S 104 AS 11772/06 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
104
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 104 AS 11772/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Zusicherung zur Übernahme der Aufwendungen für die Unterkunft der Antragstellerin im L Weg in B zu erteilen. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Gründe:

Der (sinngemäße) Antrag der Antragstellerin, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Zusicherung für die Übernahme der Aufwendungen für ihre neue Unterkunft im L Weg in B zu erteilen, hat Erfolg.

Der zulässige Antrag ist begründet. Für die von der Antragstellerin begehrte Regelungsanordnung (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) besteht ein Anordnungsanspruch. Entgegen dem Vorbringen der Antragsgegnerin beurteilen sich die Voraussetzungen für die Erteilung der Zusicherung nicht nach § 22 Abs. 2 a Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Der Gesetzgeber bezweckte mit der seit 1. April 2006 wirksamen Norm einer kostensteigernden weiteren Vermehrung bestehender Bedarfsgemeinschaften entgegenzuwirken (BT-Dr. 16/688, 14). Unter Umzug i.S.d. § 22 Abs. 2 a SGB II ist damit nur der erstmalige Umzug aus der elterlichen Wohnung zu verstehen. Eine enge Auslegung des Begriffs Umzug, bei der eine Zusicherung nur für den erstmaligen Auszug aus der elterlichen Wohnung erforderlich ist und die eine "Lebensführungskontrolle" junger Menschen bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres ausschließt, gebietet auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Systematisch wird diese Auslegung auch durch die Übergangsregelung des § 68 Abs. 2 SGB II gestützt, der stichtagsbezogen allein auf das erstmalige Ausscheiden aus dem elterlichen Haushalt abstellt (vgl. Berlit in: Münder, Sozialgesetzbuch II, 2. Auflage, § 22, Rdnr. 81). Hier ist die Antragstellerin mit ihrer Tochter im Rahmen ihres Umzugs von der Lstraße in Br in den L Weg in B aber nicht aus der elterlichen Wohnung ausgezogen (die Mutter der Antragstellerin verstarb im Jahr 1998 und der Vater der Antragstellerin sitzt seit Januar 1998 in der Justizvollzugsanstalt B-T ein). Vielmehr hat sie sich die Wohnung in der Lstraße mit Herrn F G im Sinne einer reinen Wohngemeinschaft geteilt.

Die Voraussetzungen für den für die Erteilung der Zusicherung damit maßgeblichen § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II liegen jedoch vor. Hiernach ist der für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständige kommunale Träger nur zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Der Auszug aus der Wohnung in der Lstraße war jedoch nach der Geburt der Tochter der Antragstellerin am 8. September 2006 wegen unzumutbar beengter Wohnverhältnisse erforderlich. Entsprechend den von der Antragstellerin im Rahmen eines Hausbesuchs durch eine Mitarbeiterin der Antragsgegnerin gemachten Angaben bewohnte diese mit ihrer Tochter ein Zimmer der insgesamt zwei Zimmer zählenden und 49,90 qm großen Wohnung. Da sich die Antragstellerin nach dem Untermietvertrag vom 21. Mai 2006 die Gesamtmiete i.H.v. 322,00 Euro mit dem Hauptmieter Herrn F G geteilt hat, ging die Kammer nach summarischer Prüfung davon aus, dass der von ihr und ihrer Tochter bewohnte Teil der Wohnung auch in etwa die Hälfte der Gesamt-Quadratmeter-Zahl, also ca. 25 qm, ausgemacht hat. Das Bewohnen eines ca. 25 qm großen Wohnraums von einer Mutter mit ihrem Kind hat die Kammer jedenfalls nicht als zumutbar angesehen (vgl. § 27 Abs. 4 Wohnraumförderungsgesetz i.V.m. Punkt 8 der Mitteilung Nr. 8/2004 - Wohnberechtigungsschein - der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung von Berlin vom 15. Dezember 2004; Punkt 9.4 Abs. 5 f der Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II [AV-Wohnen] der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz Berlin vom 7. Juni 2005). Schließlich sind auch die Aufwendungen für die neue Unterkunft für die Wohnung im L Weg angemessen. Hiervon muss in jedem Falle ausgegangen werden, denn nach der telefonischen Auskunft des JobCenter Spandau hat die Antragstellerin im L Weg mietfrei gewohnt.

Schließlich steht dem Anspruch der Antragstellerin auch nicht entgegen, dass sie die Erteilung der Zusicherung zur Übernahme der Aufwendungen für die neue Unterkunft erst nach ihrem Umzug (16.10.2006) förmlich beantragt hat. Wie der Wortlaut des § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II zeigt ist das Erfordernis einer Antragstellung vor Abschluss eines Mietvertrages über die neue Unterkunft bereits nicht zwingend (" soll "). Jedenfalls in diesem Fall kommt auch die nachträgliche Erteilung der Zusicherung in Betracht, denn dem Antragsgegner war das Anliegen der Antragstellerin, nach B umzuziehen, bereits vor ihrem Umzug bekannt; laut Aktenvermerk vom 4. Oktober 2006 teilte die Antragstellerin ihre diesbezüglichen Absichten der Antragsgegnerin am selben Tage telefonisch mit. Dies hat jedoch eine Pflicht der Antragsgegnerin zur Beratung der Antragstellerin i.S.d. § 14 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) über die Rechtslage des § 22 Abs. 2 SGB II ausgelöst. Bei einer Verletzung dieser Pflicht muss die Antragstellerin über die Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs aber so gestellt werden, wie wenn sie ordnungsgemäß beraten worden wäre, i.d.F. also so, wie wenn sie den Antrag vor Abschluss des neuen Mietvertrages bzw. vor dem Umzug gestellt hätte.

Des Weiteren besteht auch ein Anordnungsgrund. Der Erlass der einstweiligen Anordnung erscheint nötig, um wesentliche Nachteile auf Seiten der Antragstellerin abzuwenden. So ist es für sie nicht hinnehmbar, dass sie auch während der Dauer eines Widerspruchsverfahrens (in dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 21. Dezember 2006 liegt zugleich ein Widerspruch gegen den die Erteilung einer Zusicherung ablehnenden Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. November 2006) und eines sich ggf. anschließenden Klageverfahrens zusammen mit ihrer Tochter in unzumutbar beengten Wohnverhältnissen leben muss.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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