S 70 AL 3145/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
70
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 70 AL 3145/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Bewilligung von Leistungen der Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III).

Der 1955 geborene Kläger beantragte bei der Beklagten zum 01.01.2009 die Bewilligung von Arbeitslosengeld. Ihm wurde durch den Bescheid vom 28.01.2009 Arbeitslosengeld für den Zeitraum 01.01.2009 bis zum 30.06.2009 (180 Tage) bewilligt. Am 16.02.2009 nahm er mit Zustimmung der Beklagten eine unbezahlte Trainingsmaßnahme bei der Fa. S GmbH auf. Die Ehefrau des Klägers teilte der Beklagten am 27.02.2009 telefonisch mit, dass die Trainingsmaßnahme bis zum 15.03.2009 befristet sei und ihr Ehemann voraussichtlich am 16.03.2009 einen Arbeitsvertrag unterschreiben werde. Zugleich bat sie die Beklagte um Zusendung eines Antragsformulars für Leistungen der Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer. Der Kläger nahm schließlich am 14.03.2009 eine versicherungspflichtige Beschäftigung bei der Fa. S ... GmbH auf.

Den Anfang April 2009 eingereichten Antrag auf Leistungen der Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 09. Juni 2009 ab. Die Ablehnung begründete sie damit, dass der Kläger bei Aufnahme seiner Beschäftigung nicht über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 120 Tagen verfügt habe.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 21.06.2009 Widerspruch ein. Diesen Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 2009 als unbegründet zurück. Sie blieb bei ihrem Standpunkt, dass die Restanspruchsdauer von mindestens 120 Tagen bei Aufnahme der Beschäftigung nicht mehr gegeben gewesen sei.

Am 28. Juli 2009 ist Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben worden. Der Kläger verfolgt sein Begehren weiter und führt zur Begründung im Wesentlichen an: Zu Unrecht gehe die Beklagte davon aus, dass die Restanspruchsdauer seines Arbeitslosengelds bei Aufnahme seiner Arbeit weniger als 120 Tage betragen habe. Es komme für die Berechnung der Anspruchsdauer des Arbeitslosengelds auf den Zeitpunkt der Antragstellung am 27.02.2009 an. Selbst wenn es auf die Aufnahme der Beschäftigung ankomme, sei auf den 16.02.2009 als den Beginn der Trainingsmaßnahme bei seinem Arbeitgeber abzustellen. Bereits bei der Trainingsmaßnahme handele es sich um eine Beschäftigung im Sinne der Entgeltsicherung. Daher gehe die Beklagte fehlerhaft vom 14.03.2009 als dem Tag der Aufnahme der versicherungspflichtigen Beschäftigung bei seinem Arbeitgeber aus. Im Übrigen habe die Beklagte durch die Ablehnung von Entgeltsicherung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, da er durch die Beklagte nicht über die Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen der Entgeltsicherung informiert worden sei. Die Übergabe eines Merkblatts, dessen Aushändigung ihm nicht erinnerlich sei, stelle keine ausreichende Beratungsleistung dar. Die Beklagte handele widersprüchlich, wenn sie zunächst nach Antragstellung alle erforderlichen Unterlagen vom Arbeitgeber sich beibringen lasse und dann den Antrag aber unter Hinweis auf die fehlende Restanspruchsdauer ablehne. Dies habe sie ohne weiteres bereits bei Antragstellung feststellen können.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2009 zu verurteilen, ihm auf seinen Antrag vom 27. Februar 2009 Leistungen der Entgeltsicherung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint: Maßgeblich sei für die Berechnung der Anspruchsdauer des Arbeitslosengelds der Tag der Beschäftigungsaufnahme am 14.03.2009. Die von ihr geförderte Trainingsmaßnahme sei keine solche sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Es komme für die Berechnung der Restanspruchsdauer auch nicht auf den Antragszeitpunkt, sondern den Tag der Arbeitsaufnahme an. Eine Änderung sei insoweit im Gesetz nicht erfolgt. Ein Beratungsfehler liege ebenfalls nicht vor. Der Kläger sei in dem Merkblatt 1 auf die Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer und auf das hierfür entworfene MB 19 hingewiesen worden. Der Kläger habe sich selbst über die Anspruchsvoraussetzungen informieren können. Es liege kein Beratungsfehler ihrerseits vor. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben sei ebenso wenig gegeben.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf den sonstigen Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen der Entgeltsicherung.

Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet haben und ihre Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung beenden oder vermeiden, haben gem. § 421j Abs. 1 SGB III Anspruch auf Leistungen der Entgeltsicherung, wenn sie 1. einen Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 120 Tagen haben oder geltend machen könnten, 2. ein Arbeitsentgelt beanspruchen können, das den tariflichen oder, wenn eine tarifliche Bindung der Vertragsparteien nicht besteht, den ortsüblichen Bedingungen entspricht und 3. eine monatliche Nettoentgeltdifferenz von mindestens 50 Euro besteht. Die Nettoentgeltdifferenz entspricht dem Unterschiedsbetrag zwischen dem pauschalierten Nettoentgelt, das sich aus dem der Bemessung des Arbeitslosengeldes zu Grunde liegenden Arbeitsentgelt ergibt, und dem niedrigeren pauschalierten Nettoentgelt der aufgenommenen Beschäftigung.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Leistungen der Entgeltsicherung, weil er bei Aufnahme der versicherungspflichtigen Beschäftigung am 14.03.2009 nicht über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 120 Tagen verfügt hat. Dies ist durch die Beklagte richtig erkannt worden.

Entgegen der Ansicht des Klägers kann es für die Bestimmung der Restanspruchsdauer nicht auf den Zeitpunkt des Eingangs des Antrags auf Leistungen der Entgeltsicherung ankommen. Zwar weist der Kläger zutreffend darauf hin, dass durch das Gesetz vom 19.04.2007 (BGBl. I 538) in § 421j Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III der Zusatz "bei Aufnahme der Beschäftigung" gestrichen wurde. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, es sei für die Berechnung der Restanspruchsdauer des Arbeitslosengelds nunmehr nicht auf den Zeitpunkt der Aufnahme der Beschäftigung, sondern auf den der Antragstellung abzustellen. Eine solche Ansicht wird - soweit ersichtlich - weder in Rechtsprechung noch im Schrifttum vertreten. Der Gesetzgeber hat zu den Änderungen in § 421j SGB III darauf hingewiesen, dass diese Arbeitnehmehrförderung ausgebaut und hinsichtlich der Fördervoraussetzungen vereinfacht werde (BT-Drucks. 16/3793, S. 11). Damit würden für ältere Arbeitnehmer die finanziellen Anreize verstärkt, eine niedriger als zuvor vergütete Beschäftigung aufzunehmen. Zu den Änderungen in § 421j Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III stellt er in der Gesetzesbegründung die Kürzung der Rechtsanspruchsdauer von 180 Tagen auf 120 Tagen heraus (BT-Drucks. 16/3793, S. 12). Damit spricht die Gesetzesbegründung dafür, dass eine Änderung hinsichtlich des Stichtags für die Berechnung der Restanspruchsdauer nicht erfolgen sollte. Vielmehr sollte in § 421j Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III offensichtlich lediglich die Restanspruchsdauer verkürzt und die Formulierung dieser Anspruchsvoraussetzung vereinfacht werden.

Gegen ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Antragstellung spricht weiter, dass dies zu einer missbräuchlichen Umgehung der Regelung zur Restanspruchsdauer führen kann. Danach wäre es dem Arbeitslosen möglich, gleich zu Beginn der Arbeitslosigkeit einen Antrag auf Entgeltsicherungsleistungen zu stellen, aber erst zum Ende der Arbeitslosigkeit eine geförderte Beschäftigung aufzunehmen. Dies würde entgegen der Intention des Gesetzgebers auch den Anreiz zur frühzeitigen Aufnahme einer niedriger vergüteten Beschäftigung verringern. Im Ergebnis ist daher für die Berechnung der Restanspruchsdauer des Arbeitslosengeld auf den Zeitpunkt der Beschäftigungsaufnahme abzustellen (ebenso, aber ohne Begründung: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil v. 30.06.2009, L 18 AL 337/08; Brandts in: Niesel, SGB III, 4. Aufl., § 421j Rn. 11; Winkler in: Gagel, SGB III, 37. EL 2010, § 421j Rn. 11).

Ferner kann nicht in dem Beginn der Trainingsmaßnahme die Aufnahme einer Beschäftigung nach § 421j SGB III gesehen werden. Denn eine förderungsfähige Beschäftigung i. S. d. § 421j SGB III kann nur eine versicherungspflichtige Beschäftigung sein (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil v. 30.06.2009, L 18 AL 337/08; SG Detmold, Gerichtsbescheid v. 24.09.2007, S 4 AL 40/07; Brandts in: Niesel, SGB III, 4. Aufl., § 421j Rn. 8; Winkler in: Gagel, SGB III, 37. EL 2010, § 421j Rn. 10). Dies wird bereits durch den Wortlaut von § 421j Abs. 1 Satz 1 SGB III deutlich. Dort ist nämlich von der Beendigung oder Vermeidung von Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung die Rede. Die Aufnahme einer reinen Trainingsmaßnahme kann auch deswegen nicht genügen, weil § 421j Abs. 1 SGB III eine Nettoentgeltdifferenz gegenüber der vorherigen Beschäftigung voraussetzt. Da im Rahmen einer Trainingsmaßnahme kein Arbeitsentgelt erzielt wird, kann eine solche Entgeltdifferenz niemals bestehen.

Ein Anspruch auf Leistungen der Entgeltsicherung kann hier auch nicht über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch hergeleitet werden. Insoweit kann dahinstehen, ob seitens der Beklagten Beratungspflichten gegenüber dem Kläger verletzt wurden. Jedenfalls kann die verspätete Aufnahme der Beschäftigung als tatsächlicher Umstand nicht im Wege der Herstellung durch eine rechtmäßige Handlung der Beklagten beseitigt werden (vgl. für Ausscheiden aus einer Beschäftigung: BSG, Urteil v. 25.01.1994, 7 RAr 50/93; Niesel, in: Niesel, SGB III, Anh. § 323 Rn. 29, 37). Der Zeitpunkt der Aufnahme der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung betrifft ausschließlich das Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und seinem Arbeitgeber und ist einer Gestaltung durch die Beklagte nicht zugänglich (vgl. BSG, Urteil v. 25.01.1994, 7 RAr 50/93, zitiert nach juris Rn. 22). Würde die Beklagte dennoch hier Leistungen erbringen, würde sie damit gegen das Prinzip der Gesetzesmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz) verstoßen und dem Kläger eine rechtswidrige Leistung gewähren.

Überdies fehlt es an dem für den Herstellungsanspruch erforderlichen Zurechnungszusammenhang zwischen der behaupteten Beratungspflichtverletzung und dem eingetreten Nachteil des Klägers. Die Beratungspflichtverletzung könnte nur darin gesehen werden, dass der Kläger bzw. seine Ehefrau anlässlich der Antragstellung am 27.02.2009 über die Voraussetzung der Mindestrestdauer des Arbeitslosengeldanspruchs nicht aufgeklärt worden ist. Indes hat der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung erklärt, dass er die feste Zusage seines Arbeitgebers über seine Anstellung erst am letzten Tag seiner Trainingsmaßnahme erhalten hat. Demnach war der Arbeitgeber offenbar nicht bereit, ihn zu einem frühren Zeitpunkt einzustellen. Auch ohne den behaupteten Beratungsfehler wäre es dem Kläger somit nicht möglich gewesen, seine Beschäftigung vor Unterschreitung der Restanspruchsdauer von mindestens 120 Tagen, also schon am 01.03.2009, zu beginnen. Es fehlt daher an dem notwendigen Ursachenzusammenhang zwischen möglicher Pflichtverletzung der Beklagten und dem Nachteil des Klägers.

Schließlich kann auch ein mögliches treuwidriges Verhalten der Beklagten die Anspruchsvoraussetzungen des § 421j SGB III nicht ersetzen. Es kommt daher nicht darauf an, ob die Beklagte im Verwaltungsverfahren gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen hat. Jedoch kann zur Überzeugung der Kammer allein daraus, dass die Beklagte nicht sofort die fehlende Anspruchsberechtigung erkannt und den Kläger darauf hingewiesen hat, eine Treuwidrigkeit nicht abgeleitet werden.

Mithin liegen die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der Entgeltsicherung nicht vor. Die Klage hat daher keinen Erfolg und war abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt das Ergebnis in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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