S 37 AS 17129/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
37
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 17129/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 30.11.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.5.2008 verpflichtet, die Betriebskostennachforderung für das Abrechnungsjahr 2006/2007 in Höhe von 311,58 EUR zu übernehmen. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Klägerin war im Oktober 2006 von M nach B gezogen und hatte am 10. Oktober beim Job Center Treptow-Köpenick Alg II beantragt. Am 7.10.2006 hatte sie einen Mietvertrag über eine 2-Raum-Wohnung (55 qm) zu einem Gesamtmietpreis von 400 EUR (360 EUR Bruttokaltmiete, 40 EUR Heizkostenabschlag) unterzeichnet.

Die zuvor zuständige ARGE Nordvorpommern hatte der Klägerin und deren Sohn Alg II gewährt, darunter Kosten der Unterkunft in Höhe von 370 EUR.

Der Beklagte nahm die Zahlung in Höhe der Regelleistung von 351 EUR und abgesenkter Unterkunftskosten von 351 EUR (360 EUR abzüglich 9 EUR Warmwasserpauschale) ab November 2006 auf.

Am 23.8.2007 erhielt die Klägerin eine Heizkostenabrechnung über den Zeitraum Oktober 2006 bis Juli 2007. Danach war unter Berücksichtigung der gezahlten Abschläge von 40 EUR monatlich eine Nachzahlung von 311,58 EUR bis 7.9.2007 zu entrichten.

Die seinerzeit noch im Leistungsbezug stehende Klägerin beantrage am 21.11.2007 die Übernahme der Heizkostennachforderung.

Der Antrag wurde vom Beklagten mit der Begründung abgelehnt, wegen des nicht erforderlichen Umzugs könne nur die Miete von 360 EUR übernommen werden (Bescheid vom 30.11.2007, bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom 22.5.2008).

Hiergegen richtet sich die am 27.Mai 2008 beim Sozialgericht Berlin erhobene Klage, mit der die Klägerin geltend macht, die Absenkung der Miete sei rechtwidrig, dazu seien noch Verfahren anhängig. Unabhängig davon müsse die Nachforderung nach BSG-Rechtsprechung übernommen werden.

Die Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 30.11.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.5.2008 zu verpflichten, die Betriebskostennachforderung für das Abrechnungsjahr 2006/2007 in Höhe von 311,58 EUR zu übernehmen

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ergänzend wird zum übrigen Sach- und Streitstand auf die zwischen den Beteiligten gewech- selten Schriftsätze verwiesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung nach § 124 SGG einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat nach § 22 Abs. 1 SGB II Anspruch auf Übernahme der Heizkostennachforderung.

Dem Beklagten ist insoweit zu folgen, dass eine Betriebs- oder Heizkostennachforderung Bestandteil der Unterkunftskosten ist und über den Anspruch auf Übernahme einer solchen Forderung zu dem Zeitpunkt zu entscheiden ist, zu dem die Nachforderung fällig wird, hier im September 2007. Für einen Anspruch auf Kostenübernahme kommt es also zunächst darauf an, ob zum Zeitpunkt der Fälligkeit noch ein Grundanspruch auf SGB II-Leistungen besteht, was hier unstreitig der Fall ist.

Die Mietgrenze aus § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II (Kappung auf die angemessenen Unterkunfts-kosten am Wegzugsort) steht dem Anspruch auf Kostenübernahme nicht entgegen. Denn sie findet bei einem Umzug in eine andere Gemeinde bzw. einen überregionalen Wohnungsmarkt keine Anwendung. Das erkennende Gericht folgt insoweit der Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg vom 17.7.2008 und des LSG Niedersachsen-Bremen vom 26.10.2007 - L 13 AS 168/07 ER (vgl. auch LSG Hessen vom 19.3.2009 – L 7 AS 53/09 B ER). Es kann daher offen bleiben, ob das Schreiben der ARGE Nordvorpommern vom 23.10.2006 "Umzugs-genehmigung – Zur Vorlage bei der ARGE Berlin" als Feststellung der Erforderlichkeit des Umzugs ausgelegt werden kann. Denn selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, weil sie unter dem Vorbehalt einer Arbeitsaufnahme stand, greift die Mietkappung aus den vorgenannten Gründen nicht. Für die Übernahme einer angemessenen Miete am Zuzugsort benötigt der Hilfebedürftige keine "Umzugsgenehmigung".

Auf eine Mietsenkung nach den vom Beklagten für maßgebend gehaltenen Verwaltungs-vorschriften (AV-Wohnen) kann sich der Beklagte nicht berufen. Denn vorliegend stehen nur Heizkosten im Streit. Das BSG hat in der Entscheidung B 14 AS 54/07 R vom 19.9.2008 herausgestellt, dass auch eine Senkung der Heizkosten nur unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II erfolgen darf, d.h. im Rahmen eines Absenkungsverfahrens mit einer Übergangsfrist bis zu sechs Monaten, woraus geschlossen werden kann, dass eine rück-wirkende Absenkung von Mietnebenkosten nicht zulässig ist. Genau darauf liefe eine Ablehnung der Nachforderung aber hinaus.

Überdies steht die Absenkung der Unterkunftskosten auf einen festen Bruttowarmmietbetrag nicht in Einklang mit dem Gesetz. Nur in Ausübung der in § 27 SGB II eingeräumten Ermächtigung, nicht über bloße Verwaltungsvorschriften, dürfen Betriebs- oder Heizkosten pauschaliert werden. Solange von der Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht wurde, müssen die Mietnebenkosten übernommen werden, soweit sie im konkreten Einzelfall angemessen sind.

Eine Betriebs- und Heizkostennachforderung muss daher übernommen werden, sofern keine Kostensenkung greift, die sich auf die Nebenkosten bezieht, was Ermittlungen dazu erfordert, dass im Einzelfall zu hohe Betriebskosten anfallen oder die Heizkosten den Angemessenheits-rahmen sprengen.

Es liegt auf der Hand, dass etwa im Fall einer Überschreitung angemessener Unterkunftskosten allein wegen Erhöhung der Kaltmiete eine deshalb zulässige Senkung auf eine geringere Kaltmiete nicht zur Folge hat, dass Nebenkostennachforderungen, die auf Preissteigerungen für Energie oder höhere Gebühren für die Abfallbeseitigung beruhen, nur noch zum Teil übernom-men werden könnten.

Noch deutlicher wird die Unzulässigkeit einer Begrenzung der Unterkunftskosten auf feste Bruttowarmmietbeträge bzw. die damit verbundene verkappte Pauschalierung der Neben-kosten, wenn man sich die Abhängigkeit der Heizkosten von unbeeinflussbaren Außenfaktoren (Wetterlage, Bauisolierung etc.) vor Augen hält. Das Vorgehen des Beklagten läuft darauf hinaus, auch im Fall einer Nachzahlung wegen einer langen Kälteperiode den Hilfebedürftigen darauf zu verweisen, mit Durchschnittsverbrauchswerten auszukommen, deren Berechnung überdies völlig im Dunkeln liegt. Der Betriebskostenspiegel des Mietspiegels beruht auf Datenbeständen aus 2005.

Somit ist evident: Die nach § 22 Abs. 1 SGB II zu übernehmenden Unterkunftskosten sind die Summe aus angemessener Kaltmiete, angemessenen Betriebs- und angemessenen Heizkosten. Nur wenn eine dieser Kostenpositionen rechtmäßig abgesenkt wurde, kann eine hierauf bezogene Nachforderung aus Zeiträumen, in denen die Senkung wirksam vollzogen wurde, beschränkt werden.

Dabei wird im Fall einer Nachforderung von Heizkosten immer zu prüfen sein, in welchem Umfang der daraus ersichtlich gewordene Gesamtverbrauch unter Berücksichtigung der o. g. Kostenfaktoren auf einem unwirtschaftlichen Energieverbrauch beruht.

Ob die Nachforderung wegen Überschreitung der hier für Ein-Personen-Bedarfsgemeinschaf-ten maßgebenden Wohnflächenhöchstgrenze von 50 qm nach der Formel 311,58 EUR: 55 x 50 qm gekürzt werden kann, ist noch nicht höchstrichterlich geklärt (vom BSG in der o.g. Ent-scheidung ausdrücklich offen gelassen).

Das erkennende Gericht geht davon aus, dass sich diese Problematik hier nicht stellt, weil die Heizkosten nicht wirksam im Rahmen eines Verfahrens nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II abgesenkt worden waren. Es war daher auf eine volle Kostenübernahme zu erkennen.

Eines gesonderten Antrags auf Übernahme der Nachforderung bedurfte es nicht, da die Nachforderung besonderer Teil der im September 2007 gewährten Unterkunftskosten ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG

Nach dem Streitwert von unter 750 EUR ist die Berufung gegen dieses Urteil nicht statthaft. Gründe für die Zulassung der Berufung bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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