Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
83
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 304/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 90/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Zweck des Zurückbehaltungsrechts nach § 18 Abs. 7a Satz 1 BMV-Ä bzw. § 21 Abs. 7a Satz 1 EKV liegt aus-schließlich in der Sicherung eines Schadensersatzanspruchs der Krankenkassen gegenüber dem als Einzugsstelle fungierenden Vertragsarzt (bzw. hier: Krankenhausträger). Diesen Sicherungszweck muss die von einer Kassenärztlichen Vereinigung zu treffende Ermessensentscheidung über die Zurückbehaltung von Honorar berücksichtigen
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst tragen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Zurückbehaltung von Honoraranteilen wegen nicht einbehaltener Praxisgebühren in den Quartalen I, II, und III/2005.
Die Klägerin ist Trägerin des Klinikums , das unter der Abrechnungsnummer 72-74118 eine Notfallambulanz/Erste-Hilfe-Stelle betreibt. Dem Honorarbescheid für das Quartal I/2005 fügte die Beklagte eine Anlage bei, mit der sie unter Hinweis auf § 18 Abs. 7a BMV-Ä einen Betrag in Höhe von 16.280,- EUR wegen nicht einbehaltener Praxisgebühren zurückbehielt. Die Nichteinzugsquote habe bei 59,55 % gelegen. Hiergegen legte die Klägerin am 28. Oktober 2005 (Eingang bei der Beklagten) Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass der neu eingefügte § 18 Abs. 7a BMV-Ä eine Regelung zu Lasten Dritter darstelle, die zu einer einseitigen verschuldensunabhängigen Verlagerung des Inkassorisikos für den Erhalt der Praxisgebühr führe. Die Rechtsauffassung widerspreche der zwischen den GKV-Spitzeverbänden und der KBV mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft geschlossenen "Rahmenempfehlung zum Erheben der Zuzahlung nach § 28 Abs. 4 SGB V (Praxisgebühr) bei ambulanten Leistungen im Krankenhaus" (im Folgenden: Rahmenempfehlung). Auch liege keine schuldhafte Verletzung einer vertraglichen Pflicht vor. Auf das Erheben der Praxisgebühr sei nicht verzichtet worden. Die Zuzahlung sei erhoben beziehungsweise der Patient nachträglich zur Zahlung aufgefordert worden. Die Rahmenempfehlung lasse diese Verfahrensweise zu.
Für das Quartal II/2005 machte die Beklagte in der Anlage zum Honorarbescheid bei einer Nichteinzugsquote von 68,81% ein Zurückbehaltungsrecht in Höhe von 19.130,- EUR geltend. Mit ihrem am 23. Februar 2006 bei der Beklagten eingegangenen Widerspruch trug die Klägerin weiter vor, dass § 18 Abs. 7a BMV-Ä auf sie als Krankenhausträgerin im Rahmen der ambulanten Notfallversorgung schon gar nicht anwendbar sei. Eine etwaige Einbehaltsverpflichtung habe sie jedenfalls nicht schuldhaft verletzt, was § 18 Abs. 7a BMV-Ä jedoch voraussetze. Sie – die Klägerin – habe die Zahlung erhoben, indem sie den Patienten bei der Behandlung eine schriftliche Zahlungsaufforderung überreicht habe. Diese Verfahrensweise sei sowohl nach der Rahmenempfehlung als auch nach § 18 Abs. 3 BMV-Ä explizit zugelassen. Mit Bescheid vom 24. Mai 2006 half die Beklagte dem Widerspruch insoweit ab, als dass sie den zurückbehalten Betrag um 10,- EUR reduzierte. Die Nichteinzugsquote betrage nur noch 68,80 %.
Für das Quartal III/2005 machte die Beklagte in der Anlage zum Honorarbescheid bei einer Nichteinzugsquote von 55,68 % ein Zurückbehaltungsrecht in Höhe von 16.570,- EUR geltend. Dem am 12. April 2006 bei der Beklagten eingegangenen Widerspruch half die Beklagte mit Bescheid vom 24. Mai 2006 in Höhe von 50,- EUR ab. Die Nichteinzugsquote betrage noch 55,60 %.
Mit Beschluss ihrer Widerspruchsstelle vom 13. Juni 2006 (schriftlicher Bescheid zugestellt mit Einschreiben vom 5. Juli 2006) wies die Beklagte die Widersprüche, soweit ihnen nicht abgeholfen worden war, als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Rechtsgrundlage für die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts sei § 18 Abs. 7a BMV-Ä beziehungsweise § 21 Abs. 7a EKV-Ä. Die gesetzlichen und vertraglichen Regelungen seien auf die Klägerin anwendbar. Die Klägerin habe in mehr als 10 % der Behandlungsfälle die Praxisgebühr nicht eingezogen. Bei der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts handele es sich um eine Ermessensentscheidung. Das Ermessen sei fehlerfrei ausgeübt worden. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, die Praxisgebühr grundsätzlich vor der Behandlung in bar zu erheben. Auch in Notfällen sei die Gebühr vor Behandlungsbeginn zu erheben. Es sei nicht erkennbar, dass die Klägerin sich an die gesetzlichen Vorgaben halte, zumal bei wirklich akuter Behandlung die Patienten stationär aufgenommen würden und die Praxisgebühr in diesem Fall entfalle. Aus der fehlenden Patientenbindung in Erste-Hilfe-Stellen resultiere ein erhöhtes Inkassorisiko, weshalb die Erhebung der Praxisgebühr vor der Behandlung unumgänglich sei. Nur in Fällen, in denen eine Behandlung derart unverzüglich erfolgen müsse, dass für die Erhebung der Praxisgebühr kein Raum sei oder der Patient aufgrund seines Gesundheitszustands nicht in der Lage sei, die Zuzahlung vor der Behandlung zu entrichten, könne diese auch nach der Behandlung erhoben werden. Diese Voraussetzungen lägen hier jedoch nicht vor. Im Übrigen sei der Nichteinzug auch schuldhaft erfolgt, weil das Absehen vom Einzug vor der Behandlung nicht gerechtfertigt sei. Die Nichteinzugsquote stelle ein entscheidendes Indiz für den nicht ordnungsgemäßen Einzug dar. Der Begriff des "Erhebens" beinhalte nicht den versuchten Einzug der Zuzahlung, weil die Abrechnung nicht erkennen lasse, ob ein – erfolgloser – Einziehungsversuch erfolgt sei.
Hiergegen richtet sich die am 27. Juli 2006 erhobene Klage, zu deren Begründung die Klägerin insbesondere ausführt, dass die Besonderheiten der Notfallversorgung eine Einziehung der Praxisgebühr vor der Behandlung nicht zuließen. Deshalb werde den Patienten jeweils nach der Behandlung eine schriftliche Zahlungsaufforderung überreicht. § 18 Abs. 7a BMV-Ä sei vorliegend nicht anwendbar, weil Krankenhäuser nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnähmen, auch nicht im Fall der ambulanten Notfallversorgung. Sie – die Klägerin – sei auch nicht Mitglied der Beklagten. Deshalb gelte nur die Rahmenempfehlung. Danach sei sie berechtigt, die Zuzahlung erst nach der Behandlung zu erheben. Auch der BMV-Ä lasse die Möglichkeit der nachträglichen Erhebung zu. Im Übrigen sei nach der Präambel der Rahmenempfehlung der BMV-Ä nicht ergänzend anwendbar; die Rahmenempfehlung gehe dem BMV-Ä vor. § 18 Abs. 7a BMV-Ä sei unwirksam, weil die Regelung nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 43 b SGB V gedeckt sei. Es handele sich nicht um eine Verfahrensregelung, sondern um eine Sanktion. Ein Zurückbehaltungsrecht ergebe sich auch nicht aus § 43b Abs. 2 SGB V. Schließlich lägen auch die Voraussetzungen des § 18 Abs. 7a BMV-Ä nicht vor. Dem Wortlaut nach könne nur dann ein schuldhaftes Nichterheben vorliegen, wenn ein Leistungserbringer die Gebühr weder vor noch nach der Behandlung erhebe. Unter Erheben sei die Geltendmachung der Forderung, aber nicht deren Einziehung zu verstehen. Die von ihr – der Klägerin – nach der Notfallbehandlung an die Patienten ausgehändigte schriftliche Zahlungsaufforderung stelle die Erhebung dar. Anders als ein niedergelassener Vertragsarzt könne sie nicht die Behandlung verweigern, wenn der Patient nicht zur Zahlung bereit sei. Die Höhe der Nichtzahlerquote sei kein Indiz für eine Pflichtverletzung. Im Übrigen sei die Berechnung der Nichteinzugsquote fehlerhaft. Nachmeldungen seien von der Beklagten nicht mehr berücksichtigt worden. Bei Berücksichtigung von Nachmeldungen ergäben sich beispielsweise in den Quartalen I/07 und II/07 Quoten von 21,3 % statt 56,93 % und 20,7 % statt 54,37 %.
Die Klägerin beantragt, die Bescheide der Beklagten vom 5.10.2005, vom 24.01.2006 und vom 22.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 13.06.2006 zu den jeweiligen Tagebuchnummern 28655-05, 7059-06, 12657-06 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie – die Klägerin – 51.920,00 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist der Meinung, dass die Regelung des § 18 Abs. 7a BMV-Ä anwendbar sei. § 43 b Abs. 2 SGB V betreffe alle Leistungserbringer, also auch Krankenhäuser, deren ambulante Notfallleistungen zur vertragsärztlichen Versorgung gehörten. Sowohl die Bundesmantelvertragspartner als auch sie – die Beklagte – dürften nach der Rechtsprechung des BSG gegenüber der Klägerin hoheitliche Maßnahmen erlassen, wenn sie keine Benachteiligung zu Vertragsärzten beinhalteten. Die Ergänzung des BMV-Ä um § 18 Abs. 7a BMV-Ä sei die Reaktion der Bundesmantelvertragspartner darauf gewesen, dass die Nichteinzugsquote in Krankenhäusern sehr hoch gewesen sei. Die Regelung enthalte die Vermutung, dass der Einzug bei einer Nichteinzugsquote über 10 % nicht ordnungsgemäß erfolge. Der Leistungserbringer könne diese Vermutung im Schlichtungsverfahren widerlegen. Die hohen Nichteinzugsquoten habe die Klägerin nicht erklären oder entschuldigen können. Die Gebühr müsse jedenfalls erhoben werden, so lange sich der Patient in den Räumen der Klägerin aufhalte.
Die Beigeladene zu 7) teilt die Auffassung der Beklagten. Die Bundesmantelvertragspartner seien gemäß § 43b Abs. 2 SGB V auch gegenüber Krankenhäusern befugt, das Zuzahlungsverfahren insgesamt zu regeln. Der Versicherte sei vor jeder Inanspruchnahme zur Zuzahlung verpflichtet. § 2 Abs. 1 der Rahmenempfehlung sei eine Ausnahme, die das Krankenhaus nicht von der Pflicht zur Erhebung der Zuzahlung entbinde. Mit dem regelhaften Versäumen, die Zuzahlung vor der Inanspruchnahme einzuziehen, habe die Klägerin die ihr auferlegten Pflichten schuldhaft verletzt. Im Übrigen werde erst im Verfahren nach § 49 BMV-Ä eine Sanktion festgelegt, bis dahin handele es sich bei der Regelung des Zurückbehaltungsrechts um eine Verfahrensregelung.
Die Beigeladene zu 7) hat, wie auch die übrigen Beigeladenen, keine Anträge gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die vorlag und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat das Zurückbehaltungsrecht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt.
Rechtsgrundlage für die angegriffenen Bescheide ist § 18 Abs. 7a S. 1 BMV-Ä bzw. § 21 Abs. 7a S. 1 EKV-Ä. Nach der in beiden Verträgen gleichlautenden Vorschrift kann die Kassenärztliche Vereinigung, wenn sich aus der Abrechnung ergibt, dass ein Leistungserbringer in einem Quartal in 10 von Hundert oder einem höheren Anteil der Behandlungsfälle, in denen die Zuzahlung nach § 28 Abs. 4 SGB V zu erheben ist, die Zuzahlung nicht erhoben hat, die Differenz zwischen einzubehaltender und einbehaltender Zuzahlung zurückbehalten. Nach § 18 Abs. 7a S. 3 BMV-Ä bzw. § 21 Abs. 7a S. 3 EKV-Ä leitet die Kassenärztliche Vereinigung in Abstimmung mit der zuständigen Krankenkasse gleichzeitig ein Verfahren nach § 49 BMV-Ä bzw. § 45 EKV-Ä ein.
Danach sind die auf Grundlage von § 18 Abs. 7a S. 1 BMV-Ä / § 21 Abs. 7a S. 1 EKV-Ä ergangenen Bescheide nicht zu beanstanden. Die Klägerin ist Leistungserbringer im Sinne der Vorschrift, weil die in Notfällen ambulant ausgeführten ärztlichen Leistungen durch nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten gem. § 2 Abs. 2 Nr. 4 BMV-Ä/EKV-Ä zur vertragsärztlichen Versorgung gehören. In den betroffenen Quartalen hat die Klägerin ihrer Abrechnung zufolge in 59,55 vom Hundert, 68,80 vom Hundert und 55,60 vom Hundert der Fälle die Zuzahlung nach § 28 Abs. 4 SGB V (im Folgenden: Praxisgebühr) nicht erhoben. Dabei ist "erheben" nicht im Sinne von Geltendmachen, sondern im Sinne von erfolgreichem Einziehen, also der tatsächlichen Realisierung der Praxisgebühr durch Zahlung des Patienten, zu verstehen. Wie auch die Klägerin bereits in der Begründung ihrer Widersprüche für das zweite und dritte Quartal 2005 vom 21. Februar 2006 und 4. April 2006 ausführt, lässt "erheben" seinem natürlichen Wortsinn nach beide Verständnisformen zu. Allerdings wird in der Vorschrift darauf abgestellt, dass sich der Anteil der nicht erhobenen Praxisgebühren aus der Abrechnung ergibt. Weil der Leistungserbringer in der Abrechnung aber nicht dokumentiert, ob er den Patienten zur Zahlung aufgefordert hat, sondern ob der Patient tatsächlich gezahlt hat, kann vorliegend mit "erheben" nur die Einziehung gemeint sein. Dass die Bundesmantelvertragspartner im ersten Halbsatz des § 18 Abs. 7a S. 1 BMV-Ä das Wort "erheben", im zweiten Halbsatz jedoch "einbehalten" verwendet haben, dürfte keine weitere Bedeutung haben. Die beiden Vokabeln sind nur zur besseren sprachlichen Verständlichkeit und zur Vermeidung von Wortwiederholungen synonym verwendet worden.
Das ihr zustehende Ermessen hat die Beklagte erkannt und ausgeübt. Dabei sind Ermessensfehler i.S.d. § 54 Abs. 2 S. 2 SGG nicht zu erkennen. In Anbetracht der Funktion der Vorschrift, einen möglichen Schadensersatzanspruch der Krankenkassen nach §§ 49 BMV-Ä/45 EKV-Ä zunächst zu sichern, kommt die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts grundsätzlich bereits bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen in Betracht. Gründe, von der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts Abstand zu nehmen, könnten allenfalls in der fehlenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des betroffenen Leistungserbringers liegen. Dass die Klägerin, die als großer Krankenhauskonzern eine Reihe von Krankenhäusern in Berlin betreibt, durch das Zurückbehalten der streitigen Beträge von insgesamt 51.920,- EUR nicht in ihrem wirtschaftlichen Bestand gefährdet ist, liegt auf der Hand.
Die von der Klägerin gegen die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Bescheide sonstigen vorgebrachten Einwände greifen nicht. Die Regelungen des § 18 Abs. 7a BMV-Ä / § 21 Abs. 7a EKV-Ä sind auf die Klägerin anwendbar. Zwar nehmen die von der Klägerin betriebenen Krankhäuser grundsätzlich nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Die ambulante Notfallversorgung durch Krankenhäuser gem. § 75 Abs. 1 s. 2 SGB V ist jedoch Teil der vertragsärztlichen Versorgung (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 BMV-Ä/EKV-Ä; BSG, Urteil v. 16. April 1986, -6 RKa 34/84-, SozR 2200 § 368d Nr. 5; BSG, Urteil v. 24. September 2003, -B 6 KA 51/02 R-, SozR 4-2500 § 75 Nr. 2). Es handelt sich um einen Fall der beschränkten Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung durch Krankenhäuser und Nichtvertragsärzte, ohne dass diese in die Kassenärztliche Vereinigung einbezogen werden (Wenner, Das Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008, § 14 Rn. 12). In diesem Fall gelten nicht nur die die betroffenen Leistungserbringer begünstigenden Regelungen über die vertragsärztliche Vergütung, sondern auch die sonstigen, für die Leistungserbringer ggf. mit Nachteilen verbundenen Regelungen der vertragsärztlichen Versorgung. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Leistungserbringer die entsprechenden vertragsärztlichen Regelungen kennen müssen. Bei einem Krankenhaus, das regelmäßig und in erheblichem Umfang am Notfalldienst teilnimmt, kann davon ausgegangen werden, dass die einschlägigen Bestimmungen bekannt und daher anwendbar sind (vgl. BSG v. 16. April 1986, a.a.O., hier zit. n. juris, Rn. 14).
Die Regelungen der Bundesmantelverträge sind auch im Übrigen auf die Klägerin anwendbar. Dass die Klägerin oder die sie vertretende Krankenhausgesellschaft nicht am Vertragsschluss beteiligt waren, führt nicht dazu, dass es sich um einen unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter handelt. Denn bei den Bundesmantelverträgen handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des BSG um so genannte Normativ- oder Normsetzungsverträge, mit denen unterhalb des Gesetzesrechts allgemeingültiges Recht gesetzt wird. In den Verträgen werden typischerweise Rechte und Pflichten solcher Personen und Körperschaften begründet, die nicht am Vertragsschluss mitgewirkt haben. Sie wirken wie Rechtsnormen und binden die von ihnen betroffenen Personen (vor allem Ärzte und Krankenkassen, aber auch – wie bereits ausgeführt – die Klägerin, soweit sie am ambulanten Notfalldienst teilnimmt) unabhängig von deren Zustimmung im Einzelfall (vgl. nur Freudenberg, in: jurisPK-SGB V, 1. Auflage 2008, § 82 Rn. 28 ff.; Wenner, a.a.O., § 12 Rn 1. ff. und § 13, Rn. 1, jeweils m.w.N. zur Rechtsprechung).
Die Regelung des § 18 Abs. 7a BMV-Ä / § 21 Abs. 7a EKV-Ä ist von der Ermächtigungsgrundlage des § 43b Abs. 2 SGB V in der Fassung des GMG v. 14. November 2003 gedeckt. Danach hat der Leistungserbringer Zuzahlungen, die Versicherte nach § 28 Abs. 4 zu entrichten haben, einzubehalten; sein Vergütungsanspruch gegenüber der Krankenkasse, der Kassenärztlichen oder Kassenzahnärztlichen Vereinigung verringert sich entsprechend (Satz 1). Die nach § 83 zu entrichtenden Vergütungen verringern sich in Höhe der Summe der von den mit der Kassenärztlichen oder Kassenzahnärztlichen Vereinigung abrechnenden Leistungserbringern nach Satz 1 einbehaltenen Zuzahlungen (Satz 2). Das Nähere zum Verfahren nach den Sätzen 1 und 2 ist in den Bundesmantelverträgen zu vereinbaren (Satz 4). Auch die Neufassung des § 43b SGB V durch das VÄndG v. 22. Dezember 2006 ändert nichts. Danach gilt Absatz 1 Satz 2 (wonach die Krankenkasse die die Zahlung einzuziehen hat, wenn der Versicherte trotz schriftlicher Zahlungsaufforderung durch den Leistungserbringer nicht zahlt) nicht im Falle der Leistungserbringung und Abrechnung im Rahmen von Gesamtverträgen nach den §§ 82 und 83 (§ 43 b Abs. 2 S. 3 SGB V n.F.). In den Fällen des Satzes 3 haben die Kassenärztliche oder Kassenzahnärztliche Vereinigung im Auftrag der Krankenkasse die Einziehung der Zuzahlung zu übernehmen, wenn der Versicherte trotz einer gesonderten schriftlichen Aufforderung durch den Leistungserbringer nicht zahlt (Satz 4). In den Bundesmantelverträgen kann ein von Satz 4 abweichendes Verfahren vereinbart werden; das Nähere zum Verfahren nach den Sätzen 1, 2 und 4 bis 7 ist in den Bundesmantelverträgen zu vereinbaren (§ 43 b Abs. 2 S. 8 SGB V). Damit konnten die Bundesmantelvertragspartner die Vorschrift des § 18 Abs. 7a BMV-Ä, bei der es sich um eine Verfahrensregelung handelt, erlassen. Ihr kommt entgegen der Auffassung der Klägerin kein sanktionierender oder sanktionsähnlicher Charakter zu. Sie dient lediglich der Sicherung gegebenenfalls im Verfahren nach § 49 BMV-Ä/§ 45 EKV-Ä festzusetzender Schadensregresse (vgl. § 18 Abs. 7a S. 3 BMV-Ä/ § 21 Abs. 7a S. 3 EKV-Ä). Eine endgültige Sanktion würde erst in einem solchen Verfahren getroffen werden. Im Übrigen könnte die Vorschrift – wollte man sie nicht von durch § 43 b Abs. 2 SGB V als gedeckt ansehen – jedenfalls auf Grundlage der Generalklausel des § 82 Abs. 1 SGB V vereinbart werden. Denn die Bundesmantelvertragspartner haben einen normativen Gestaltungsspielraum und sind nicht darauf beschränkt, nur die zwingenden gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen (Freudenberg a.a.O., Rn. 25). Die Regelungen zur Zurückbehaltung von Vergütungsansprüchen in Höhe nicht eingezogener Praxisgebühren bis zur Entscheidung über einen Schadensersatzanspruch liegen innerhalb dieses Gestaltungsspielraums.
Der Anwendung der bundesmantelvertraglichen Regelungen steht auch nicht die Rahmenempfehlung entgegen. Denn diese entfaltet keine Rechtswirkung auf das streitgegenständliche Rechtsverhältnis. Rechtsgrundlage für die Rahmenempfehlung ist § 115 Abs. 5 SGB V, wonach die Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsam, die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft oder die Bundesverbände der Krankenhausträger gemeinsam Rahmenempfehlungen zum Inhalt der Verträge nach Absatz 1 abgeben sollen. Nach § 115 Abs. 1 SGB V schließen die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und die Kassenärztlichen Vereinigungen mit der Landeskrankenhausgesellschaft oder mit den Vereinigungen der Krankenhausträger im Land gemeinsam Verträge mit dem Ziel, durch enge Zusammenarbeit zwischen Vertragsärzten und zugelassenen Krankenhäusern eine nahtlose ambulante und stationäre Behandlung der Versicherten zu gewährleisten. Aus diesem Regelungszusammenhang wird deutlich, dass verbindliche Verträge nur von den Landesverbänden und Kassenärztlichen Vereinigungen auf Landesebene geschlossen werden können. Solche Verträge auf Landesebene sind vorliegend nicht geschlossen worden. Die Rahmenempfehlung nach § 115 Abs. 5 SGB V dient aber allein der Vereinheitlichung und Koordination von Verträgen auf Landesebene. Sie ist damit nicht unmittelbar verbindlich (Köhler-Hohmann, in jurisPK-SGB V, 1. Aufl. 2008, § 115 Rn. 56 f.).
Auf die von Beteiligten aufgeworfenen Fragen der Organisation des Einziehungsverfahrens und des Verschuldens beim Nichteinzug der Praxisgebühr kommt es für die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts nicht an. Bereits der Wortlaut des § 18 Abs. 7a S. 1 BMV-Ä / § 21 Abs. 7a S. 1 EKV-Ä gibt dafür nichts her. Aber auch nach Sinn und Zweck des Zurückbehaltungsrechts sind diese Fragen unerheblich. Denn die Zurückbehaltung dient lediglich der Vorbereitung des Schadensersatzverfahrens nach § 18 Abs. 7a S. 3 BMV-Ä/ § 21 Abs. 7a S. 3 EKV-Ä. In diesem Verfahren werden auch die Art und Weise des Einziehungsverfahrens und das Verschulden als Voraussetzung eines Schadensersatzanspruchs der Krankenkassen geprüft. Es wäre sinnwidrig, diese Prüfung zur Voraussetzung des Zurückbehaltungsrechts zu machen und damit dem Verfahren vor der Schlichtungsstelle vorwegzunehmen. Das Schlichtungsverfahren wäre auf die Feststellung der Schadenshöhe beschränkt und damit ausgehöhlt.
Soweit die Klägerin schließlich einwendet, die Beklagte habe bei der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts die Nichteinzugsquote fehlerhaft berechnet und Nachmeldungen außer Betracht gelassen, ändert dies an der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Bescheide nichts. Denn gem. § 18 Abs. 7a S. 1 BMV-Ä / § 21 Abs. 7a S. 1 EKV-Ä kommt es allein auf die von der Klägerin erstellte Abrechnung und die sich daraus ergebende Nichtzahlerquote an. Spätere Nachmeldungen, soweit diese überhaupt zulässig und für die Berechnung des Honoraranspruchs von Bedeutung sind, können an den in der Honorarabrechnung enthaltenen Daten nichts mehr ändern. Gleiches gilt für die Höhe des zurückbehaltenen Betrags. Auch hier kommt es nur auf die Differenz der einbehaltenen und einzubehaltenden Praxisgebühren an, wie sie sich aus der Abrechnung ergibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Zurückbehaltung von Honoraranteilen wegen nicht einbehaltener Praxisgebühren in den Quartalen I, II, und III/2005.
Die Klägerin ist Trägerin des Klinikums , das unter der Abrechnungsnummer 72-74118 eine Notfallambulanz/Erste-Hilfe-Stelle betreibt. Dem Honorarbescheid für das Quartal I/2005 fügte die Beklagte eine Anlage bei, mit der sie unter Hinweis auf § 18 Abs. 7a BMV-Ä einen Betrag in Höhe von 16.280,- EUR wegen nicht einbehaltener Praxisgebühren zurückbehielt. Die Nichteinzugsquote habe bei 59,55 % gelegen. Hiergegen legte die Klägerin am 28. Oktober 2005 (Eingang bei der Beklagten) Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass der neu eingefügte § 18 Abs. 7a BMV-Ä eine Regelung zu Lasten Dritter darstelle, die zu einer einseitigen verschuldensunabhängigen Verlagerung des Inkassorisikos für den Erhalt der Praxisgebühr führe. Die Rechtsauffassung widerspreche der zwischen den GKV-Spitzeverbänden und der KBV mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft geschlossenen "Rahmenempfehlung zum Erheben der Zuzahlung nach § 28 Abs. 4 SGB V (Praxisgebühr) bei ambulanten Leistungen im Krankenhaus" (im Folgenden: Rahmenempfehlung). Auch liege keine schuldhafte Verletzung einer vertraglichen Pflicht vor. Auf das Erheben der Praxisgebühr sei nicht verzichtet worden. Die Zuzahlung sei erhoben beziehungsweise der Patient nachträglich zur Zahlung aufgefordert worden. Die Rahmenempfehlung lasse diese Verfahrensweise zu.
Für das Quartal II/2005 machte die Beklagte in der Anlage zum Honorarbescheid bei einer Nichteinzugsquote von 68,81% ein Zurückbehaltungsrecht in Höhe von 19.130,- EUR geltend. Mit ihrem am 23. Februar 2006 bei der Beklagten eingegangenen Widerspruch trug die Klägerin weiter vor, dass § 18 Abs. 7a BMV-Ä auf sie als Krankenhausträgerin im Rahmen der ambulanten Notfallversorgung schon gar nicht anwendbar sei. Eine etwaige Einbehaltsverpflichtung habe sie jedenfalls nicht schuldhaft verletzt, was § 18 Abs. 7a BMV-Ä jedoch voraussetze. Sie – die Klägerin – habe die Zahlung erhoben, indem sie den Patienten bei der Behandlung eine schriftliche Zahlungsaufforderung überreicht habe. Diese Verfahrensweise sei sowohl nach der Rahmenempfehlung als auch nach § 18 Abs. 3 BMV-Ä explizit zugelassen. Mit Bescheid vom 24. Mai 2006 half die Beklagte dem Widerspruch insoweit ab, als dass sie den zurückbehalten Betrag um 10,- EUR reduzierte. Die Nichteinzugsquote betrage nur noch 68,80 %.
Für das Quartal III/2005 machte die Beklagte in der Anlage zum Honorarbescheid bei einer Nichteinzugsquote von 55,68 % ein Zurückbehaltungsrecht in Höhe von 16.570,- EUR geltend. Dem am 12. April 2006 bei der Beklagten eingegangenen Widerspruch half die Beklagte mit Bescheid vom 24. Mai 2006 in Höhe von 50,- EUR ab. Die Nichteinzugsquote betrage noch 55,60 %.
Mit Beschluss ihrer Widerspruchsstelle vom 13. Juni 2006 (schriftlicher Bescheid zugestellt mit Einschreiben vom 5. Juli 2006) wies die Beklagte die Widersprüche, soweit ihnen nicht abgeholfen worden war, als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Rechtsgrundlage für die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts sei § 18 Abs. 7a BMV-Ä beziehungsweise § 21 Abs. 7a EKV-Ä. Die gesetzlichen und vertraglichen Regelungen seien auf die Klägerin anwendbar. Die Klägerin habe in mehr als 10 % der Behandlungsfälle die Praxisgebühr nicht eingezogen. Bei der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts handele es sich um eine Ermessensentscheidung. Das Ermessen sei fehlerfrei ausgeübt worden. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, die Praxisgebühr grundsätzlich vor der Behandlung in bar zu erheben. Auch in Notfällen sei die Gebühr vor Behandlungsbeginn zu erheben. Es sei nicht erkennbar, dass die Klägerin sich an die gesetzlichen Vorgaben halte, zumal bei wirklich akuter Behandlung die Patienten stationär aufgenommen würden und die Praxisgebühr in diesem Fall entfalle. Aus der fehlenden Patientenbindung in Erste-Hilfe-Stellen resultiere ein erhöhtes Inkassorisiko, weshalb die Erhebung der Praxisgebühr vor der Behandlung unumgänglich sei. Nur in Fällen, in denen eine Behandlung derart unverzüglich erfolgen müsse, dass für die Erhebung der Praxisgebühr kein Raum sei oder der Patient aufgrund seines Gesundheitszustands nicht in der Lage sei, die Zuzahlung vor der Behandlung zu entrichten, könne diese auch nach der Behandlung erhoben werden. Diese Voraussetzungen lägen hier jedoch nicht vor. Im Übrigen sei der Nichteinzug auch schuldhaft erfolgt, weil das Absehen vom Einzug vor der Behandlung nicht gerechtfertigt sei. Die Nichteinzugsquote stelle ein entscheidendes Indiz für den nicht ordnungsgemäßen Einzug dar. Der Begriff des "Erhebens" beinhalte nicht den versuchten Einzug der Zuzahlung, weil die Abrechnung nicht erkennen lasse, ob ein – erfolgloser – Einziehungsversuch erfolgt sei.
Hiergegen richtet sich die am 27. Juli 2006 erhobene Klage, zu deren Begründung die Klägerin insbesondere ausführt, dass die Besonderheiten der Notfallversorgung eine Einziehung der Praxisgebühr vor der Behandlung nicht zuließen. Deshalb werde den Patienten jeweils nach der Behandlung eine schriftliche Zahlungsaufforderung überreicht. § 18 Abs. 7a BMV-Ä sei vorliegend nicht anwendbar, weil Krankenhäuser nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnähmen, auch nicht im Fall der ambulanten Notfallversorgung. Sie – die Klägerin – sei auch nicht Mitglied der Beklagten. Deshalb gelte nur die Rahmenempfehlung. Danach sei sie berechtigt, die Zuzahlung erst nach der Behandlung zu erheben. Auch der BMV-Ä lasse die Möglichkeit der nachträglichen Erhebung zu. Im Übrigen sei nach der Präambel der Rahmenempfehlung der BMV-Ä nicht ergänzend anwendbar; die Rahmenempfehlung gehe dem BMV-Ä vor. § 18 Abs. 7a BMV-Ä sei unwirksam, weil die Regelung nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 43 b SGB V gedeckt sei. Es handele sich nicht um eine Verfahrensregelung, sondern um eine Sanktion. Ein Zurückbehaltungsrecht ergebe sich auch nicht aus § 43b Abs. 2 SGB V. Schließlich lägen auch die Voraussetzungen des § 18 Abs. 7a BMV-Ä nicht vor. Dem Wortlaut nach könne nur dann ein schuldhaftes Nichterheben vorliegen, wenn ein Leistungserbringer die Gebühr weder vor noch nach der Behandlung erhebe. Unter Erheben sei die Geltendmachung der Forderung, aber nicht deren Einziehung zu verstehen. Die von ihr – der Klägerin – nach der Notfallbehandlung an die Patienten ausgehändigte schriftliche Zahlungsaufforderung stelle die Erhebung dar. Anders als ein niedergelassener Vertragsarzt könne sie nicht die Behandlung verweigern, wenn der Patient nicht zur Zahlung bereit sei. Die Höhe der Nichtzahlerquote sei kein Indiz für eine Pflichtverletzung. Im Übrigen sei die Berechnung der Nichteinzugsquote fehlerhaft. Nachmeldungen seien von der Beklagten nicht mehr berücksichtigt worden. Bei Berücksichtigung von Nachmeldungen ergäben sich beispielsweise in den Quartalen I/07 und II/07 Quoten von 21,3 % statt 56,93 % und 20,7 % statt 54,37 %.
Die Klägerin beantragt, die Bescheide der Beklagten vom 5.10.2005, vom 24.01.2006 und vom 22.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 13.06.2006 zu den jeweiligen Tagebuchnummern 28655-05, 7059-06, 12657-06 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie – die Klägerin – 51.920,00 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist der Meinung, dass die Regelung des § 18 Abs. 7a BMV-Ä anwendbar sei. § 43 b Abs. 2 SGB V betreffe alle Leistungserbringer, also auch Krankenhäuser, deren ambulante Notfallleistungen zur vertragsärztlichen Versorgung gehörten. Sowohl die Bundesmantelvertragspartner als auch sie – die Beklagte – dürften nach der Rechtsprechung des BSG gegenüber der Klägerin hoheitliche Maßnahmen erlassen, wenn sie keine Benachteiligung zu Vertragsärzten beinhalteten. Die Ergänzung des BMV-Ä um § 18 Abs. 7a BMV-Ä sei die Reaktion der Bundesmantelvertragspartner darauf gewesen, dass die Nichteinzugsquote in Krankenhäusern sehr hoch gewesen sei. Die Regelung enthalte die Vermutung, dass der Einzug bei einer Nichteinzugsquote über 10 % nicht ordnungsgemäß erfolge. Der Leistungserbringer könne diese Vermutung im Schlichtungsverfahren widerlegen. Die hohen Nichteinzugsquoten habe die Klägerin nicht erklären oder entschuldigen können. Die Gebühr müsse jedenfalls erhoben werden, so lange sich der Patient in den Räumen der Klägerin aufhalte.
Die Beigeladene zu 7) teilt die Auffassung der Beklagten. Die Bundesmantelvertragspartner seien gemäß § 43b Abs. 2 SGB V auch gegenüber Krankenhäusern befugt, das Zuzahlungsverfahren insgesamt zu regeln. Der Versicherte sei vor jeder Inanspruchnahme zur Zuzahlung verpflichtet. § 2 Abs. 1 der Rahmenempfehlung sei eine Ausnahme, die das Krankenhaus nicht von der Pflicht zur Erhebung der Zuzahlung entbinde. Mit dem regelhaften Versäumen, die Zuzahlung vor der Inanspruchnahme einzuziehen, habe die Klägerin die ihr auferlegten Pflichten schuldhaft verletzt. Im Übrigen werde erst im Verfahren nach § 49 BMV-Ä eine Sanktion festgelegt, bis dahin handele es sich bei der Regelung des Zurückbehaltungsrechts um eine Verfahrensregelung.
Die Beigeladene zu 7) hat, wie auch die übrigen Beigeladenen, keine Anträge gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die vorlag und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat das Zurückbehaltungsrecht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt.
Rechtsgrundlage für die angegriffenen Bescheide ist § 18 Abs. 7a S. 1 BMV-Ä bzw. § 21 Abs. 7a S. 1 EKV-Ä. Nach der in beiden Verträgen gleichlautenden Vorschrift kann die Kassenärztliche Vereinigung, wenn sich aus der Abrechnung ergibt, dass ein Leistungserbringer in einem Quartal in 10 von Hundert oder einem höheren Anteil der Behandlungsfälle, in denen die Zuzahlung nach § 28 Abs. 4 SGB V zu erheben ist, die Zuzahlung nicht erhoben hat, die Differenz zwischen einzubehaltender und einbehaltender Zuzahlung zurückbehalten. Nach § 18 Abs. 7a S. 3 BMV-Ä bzw. § 21 Abs. 7a S. 3 EKV-Ä leitet die Kassenärztliche Vereinigung in Abstimmung mit der zuständigen Krankenkasse gleichzeitig ein Verfahren nach § 49 BMV-Ä bzw. § 45 EKV-Ä ein.
Danach sind die auf Grundlage von § 18 Abs. 7a S. 1 BMV-Ä / § 21 Abs. 7a S. 1 EKV-Ä ergangenen Bescheide nicht zu beanstanden. Die Klägerin ist Leistungserbringer im Sinne der Vorschrift, weil die in Notfällen ambulant ausgeführten ärztlichen Leistungen durch nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten gem. § 2 Abs. 2 Nr. 4 BMV-Ä/EKV-Ä zur vertragsärztlichen Versorgung gehören. In den betroffenen Quartalen hat die Klägerin ihrer Abrechnung zufolge in 59,55 vom Hundert, 68,80 vom Hundert und 55,60 vom Hundert der Fälle die Zuzahlung nach § 28 Abs. 4 SGB V (im Folgenden: Praxisgebühr) nicht erhoben. Dabei ist "erheben" nicht im Sinne von Geltendmachen, sondern im Sinne von erfolgreichem Einziehen, also der tatsächlichen Realisierung der Praxisgebühr durch Zahlung des Patienten, zu verstehen. Wie auch die Klägerin bereits in der Begründung ihrer Widersprüche für das zweite und dritte Quartal 2005 vom 21. Februar 2006 und 4. April 2006 ausführt, lässt "erheben" seinem natürlichen Wortsinn nach beide Verständnisformen zu. Allerdings wird in der Vorschrift darauf abgestellt, dass sich der Anteil der nicht erhobenen Praxisgebühren aus der Abrechnung ergibt. Weil der Leistungserbringer in der Abrechnung aber nicht dokumentiert, ob er den Patienten zur Zahlung aufgefordert hat, sondern ob der Patient tatsächlich gezahlt hat, kann vorliegend mit "erheben" nur die Einziehung gemeint sein. Dass die Bundesmantelvertragspartner im ersten Halbsatz des § 18 Abs. 7a S. 1 BMV-Ä das Wort "erheben", im zweiten Halbsatz jedoch "einbehalten" verwendet haben, dürfte keine weitere Bedeutung haben. Die beiden Vokabeln sind nur zur besseren sprachlichen Verständlichkeit und zur Vermeidung von Wortwiederholungen synonym verwendet worden.
Das ihr zustehende Ermessen hat die Beklagte erkannt und ausgeübt. Dabei sind Ermessensfehler i.S.d. § 54 Abs. 2 S. 2 SGG nicht zu erkennen. In Anbetracht der Funktion der Vorschrift, einen möglichen Schadensersatzanspruch der Krankenkassen nach §§ 49 BMV-Ä/45 EKV-Ä zunächst zu sichern, kommt die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts grundsätzlich bereits bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen in Betracht. Gründe, von der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts Abstand zu nehmen, könnten allenfalls in der fehlenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des betroffenen Leistungserbringers liegen. Dass die Klägerin, die als großer Krankenhauskonzern eine Reihe von Krankenhäusern in Berlin betreibt, durch das Zurückbehalten der streitigen Beträge von insgesamt 51.920,- EUR nicht in ihrem wirtschaftlichen Bestand gefährdet ist, liegt auf der Hand.
Die von der Klägerin gegen die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Bescheide sonstigen vorgebrachten Einwände greifen nicht. Die Regelungen des § 18 Abs. 7a BMV-Ä / § 21 Abs. 7a EKV-Ä sind auf die Klägerin anwendbar. Zwar nehmen die von der Klägerin betriebenen Krankhäuser grundsätzlich nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Die ambulante Notfallversorgung durch Krankenhäuser gem. § 75 Abs. 1 s. 2 SGB V ist jedoch Teil der vertragsärztlichen Versorgung (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 BMV-Ä/EKV-Ä; BSG, Urteil v. 16. April 1986, -6 RKa 34/84-, SozR 2200 § 368d Nr. 5; BSG, Urteil v. 24. September 2003, -B 6 KA 51/02 R-, SozR 4-2500 § 75 Nr. 2). Es handelt sich um einen Fall der beschränkten Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung durch Krankenhäuser und Nichtvertragsärzte, ohne dass diese in die Kassenärztliche Vereinigung einbezogen werden (Wenner, Das Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008, § 14 Rn. 12). In diesem Fall gelten nicht nur die die betroffenen Leistungserbringer begünstigenden Regelungen über die vertragsärztliche Vergütung, sondern auch die sonstigen, für die Leistungserbringer ggf. mit Nachteilen verbundenen Regelungen der vertragsärztlichen Versorgung. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Leistungserbringer die entsprechenden vertragsärztlichen Regelungen kennen müssen. Bei einem Krankenhaus, das regelmäßig und in erheblichem Umfang am Notfalldienst teilnimmt, kann davon ausgegangen werden, dass die einschlägigen Bestimmungen bekannt und daher anwendbar sind (vgl. BSG v. 16. April 1986, a.a.O., hier zit. n. juris, Rn. 14).
Die Regelungen der Bundesmantelverträge sind auch im Übrigen auf die Klägerin anwendbar. Dass die Klägerin oder die sie vertretende Krankenhausgesellschaft nicht am Vertragsschluss beteiligt waren, führt nicht dazu, dass es sich um einen unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter handelt. Denn bei den Bundesmantelverträgen handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des BSG um so genannte Normativ- oder Normsetzungsverträge, mit denen unterhalb des Gesetzesrechts allgemeingültiges Recht gesetzt wird. In den Verträgen werden typischerweise Rechte und Pflichten solcher Personen und Körperschaften begründet, die nicht am Vertragsschluss mitgewirkt haben. Sie wirken wie Rechtsnormen und binden die von ihnen betroffenen Personen (vor allem Ärzte und Krankenkassen, aber auch – wie bereits ausgeführt – die Klägerin, soweit sie am ambulanten Notfalldienst teilnimmt) unabhängig von deren Zustimmung im Einzelfall (vgl. nur Freudenberg, in: jurisPK-SGB V, 1. Auflage 2008, § 82 Rn. 28 ff.; Wenner, a.a.O., § 12 Rn 1. ff. und § 13, Rn. 1, jeweils m.w.N. zur Rechtsprechung).
Die Regelung des § 18 Abs. 7a BMV-Ä / § 21 Abs. 7a EKV-Ä ist von der Ermächtigungsgrundlage des § 43b Abs. 2 SGB V in der Fassung des GMG v. 14. November 2003 gedeckt. Danach hat der Leistungserbringer Zuzahlungen, die Versicherte nach § 28 Abs. 4 zu entrichten haben, einzubehalten; sein Vergütungsanspruch gegenüber der Krankenkasse, der Kassenärztlichen oder Kassenzahnärztlichen Vereinigung verringert sich entsprechend (Satz 1). Die nach § 83 zu entrichtenden Vergütungen verringern sich in Höhe der Summe der von den mit der Kassenärztlichen oder Kassenzahnärztlichen Vereinigung abrechnenden Leistungserbringern nach Satz 1 einbehaltenen Zuzahlungen (Satz 2). Das Nähere zum Verfahren nach den Sätzen 1 und 2 ist in den Bundesmantelverträgen zu vereinbaren (Satz 4). Auch die Neufassung des § 43b SGB V durch das VÄndG v. 22. Dezember 2006 ändert nichts. Danach gilt Absatz 1 Satz 2 (wonach die Krankenkasse die die Zahlung einzuziehen hat, wenn der Versicherte trotz schriftlicher Zahlungsaufforderung durch den Leistungserbringer nicht zahlt) nicht im Falle der Leistungserbringung und Abrechnung im Rahmen von Gesamtverträgen nach den §§ 82 und 83 (§ 43 b Abs. 2 S. 3 SGB V n.F.). In den Fällen des Satzes 3 haben die Kassenärztliche oder Kassenzahnärztliche Vereinigung im Auftrag der Krankenkasse die Einziehung der Zuzahlung zu übernehmen, wenn der Versicherte trotz einer gesonderten schriftlichen Aufforderung durch den Leistungserbringer nicht zahlt (Satz 4). In den Bundesmantelverträgen kann ein von Satz 4 abweichendes Verfahren vereinbart werden; das Nähere zum Verfahren nach den Sätzen 1, 2 und 4 bis 7 ist in den Bundesmantelverträgen zu vereinbaren (§ 43 b Abs. 2 S. 8 SGB V). Damit konnten die Bundesmantelvertragspartner die Vorschrift des § 18 Abs. 7a BMV-Ä, bei der es sich um eine Verfahrensregelung handelt, erlassen. Ihr kommt entgegen der Auffassung der Klägerin kein sanktionierender oder sanktionsähnlicher Charakter zu. Sie dient lediglich der Sicherung gegebenenfalls im Verfahren nach § 49 BMV-Ä/§ 45 EKV-Ä festzusetzender Schadensregresse (vgl. § 18 Abs. 7a S. 3 BMV-Ä/ § 21 Abs. 7a S. 3 EKV-Ä). Eine endgültige Sanktion würde erst in einem solchen Verfahren getroffen werden. Im Übrigen könnte die Vorschrift – wollte man sie nicht von durch § 43 b Abs. 2 SGB V als gedeckt ansehen – jedenfalls auf Grundlage der Generalklausel des § 82 Abs. 1 SGB V vereinbart werden. Denn die Bundesmantelvertragspartner haben einen normativen Gestaltungsspielraum und sind nicht darauf beschränkt, nur die zwingenden gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen (Freudenberg a.a.O., Rn. 25). Die Regelungen zur Zurückbehaltung von Vergütungsansprüchen in Höhe nicht eingezogener Praxisgebühren bis zur Entscheidung über einen Schadensersatzanspruch liegen innerhalb dieses Gestaltungsspielraums.
Der Anwendung der bundesmantelvertraglichen Regelungen steht auch nicht die Rahmenempfehlung entgegen. Denn diese entfaltet keine Rechtswirkung auf das streitgegenständliche Rechtsverhältnis. Rechtsgrundlage für die Rahmenempfehlung ist § 115 Abs. 5 SGB V, wonach die Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsam, die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft oder die Bundesverbände der Krankenhausträger gemeinsam Rahmenempfehlungen zum Inhalt der Verträge nach Absatz 1 abgeben sollen. Nach § 115 Abs. 1 SGB V schließen die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und die Kassenärztlichen Vereinigungen mit der Landeskrankenhausgesellschaft oder mit den Vereinigungen der Krankenhausträger im Land gemeinsam Verträge mit dem Ziel, durch enge Zusammenarbeit zwischen Vertragsärzten und zugelassenen Krankenhäusern eine nahtlose ambulante und stationäre Behandlung der Versicherten zu gewährleisten. Aus diesem Regelungszusammenhang wird deutlich, dass verbindliche Verträge nur von den Landesverbänden und Kassenärztlichen Vereinigungen auf Landesebene geschlossen werden können. Solche Verträge auf Landesebene sind vorliegend nicht geschlossen worden. Die Rahmenempfehlung nach § 115 Abs. 5 SGB V dient aber allein der Vereinheitlichung und Koordination von Verträgen auf Landesebene. Sie ist damit nicht unmittelbar verbindlich (Köhler-Hohmann, in jurisPK-SGB V, 1. Aufl. 2008, § 115 Rn. 56 f.).
Auf die von Beteiligten aufgeworfenen Fragen der Organisation des Einziehungsverfahrens und des Verschuldens beim Nichteinzug der Praxisgebühr kommt es für die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts nicht an. Bereits der Wortlaut des § 18 Abs. 7a S. 1 BMV-Ä / § 21 Abs. 7a S. 1 EKV-Ä gibt dafür nichts her. Aber auch nach Sinn und Zweck des Zurückbehaltungsrechts sind diese Fragen unerheblich. Denn die Zurückbehaltung dient lediglich der Vorbereitung des Schadensersatzverfahrens nach § 18 Abs. 7a S. 3 BMV-Ä/ § 21 Abs. 7a S. 3 EKV-Ä. In diesem Verfahren werden auch die Art und Weise des Einziehungsverfahrens und das Verschulden als Voraussetzung eines Schadensersatzanspruchs der Krankenkassen geprüft. Es wäre sinnwidrig, diese Prüfung zur Voraussetzung des Zurückbehaltungsrechts zu machen und damit dem Verfahren vor der Schlichtungsstelle vorwegzunehmen. Das Schlichtungsverfahren wäre auf die Feststellung der Schadenshöhe beschränkt und damit ausgehöhlt.
Soweit die Klägerin schließlich einwendet, die Beklagte habe bei der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts die Nichteinzugsquote fehlerhaft berechnet und Nachmeldungen außer Betracht gelassen, ändert dies an der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Bescheide nichts. Denn gem. § 18 Abs. 7a S. 1 BMV-Ä / § 21 Abs. 7a S. 1 EKV-Ä kommt es allein auf die von der Klägerin erstellte Abrechnung und die sich daraus ergebende Nichtzahlerquote an. Spätere Nachmeldungen, soweit diese überhaupt zulässig und für die Berechnung des Honoraranspruchs von Bedeutung sind, können an den in der Honorarabrechnung enthaltenen Daten nichts mehr ändern. Gleiches gilt für die Höhe des zurückbehaltenen Betrags. Auch hier kommt es nur auf die Differenz der einbehaltenen und einzubehaltenden Praxisgebühren an, wie sie sich aus der Abrechnung ergibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO.
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