S 180 SF 1761/09 E

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
180
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 180 SF 1761/09 E
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Sozialgerichts vom 27. Mai 2009 (Az. S 156 AS ... /08 ER) werden die von dem Erinnerungsführer dem Erinnerungsgegner zu erstattenden Kosten auf 172,75 EUR festgesetzt. Kosten des Erinnerungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Der Gesamtbetrag der zu erstattenden Kosten ergibt sich aus der nachfolgenden Berechnung:

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG 125,00 EUR Post- und Telekommunikationsdienstleistungen Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 27,55 EUR Summe 172,55 EUR.

Die zulässige Erinnerung vom 17. Juni 2009, hier eingegangen am 22. Juni 2009, ist begründet. Im angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss ist die zu erstattende Verfahrensgebühr um 125,00 EUR zu hoch auf den Betrag von 250,00 EUR festgesetzt worden.

Richtig wurde von der Anwendbarkeit der Vorschrift der Nr. 3102 VV RVG statt Nr. 3103 VV RVG ausgegangen. Innerhalb des Gebührenrahmens der Nr. 3102 VV RVG war die dortige Mittelgebühr von 250,00 EUR um die Hälfte auf 125,00 EUR herabzusetzen, so dass der im Beschluss angesetzte Betrag von 250,00 EUR zu hoch ausfällt.

Sowohl hinsichtlich der Entstehung der Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG als auch hinsichtlich der grundsätzlichen Herabsetzung der Mittelgebühr um 1/3 in Eilverfahren folgt die Kammer der Rechtsprechung der 164. und 165. Kammer des Sozialgerichts, die bis zum 31.12.2009 allein für Erinnerungen in Kostensachen zuständig waren. Zur Bestimmung der Verfahrensgebühr gem. Nr. 3102 VV RVG in einstweiligen Rechtsschutzverfahren hat die 165. Kammer in ihrem Musterbeschluss vom 10.06.2009 (Az. S 165 SF 601/09 E; zu finden unter juris und sozialgerichtsbarkeit.de) wie folgt ausgeführt: "Die Kammer nimmt den vorliegenden Fall zum Anlass, ihre bisherige Rechtsprechung (S 165 SF 5/09 E vom 30. Januar 2009) zur Frage der Anwendbarkeit des verminderten Gebührenrahmens der Nr. 3103 VV RVG auf Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz nach § 86 b SGG im Grundsatz zu ändern und nunmehr an die Rechtsprechung der 164. Kammer des Sozialgerichts Berlin anzugleichen. Im Beschluss der 164. Kammer vom 4. März 2009 – S 164 SF 194/09 -, dem die Kammer aus den dort genannten Gründen folgt, heißt es dazu:

"Zunächst weist die Kammer darauf hin, dass vorliegend eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG angefallen ist und nicht nach Nr. 3103 VV RVG. Das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz setzt ein Verwaltungs- oder Vorverfahren nicht voraus, weshalb schon begrifflich der Tatbestand der Nr. 3103 VV RVG nicht einschlägig ist (vgl. dazu mit ausführlicher Erörterung und Darstellung des Meinungsstandes in der Rechtsprechung SG Duisburg, Beschluss vom 15.05.2007, Az.: S 7 AS 249/06 ER – JURIS -). Die entgegenstehenden Ansichten der von dem Erinnerungsgegner zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung einiger Landessozialgerichte vermochten die Kammer nicht zu überzeugen. Der Gesetzgeber hat in der VV zum RVG eine Ermäßigung für bestimmte Verfahrensarten vorgenommen, ohne jedoch für das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz an den Sozialgerichten, bei dem Betragsrahmengebühren entstehen, eine eigenständige Gebührenregelung vorzunehmen. Einem Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz geht regelmäßig ein Verwaltungs- oder Vorverfahren nicht voraus, zumindest ist dies keine zwingende Prozessvoraussetzung, weshalb schon der Wortlaut der Nr. 3103 VV RVG der Auslegung, bspw. durch das LSG Thüringen, Beschluss vom 06.03.2008, L 6 B 198/07 SF nicht entspricht."

Die Abkehr von der bisherigen Rechtssprechung ergab sich für die Kammer aus den folgenden weiteren Überlegungen:

Bei nochmaliger Durchsicht der Rechtsprechung und Literatur stört, dass das zentral angewandte Kriterium des Synergieeffektes teils (nur) bei der Bestimmung des Gebührenrahmens (des Nr. 3103 VV RVG), teils bei der Bestimmung der konkreten Höhe innerhalb des zuvor bestimmten Rahmens oder sogar doppelt (zumindest schwer abgrenzbar) bei beiden Bestimmungen verwendet wird.

Dabei wird das Billigkeitskriterium des anwaltlichen Aufwands (Umfang und Schwierigkeit der Tätigkeit) im Rahmen des Nr. 3103 VV RVG in die Bestimmung des Rahmens selbst (teilweise) vorverlagert, was zu doppelter Verminderung führen kann oder zumindest das Kriterium des Synergieeffekts bei der Bestimmung der konkret billigen Höhe innerhalb des Rahmens bereits von vornherein ausschließt. "

Die Kammer schließt sich nach eigener Prüfung diesen Erwägungen zur Nichtanwendbarkeit des Nr. 3103 VV RVG im einstweiligen Rechtsschutzverfahren an. Folglich ist hier, entgegen der Ansicht des Erinnerungsführers, von einer Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG auszugehen.

Zur Bestimmung der konkreten Höhe der Verfahrensgebühr nach § 14 Abs. 1 RVG schließt sich die Kammer ebenfalls den überzeugenden Ausführungen der 165. Kammer im o. g. Beschluss an. Insoweit heißt es dort u. a.: "Eine Tätigkeit des Bevollmächtigten im Vorverfahren führt unzweifelhaft zu einem geringeren Einarbeitungsaufwand im Eilverfahren. Dieser ist innerhalb des Gebührenrahmens der Nr. 3102 VV RVG zu berücksichtigen, wobei die Absenkungsquote auf 2/3 der Mittelgebühr billig erscheint und nach folgender Überlegung zu bilden ist:

Der mit der vorgenommenen Absenkung um 1/3 erfasste Synergieeffekt bei Vor- bzw. gleichzeitiger Befassung mit einem parallelen Verwaltungs- oder Vorverfahren betrifft regelmäßig die Erfassung und Darstellung des (insoweit) einheitlichen Sachverhaltes sowie des geltend gemachten Anspruches und muss daher eine entsprechenden Verminderung von Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit i.S.v. § 14 RVG bewirken, wobei immerhin ein anerkennungsfähiger Spielraum von 2/3 für die besonderen Gegebenheiten des einstweiligen Rechtsschutzes verbleibt. Eine weitere Absenkung alleine aus Gründen der Synergie auf unter 2/3 der Mittelgebühr der Nr. 3102 VV RVG erscheint der Kammer dagegen als unbillig, denn eine solche befände sich im Ergebnis selbst unterhalb der Mittelgebühr der Nr. 3103 VV RVG und würde insoweit zu einem Wertungswiderspruch führen. Dies rechtfertigt auch generell die vorgenommene Aufrundung von rechnerisch 2/3 der Mittelgebühr (250,00 EUR) i.H.v. 166,66 EUR auf 170.00 EUR.

Die weiteren Billigkeitskriterien des § 14 RVG können sich dabei selbstverständlich noch erhöhend, aber auch vermindernd auf die Höhe auswirken, wozu die Kammer im vorliegenden Fall allerdings keinen Anlass sah. Die Erinnerungsführerin hat hierzu auch nicht weiter vorgetragen, sondern ausschließlich über die von ihr gerügte Anwendung des Gebührenrahmens der Nr. 3103 VV RVG argumentiert."

Die nach § 14 Abs. 1 RVG im vorliegenden Fall maßgeblichen Umstände werden vom Erinnerungsführer zutreffend als unterdurchschnittlich eingeschätzt, wobei er aber fehlerhaft von Nr. 3103 VV RVG ausgeht. In Fällen des faktischen Vollzugs von Erstattungsforderungen nach dem SGB II ist nach Ansicht der Kammer in der Regel die hälftige Mittelgebühr als angemessene Gebühr anzusetzen, ein darüber hinausgehenden Zuschlag auf die Mittelgebühr ist regelmäßig nicht gerechtfertigt. Insoweit ist festzuhalten, dass insbesondere aufgrund des weit unterdurchschnittlichen Umfangs und der geringen Schwierigkeit der Anwaltstätigkeit eine höhere Gebühr nicht billig erscheint. Sach- und Rechtslage sind verglichen mit anderen sozialgerichtlichen Verfahren als einfach gelagert zu bezeichnen. Auch nur annähernd durchschnittliche Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art sind nicht erkennbar. So beschränkte sich die Antragsschrift im Wesentlichen auf die Wiedergabe des unstreitigen Sachverhalts sowie kurze rechtliche Ausführungen. Eine Auseinandersetzung mit streitiger Rechtsprechung hatte nicht zu erfolgen. Die Prüfung war in rechtlicher Hinsicht darauf reduziert, ob der erhobene Widerspruch aufschiebende Wirkung entfaltet. Zu dieser Frage bestand schon damals eine jahrelange ständige Rechtsprechung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg dahingehend, dass Widersprüche gegen Erstattungsbescheide nach dem SGB II aufschiebende Wirkung haben. Entsprechend erklärte der Antragsgegner unmittelbar nach Eingang des gerichtlichen Eilantrags, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bereits beachtet werde und die Forderung schon vor Antragstellung ruhend gestellt worden sei. Der nachfolgende Schriftwechsel zwischen den Beteiligten betraf in der Sache nur die Frage, ob der Antragsgegner Anlass zur Erhebung des Eilantrags gegeben und daher die außergerichtlichen Kosten zu übernehmen hatte. Zudem weist der Erinnerungsführer richtig darauf hin, dass der Bevollmächtigte in einem Parallelverfahren die Mutter des Erinnerungsführers vertrat. Daraus ergaben sich ebenso Synergieeffekte wie aus dem Umstand, dass er zuvor namens des Erinnerungsführers Widerspruch gegen die fraglichen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide erhoben hatte. So ist insbesondere der Sachverhalt dem Rechtsanwalt bereits durch die vorangegangene Tätigkeit im Widerspruchsverfahren hinreichend bekannt, so dass er sich nicht neu einarbeiten muss. Nach den obigen Grundsätzen führt bereits die Vertretung im Vorverfahren dazu, dass auf die Mittelgebühr der Nr. 3102 VV RVG ein Abschlag von 1/3 vorzunehmen ist.

Auch die Bedeutung der Angelegenheit ist im Vergleich mit anderen sozialgerichtlichen Verfahren hier als unterdurchschnittlich zu bezeichnen. Es ging um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wegen der Erstattung eines Betrags in Höhe von über 8.000,00 EUR. Das ist insbesondere für SGB II-Leistungsempfänger ein hoher Betrag. Allerdings war nicht Verfahrensgegenstand, ob dieser Betrag zu Recht zurückgefordert wird, sondern lediglich die Feststellung des Bestehens der aufschiebenden Wirkung des erhobenen Widerspruchs.

Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Erinnerungsgegners als SGB II-Leistungsempfänger waren weit unterdurchschnittlich. Im Gegensatz zu übrigen SGB II-Gerichtsverfahren kann hier insoweit auch nicht von einer Kompensation durch eine weit überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit ausgegangen werden. Die Bedeutung der Angelegenheit ist vielmehr, wie bereits dargelegt, ebenfalls als unterdurchschnittlich zu bewerten.

Ein besonderes Haftungsrisiko für den Bevollmächtigten des Erinnerungsgegners ist nicht ersichtlich.

Insgesamt ist somit unter Berücksichtigung der Umstände des Falles die Bestimmung der Verfahrensgebühr mit der hälftigen Mittelgebühr als billig anzusehen. Weitergehende Abschläge sind nicht angemessen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass selbst in durchschnittlichen Untätigkeitsklageverfahren nach ständiger Rechtsprechung der Kostenkammer des Sozialgerichts eine Verfahrensgebühr von 100,00 EUR angesetzt wird, kann die Zugrundelegung einer niedrigeren Verfahrensgebühr als 125,00 EUR vorliegend nicht als billig betrachtet werden.

Damit ist insgesamt davon auszugehen, dass die im angefochtenen Beschluss festgesetzte Verfahrensgebühr von 250,00 EUR unbillig hoch ist. Als billige Bestimmung der Verfahrensgebühr ist hier aus den obigen Gründen der Betrag von 125,00 EUR anzusetzen (1/2 von 250 EUR). Der Erinnerung war daher zu entsprechen.

Die Kostenentscheidung für das Erinnerungsverfahren beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache. Die Kammer geht hierbei davon aus, dass die Erinnerung vollen Erfolg hatte, weil mit der Gebührenbestimmung in Höhe von 125,00 EUR - wie von der Erinnerung beantragt - eine Verfahrensgebühr deutlich unterhalb des Betrag von 170,00 EUR festgesetzt worden ist.

Die Kammer hält im Einklang mit der Rechtsprechung der 164. Kammer und 165. Kammer des Sozialgerichts Berlin eine eigenständige Kostenentscheidung auch im Erinnerungsverfahren für notwendig, und zwar aus den (z.B.) in den Beschlüssen der der 164. Kammer des Sozialgerichts Berlin - S 164 SF 118/09 E vom 6. März 2009 - und der 165. Kammer des Sozialgerichts Berlin - S 165 SF 11/09 E vom 2. Februar 2009 - grundsätzlich dargelegten Gründen.

Dieser Beschluss ist, auch hinsichtlich der Kostengrundentscheidung, unanfechtbar (§ 197 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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