S 83 KA 443/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
83
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 443/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst tragen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Zurückbehaltung von Honoraranteilen wegen nicht einbe-haltener Praxisgebühren und gegen die Höhe der Honorarfestsetzung für das Quartal IV/2005.

Die Klägerin betreibt die -Klinik, die in ihrer Rettungsstelle unter der Abrechnungsnummer 72-74101 Leistungen der ambulanten Notfallversorgung erbringt. Dem Honorarbescheid für das Quartal IV/2005 fügte die Beklagte eine Anlage mit eigener Rechtsbehelfsbelehrung bei, mit der sie unter Hinweis auf § 18 Abs. 7a BMV-Ä einen Betrag in Höhe von 4.690,- EUR wegen nicht einbehaltener Praxisgebühren zurückbehielt. Sie stellte eine Nichteinzugsquote (Anteil der Behandlungsfälle, in denen die Zuzahlung nach § 28 Abs. 4 SGB V nicht erhoben wurde, an der Gesamtzahl der zuzahlungspflichtigen Behandlungsfälle) von 36,08 % fest. Am 19. Juni 2006 (Eingang bei der Beklagten) legte die Klägerin "gegen den Honorarbescheid für das vierte Quartal 2005 und den damit verbundenen Abzug für nicht einbehaltene Praxisgebühr" Wi-derspruch ein und führte weiter aus: Die Behandlung der Notfallpatienten entspreche der zwi-schen den GKV-Spitzenverbänden und der KBV mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft geschlossenen "Rahmenempfehlung zum Erheben der Zuzahlung nach § 28 Abs. 4 SGB V (Praxisgebühr) bei ambulanten Leistungen im Krankenhaus" (im Folgenden: Rahmenempfeh-lung). Durch die Vertragsauslegung der Beklagten werde das Inkassorisiko einseitig den Kran-kenhäusern auferlegt. Patienten, die die Praxisgebühr nicht zahlten, erhielten einen Überwei-sungsträger sowie eine schriftliche Mahnung. Die besondere Situation einer Rettungsstelle werde nicht berücksichtigt. Es werde um Überweisung des einbehaltenen Abzugs von 4.690,- EUR bis spätestens 2. Juli 2006 gebeten.

Mit Beschluss ihrer Widerspruchsstelle vom 4. Juli 2006 (schriftlicher Bescheid vom 30. Au-gust 2006) wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Rechtsgrundlage für die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts sei § 18 Abs. 7a BMV-Ä beziehungsweise § 21 Abs. 7a EKV-Ä. Die Klägerin habe in mehr als 10 % der Behandlungsfälle die Praxisgebühr nicht eingezogen. Bei der Ausübung des Zurückbe-haltungsrechts handele es sich um eine Ermessensentscheidung. Das Ermessen sei fehlerfrei ausgeübt worden. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, die Praxisgebühr grundsätzlich vor der Behandlung in bar zu erheben. Auch in Notfällen sei die Gebühr vor Behandlungsbeginn zu erheben. Es sei nicht erkennbar, dass die Klägerin sich an die gesetzlichen Vorgaben halte, zumal bei wirklich akuter Behandlung die Patienten stationär aufgenommen würden und die Praxisgebühr in diesem Fall entfalle. Aus der fehlenden Patientenbindung in Erste-Hilfe-Stellen resultiere ein erhöhtes Inkassorisiko, weshalb die Erhebung der Praxisgebühr vor der Behandlung unumgänglich sei. Aufgrund der Höhe des Anteils der nicht eingezogenen Praxis-gebühren sei davon auszugehen, dass die Klägerin diese nicht unter Beachtung der gesetzlichen und vertraglichen Voraussetzungen erhoben habe.

Hiergegen richtet sich die am 5. Oktober 2006 erhobene Klage, zu deren Begründung die Klä-gerin insbesondere vorträgt: Die Organisation und Durchführung des Einzugsverfahren stünden im Einklang mit der Rahmenempfehlung nach § 115 SGB V. Die Gründe für die hohe Nicht-zahlerquote lägen in der spezifischen Situation der Notfallbehandlung in Erste-Hilfe-Stellen begründet. §§ 18 Abs. 7a BMV-Ä, 21 Abs. 7a EKV-Ä seien verfassungswidrig, weil die erfor-derliche gesetzliche Grundlage fehle. Ein Zurückhaltungsrecht setze Gegenansprüche voraus, die gesetzlich nicht vorgesehen seien, denn es gebe keine gesetzlichen Sanktionsmechanismen. § 43b Abs. 2 SGB V beinhalte keine Regelungskompetenz für Sanktionen. Das Inkassorisiko dürfe nicht auf die Leistungserbringer abgewälzt werden. Die Voraussetzungen des § 18 Abs. 7a S. 1 BMV-Ä lägen nicht vor. Unter Erheben im Sinne der Vorschrift sei die Anforderungen der Gebühr zu verstehen, was sie – die Klägerin – gemacht habe. Gegenansprüche nach § 49 BMV-Ä / 45 EKV-Ä hätten zum Zeitpunkt der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts schon deswegen nicht festgestellt werden können, weil noch gar keine Schlichtungsstellen existierten. Die Entscheidung sei ermessensfehlerhaft, weil sie – die Klägerin – keine Pflichtverletzung begangen habe. Es bestehe keine gesetzliche Pflicht zum Einzug der Praxisgebühr vor der Be-handlung. Bei akuter Behandlungsbedürftigkeit, die nicht mit der Notwendigkeit der stationä-ren Aufnahme gleichzusetzen sei, müsse der Patient auch ohne vorherige Bezahlung behandelt werden. Es bestehe keine Verpflichtung des Arztes, die Behandlung zu verweigern, wenn der Patient nicht zahle. Die Weigerung könne sogar zivil- und strafrechtliche Konsequenzen haben. Auch sei es ermessensfehlerhaft, strengere Anforderungen an das Einzugverfahren in Erste-Hilfe-Stellen als an Arztpraxen zu stellen. Schließlich liege kein schuldhaftes Handeln vor, das für einen Schadensersatzanspruch nach § 49 BMV-Ä aber Voraussetzung sei. Die hohe Nicht-zahler-Quote führe nicht zu einer Verschuldensvermutung. Die Klage sei auch hinsichtlich der Honorarfestsetzung zulässig und begründet. Widerspruch sei gegen den gesamten Honorarbe-scheid erhoben worden. Die bei der Vergütung nach dem EBM 2000plus vorgenommene Un-gleichbehandlung mit Leistungen im Notfalldienst, die von Vertragsärzten erbracht worden seien, sei nicht zu rechtfertigen, ebensowenig die Absenkung des oberen Interventionspunkt-werts.

Nachdem in dem parallel zum vorliegenden Rechtsstreit durchgeführten Schlichtungsverfahren kein Verschulden der Klägerin festgestellt worden ist, hat die Beklagte den zurückbehaltenen Betrag am 25. August 2008 an die Klägerin ausgezahlt. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt.

Die Klägerin beantragt deshalb nur noch, die Beklagte unter Abänderung des Honorarbescheides für das Quartal IV/2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juli 2006 zu verpflichten, über ih-ren Honoraranspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Meinung, dass die Klage hinsichtlich der Honorarfestsetzung unzulässig sei, weil sich die Klägerin im Widerspruchsverfahren nur gegen die Ausübung des Zurückbehaltungs-rechts gewandt und die Honorarfestsetzung im eigentlichen Sinne nicht beanstandet habe. Die Honorarbescheide seien insoweit bestandskräftig geworden. Im Übrigen sei die Honorarfest-setzung nicht zu beanstanden. Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts sei rechtmäßig ge-wesen: Die Regelung des § 18 Abs. 7a BMV-Ä sei vorliegend anwendbar. § 43 b Abs. 2 SGB V betreffe alle Leistungserbringer, also auch Krankenhäuser, deren ambulante Notfallleistun-gen zur vertragsärztlichen Versorgung gehörten. Sowohl die Bundesmantelvertragspartner als auch sie – die Beklagte – dürften nach der Rechtsprechung des BSG gegenüber der Klägerin hoheitliche Maßnahmen erlassen, wenn sie keine Benachteiligung zu Vertragsärzten beinhalte-ten. Die Ergänzung des BMV-Ä um § 18 Abs. 7a BMV-Ä sei die Reaktion der Bundesmantel-vertragspartner darauf gewesen, dass die Nichteinzugsquote in Krankenhäusern sehr hoch ge-wesen sei. Die Regelung enthalte die Vermutung, dass der Einzug bei einer Nichteinzugsquote über 10 % nicht ordnungsgemäß erfolge. Der Leistungserbringer könne diese Vermutung im Schlichtungsverfahren widerlegen. Die hohen Nichteinzugsquoten habe die Klägerin nicht er-klären oder entschuldigen können. Die Praxisgebühr müsse jedenfalls erhoben werden, so lan-ge sich der Patient in den Räumen der Klägerin aufhalte. § 43 b Abs. 2 SGB V enthalte auch die Berechtigung der Bundesmantelvertragspartner, ein Zurückbehaltungsrecht vorzusehen.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die vorlag und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist – soweit sie nicht durch übereinstimmende Erledigungserklärung der Hauptbetei-ligten erledigt ist – unzulässig. Denn die Klägerin hat gegen die im Honorarbescheid festge-setzte Höhe der Vergütung keinen Widerspruch eingelegt, so dass der Bescheid in diesem Um-fang bestandskräftig geworden ist (§ 77 SGG). Ein Honorarbescheid enthält eine Vielzahl von Regelungen im Sinne des § 31 Abs. 1 SGB X. Der Widerspruch gegen einen Honorarbescheid kann deshalb auf alle abtrennbaren Regelungsteile beschränkt werden. Die Beschränkung des Rechtsbehelfs hat dann zur Folge, dass alle nicht angefochtenen Einzelregelungen in Bestands-kraft erwachsen (vgl. dazu Wenner, Das Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008, § 21 Rn. 69 und 71 f.). Der von der Klägerin erhobene Widerspruch richtete sich nur gegen die in der Anlage zum Honorarbescheid von der Beklagten getroffene Regelung zur Ausübung des Zurückbehaltungsrechts. Zwar hat die Klägerin im Einleitungssatz des Widerspruchsschreibens "gegen den Honorarbescheid für das vierte Quartal 2005 und den damit verbundenen Abzug für nicht einbehaltene Praxisgebühr" Widerspruch eingelegt, so dass der Bescheid mit allen in ihm enthaltenen Regelungen gemeint sein könnte. Allerdings hat die Klägerin zugleich die Be-schränkung auf den Abzug wegen der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts vorgenommen. Nur hierzu hat sie dann im Folgenden den Widerspruch begründet. Des Weiteren hat sie am Ende des Widerspruchsschreibens um die Überweisung des einbehaltenen Abzugs gebeten. Weitere Zahlungen – insbesondere eine höhere Vergütung – hat sie nicht verlangt. Damit ist klar, dass die Klägerin nur die Ausübung des Zurückweisungsrechts für rechtswidrig erachtete und sich auch nur hiergegen wandte. Bis zum gerichtlichen Schriftsatz ihrer Klägerbevoll-mächtigten vom 1. Februar 2007 ist nichts dafür ersichtlich, dass sie auch die Höhe der Vergü-tung angreifen wollte. Im Übrigen hat die Beklagte ausweislich des in der Einleitung des Wi-derspruchsbescheids bezeichneten Streitgegenstands ("hier: Zurückbehaltung der Praxisgebühr gemäß § 18 Abs. 7 a BMV-Ä und § 21 Abs. 7 a EKV in dem Quartal IV/2005") im Wider-spruchsverfahren nur über die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts entschieden. Selbst wenn man der Auffassung der Klägerin folgte und die Widersprüche auf sämtliche in den Honorar-bescheiden enthaltenen Regelungen beziehen wollte, wäre die Klage weiterhin unzulässig. Denn das gemäß § 78 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG notwendige Widerspruchsverfahren wäre inso-weit bisher nicht durchgeführt worden.

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, hatte die Kammer nur noch gem. § 197a SGG i.V.m § 161 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 VwGO über die Kos-tentragung zu entscheiden. Dabei ist der bisherige Sach- und Streitstand ist zu berücksichtigen. Maßgebend für die Entscheidung sind insbesondere die Erfolgsaussichten der Klage (vgl. nur Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 197a, Rn. 25b, § 193 Rn. 13). Danach ist es sachgerecht, dass die Klägerin die Kosten des Verfahrens trägt. Denn die Klage hatte keine Aussicht auf Erfolg. Der angegriffene Bescheid war rechtmäßig und ver-letzte die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat das Zurückbehaltungsrecht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Die Kammer nimmt Bezug auf ihr Urteil vom heutigen Tag im parallel gelagerten Rechtsstreit S 83 KA 304/06, mit dem sie ebenfalls über die Rechtmäßigkeit der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts entschieden und die Recht-mäßigkeit bejaht hat. Die Kammer hat in dem Urteil u.a. ausgeführt:

"Rechtsgrundlage für die angegriffenen Bescheide ist § 18 Abs. 7a S. 1 BMV-Ä bzw. § 21 Abs. 7a S. 1 EKV-Ä. Nach der in beiden Verträgen gleichlautenden Vorschrift kann die Kassenärztliche Vereinigung, wenn sich aus der Abrechnung ergibt, dass ein Leis-tungserbringer in einem Quartal in 10 von Hundert oder einem höheren Anteil der Be-handlungsfälle, in denen die Zuzahlung nach § 28 Abs. 4 SGB V zu erheben ist, die Zu-zahlung nicht erhoben hat, die Differenz zwischen einzubehaltender und einbehaltender Zuzahlung zurückbehalten. Nach § 18 Abs. 7a S. 3 BMV-Ä bzw. § 21 Abs. 7a S. 3 EKV-Ä leitet die Kassenärztliche Vereinigung in Abstimmung mit der zuständigen Krankenkasse gleichzeitig ein Verfahren nach § 49 BMV-Ä bzw. § 45 EKV-Ä ein.

Danach sind die auf Grundlage von § 18 Abs. 7a S. 1 BMV-Ä / § 21 Abs. 7a S. 1 EKV-Ä ergangenen Bescheide nicht zu beanstanden. Die Klägerin ist Leistungserbringer im Sinne der Vorschrift, weil die in Notfällen ambulant ausgeführten ärztlichen Leistungen durch nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten gem. § 2 Abs. 2 Nr. 4 BMV-Ä/EKV-Ä zur vertragsärztlichen Versorgung gehören. In den betroffenen Quartalen hat die Klägerin ihrer eigenen Abrechnung zufolge in 46,79 vom Hundert, 67,36 vom Hundert und 52,14 vom Hundert der Fälle die Zuzahlung nach § 28 Abs. 4 SGB V (im Folgenden: Praxisgebühr) nicht erhoben. Dabei ist "erheben" nicht im Sin-ne von Geltendmachen, sondern im Sinne von erfolgreichem Einziehen, also der tat-sächlichen Realisierung der Praxisgebühr durch Zahlung des Patienten, zu verstehen. "Erheben" lässt seinem natürlichen Wortsinn nach zwar beide Verständnisformen zu. Allerdings wird in der Vorschrift darauf abgestellt, dass sich der Anteil der nicht erho-benen Praxisgebühren aus der Abrechnung ergibt. Weil der Leistungserbringer in der Abrechnung aber nicht dokumentiert, ob er den Patienten zur Zahlung aufgefordert hat, sondern ob der Patient tatsächlich gezahlt hat, kann vorliegend mit "erheben" nur die Einziehung gemeint sein. Dass die Bundesmantelvertragspartner im ersten Halbsatz des § 18 Abs. 7a S. 1 BMV-Ä das Wort "erheben", im zweiten Halbsatz jedoch "einbehal-ten" verwendet haben, dürfte keine weitere Bedeutung haben. Die beiden Vokabeln sind nur zur besseren sprachlichen Verständlichkeit und zur Vermeidung von Wortwie-derholungen synonym verwendet worden.

Das ihr zustehende Ermessen hat die Beklagte erkannt und ausgeübt. Dabei sind Ermes-sensfehler i.S.d. § 54 Abs. 2 S. 2 SGG nicht zu erkennen. In Anbetracht der Funktion der Vorschrift, einen möglichen Schadensersatzanspruch der Krankenkassen nach §§ 49 BMV-Ä/45 EKV-Ä zu sichern, kommt die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts grundsätzlich bereits bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen in Betracht. Gründe, von der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts Abstand zu nehmen, könnten allenfalls in der fehlenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des betroffenen Leis-tungserbringers liegen. Dass die Klägerin durch das Zurückbehalten der streitigen Be-träge von insgesamt 31.050,- EUR in ihrem wirtschaftlichen Bestand gefährdet wäre, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich und angesichts der Größe des von ihr betrie-benen Krankenhauses auch nicht vorstellbar. Auch ist es nicht ermessensfehlerhaft, dass die Beklagte auf die fehlende Patientenbindung in Erste-Hilfe-Stellen hinweist und deshalb eine besonders gute Organisation des Einzugsverfahrens fordert. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Hemmschwelle für Patienten, die Praxisgebühr (nach bereits erfolgter Behandlung) nicht mehr zu bezahlen, im Rahmen einer einmaligen Notfallbehandlung niedriger ist als in einer Arztpraxis, die man immer wieder aufsucht und in der man als Patient bekannt ist."

Diese Ausführungen lassen sich auf den vorliegenden Sachverhalt, bei dem eine Nichteinzugs-quote von 36,08 vom Hundert und ein einbehaltener Betrag von 4.690,- EUR im Raume stand, ü-bertragen. Zu den weiteren, auch im vorliegenden Verfahren von der Klägerin vorgebrachten Einwendungen, heißt es in dem genannten Urteil der Kammer weiter:

"Die von der Klägerin gegen die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Bescheide sonstigen vorgebrachten Einwände greifen nicht. Die Regelungen des § 18 Abs. 7a BMV-Ä / § 21 Abs. 7a EKV-Ä sind auf die Klägerin anwendbar. Zwar nimmt das von der Klägerin betriebene Krankhaus grundsätzlich nicht an der vertragsärztlichen Ver-sorgung teil. Die ambulante Notfallversorgung durch Krankenhäuser gem. § 75 Abs. 1 s. 2 SGB V ist jedoch Teil der vertragsärztlichen Versorgung (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 BMV-Ä/EKV-Ä; BSG, Urteil v. 16. April 1986, -6 RKa 34/84-, SozR 2200 § 368d Nr. 5; BSG, Urteil v. 24. September 2003, -B 6 KA 51/02 R-, SozR 4-2500 § 75 Nr. 2). Es handelt sich um einen Fall der beschränkten Teilnahme an der vertragsärztlichen Ver-sorgung durch Krankenhäuser und Nichtvertragsärzte, ohne dass diese in die Kassen-ärztliche Vereinigung einbezogen werden (Wenner, a.a.O., § 14 Rn. 12). In diesem Fall gelten nicht nur die die betroffenen Leistungserbringer begünstigenden Regelungen ü-ber die vertragsärztliche Vergütung, sondern auch die sonstigen, für die Leistungserb-ringer ggf. mit Nachteilen verbundenen Regelungen der vertragsärztlichen Versorgung. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Leistungserbringer die entsprechenden vertragsärzt-lichen Regelungen kennen müssen. Bei einem Krankenhaus, das regelmäßig und in er-heblichem Umfang am Notfalldienst teilnimmt, kann davon ausgegangen werden, dass die einschlägigen Bestimmungen bekannt und daher anwendbar sind (vgl. BSG v. 16. April 1986, a.a.O., hier zit. n. juris, Rn. 14).

Die Regelung des § 18 Abs. 7a BMV-Ä / § 21 Abs. 7a EKV-Ä ist von der Ermächti-gungsgrundlage des § 43b Abs. 2 SGB V in der Fassung des GMG v. 14. November 2003 gedeckt. Danach hat der Leistungserbringer Zuzahlungen, die Versicherte nach § 28 Abs. 4 zu entrichten haben, einzubehalten; sein Vergütungsanspruch gegenüber der Krankenkasse, der Kassenärztlichen oder Kassenzahnärztlichen Vereinigung verringert sich entsprechend (Satz 1). Die nach § 83 zu entrichtenden Vergütungen verringern sich in Höhe der Summe der von den mit der Kassenärztlichen oder Kassenzahnärztlichen Vereinigung abrechnenden Leistungserbringern nach Satz 1 einbehaltenen Zuzahlungen (Satz 2). Das Nähere zum Verfahren nach den Sätzen 1 und 2 ist in den Bundesmantel-verträgen zu vereinbaren (Satz 4). Auch die Neufassung des § 43b SGB V durch das VÄndG v. 22. Dezember 2006 ändert nichts. Danach gilt Absatz 1 Satz 2 (wonach die Krankenkasse, die die Zahlung einzuziehen hat, wenn der Versicherte trotz schriftlicher Zahlungsaufforderung durch den Leistungserbringer nicht zahlt) nicht im Falle der Leistungserbringung und Abrechnung im Rahmen von Gesamtverträgen nach den §§ 82 und 83 (§ 43 b Abs. 2 S. 3 SGB V n.F.). In den Fällen des Satzes 3 haben die Kassen-ärztliche oder Kassenzahnärztliche Vereinigung im Auftrag der Krankenkasse die Ein-ziehung der Zuzahlung zu übernehmen, wenn der Versicherte trotz einer gesonderten schriftlichen Aufforderung durch den Leistungserbringer nicht zahlt (Satz 4). In den Bundesmantelverträgen kann ein von Satz 4 abweichendes Verfahren vereinbart wer-den; das Nähere zum Verfahren nach den Sätzen 1, 2 und 4 bis 7 ist in den Bundesman-telverträgen zu vereinbaren (§ 43 b Abs. 2 S. 8 SGB V). Damit konnten die Bundes-mantelvertragspartner die Vorschrift des § 18 Abs. 7a BMV-Ä, bei der es sich um eine Verfahrensregelung handelt, vereinbaren. Ihr kommt entgegen der Auffassung der Klä-gerin kein sanktionierender oder sanktionsähnlicher Charakter zu. Sie dient lediglich der Sicherung gegebenenfalls im Verfahren nach § 49 BMV-Ä/§ 45 EKV-Ä festzuset-zender Schadensregresse (vgl. § 18 Abs. 7a S. 3 BMV-Ä/ § 21 Abs. 7a S. 3 EKV-Ä). Eine endgültige Sanktion würde erst in einem solchen Verfahren getroffen werden. Im Übrigen könnte die Vorschrift – wollte man sie nicht von durch § 43 b Abs. 2 SGB V als gedeckt ansehen – jedenfalls auf Grundlage der Generalklausel des § 82 Abs. 1 SGB V vereinbart werden. Denn die Bundesmantelvertragspartner haben einen normativen Gestaltungsspielraum und sind nicht darauf beschränkt, nur die zwingenden gesetzli-chen Vorgaben zu erfüllen (Freudenberg, in: jurisPK-SGB V, Rn. 25). Die Regelungen zur Zurückbehaltung von Vergütungsansprüchen in Höhe nicht eingezogener Praxisge-bühren bis zur Entscheidung über einen Schadensersatzanspruch liegen innerhalb dieses Gestaltungsspielraums.

Soweit die Klägerin vorbringt, Gegenansprüche, die ein Zurückbehaltungsrecht recht-fertigen könnten, seien gesetzlich nicht vorgesehen, so übersieht sie die in den Bun-desmantelverträgen gem. § 49 BMV-Ä / § 45 EKV-Ä vorgesehen Verfahren zur Scha-densfeststellung und -festsetzung als Ergebnis eines Schlichtungsverfahrens. Diese et-waig bestehenden Schadensersatzansprüche können mit dem Zurückbehaltungsrecht gesichert werden. Genau auf solche Ansprüche zielt die Regelung nach § 18 Abs. 7 a BMV-Ä / 21 Abs. 7 a EKV-Ä, wie aus dem Satz 3 der Vorschrift, wonach zugleich das Schlichtungsverfahren einzuleiten ist, erkennbar ist. Dass die Schlichtungsstelle zum Zeitpunkt der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts noch nicht eingerichtet war, än-dert nichts daran, dass Schadensersatzansprüche in Betracht kommen können. Dass die Beklagte das Schlichtungsverfahren entgegen der Vorschrift des Satz 3 nicht zugleich mit der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts eingeleitet hat, ändert an der Rechtmä-ßigkeit der Ausübung nichts. Die Einleitung des Schlichtungsverfahrens ist nicht tat-bestandliche Voraussetzung des Zurückbehaltungsrechts. Die Klägerin ist für den Fall, dass die Beklagte das Schlichtungsverfahren nicht einleitet und das Zurückbehaltungs-recht so in einen dauerhaften Einbehalt umwandelt, hinreichend geschützt, weil sie die Beklagte ggf. auf Einleitung des Schlichtungsverfahrens mittels Leistungsklage verkla-gen könnte.

Die Einführung und Ausübung des Zurückbehaltungsrechts führt auch nicht zu der von der Klägerin angenommenen Verlagerung des Inkassorisikos zu ihren Lasten. Erneut ist darauf hinzuweisen, dass es um die Sicherung von eventuellen Schadensersatzansprü-chen nach § 49 BMV-Ä / § 45 EKV-Ä, nicht aber darum geht, den Krankenhäusern das Ausfallrisiko aufzuerlegen. Ein solcher Schadensersatzanspruch ist nicht dadurch aus-geschlossen, dass nach den Regelungen des § 43 b Abs. 2 SGB V und der Bundesman-telverträge letztlich die Krankenkassen das Risiko der Nichtleistung der Praxisgebühr tragen sollen und den KVen die Durchsetzung des Zahlungsanspruchs obliegt. Denn den Leistungserbringern obliegt die Pflicht, die Voraussetzungen für ein effektives Ein-zugsverfahren im Rahmen der Behandlungserbringung zu schaffen und nachhaltig auf den Einzug hinzuwirken. Wird dieser Pflicht schuldhaft nicht nachgekommen, sind Schadensersatzansprüche denkbar.

Die Klägerin kann sich nicht auf die Rahmenempfehlung berufen. Denn diese entfaltet keine Rechtswirkung auf das streitgegenständliche Rechtsverhältnis. Rechtsgrundlage für die Rahmenempfehlung ist § 115 Abs. 5 SGB V, wonach die Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsam, die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und die Deut-sche Krankenhausgesellschaft oder die Bundesverbände der Krankenhausträger ge-meinsam Rahmenempfehlungen zum Inhalt der Verträge nach Absatz 1 abgeben sollen. Nach § 115 Abs. 1 SGB V schließen die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und die Kassenärztlichen Vereinigungen mit der Landeskran-kenhausgesellschaft oder mit den Vereinigungen der Krankenhausträger im Land ge-meinsam Verträge mit dem Ziel, durch enge Zusammenarbeit zwischen Vertragsärzten und zugelassenen Krankenhäusern eine nahtlose ambulante und stationäre Behandlung der Versicherten zu gewährleisten. Aus diesem Regelungszusammenhang wird deut-lich, dass verbindliche Verträge nur von den Landesverbänden und Kassenärztlichen Vereinigungen auf Landesebene geschlossen werden können. Solche Verträge auf Lan-desebene sind vorliegend nicht geschlossen worden. Die Rahmenempfehlung nach § 115 Abs. 5 SGB V dient aber allein der Vereinheitlichung und Koordination von Ver-trägen auf Landesebene. Sie ist damit nicht unmittelbar rechtlich verbindlich (Köhler-Hohmann, in jurisPK-SGB V, 1. Aufl. 2008, § 115 Rn. 56 f.).

Auf die von Beteiligten aufgeworfenen Fragen der Organisation des Einziehungsverfah-rens und des Verschuldens beim Nichteinzug der Praxisgebühr kommt es für die Aus-übung des Zurückbehaltungsrechts nicht an. Bereits der Wortlaut des § 18 Abs. 7a S. 1 BMV-Ä / § 21 Abs. 7a S. 1 EKV-Ä gibt dafür nichts her. Aber auch nach Sinn und Zweck des Zurückbehaltungsrechts sind diese Fragen unerheblich. Denn die Zurückbe-haltung dient lediglich der Vorbereitung des Schadensersatzverfahrens nach § 18 Abs. 7a S. 3 BMV-Ä/ § 21 Abs. 7a S. 3 EKV-Ä. Erst in diesem Verfahren werden auch die Art und Weise des Einziehungsverfahrens und das Verschulden als Voraussetzung eines Schadensersatzanspruchs der Krankenkassen geprüft. Es wäre sinnwidrig, diese Prüfung zur Voraussetzung des Zurückbehaltungsrechts zu machen und damit dem Ver-fahren vor der Schlichtungsstelle vorwegzunehmen. Das Schlichtungsverfahren wäre auf die Feststellung der Schadenshöhe beschränkt und damit ausgehöhlt."

Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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