S 104 AS 6372/06 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
104
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 104 AS 6372/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 18. Juli 2006 gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 9. Juni 2006 wird abgelehnt. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen Bescheide der Antragsgegnerin, mit welchen diese das Arbeitslosengeld II (Alg II) des Antragstellers für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis zum 30. September 2006 um 30 v.H. abgesenkt hat.

Die Antragsgegnerin gewährte dem Antragsteller auf seinen Antrag vom 2. Mai 2006 Alg II u.a. für die Monate Juli bis September. Mit Schreiben vom 21. März 2006 unterbreitete die Antragsgegnerin dem Antragsteller einen Vorschlag zur Aufnahme einer Arbeitsstelle als Kraftfahrzeug-Facharbeiter bei der S Personaldienstleistung (S); wegen der Einzelheiten wird auf das in der Leistungsakte der Antragsgegnerin befindliche Schreiben vom 21. März 2006 Bezug genommen.

Anlässlich des am 29. März 2006 durchgeführten Bewerbungsgesprächs in den Räumen der S kam es jedoch nicht zum Abschluss eines Arbeitsvertrages. Mit Schreiben vom 20. Juni 2006 teilte die S der Antragsgegnerin mit, der Antragsteller habe sich am 29. März 2006 widerwillig vorgestellt. Er habe bemerkt "für einen Sklaventreiber arbeite ich eh nicht". Es sei ihm auch zuviel gewesen, den internen Bewerbungsbogen auszufüllen, weil "es bringt ja eh nichts".

Nach vorheriger Anhörung des Antragstellers senkte die Antragsgegnerin durch Bescheide vom 9. Juni 2006 das Alg II des Antragstellers für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis zum 30. September 2006 um monatlich 30 v.H. der Regelleistung. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin unter Bezugnahme auf § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 c Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) aus, der Antragsteller habe eine zumutbare Tätigkeit als Kraftfahrzeug-Facharbeiter nicht angenommen, ohne dass hierfür ein wichtiger Grund vorliegen würde. Am 18. Juli 2006 hat der Antragsteller einen Eilantrag beim Sozialgericht Berlin eingereicht. Zur Begründung führt er aus: Eile sei geboten, da er ohne die Leistungen der Antragsgegnerin seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten könne und die Sanktion zu Unrecht erhoben worden sei.

Der Antragsteller beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, umgehend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Sanktionen ab 1. Juli 2006 fortlaufend zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Der von dem Antragsteller gestellte Antrag war nach § 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 9. Juni 2006 auszulegen. Denn nach seinem Vorbringen wendet sich der Antragsteller ausschließlich gegen die in den Bescheiden vom 9. Juni 2006 enthaltenen Regelungen. Allein durch Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen diese Bescheide kann er sein Begehren, die volle Auszahlung von Alg II für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis zum 30. September 2006, erreichen. Demgegenüber würde der von ihm wörtlich gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bereits an der Subsidiaritätsklausel des § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG scheitern.

Der so verstandene Antrag ist zulässig. Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Antragsteller hat gegen die Bescheide vom 9. Juni 2006 Widerspruch eingelegt. Zwar lässt sich nicht erkennen, dass der Antragsteller unmittelbar gegenüber der Antragsgegnerin Widerspruch gegen die Sanktionsbescheide erhoben hätte; in der Leistungsakte der Antragsgegnerin findet sich ein solches Widerspruchsschreiben jedenfalls nicht. Gleichwohl ist bei verständiger Würdigung seines Vorbringens in dem am 18. Juli 2006 bei dem Sozialgericht eingereichten Antrag "auf Erlass einer einstweiligen Anordnung" zugleich auch ein Widerspruch gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 9. Juni 2006 zu erkennen. Dieser Widerspruch ist auch nicht offensichtlich verfristet (§ 84 Abs. 1 SGG). Denn der Leistungsakte der Antragsgegnerin lässt sich nicht entnehmen, wann die Bescheide vom 9. Juni 2006 zur Post gegeben worden sind bzw. wann sie dem Antragsteller zugegangen sind. Ein Überschreiten der einmonatigen Widerspruchsfrist lässt sich damit nicht feststellen. Der von dem Antragsteller somit erhobene Widerspruch hat nach § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG in Verbindung mit § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung, weil die angegriffenen Bescheide Verwaltungsakte sind, die über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheiden.

Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Im Rahmen einer eigenen Ermessensausübung gelangte die Kammer nach summarischer Prüfung zu der Einschätzung, dass das öffentliche Vollzugsinteresse gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers deutlich überwog. Denn es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide vom 9. Juni 2006; des Weiteren hat die Vollziehung derselben für den Antragsteller auch keine unbillige, nicht durch überwiegende Interessen gebotene Härte zur Folge.

Die Bescheide vom 9. Juni 2006 genügen den Anforderungen des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 c SGB II. Hiernach wird das Alg II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 SGB II entsprechend abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, u.a. eine zumutbare Arbeit aufzunehmen, ohne dass er einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist. Bei der von der Antragsgegnerin angebotenen Tätigkeit als Kraftfahrzeug-Facharbeiter handelt es sich um eine dem Antragsteller zumutbare Tätigkeit. Ausweislich seines in der Leistungsakte enthaltenen Bewerbungsschreibens vom 27. Februar 2006 handelt es sich bei dem Antragsteller um einen gelernten Kfz-Mechaniker, dem die angebotene Tätigkeit nach seinen Kräften und Fähigkeiten zugemutet werden dürfte. Sonstige Gesichtspunkte, die auch im Übrigen für eine Unzumutbarkeit dieser Tätigkeit sprechen könnten, sind für die Kammer nach dem Aktenmaterial sowie nach dem Vorbringen des Antragstellers nicht erkennbar. Der Antragsteller hat diese Tätigkeit auch nicht aufgenommen, ohne hierfür einen wichtigen Grund nachzuweisen. Dieser Tatbestand ist auch dann erfüllt, wenn der Betreffende durch schlüssiges Verhalten gegenüber dem potentiellen Arbeitgeber zum Ausdruck bringt, dass er an der angebotenen Arbeit kein Interesse hat. Das kommt etwa in Betracht, wenn die Einstellung durch abschreckendes bzw. besonders provokantes Verhalten gegenüber dem Arbeitgeber vorsätzlich verhindert wird (vgl. Niesel, SGB III, 3. Auflage, § 144, Rdnr. 57). So verhält es sich aber hier, denn der Antragsgegner hat sich ausweislich der Mitteilung der S in Bezug auf den potentiellen Arbeitgeber sowie die angebotene Arbeit herablassend geäußert ("für einen Sklaventreiber arbeite ich eh nicht"). Des Weiteren hat er sich geweigert, interne Bewerbungsbögen auszufüllen. Bei diesem Verhalten musste es dem Antragsteller klar sein, dass er es einem verständigen Arbeitgeber unmöglich machen musste, mit ihm einen Arbeitsvertrag abzuschließen. Die Kammer hatte im Rahmen einer summarischen Prüfung keine Bedenken den Aussagen der S zu folgen, zumal diese mit ihrer Stellungnahme kein erkennbares persönliches Interesse verfolgte. Der Antragsteller ist ausweislich der Rechtsfolgenbelehrung in dem Arbeitsangebot vom 21. März 2006 auch über die Folgen einer Weigerung, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen, belehrt worden. Die Antragsgegnerin hat daher zu Recht in den drei auf das Wirksamwerden der Bescheide vom 9. Juni 2006 folgenden Monaten Juli bis September 2006 (vgl. § 31 Abs. 6 SGB II) das Alg II um 30 v.H. abgesenkt. Dass es hierdurch bei dem Antragsteller zu einer vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen unbilligen Härte gekommen sein könnte, ist für die Kammer nicht erkennbar. Vielmehr ist die durch den Sanktionstatbestand des § 31 SGB II herbeigeführte Einengung des ohnehin schon knappen finanziellen Spielraums der in § 20 SGB II geregelten Regelleistung vom Gesetzgeber beabsichtigt, um den Hilfebedürftigen in Zukunft zu bewegen, motivierter auf zumutbare Arbeitsangebote der Antragsgegnerin einzugehen. Dass es durch die 30%ige Absenkung der Regelleistung bei dem Antragsteller zu einer Gefahr im Sinne des Eintritts irreparabler Schäden in Bezug auf erhebliche Rechtsgüter kommen würde, ist für die Kammer nicht erkennbar.

Die Kostentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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