger ausführt, dass der Bescheid auf einer fehlerhaften Datenermittlung der von ihm veranlassten Verordnungskosten beruhe. Die von den Krankenkassen übermittelten Werte stellten keine geeignete Datenbasis dar. Die gesetzliche Vermutung der Richtigkeit der von den Krankenkassen an die Prüfgremien gemeldeten Verordnungskosten setze voraus, dass die gemeldeten Verordnungsdaten den gesetzlichen Anforderungen des § 296 SGB V genüg-ten. Die Daten müssten derart differenziert sein, dass ihm eine detaillierte Prüfung der Verord-nungsdaten im Abgleich mit seinen eigenen Unterlagen möglich sei. Da diese Daten weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren vorgelegen hätten, könnten sie einem Regress nicht zu Grunde gelegt werden. Der Kläger bestreitet, die im Richtgrößenverfahren zu Grunde geleg-ten Verordnungskosten tatsächlich in diesem Umfang verursacht zu haben. Des weiteren rügt er unter anderem eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes gemäß § 20 SGB X, die Nichtberücksichtigung von bestehenden Praxisbesonderheiten und einen diesbezüglichen Ver-stoß gegen die Begründungspflichten, die Unzuständigkeit der Krankenkassenverbände und der Beigeladenen zu 1) zur Richtgrößenvereinbarung 1999, die verspätete Veröffentlichung der Richtgrößen und deren rechtswidrige Rückwirkung sowie die Rechtswidrigkeit der Prüfkrite-rien 1999.
Der Kläger beantragt, dem Beschluss des Prüfungsausschusses vom 2. August 2001 in Gestalt der Ent-scheidung des Beklagten vom 20. März 2002 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich im wesentlichen auf die Begründung des angegriffenen Bescheides.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Mit Schreiben vom 1. Februar 2007 hat der Beklagte mitgeteilt, dass durch Verordnungsunter-lagen 668.904,13 DM Verordnungskosten belegt seien. Sofern man diese der Richtgrößenprü-fung 1999 zu Grunde lege, ergebe sich unter Berücksichtigung der anerkannten Praxisbeson-derheiten eine Überschreitung der Richtgrößensumme von 1,58% (Richtgrößenwerte 1998) be-ziehungsweise 2,48% (Richtgrößenwerte 1999).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhand-lung und der Entscheidungsfindung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Soweit sich die Klage gegen den Beschluss des Prüfungsausschusses vom 2. August 2001 rich-tet, ist sie unzulässig. Es fehlt an einem entsprechenden Rechtsschutzbedürfnis. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vergleiche vgl. z. B. BSG, SozR 3 – 2500 § 106 Nr. 22; Leitherer in: Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage 2005, § 95, Rn. 2b) wird Gegen-stand eines gerichtlichen Verfahrens der Wirtschaftlichkeitsprüfung nur der Bescheid des Be-klagten. Dieser Bescheid ersetzt den Bescheid des Prüfungsausschusses, so dass der Entschei-dung des Prüfungsausschusses keinerlei rechtliche Wirkung mehr zukommt.
Soweit sich die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 20. März 2002 wendet, ist sie zulässig und begründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Rechtsgrundlage für den im angegriffenen Bescheid ausgesprochenen Regress ist § 106 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5a S. 1 SGB V i.V.m. § 84 Abs. 3 und 4 SGB V in der Fassung des GKV-SolG vom 19. Dezember 1998 und den im KV-Blatt veröffentlichten Richtgrößen für 1998 und 1999 und der Richtgrößenvereinbarung 1999. Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung durch arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen bei Überschreitung der Richtgrößen nach § 84 SGB V geprüft. Bei einer Überschreitung der Richtgrößen um mehr als 15 vom Hundert werden Prüfungen ohne Antragstellung durchgeführt; bei einer Über-schreitung um mehr als 25 vom Hundert hat der Vertragsarzt den sich daraus ergebenden Mehraufwand zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen vereinbaren mit der Kassenärztlichen Vereinigung einheitliche arztgruppenspezifische Richtgrößen für das Volu-men der je Arzt verordneten Leistungen, insbesondere von Arznei-, Verband- und Heilmitteln.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Eine Überschreitung der Richtgrößen um mehr als 25 vom Hundert der durch den Kläger veranlassten Verordnungskosten von Arznei-, Ver-band- und Heilmitteln ist nicht festzustellen. Der Kläger hat im streitgegenständlichen Zeit-raum Verordnungskosten in nachgewiesener Höhe von 668.904,13 DM verursacht. Diese sind mittels vorliegenden Verordnungsblättern beziehungsweise Printimages beim Beklagten nach-gewiesen. Da die Höhe der auf diese Weise belegten Verordnungskosten von keinem der Betei-ligten bestritten wird, können sie von der Kammer ohne weitere Ermittlungen der Entschei-dung zu Grunde gelegt werden. Gründe, an der genannten Summe zu zweifeln, ergeben sich vorliegend nicht. Abzüglich der von dem Beklagten anerkannten Praxisbesonderheiten ergibt sich nur eine geringfügige Überschreitung der Richtgrößensumme von deutlich unter 25 %. Es wird auf die Aufstellung des Beklagten vom 1. Februar 2007 Bezug genommen. Ob der Prü-fung die Richtgrößenwerte 1998, 1999 oder ein Mischwert aus beiden Größen zugrunde zu le-gen ist, kann offen bleiben, da in keinem Fall eine Überschreitung von 25 % festgestellt wer-den kann.
Die von den Krankenkassen gemeldeten und dem Beschluss des Beklagten zu Grunde gelegten Verordnungskosten in Höhe von 1.873.084,26 DM können der Richtgrößenprüfung 1999 da-gegen nicht zu Grunde gelegt werden. Zwar ist für den Nachweis der von einem Vertragsarzt veranlassten Verordnungskosten an Arznei-, Verband- und Heilmitteln nicht die Vorlage der Originalverordnungsblätter oder der Print-Images erforderlich. Vielmehr reicht es grundsätz-lich aus, wenn die nach § 296 Abs. 3 SGB V von den Krankenkassen zu übermittelnden, elek-tronisch erfassten Daten gemeldet werden, denn für diese Daten gilt der Anscheinsbeweis der Richtigkeit (BSG, Urteil v. 2. November 2005, -B 6 KA 63/04 R-, BSGE 95, 199-219, Rn. 33). Mangels der Gewährung ausreichenden rechtlichen Gehörs durch den Beklagten scheidet eine Prüfung auf Grundlage dieser Daten vorliegend jedoch aus. Gemäß § 24 Abs. 1 SGB X ist, be-vor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gele-genheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Hiermit wird das in Art. 103 GG verankerte Grundrecht auf rechtliches Gehör konkretisiert. Hierzu hat die Behörde gemäß § 25 Abs. 1 S. 1 SGB X den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidi-gung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Dem Kläger wurde keine Gelegenheit gegeben, sich zur Richtigkeit der elektronisch ermittel-ten und übermittelten Verordnungskosten zu äußern und dementsprechend mögliche Fehler bei der Kostenermittlung nachzuweisen. Denn das vom Bundessozialgericht im angeführten Urteil aufgezeigte Verwaltungsverfahren setzt voraus, dass sowohl den Prüfgremien als auch dem ge-prüften Arzt sämtliche von den Krankenkassen zu meldenden Verordnungsdaten zur Verfü-gung stehen, und zwar in Form der erweiterten Arzneimitteldatei gemäß Abschnitt 5 § 3 des Vertrags über den Datenaustausch auf Datenträgern – Anlage 6 BMV-Ä bzw. EKV-Ä (BSG, a.a.O., Rn. 32). Entsprechende ausgedruckte Verordnungslisten oder aufbereitete Daten in e-lektronischer Form wurden weder im Verwaltungsverfahren und noch im Gerichtsverfahren, auch auf Nachfrage des Beklagten und des Gerichts, vorgelegt – mit Ausnahme der Arzneikos-ten der Betriebskrankenkassen. Die lediglich nach Kassenart zusammengefassten Arznei- und Heilmittelausgaben, wie sie sich in einer einseitigen Aufstellung in den Verwaltungsakten be-finden, genügen nicht zur Gewährung ausreichenden rechtlichen Gehörs (BSG a.a.O).
Der Einhaltung des in den Rn. 32 und 33 des genannten BSG-Urteils vorgezeichneten Verfah-rens kommt jedoch entscheidende Bedeutung zu. Denn die Summe der vom betroffenen Arzt im geprüften Zeitraum tatsächlich zu Lasten der Krankenkassen verursachten Kosten ist zentra-ler Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit seiner Verordnungsweise und gegebenenfalls für die Festsetzung eines Schadensregresses (BSG a.a.O., Rn. 30), weil dem Beklagten bei der Festsetzung der Regresssumme kein Ermessen zusteht. Daher kann unbe-rücksichtigt bleiben, dass der Kläger im Verwaltungsverfahren – soweit ersichtlich – Aktenein-sicht nicht genommen hat (vgl. zu diesem Erfordernis BSG a.a.O., Rn. 32). Zum einen hatte er Akteneinsicht beantragt, ohne dass diese ihm vor der Entscheidung des Prüfungsausschusses oder des Beklagten gewährt worden wäre. Zum anderen wäre die Akteneinsicht schon deswe-gen nicht weiterführend gewesen, weil die erweiterte Arzneimitteldatei von den Krankenkassen nicht vorgelegt worden war. Das rechtliche Gehör ist auch weder gem. § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X nachgeholt worden noch ist seine Verletzung gem. § 42 SGB X unbeachtlich (§ 42 S. 2 SGB X).
Aufgrund dessen, dass die elektronisch ermittelten und gemeldeten Verordnungskosten der Prüfung nicht zugrunde zu legen sind, können nur die mittels Einzelverordnungsblättern bzw. Printimages nachgewiesenen Verordnungskosten nachgewiesenen, individuell ermittelten Kos-ten herangezogen werden (vgl. BSG a.a.O., Rn. 33; § 298 SGB V), was zu dem bereits oben genannten Ergebnis der lediglich geringfügigen Überschreitung der Richtgrößensumme durch den Kläger führt.
Daran ändert auch die von dem Beigeladenen zu 3) mit Schriftsatz vom 14. Februar 2007 in schriftlicher Form vorgelegte erweiterte Arzneikostendatei nichts. Würde man die solcherma-ßen nachgewiesenen Kosten von 12.787,61 DM berücksichtigen, so führte dies zu einer Erhö-hung der nachgewiesenen Verordnungskosten von lediglich 2.186,19 DM, da mittels Verord-nungsblätter nachgewiesene Kosten in Höhe von 10.601,42 DM bereits in die berücksichtigten Kosten eingeflossen sind. Diese geringfügige Erhöhung würde nicht zu einer Überschreitung der Richtgrößen auf über 25 % führen. Es ist aber bereits fraglich, ob die Vorlage der erweiter-ten Arzneimitteldatei für nur einige Krankenkassen ausreicht und eine "Mischform" der Er-mittlung der Verordnungskosten ermöglicht. Hiergegen spricht, dass hinsichtlich des An-scheinsbeweises der Richtigkeit, der der erweiterten Arzneimitteldatei zukommt, nicht nach den einzelnen Dateien der Krankenkassen zu unterscheiden ist, sondern der Nachweis erst dann, aber auch gerade dann und für die Gesamtheit der Dateien aller Krankenkassen erschüt-tert wird, wenn 5 % der elektronisch erfassten Verordnungskosten fehlerhaft sind (BSG, a.a.O., Rn. 33). Daher ist zu verlangen, dass zumindest 95% aller elektronisch ermittelten Verord-nungskosten in Form der erweiterten Arzneimitteldatei dem Arzt zur Einsichtnahme zur Ver-fügung gestellt werden, um nicht den Nachweis anhand der Originalverordnungsblätter führen zu müssen.
Auch dass die meisten Krankenkassen(-verbände) die Verordnungsdaten des Jahres 1999 ge-mäß § 304 SGB V zwischenzeitlich vernichtet haben und diese daher im Gerichtsverfahren nicht mehr zur Verfügung stellen können, ändert an der rechtlichen Bewertung nichts. Denn zum einen hätte die Übermittlung gem. § 296 Abs. 3 SGB V bereits im Rahmen des Verfahrens vor dem Prüfungsausschuss erfolgen müssen. Die Prüfgremien unterliegen dann nicht dem Lö-schungsgebot, so lange das Prüfverfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Zum anderen kann die Löschung der Daten, auch wenn sie rechtlich vorgeschrieben ist, in Anbetracht des Grundrechts des Klägers auf rechtliches Gehör nach Art. 103 GG nicht zu seinen Lasten gehen.
Über die weiteren streitigen Punkte brauchte angesichts dessen, dass eine Überschreitung der Richtgrößen um 25 % unter Berücksichtigung der bereits anerkannten Praxisbesonderheiten nicht vorliegt, nicht entschieden zu werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m §§ 155 Abs. 1 S. 3, 162 Abs. 2 und 154 Abs. 3 VwGO.
Rechtskraft
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