S 22 KA 145/10 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
22
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 22 KA 145/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die aufschiebende Wirkung der unter dem Aktenzeichen S 22 KA 144/10 anhängigen Klage gegen den Beschluss des Antragsgegners vom 17. März 2010 wird angeordnet. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst tragen.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Anordnung des Antragsgegners, mit welcher dieser den Entzug der Zulassung des Antragstel¬lers zur Tätigkeit als Vertragsarzt für sofort vollziehbar erklärt hat.

Der am 1949 geborene Antragsteller ist seit Juni 1997 als Facharzt für Orthopädie vertragsärztlich tätig. Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts T auf Grund mündlicher Verhandlung vom 5. Mai 2009 wurde der Antragsteller wegen Abrechnungsbetrugs in 33 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auf Antrag der KV Berlin entzog ihm der Zulassungsausschuss daraufhin mit Beschluss vom 1. Dezember 2009 die Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung. Auf die Ladung zur mündlichen Verhandlung des Berufungsausschusses am 17. Februar 2010 beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers am 2. Februar 2010 eine Terminsverlegung, da er als allein informierter und bearbeitender Anwalt einen unabkömmlichen Termin wahrnehmen müsse. Der Antragsgegner teilte daraufhin mit Schreiben vom 10. Februar 2010 mit, dass eine Terminsverlegung nicht beabsichtigt sei. Es werde gebeten, den Termin durch einen entsprechend bevollmächtigten Terminsvertreter wahrnehmen zu lassen. Mit Beschluss vom 17 März 2010, dem Antragsteller am 27. März 2010 zugestellt, entzog der Antragsgegner dem Antragsteller unter Zurückweisung des Widerspruchs die Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit. Zur Begründung war ausgeführt, ein – rechtskräftig festgestellter – Betrug zu Lasten der KV Berlin rechtfertige die Zulassungsentziehung. Zugleich wurde die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet. Die weitere Teilnahme des Antragstellers an der vertragsärztlichen Versorgung sei nicht hinnehmbar. Den Beitragszahlern könne ein weiterer Verbleib im System des öffentlich-rechtlich getragenen Gesundheitssystems und der darin gegebenen Manipulationsmöglichkeiten nicht vermittelt werden. Auch der KV sei eine weitere Zusammenarbeit mit dem Antragsteller nicht zuzumuten. Dies auch, weil er sich nicht einmal mit dieser wegen der Wiedergutmachung des Schadens in Verbindung gesetzt habe. Die behauptete Vorsprache sei nicht belegt. Die wirtschaftlichen Interessen des Antragstellers vermögen nicht das generalpräventive Interesse an der vertragsärztlichen Versorgung zu überwiegen. Ebenso wie bei der Verübung erheblicher Straftaten gegen den Arbeitgeber bzw. Dienstherrn käme auch unter Berücksichtigung der grundgesetzlich geschützten Freiheit nur die sofortige Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit in Betracht.

Mit Datum vom 15. Februar 2010 hat der Antragsteller den Verzicht auf die Zulassung zum 1. Juni 2010 erklärt. Der Verzicht soll erst dann wirksam werden, wenn der Praxisnachfolger rechtskräftig zugelassen und die Praxis von ihm übergeben ist.

Der Antragsteller hat am 30. März 2010 Antrag auf einstweiligen Rechtschutz gestellt und mit Schriftsatz vom 29. März 2010 Klage gegen den Entziehungsbescheid erhoben. Er ist der Ansicht, der Entziehungsbescheid sei bereits wegen Verstoßes gegen die Grundsätze des rechtlichen Gehörs aufzuheben. Seine Anträge seien nicht beachtet bzw. ohne Beschluss der zuständigen Stelle abgelehnt worden. Zuständig zur Entscheidung über Vertagungsanträge sei das Gremium. Eine effektive Verteidigung sei insbesondere ohne Akteneinsicht nicht möglich gewesen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei aufzuheben, weil Zweifel an der Rechtsmäßigkeit der Entziehungsentscheidung bestünden und kein öffentliches Interesse am Sofortvollzug bestehe. Er sei im Wesentlichen durch seinen Mittäter gesteuert und ausgenutzt worden. Ohne konkrete Benennung des entstandenen Schadens könnten die aufgeführten 33 Fälle keinen erheblichen Abrechnungsbetrug begründen. Bis zum Zulassungsverzicht habe Wohlverhalten vorgelegen. Im Übrigen habe er Reue gezeigt. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei auch unverhältnismäßig, zumal der Antragsteller ohnehin alsbald seine Tätigkeit als Vertragsarzt aufgebe. Die Gefahr einer finanziellen Schädigung der Kostenträger sei damit ebenso ausgeschlossen wie ein zu befürchtender Vertrauensverlust. Es seien keine Umstände dargelegt, die eine Patientengefährdung befürchten ließen. Die Folgen des Sofortvollzuges seien gravierend und nicht reparabel. In rechtlicher Hinsicht sei alleine § 97 Abs. 4 SGB V für die Entscheidung über den Sofortvollzug maßgeblich. Diese sei ermessenfehlerhaft erfolgt, da relevante Umstände bei der Abwägung nicht berücksichtigt worden seien. Im Übrigen sei die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung unzureichend.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

die durch den Bescheid des Antragsgegners vom 27.3.2010 angeordnete sofortige Vollziehung der Zulassungsentziehung bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen und die aufschiebende Wirkung der Klage zum Aktenzeichen S 22 KA 135/10 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung abzulehnen.

Er ist der Auffassung, eine Akteneinsicht sei in der verbleibenden Zeit möglich gewesen. Die Vertagungsentscheidung sei durch den Ausschuss ergangen. Im Übrigen müsse ein Vertagungsantrag nicht förmlich beschieden werden. Maßgeblich für die Gewährung rechtlichen Gehörs sei § 24 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Eine über die Entziehung selbst hinausgehendes Interesse an der sofortigen Vollziehung ergebe sich bereits aus dem erheblichen Betrug und der Verpflichtung, die Beitragszahler vor "schwarzen Schafen zu schützen". Die Zulassungsgremien hätten im Übrigen keine Möglichkeit, den Antragsteller einer verstärkten Kontrolle zu unterstellen.

II.

Der zulässige Antrag hat Erfolg. Ein besonderes Interesse am Sofortvollzug während des anhängigen Hauptsacheverfahrens liegt nicht vor.

Gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in Fällen, in denen die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung hat, diese ganz oder teilweise anordnen. Diese Entscheidung trifft das Gericht im Rahmen einer pflichtgemäßen Ermessensentscheidung; dabei sind die Interessen der Beteiligten bzw. das Interesse des Antragstellers und Beschwerdegegners und das öffentliche Interesse (§ 97 Abs. 4 SGB V) gegeneinander ab¬zuwägen. Auch dann, wenn die Voraussetzungen für den Entzug der Zulassung gegeben erscheinen, folgt daraus noch nicht zwangsläufig, dass auch die Bedingungen für einen Sofortvollzug erfüllt wären. Vielmehr kann von deren Voraussetzungen erst ausgegangen werden, wenn weiteres Zuwarten bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens insbesondere auch unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses nicht hinnehmbar erscheint.

Entgegen der Ansicht des Antragstellers folgt vorliegend ein Überwiegen des Aussetzungsinteresses nicht bereits aus Zweifeln über die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren. Dieses erscheint unter Berücksichtigung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vielmehr ohne Aussicht auf Erfolg. Nach § 95 Abs. 6 Satz 1 letzter Hlbs. Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ist die Zulassung zu entziehen, wenn der Vertragsarzt seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Eine gröbliche Pflichtverletzung in diesem Sinne liegt vor, wenn durch sie das Vertrauen der Kassenärztlichen Vereinigung und der Kranken¬kassen, insbesondere in die ordnungsgemäße Behandlung der Versicherten und in die Rechtmäßigkeit der Abrechnung durch den Arzt so gestört ist, dass diesen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Arzt nicht zugemutet werden kann (vgl. nur BSG, Urteil vom 20. Dezember 2004 – SozR 4-2500 § 95 Nr. 9 Rn. 10). Vorliegend hat der Kläger nach den Feststellungen im rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts T über einen Zeitraum von einem halben Jahr unter Verwendung fremder Karteikarten, die ein Mittäter besorgte, der als Geschäftsführer eines Sanitätshauses tätig war, orthopädische Hilfsmittel für Patienten verordnet, deren Krankengeschichte er erfand. Über die Krankenkassen wurden diese Hilfsmittel, die tatsächlich nicht geliefert worden waren, sodann abgerechnet. Die Patienten hatten den Antragsteller nie aufgesucht und sind ihm auch unbekannt. Mit der Begehung einer Straftat, die eine vorsätzliche Vermögensschädigung der gesetzlichen Krankenversicherung beinhaltet, hat der Antragsteller in erheblicher Weise u.a. die Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung verletzt (vgl. dazu nur BSG, Beschluss vom 5. November 2008 – B 6 KA 59/08 B – Juris). Zu Unrecht wendet der Antragsteller ein, dass zur Bejahung eines erheblichen Abrechnungsbetruges Ausführungen zur konkreten Schadenshöhe erforderlich gewesen wären. Die Höhe der getätigten Verordnung und damit der verursachte Schaden ergibt sich im Einzelnen aus den Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts T. Diese ergeben keine Anhaltspunkte für einen Bagatellschaden. Das Amtsgericht selbst hat eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten als schuldangemessen angesehen. Diese Feststellungen durfte der Antragsgegner sich zu Eigen machen, ohne zu ausdrücklichen Festsetzungen zur Schadenshöhe verpflichtet gewesen zu sein. Auch liegt der Entscheidung des Antragsgegners keine Verletzung des rechtlichen Gehörs zu Grunde. Aus den vorliegenden Verwaltungsvorgängen ergibt sich, dass ausweislich eines telefonischen Vermerks vom 14. Januar 2010 mit der Kanzlei des Bevollmächtigten die beantragte Akteneinsicht besprochen wurde. Mit Schreiben vom 19. Januar 2010 ist ihm diese dann förmlich unter Mitteilung der Geschäftszeiten mit der Bitte um telefonische Terminvereinbarung gewährt worden. Warum die Akteneinsicht bis zum Termin am 17. Februar 2010 nicht wahrgenommen wurde, ergibt sich weder aus den Verwaltungsvorgängen noch aus dem Vortrag des Bevollmächtigten des Antragstellers. Die für die Akteneinsicht gewährte Zeit war im vorliegenden Fall ausreichend, um dem Antragsteller eine sachgerechte Stellungnahme zu ermöglichen, zumal der Bevollmächtigte bereits im Verfahren vor dem Zulassungsausschuss tätig war. Auch die Tatsache, dass dem mit Schreiben vom 2. Februar 2010 gestellten Vertagungsantrag nicht entsprochen wurde, be¬gründet keinen erheblichen Verfahrensfehler. Die Entscheidung, den Termin nicht zu verlegen, ist in der Sache nicht zu beanstanden. Vor allem aber ist dem Antragsteller im Ergebnis hinreichend rechtliches Gehör gewährt worden, zumal die sachkundige Vertretung des Antragsstellers durch ein Mitglied der bevollmächtigten Sozietät tatsächlich gewährleistet war. Eine ausdrückliche Regelung zu den Entscheidungskompetenzen des Zulassungsausschusses findet sich im Übrigen nur für Entscheidungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs. 3 Ärzte-Zulassungsverordnung – Ärzte-ZV). Sitzungsvorbereitende Entscheidungen sind dagegen im Grundsatz dem Vorsitzenden zugewiesen (§ 36 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs. 3 Ärzte-ZV), der nach den gesetzlichen Vorgaben jedenfalls im Fall des Berufungsausschusses mit besonderer juristischer Sachkompetenz ausgestattet ist (§ 97 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Das Verfahren vor dem Zulassungsausschüssen ist insoweit den Prozessordnungen nachempfunden, die entsprechende Entscheidungen der in Rede stehende Art (Terminsverlegungen und Aufhebungen) regelmäßig dem Vorsit¬zenden zuwei¬sen (vgl. nur § 202 Sozialgerichtsgesetz – SGG - i.Vm. § 227 Abs. 4 Satz 1 Zivilprozessordnung). Aus diesem Grunde war es unerheblich, ob tatsächlich, wie der Antragsgegner vorträgt, eine Entscheidung des Gremiums herbeigeführt wurde.

Die Zulassungsentziehung ist auch verhältnismäßig. Insbesondere ist sie erforderlich, da weder das SGB V noch die Ärzte-ZV den Zulassungsgremien eine milderes Mittel zur Verfügung stellen. Gerade bei Abrechnungsmanipulationen, die eine erhebliche Vielzahl von Fällen betreffen und ein besonders zielstrebiges Handeln mit erheblicher krimineller Energie offenbaren, wie es der Gebrauch von sog. "Phantompatienten" darstellt, kann auch nach der Beurteilung des Gerichts lediglich eine Disziplinarmaßnahme nicht ausreichen. Entscheidend ist nämlich, dass der Antragsteller durch seine auf bewusste Täuschung angelegten Abrechnungen das Vertrauensverhältnis zu den Kostenträgern so nachhaltig gestört hat, dass diesen eine weitere Zusammenarbeit mit ihm nicht zumutbar ist. Tatsächlich hat der Antragsteller noch zuletzt in der Verhandlung am 17. März 2010 sein Verhalten zu bagatellisieren versucht, in dem er betonte, ohne Vorsatz gehandelt zu haben und sich letztlich als Opfer zu empfinden. Dies widerspricht den Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts Tiergarten, das auf Grund mündlicher Verhandlung zu einer mittäterschaftlichen Verurteilung des Antragstellers gelangte, die die Erfüllung des subjektiven Betrugstatbestandes, d.h. ein vorsätzliches Handeln notwendig voraussetzt.

Ein berücksichtigungsfähiges "Wohlverhalten" ist nicht ersichtlich. Zum einen ist der seit der Entscheidung des Zulassungsausschusses verstrichene Zeitraum zu kurz, um Berücksichtigung zu finden (zur Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Entscheidung des Zulassungsausschusses und nicht dem der strafgerichtlichen Verurteilung vgl. BSG, Urt. v. 31.10. 2006 – B 6 KA 40/06 – Juris). Zum anderen fehlt es aber auch an Anhaltspunkten für tatsächliches Wohlverhalten. Selbst wenn man zugunsten des Antragstellers unterstellt, dass das im Termin vor dem Berufungsausschuss behauptete Gespräch im April 2009 in der Abteilung Versorgung der KV zur Schadensbegrenzung stattgefunden hat, liegt darin noch kein erhebliches Wohlverhalten. Dieses würde nämlich ein aktives Bemühen um Wiedergutmachung voraussetzen (vgl. Pawlita, in: Juris PraxisKommentar – jurisPK -, § 95 Rd. 49), für das eine einmalige Vorsprache und ein anschließendes passives Abwarten nicht ausreicht. Es hätte dem Antragsteller offen gestanden, dass Verfahren durch schriftliche Nachfrage oder entsprechende Angebote weiterzubetreiben, wozu es aber nicht mehr gekommen ist.

Auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist für sich gesehen nicht zu beanstanden. Maßgeblich ist der materielle Gehalt der Begründung, so dass es unerheblich ist, dass der Antragsgegner den Sofortvollzug neben § 97 Abs. 4 SGB V auch auf § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG stützt. In Fällen, in denen sich das Interesse an der sofortigen Vollziehung mit dem der Grundverfügung deckt, sind auch die Anforderungen an die Begründung der sofortigen Vollziehung gemindert. Die angeführten generalpräventiven Erwägungen, die an die Begehung einer gegen das System der Krankenversicherung gerichteten erheblichen Straftat anknüpfen, genügen jedenfalls dem formalen Begründungserfordernis.

Gleichwohl war dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung stattzugeben, da die besonderen Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht an vorläufige Eingriffe in die Berufsfreiheit stellt, vorliegend nicht erfüllt sind. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Zulassungsentziehung stellt nämlich einen zusätzlichen Eingriff in die Berufsfreiheit dar, für dessen Rechtfertigung die hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Hauptsacheverfahren zum Nachteil des Betroffenen ausgehen wird, nicht ausreicht (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 15. März 2010 – 1 BvR 722/10 - Juris). Die Anordnung der sofortigen Vollziehung setzt viel¬mehr voraus, dass überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Betroffenen gegen die Grundverfügung einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und insbesondere davon ab, ob eine weitere Berufstätigkeit schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt (BVerfG a.a.O. m.w.Nw.). Gefordert werden dahingehend hinreichend konkrete Tatsachenfeststellungen, die konkrete Gefährdungen gerade während des laufenden Hauptsacheverfahrens begründen (BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 – 1 BvR 2157 -, NJW 2008, 1369 m.w.Nw.). Auch im Fall des Abrechnungsbetruges ist daher für die Anordnung der sofortigen Vollziehung in der Regel erforderlich, dass konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Betroffene seine ärztliche Tätigkeit zu vermögensschädigenden Handlungen zu Lasten Dritter ausnutzt (BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 2004 – 1 BvR 2820/04 – Juris). Allgemeine Rückschlüsse aus zu Tage getretenen Charaktereigenschaften sind nicht zulässig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 a.a.O.). Solche tatsächlichen Anhaltspunkte für konkrete Gefährdungen dürften auch erforderlich sein, wenn man im Grundsatz auch generalpräventive Gesichtspunkte bei der Entscheidung über den Sofortvollzug als ausreichend erachtet (vgl. dazu zuletzt LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Februar 2010 – L 7 KA 169/09 B – Juris). Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Es ist vielmehr mangels entgegenstehender Anhaltspunkte von einem korrekten Abrechnungsverhalten des Antragstellers während des laufenden Hauptsacheverfahrens auszugehen. Weitere konkrete Gefährdungen, vor allem der Patienten sind ebenfalls nicht erkennbar, so dass ein besonderes Sicherungsinteresse zu verneinen ist.

Eine andere Betrachtung ist im vorliegenden Fall nicht bereits deshalb angezeigt, weil jedenfalls eine Verletzung des Verfahrensgrundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG kaum zu begründen ist. Der Antragssteller hatte nämlich in dem mit allen Rechtschutzgarantien ausgestatteten Strafverfahren die Gelegenheit, die auch im Zulassungsentziehungsverfahren allein streitgegenständlichen Vorwürfe zu entkräften. Dem Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes ist damit Genüge getan. Die Erwägungen des BVerfG finden allerdings eine hinreichende Stütze in dem auch in Rede stehenden Eingriff in die Berufsfreiheit des Antragstellers, so dass hier keine verminderten Maßstäbe geltend (a.A. wohl Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 18 Rn. 41). Schließlich kann dem Antragssteller auch nicht entgegengehalten werden, dass auf Grund seines Verzichts auf die Zulassung nur noch ein eingeschränkter Zeitraum der Berufsausübung verbleibt. Dieser ändert nämlich nichts daran, dass die sofortige Vollziehung der Zulassungsentziehung die vertragsärztliche Tätigkeit des Antragsstellers irreparabel schädigt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. einer entsprechenden Anwendung von §§ 154 Abs. 1, 3, 162 Abs. 3 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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