S 83 KA 354/08 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
83
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 354/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst tragen. Der Streitwert wird auf 85.000,- EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verlängerung ihrer vertragsärztlichen Zulassung über das Quartal III/2008 hinaus.

Die am 23. August 1940 geborene Antragstellerin ist Fachärztin für Innere Medizin. Bis Ende des Jahres 1992 war sie im Institut für. und ...krankheiten in B als Chefärztin und stellvertretende ärztliche Direktorin angestellt. Am 21. Dezember 1992 wurde ihr mitgeteilt, dass sie aufgrund von Umstrukturierungsmaßnahmen betrieblich gekündigt werden solle. Das Beschäftigungsverhältnis endete schließlich mit einem Aufhebungsvertrag. Nach Kenntnis von der Kündigungsabsicht ihres Arbeitgebers leitete die Antragstellerin die entsprechenden Schritte ein, um ihre Zulassung als Vertragsärztin beantragen zu können. Auf ihre Antragstellung vom 28. Januar 1993 ließ der Zulassungsausschuss sie mit Beschluss vom 24. Februar 1993 zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zu. Die Antragstellerin nahm ihre vertragsärztliche Tätigkeit am 1. April 1993 auf und nimmt heute an der hausärztlichen Versorgung teil.

Mit Schreiben vom 17. April 2008 teilte die Beigeladene zu 1) der Antragstellerin mit, dass ihre Zulassung von Gesetzes wegen zum 30. September 2008 ende. Ihren Antrag, die Zulassung über diesen Zeitpunkt hinaus zu verlängern, lehnte der Zulassungsausschuss mit Beschluss vom 28. Mai 2008 (schriftliche Ausfertigung vom 24. Juni 2008) ab und stellte das Ende der Zulassung zum 30. September 2008 kraft Gesetzes fest. Hiergegen legte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 17. Juli 2008 Widerspruch zum Berufungsausschuss für Ärzte ein.

Zugleich hat sie am 18. Juli 2008 um vorläufigen Rechtsschutz beim Sozialgericht Berlin nachgesucht. Sie ist der Meinung, dass die Altershöchstgrenze für Vertragsärzte nicht mehr zu rechtfertigen sei und gegen ihre verfassungsmäßigen Rechte der Berufsfreiheit und am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb sowie gegen europäisches Recht verstoße. Die mit der Einführung der Altershöchstgrenze vom Gesetzgeber ursprünglich verfolgte Intention, im Hinblick auf Bedarfszulassungsbeschränkungen die Chancengleichheit jüngerer Ärzte auf Erhalt einer vertragsärztlichen Zulassung zu wahren, könne nicht mehr erkannt werden. Das Bundesgesundheitsministerium beabsichtige, zum die Altershöchstgrenze 1. Januar 2009 abzuschaffen, um mehr Sicherheit bei der medizinischen Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Mit dem Wegfall eines Großteils der Zulassungsbeschränkungen könnten jüngere Ärzte unproblematisch in das Vertragssystem integriert werden, ohne dass es hierzu der Entziehung der Zulassung älterer Ärzte bedürfe. Die Altersgrenze verstoße gegen die Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG der Europäischen Union und das zu ihrer Umsetzung ergangene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Zur Rechtfertigung der Diskriminierung genüge es nicht, auf die allgemeine Lebenserfahrung abzustellen, sondern es müsse individuell dargelegt werden, dass die Differenzierung angezeigt sei. Schließlich sei sie – die Antragstellerin – besonders belastet, weil sie erst am 21. Dezember 1992 von der bevorstehenden Kündigung ihrer bis dahin innegehabten Arbeitsstelle erfahren habe. Obwohl sie daraufhin so schnell wie möglich Maßnahmen ergriffen habe, um die vertragsärztliche Zulassung zu erhalten, könne dies nicht binnen sieben Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr erledigt werden. Sie habe mithin keine Möglichkeit gehabt, sich vor dem 1. Januar 1993 zuzulassen. Um nicht in Arbeitslosigkeit zu verfallen, habe sie nur den Weg der Niederlassung beschreiten können. Zumindest eine verfassungskonforme Auslegung der gesetzlichen Regelung sei deshalb angezeigt. In Härtefällen wie dem vorliegenden müsse der Antragsgegner zumindest Ermessen ausüben, ob an der starren Fristenregelung festzuhalten sei. Sie – die Antragstellerin – müsse zumindest 20 Jahre ihre Praxis führen dürfen. Auch werde sie zusätzlich noch im Hinblick auf die zu erwartende Gesetzeslage benachteiligt. Denn wäre sie einfach drei oder vier Monate jünger und würde diese Regelung abgeschafft werden, könnte sie ihre Zulassung dauerhaft behalten.

Nachdem sie den Antrag zunächst gegen den Zulassungsausschuss gerichtet hat, richtet sie den Antrag nunmehr gegen den Berufungsausschuss für Ärzte.

Die Antragstellerin beantragt,

ihre Zulassung bis zur Entscheidung in der Hauptsache entgegen der gesetzlichen Regelung des § 95 Abs. 7 S. 3, 4 SGB V über den 30. September 2008 hinaus zu verlängern.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er sehe keine Möglichkeit, die Zulassung der Antragstellerin entgegen der Regelung des § 95 Abs. 7 S. 3 SGB V "contra legem" zu verlängern. Sich möglicherweise ergebene Ungerechtigkeiten lägen im Wesen von Stichtagsregelungen. Derartige Regelungen seien jedoch zulässig. Die Verlängerungsmöglichkeit nach § 95 Abs. 7 S. 4 SGB V stelle bereits eine Härtefallregelung dar, so dass eine weitere Verlängerung aus Gründen des Einzelfalls nicht zugänglich sei.

Die Beigeladene zu 1) ist der Meinung, dass es angesichts der eindeutigen Stichtagsregelung nicht auf die Vorgänge des Jahres 1992/1993 und die Tatsache, wann eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen worden sei, ankommen könne. Sie hat, ebenso wie die übrigen Beigeladenen, keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

Die von der Antragstellerin vorgenommene Auswechslung des Antragsgegners ist gem. § 99 Abs. 1 SGG zulässig. In der Auswechslung des Antragsgegners liegt eine Antragsänderung, in die der Antragsgegner eingewilligt hat, weil er sich zur Sache eingelassen hat (§ 99 Abs. 2 S. 1 SGG). Im übrigen der Wechsel auch sachdienlich, weil nach der Widerspruchseinlegung gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses nur noch der Antragsgegner zuständig für die begehrte Entscheidung ist (§ 98 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V]).

Statthafte Antragsart ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Ein Fall des § 86 b Abs. 1 SGG (Anordnung oder Feststellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs) liegt nicht vor. Zwar liegt der Beschluss des Zulassungsausschusses vom 28. Mai 2008, mit dem unter anderem die Beendigung der Zulassung festgestellt worden ist, vor. Dennoch vollzieht dieser nur rein deklaratorisch die Gesetzeslage nach. Widerspruch und Klage haben bei deklaratorisch-feststellenden Verwaltungsakten (entgegen dem Wortlaut von § 86 a Abs. 1 S. 2 SGG) keine aufschiebende Wirkung (Bundessozialgericht, Urteil vom 6. Februar 2008, -B 6 KA 41/06 R-, zit. n. juris, Rn. 26). Ebenso wenig kommt in diesen Fällen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht, weil auch in einem solchen Fall die unmittelbar vom Gesetz angeordnete Rechtsfolge eintreten würde. Die Antragstellerin könnte ihr Ziel so nicht erreichen. In einem ordentlichen Klageverfahren müsste die Antragstellerin die Verpflichtung des Antragsgegners zur Verlängerung der Zulassung verfolgen (Verpflichtungsklage, § 54 Abs. 1 S. 1 2. Alt. SGG). In Verpflichtungssituationen wird vorläufiger Rechtsschutz gem. § 86 b Abs. 2 SGG gewährt (Keller, in Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage 2005, § 86 b, Rn. 24).

Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung) oder wenn eine solche Regelung eines vorläufigen Zustandes zur Abwendung wesentlicher Nachteile in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Ein Anordnungsanspruch – die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist – sowie der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit der begehrten sofortigen Regelung – sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]).

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Ein Anspruch auf die geltend gemachte Verlängerung der Zulassung besteht nicht.

Gemäß § 95 Abs. 7 S. 3 SGB V endet die Zulassung am Ende des Kalendervierteljahres, in dem der Vertragsarzt sein 68. Lebensjahr vollendet. Die Antragstellerin vollendet am 23. August 2008 ihr 68. Lebensjahr, so dass ihre Zulassung mit Ablauf des III. Quartals 2008 am 30. September 2008 endet. Die Regelung ist – wie das Bundessozialgericht (BSG, zuletzt Urteil v. 6. Februar 2008, -B 6 KA 41/06 R-, und Urteil vom 9. April 2008, - B 6 KA 44/07 R-, jeweils zit. n. juris) und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, z.B. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 31. März 1998 -1 BvR 2167/93 und 2198/93-, NJW 98, 1776; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 4. Oktober 2001 -1 BvR 1435/01-, zit. n. juris; zuletzt Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 7. August 2007, -1 BvR 1941/07-, zit. n. juris, und Nichtannahmebeschluss der 2. Kammer des 1. Senats vom 30. Juni 2008, -1 BvR 1159/08) – wiederholt festgestellt haben, verfassungs- und europarechtskonform.

Die mit der Regelung des § 95 Abs. 7 S. 3 SGB V einhergehende Beeinträchtigung der beruflichen Betätigungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz [GG]) ist im Interesse eines besonders wichtigen Gemeinschaftsguts, nämlich aus Gründen des Schutzes der Gesundheit der Versicherten, gerechtfertigt. Die Altersgrenze schränkt die Gefährdungen ein, die von älteren, nicht mehr voll leistungsfähigen Ärzten für ihre Patienten ausgehen können. Dabei ist es dem Gesetzgeber gestattet, eine generalisierende Altersgrenze für Vertragsärzte vorzuschreiben; eine individuelle Prüfung der Leistungsfähigkeit ist verfassungsrechtlich nicht erforderlich (BVerfG NJW 1998, 1776, 1777 und Beschluss vom 7. August 2007, a.a.O., Rn. 14). Auch wird die Altersgrenze zusätzlich durch weitere wichtige Gründe gerechtfertigt. Im System der versorgungsgradabhängigen Bedarfsplanung mit örtlichen Zulassungssperren dient sie der Wahrung der Berufszugangschancen für jüngere, an der Zulassung interessierte Ärzte, die die Möglichkeit haben sollen, eine vertragsärztliche Tätigkeit auch in Bereichen aufzunehmen, die wegen Überversorgung für Neuzulassungen gesperrt, aber oftmals für eine Niederlassung attraktiv sind. Durch die Zulassung Jüngerer soll auch gewährleistet bleiben, dass deren neuere medizinische Erkenntnisse in das System der vertragsärztlichen Versorgung eingebracht werden und einer Überalterung der Ärzteschaft in bestimmten Bereichen entgegengewirkt wird (BSG, Urteil v. 6. Februar 2008, a.a.O., Rn. 11, m.w.N.).

Dies gilt auch in Anbetracht der mit dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) zum 1. Januar 2007 eingeführten Gesetzesänderungen (§ 95 Abs. 7 Sätze 8 und 9 SGB V), die eine eingeschränkte Geltung der Altersgrenze in unterversorgten oder von Unterversorgung bedrohten Gebieten mit sich brachten (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 12). Denn in den überversorgten und gesperrten Gebieten wie Berlin haben sich die eingeschränkten Möglichkeiten für jüngere Ärzte nicht verändert. Zudem gilt der Rechtfertigungsgrund des Schutzes der Versichertengemeinschaft vor mit zunehmendem Alter weniger leistungsfähigen Ärzten unabhängig von der Bedarfslage weiter. Soweit die Antragstellerin meint, das Abstellen auf die allgemeine Lebenserfahrung reiche zur Rechtfertigung des Eingriffs nicht aus, sondern es müsse eine individuelle Betrachtung erfolgen, ist dies abzulehnen. Hierzu müsste sie detailliert vortragen und darlegen, warum die Annahme, dass mit zunehmendem Lebensalter die Gefahr einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit steigt, nicht zutreffen soll. Hierfür sind derzeit keine Anhaltspunkte ersichtlich (ebenso BVerfG, a.a.O., Rn. 14).

Auch ein Verstoß gegen das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb liegt nicht vor. Dieser wird überwiegend als von Art. 14 Abs. 1 GG erfasst angesehen (vgl. Jarass/Pieroth, GG, 9. Auflage 2007, Art. 14 Rn. 10) Allerdings berührt die Altersregelung nicht den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG, wie das BVerfG bereits entschieden hat (BVerfG a.a.O., Rn. 10). Sollte man die Betroffenheit von Art. 14 Abs. 1 GG dennoch bejahen, ist der Eingriff jedenfalls durch die oben genannten Gründe gerechtfertigt (BSG a.a.O., Rn. 13).

Die Altersbeschränkung verstößt auch nicht gegen die Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/EG und das zu ihrer Umsetzung ergangene AGG. Die Kammer verweist insofern auf die überzeugenden Ausführungen des BSG im Urteil vom 6. Februar 2008, a.a.O., Rn. 14-22, denen sie sich anschließt: Zwar liegt eine Benachteiligung wegen des Alters (Diskriminierung) im Sinne des Art. 1 der Richtlinie und des § 1 AGG vor. Diese sind jedoch gem. Art 6 Abs. 1 S. 2 der Richtlinie und § 10 S. 1 und 2 AGG aus den bereits oben im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung genannten Erwägungen gerechtfertigt.

Die Antragstellerin kann ferner nichts aus § 95 Abs. 7 S. 4 SGB V für sich herleiten, wonach der Zulassungsausschuss, wenn der Vertragsarzt 1. zum Zeitpunkt der Vollendung des 68. Lebensjahres weniger als 20 Jahre als Vertragsarzt tätig war und 2. vor dem 1. Januar 1993 bereits als Vertragsarzt zugelassen war, die Zulassung längstens bis zum Ablauf dieser Frist verlängert. Denn die Antragstellerin, die die Zulassung erst mit Beschluss vom 24. Februar 1993 erhielt und die vertragsärztliche Tätigkeit am 1. April 1993 aufnahm, erfüllt diese Voraussetzungen nicht.

Die Antragstellerin kann ferner nicht im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung des § 95 Abs. 7 S. 3 oder S. 4 SGB V verlangen, dass der Antragsgegner im Rahmen seiner Entscheidung über den Verlängerungsantrag Ermessen auszuüben habe, weil sie zumindest 20 Jahre ihre Praxis führen können müsse. Für eine solche Auslegung besteht kein Bedürfnis, weil die Regelungen verfassungsgemäß sind und angesichts ihres klaren Wortlauts für die von der Antragstellerin gewünschte Interpretation auch keinen Raum lassen. Die Stichtagsregelung des § 95 Abs. 7 S. 4 SGB V begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Stichtagsregelungen sind trotz der damit verbundenen Härten grundsätzlich mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, wenn der Gesetzgeber seinen Spielraum in sachgerechter Weise genutzt hat (Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 3, Rn. 32 m.w.N. zur Rechtsprechung des BVerfG). Dies ist hier der Fall. Angesichts der zum 1. Januar 1993 eingeführten Altersgrenze wollte der Gesetzgeber mit der Ausnahmevorschrift sicherstellen, dass bis dahin erst kurzzeitig niedergelassene ältere Vertragsärzte – was insbesondere auf die Ärzte in den neuen Bundesländern zutraf – die Möglichkeit erhielten, ihre Vertragsarztpraxis zumindest 20 Jahre zu betreiben, um die damit verbundenen Investitionen wieder erwirtschaften zu können. Die Regelung bezieht sich damit allein auf vor der Einführung der Altersgrenze niedergelassene Ärzte. Eine Ausnahmevorschrift für erst nach dem 1. Januar 1993 niedergelassene Ärzte ist nicht erforderlich. Denn diejenigen Ärzte, die nach der Gesetzesänderung die vertragsärztliche Zulassung beantragten, kannten die Rechtslage und wussten, wann ihre Zulassung altersbedingt auslaufen würde. Damit waren alle in dieser Hinsicht notwendigen Umstände bekannt, um das Investitionsrisiko und die Verdienstmöglichkeiten abschätzen zu können. Dies gilt auch für die Antragstellerin, und zwar unabhängig von den Besonderheiten ihres Einzelfalls. Zwar mag es ihr angesichts der erst am 21. Dezember 1992 eröffneten Kündigung nicht mehr möglich gewesen sein, bis Abschluss des Jahres einen Antrag auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung zu stellen, geschweige denn die Zulassung zu erhalten. Jedoch muss ihr bei Antragstellung, Zulassung und Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit klar gewesen sein, dass sie diese Tätigkeit nur bis zum 30. September 2008 ausüben dürfen würde. Wenn sie sich angesichts dieser Rechtslage für die Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit entschließt, kann sie sich heute nicht verlangen, wie die vor dem 1. Januar 1993 zugelassenen Kollegen gegebenenfalls über das 68. Lebensjahr hinaus praktizieren zu dürfen. Denn anders als die zuvor zugelassenen Kollegen konnte sie sich bei Beginn der Tätigkeit auf die gesetzliche Beendigung mit Vollendung des 68. Lebensjahres einstellen.

Dass die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung die einzige Möglichkeit gewesen sei, der (drohenden) Arbeitslosigkeit zu entgehen, wie die Antragstellerin versichert, hält die Kammer für wenig glaubhaft. Denn es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass sich die Antragstellerin Anfang 1993 auf andere konkrete Arbeitsstellen beworben hätte. Insbesondere kann sie sich vor ihrer Entscheidung, vertragsärztlich tätig werden zu wollen, nicht (erfolglos) um anderweitige Arbeit bemüht haben. Denn bereits unmittelbar zu Beginn des Jahres 1993 stellte sie den Antrag auf Zulassung, der bereits mit Beschluss des Zulassungsausschusses vom 24. Februar 1993 positiv beschieden wurde. Dies spricht dafür, dass die Antragstellerin unverzüglich nach der Kündigung die Voraussetzungen für die Zulassung geschaffen hat (insbesondere Anmietung von Praxisräumen). Ausreichend Zeit, sich anderweitig zu bewerben, ggf. Bewerbungsgespräche zu führen und Zu- oder Absagen abzuwarten, verbleibt im Zeitraum 21. Dezember 1992 bis 24. Februar 1993 nicht. Doch selbst wenn nur die vertragsärztliche Tätigkeit zur Vermeidung der Arbeitslosigkeit verblieben wäre, änderte dies nichts an der rechtlichen Bewertung der Rechtmäßigkeit der Stichtagsregelung, von der es keine Ausnahme zugunsten der Antragstellerin bedarf.

Schließlich ändert sich an der rechtlichen Bewertung nichts dadurch, dass es offenbar derzeit die politische Absicht gibt, die Altersgrenze für Vertragsärzte vollständig abzuschaffen (vgl. Maus, in: Deutsches Ärzteblatt 2008, Heft 30, 25. Juli 2008, S. A 1583: "Die Altersgrenze fällt"). Denn aus politischen Plänen, eine geltende und verfassungsgemäße Rechtslage zukünftig zu ändern, können keine Rechte hergeleitet werden. Die notwendige Änderung des Gesetzes obliegt allein den dafür zuständigen Gesetzgebungsorganen Bundestag und Bundesrat (Art. 77 und 78 GG). Deren Entscheidung kann nicht vorgegriffen werden. Antragsgegner und Gericht sind an die zum Zeitpunkt der Entscheidung geltende Rechtslage gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Im Übrigen kann nicht mit Gewissheit davon ausgegangen werden, dass Altersgrenze tatsächlich abgeschafft wird. Es ist darauf hinzuweisen, dass dies derzeit vor allem vom Bundesministerium der Gesundheit verfolgt wird (vgl. Maus a.a.O.). Damit steht noch nicht fest, ob die Pläne auch von der politischen Mehrheit in Bundestag und Bundesrat unterstützt und gebilligt werden. Ein entsprechender Gesetzentwurf ist offenbar noch nicht eingebracht, Beratungen der Ausschüsse sind noch nicht aufgenommen. Auch deshalb ist ein Vorgriff auf den noch ausstehenden Prozess der endgültigen politischen Willensbildung unzulässig. Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung des § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG). Sie folgt den Angaben der Antragstellerin zu ihrem jährlichen Gewinn von rund 85.000,- EUR. Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ist dieser Wert ohne Abschläge als Streitwert anzunehmen (Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit 2007, NZS 07, 472 ff., IX. 16.2; LSG Berlin, Breithaupt 2000, 686).
Rechtskraft
Aus
Saved