S 71 KA 492/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
71
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 71 KA 492/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit einer Anpassung des Individualbudgets der Klägerin durch die Beklagte bzw. – vorgeschaltet – die Zulässigkeit der Klage.

Die Klägerin nimmt seit dem 1. Januar 2006 als Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) im Verwaltungsbezirk K -T an der vertragsärztlichen Versorgung teil.

Mit Bescheid vom 29. Juni 2007 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass mit Wirkung zum 1. Oktober 2006 der durch das erweiterte Bundesschiedsamt am 17. August 2006 festgesetzte Vertrag nach § 115b Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) bezüglich des ambulanten Operierens und stationsersetzender Eingriffe in Kraft getreten sei, so dass die Individualbudgets entsprechend anzupassen seien. Auf der Basis der Quartale I/2006 bis IV/2006 werde das Individualbudget der Klägerin um die in den Abschnitten 2 und 3 des Kataloges zum Vertrag nach § 115b SGB V genannten Leistungen auf der Basis der EBM-Nummern bereinigt.

Für die Klägerin stellte sich die Bereinigung ihres Individualbudgets wie folgt dar:

Name des Arztes des MVZ Primärkassen Abzug in Punkten Ersatzkassen Abzug in Punkten M S 26.603 23.245 H G 21.988 11.738 Dr. S St 8.264 0 Total 56.855 34.983

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit am 13. Juli 2007 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben Widerspruch ein. Die Berechnung des Abzugsbetrags sei nicht nachvollziehbar.

Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte aufgrund der Sitzung vom 24. März 2009 durch am 23. Juni 2009 ausgefertigten Widerspruchsbescheid zurück. Bei der Einführung der extrabudgetären Vergütung der Leistungen aufgrund des Vertrags nach § 115 b SGB V handele es sich um eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse, die eine Anpassung des Individualbudgets gemäß § 9 Absatz 14 des ab dem 1. Juli 2007 gültigen Honorarverteilungsvertrages (HVV) der KV Berlin rechtfertige. Zwar sei diese Norm eine Ermessensvorschrift; aufgrund der sie bindenden Vertragsabschlüsse sei sie – die Beklagte – jedoch verpflichtet, die mit den Krankenkassen vereinbarten außerbudgetären Leistungen auch außerhalb der Individualbudgets zu vergüten. Folgerichtig sei sie gezwungen, bei allen Erbringern dieser Leistungen die Individualbudgets anzupassen. Der Ermessensspielraum verenge sich zu einer Ermessensreduzierung auf Null. Für die rechnerische Bereinigung der Individualbudgets habe sie die Quartale I/2006 bis IV/2006 zugrunde gelegt. In der ersten Stufe sei das Durchschnittsverhältnis der zu bereinigenden Punkte ins Verhältnis zu den abgerechneten Punkten gesetzt worden. Daraus ergebe sich der Abzugsbetrag als Prozentverhältnis. Nach der Ermittlung des Prozentverhältnisses werde der Abzugsbetrag pro Quartal ermittelt, indem das Individualbudget-Punktzahlgrenzvolumen mit dem Prozentfaktor multipliziert und anschließend durch vier geteilt werde. Diese zu bereinigende Punktzahl werde pro Quartal also ab III/2007 von dem jeweils gewichteten, ggf. um die konstanten Aufschläge für ehemalige Sozialhilfeempfänger erhöhten individuellen Punktzahlvolumen abgezogen.

Am 23. Juli 2009 erhob die Klägerin über ihre Prozessbevollmächtigte Klage vor dem Sozialgericht Berlin. Ihr Gesamtbudget sei um rund 9,1% gekürzt worden. Diese Kürzung bedeute für sie eine erhebliche und nicht kompensierbare Einbuße. Es sei bereits nicht nachvollziehbar, weshalb die extrabudgetären Gelder seitens der Krankenkassen zwar gewährt, jedoch gleichzeitig die für die betreffenden Leistungen in dem Individualbudget bisher vorgesehenen Gelder aus diesem herausgenommen würden. Zudem seien die seitens der Beklagten vorgenommenen Berechnungen nicht nachvollziehbar. Unzutreffend sei weiterhin, wenn die Beklagte von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgehe. Weiterhin werde bestritten, dass es sich bei dem Vertrag nach § 115 SGB V um eine Rechtsänderung im Sinne des § 9 Absatz 14 HVV handele, die eine andere Berechnung des Individualbudgets der Höhe nach ergebe. Nicht zuletzt ließen die Bescheide der Beklagten eine nachvollziehbare Berechnung des Abzugsbetrages für die einzelnen Ärzte nicht erkennen, so dass ein Verstoß gegen § 35 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gegeben sei.

Mit Schreiben vom 16. Juni 2010, bei der Beklagten eingegangen am 17. Juni 2010, teilte der Arzt Dr. St wie folgt mit: "Hiermit teilen wir Ihnen mit, dass wir uns zwischenzeitlich zur Rücknahme unseres o.g. Widerspruches entschlossen haben." Das Schreiben enthielt den Stempel der Klägerin und die Unterschrift "i. V. St ".

Die Klägerin erwiderte daraufhin im Folgenden, dem alleinvertretungsberechtigten Herrn S sei eine Rücknahme des Widerspruches bis dato nicht bekannt gewesen. Herr Dr. St sei nicht zur Vertretung befugt gewesen, so dass eine Rücknahme des Widerspruches durch ihn auch keine Wirkung entfalten könne. Ein Rücknahmeschreiben hätte zudem von der Beklagten an die Prozessbevollmächtigte der Klägerin übersandt werden müssen. Der Rücknahme des Widerspruchs werde daher widersprochen. Sie sei schließlich auch nur bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides möglich gewesen; nach diesem Zeitpunkt bleibe sie hingegen wirkungslos.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 29. Juni 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. März 2009 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich zum einen auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Ergänzend führt sie wie folgt aus: wenn sie aufgrund der Neuregelung, die durch den AOP-Vertrag (Ambulantes Operieren und stationsersetzende Eingriffe im Krankenhaus) eingetreten sei, das Individualbudget der Klägerin nicht bereinigt hätte, wäre der durch das Individualbudget gewährte wirtschaftliche Spielraum der Klägerin ohne nachvollziehbaren Grund erweitert worden. Überdies sei durch die Rücknahme des Widerspruchs der streitgegenständliche Bescheid bestandskräftig geworden und der Fortsetzung des Rechtsstreits damit die Grundlage entzogen.

Die Gerichts- und Verwaltungsakten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung. Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten sowie des übrigen Inhalts wird auf sie Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist bereits unzulässig.

Infolge der Rücknahme des Widerspruchs durch den Arzt Dr. St mit Schreiben vom 16. Juni 2010 ist die Klage unzulässig geworden und dem Rechtsstreit somit die Grundlage entzogen.

Dr. St konnte die Klägerin nach außen wirksam vertreten. Er bildete zum Zeitpunkt der Rücknahme des Widerspruchs mit Herrn S eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gemäß §§ 705 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Rechtsfolgen, die sich aus einem Überschreiten der Vertretungsmacht ergeben mögen, sollen sich bei der GbR aus Gründen des Schutzes des Rechtsverkehrs grundsätzlich allenfalls innerhalb der Gesellschaft auswirken, hingegen die Wirksamkeit einer Maßnahme im Außenverhältnis nicht beeinflussen. Dritten ist es nicht zuzumuten, von gesellschaftsinternen Auseinandersetzungen bezüglich der Vornahme einer bestimmten Maßnahme zuvor Kenntnis zu nehmen. Könnte ein einzelner Gesellschafter bzw. sein Vertreter durch seinen Widerspruch die Vertretungsmacht eines anderen beschränken oder aufheben, so könnte das eine völlige Lahmlegung der Gesellschaft bewirken. Zudem kann die Befugnis zur Geschäftsführung (§ 712 BGB) und zur Vertretung (§ 715 BGB) bei der GbR ohnehin grundsätzlich nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes entzogen werden.

Der Vortrag der Klägerin, Herr S sei ihr alleinvertretungsberechtigter Gesellschafter, ist für die Frage der Wirksamkeit der Rücknahme des Widerspruchs unbeachtlich. Nach dem Gesellschaftsvertrag vom 19. Oktober 2005 waren die Gründungsmitglieder der Gesellschaft (S , G und St ) gleichberechtigte Gesellschafter und zu gleichen Teilen am Gesellschaftsvermögen beteiligt. Keinem von ihnen war die alleinige Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft übertragen, vielmehr bestimmt der Gesellschaftsvertrag (§ 6 Nr. 6.2) die Geschäftsführung und Vertretung durch alle Gesellschafter, sofern nicht durch Beschluss der Gesellschafterversammlung einem Gesellschafter die Geschäftsführung und die Vertretung übertragen wurden (§ 6 Nr. 6.1). Auch der spätere Gesellschaftsvertrag vom 1. Oktober 2008, der unter den Gesellschaftern S und Dr. St nach dem Ausscheiden des Gesellschafters G abgeschlossen wurde, enthält in Bezug auf die Geschäftsführung und Vertretung keine neuen Regelungen. Wenn Herr Dr. St als einer von zwei gleichberechtigten Gesellschaftern "i.V." die Rücknahme des Widerspruchs erklärt hat, dann muss die Beklagte davon ausgehen können, dass er im Innenverhältnis dazu befugt ist. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass § 6 Ziffer 6.1 des Gesellschaftsvertrages ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, durch Beschluss einen Gesellschafter mit der Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft zu beauftragen. Ein Beschluss der Gesellschafterversammlung, die Herrn S die alleinige Geschäftsführung und Vertretung der Klägerin übertragen hätte, konnte nicht vorgelegt werden. Auch die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2010 eingeräumt, dass kein schriftlicher Beschluss der Gesellschafter existiert, nach dem allein Herr S nach außen hin als ärztlicher Leiter und Geschäftsführer auftrete. Dass Herr S ärztlicher Leiter der Klägerin ist, bedeutet nicht, dass Herr Dr. St als Gesellschafter der Klägerin daran gehindert wäre, nach außen wirksame Erklärungen für diese abzugeben.

Anders, als die Klägerin meint, war die Beklagte auch nicht verpflichtet, die Rücknahmeerklärung vom 16. Juni 2010 den Prozessbevollmächtigten der Klägerin quasi zur Rechtsprüfung oder Genehmigung vorzulegen. Im Widerspruchsverfahren war die Klägerin noch nicht durch ihre jetzigen Prozessbevollmächtigten vertreten, sondern hat sich selbst vertreten. Die Beklagte war daher nicht gemäß § 13 Absatz 3 Satz 1 SGB X gehalten, sich an den für das Widerspruchsverfahren Bevollmächtigten zu wenden.

Entgegen der Auffassung der Klägerin war eine Rücknahme des Widerspruchs auch nicht nur bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides möglich. Auch die Rücknahme eines bereits beschiedenen Widerspruchs entfaltet Wirkung, jedenfalls solange der Widerspruchsbescheid nicht bestandskräftig geworden ist. Aus dem von der Klägerin vorgelegten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 31. August 1973 (Az. IV C 33/72) ergibt sich nichts Gegenteiliges. Das Urteil trifft lediglich eine Aussage dahingehend, dass eine frühere Widerspruchseinlegung zurückgenommen werden kann, solange nicht über den Widerspruch als solchen entschieden worden ist, wenn innerhalb der Widerspruchsfrist mehrmals Widerspruch eingelegt wurde. Diese Entscheidung betraf somit einen anders gelagerten Fall.

Nach Auffassung der Kammer ist der Rechtsbehelf des Widerspruchs nach Zustellung des Widerspruchsbescheides nicht gleichsam "verbraucht". Mit der Entscheidung der Widerspruchsbehörde endet nicht die Dispositionsbefugnis des Widerspruchsführers, jedenfalls solange, wie der Widerspruch nicht bestandskräftig geworden ist. Vielmehr hat der Widerspruch auch nach Zustellung des Widerspruchsbescheides noch wesentliche, nicht erledigte Funktionen. Schon die durch den Widerspruch ausgelöste aufschiebende Wirkung im Sinne des § 80 Absatz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bzw. § 86 a Absatz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) endet nicht mit der Verbescheidung, sondern – vorbehaltlich § 80 b VwGO bzw. § 86 a Absatz 2 SGG – erst mit der Unanfechtbarkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes. Desgleichen bleibt die Erfüllung der auf den Widerspruch bezogenen Sachurteilsvoraussetzungen unabhängig von der Zustellung des Widerspruchsbescheides unverzichtbar. So kann etwa die Sachurteilsvoraussetzung einer ordnungsgemäßen – insbesondere fristgerechten – Widerspruchseinlegung im Sinne des § 84 SGG unabhängig von der Bejahung durch die Widerspruchsbehörde auch im weiteren Verlauf des sozialgerichtlichen Verfahrens angegriffen werden. Das Sozialgericht beurteilt die Ordnungsgemäßheit der Widerspruchseinlegung ohne Bindung an die Entscheidung der Widerspruchsbehörde und vermag deshalb zum Beispiel im Gegensatz zu deren anderer Beurteilung eine Klage wegen Versäumung der Widerspruchsfrist als unzulässig abzuweisen bzw. umgekehrt einen von der Widerspruchsbehörde für unzulässig gehaltenen Widerspruch als zulässig anzusehen. Daraus wird deutlich, dass der Rechtsbehelf des Widerspruchs unabhängig vom Widerspruchsbescheid auch für das nachfolgende Klageverfahren weiterhin Bedeutung hat. Ein "Verbrauch" des Widerspruchs kann auch nicht aus dem Gedanken einer Erledigung des Rechtsbehelfs hergeleitet werden. Von einer Erledigung eines gegen einen Verwaltungsakt gerichteten Rechtsschutzbegehrens wird insbesondere ausgegangen, wenn die mit dem Verwaltungsakt verbundene rechtliche oder sachliche Beschwer nachträglich weggefallen ist. Bei einer Zurückweisung des Widerspruchs ist indes die Beschwer durch den Widerspruchsbescheid nicht weggefallen, sondern sie wird vielmehr verfestigt. Auch aus der Tatsache, dass die Widerspruchsbehörde den Widerspruchsbescheid nach seiner Zustellung grundsätzlich sachlich nicht mehr ändern darf, kann nicht der Schluss gezogen werden, dass ab diesem Zeitpunkt auch eine Rücknahme des Widerspruchs ausgeschlossen wäre. Selbst für das wesentlich formstrengeren Vorschriften unterliegende Urteil gilt, dass die Klage auch noch in dem Zeitraum zwischen Verkündung des Urteils und Eintritt der Rechtskraft nach § 102 Satz 1 SGG zurückgenommen werden kann. Nach § 153 Absatz 1 Satz 1 SGG kann auch die Berufung grundsätzlich bis zur Rechtskraft des Urteils oder des nach § 153 Absatz 4 oder § 158 Satz 2 ergangenen Beschlusses zurückgenommen werden, so dass eventuell ergangene Urteile wirkungslos werden. Der vollständige Ausschluss der Rücknehmbarkeit nach Zustellung des Widerspruchsbescheides hätte daher einen Wertungswiderspruch zur Folge. Eine Rücknehmbarkeit des Widerspruchs nach Zustellung des Widerspruchsbescheides scheitert auch nicht am Vorbehalt des Gesetzes. Das Eintreten der Wirkungslosigkeit eines nicht bestandskräftigen Widerspruchsbescheides, das von dem den Widerspruch zurücknehmenden Widerspruchsführer gewollt ist, vermag keinen Eingriff in dessen Freiheit und Eigentum darzustellen. Es bedarf daher auch keiner gesetzlichen Ermächtigung hierfür (vgl. zur Frage der Rücknehmbarkeit des Widerspruchs nach Zustellung des Widerspruchsbescheides: Allesch, Ist der Widerspruch nach Zustellung des Widerspruchsbescheides noch zurücknehmbar?, in NVwZ 2000, Seite 1227 ff.).

Somit wurde der Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 29. Juni 2007 mit am 17. Juni 2010 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben des Herrn Dr. St wirksam zurückgenommen. Der Ausgangsbescheid ist damit im Sinne des § 77 SGG bestandskräftig geworden, so dass gemäß § 78 SGG das Vorverfahren als Klagevoraussetzung fehlte und die Klage unzulässig geworden ist.

Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die Klage – ihre Zulässigkeit unterstellt – auch unbegründet wäre: Die Beklagte hat durch den angefochtenen Bescheid vom 29. Juni 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. März 2009 zu Recht eine Anpassung des Individualbudgets der Klägerin vorgenommen.

Mit Wirkung zum 1. Oktober 2006 trat der durch das erweiterte Bundesschiedsamt am 17. August 2006 festgesetzte Vertrag nach § 115 b Absatz 1 SGB V (Ambulantes Operieren und stationsersetzende Eingriffe im Krankenhaus – AOP-Vertrag) in Kraft. Auf der Grundlage dieses Vertrags werden die Leistungen des ambulanten Operierens von den Krankenkassen extrabudgetär vergütet. Der vorgenannte Vertrag betrifft insbesondere die Leistungen der Abschnitte 2 und 3 des Katalogs zum AOP-Vertrag sowie Leistungen der Abschnitte 31.1. und 31.4 des EBM. Die Rechtsgrundlage für die hier vorgenommene Anpassung des klägerischen Individualbudgets ist § 9 Absatz 14 des Honorarverteilungsvertrages (HVV) der Beklagten in der ab dem 1. Juli 2007 gültigen Fassung. Nach dieser Vorschrift ist der Vorstand der Beklagten berechtigt, Individualbudgets von Amts wegen zu ändern, wenn sich aufgrund einer Rechtsänderung eine andere Berechnung des Individualbudgets ergibt. Der am 17. August 2006 durch das erweiterte Bundesschiedsamt festgesetzte Vertrag nach § 115 b Absatz 1 SGB V ist eine Änderung im vorgenannten Sinne, die eine Bereinigung des klägerischen Individualbudgets zwingend erforderlich machte. In wirtschaftlicher Hinsicht hätte die Klägerin ohne eine Bereinigung des Individualbudgets die Möglichkeit gehabt, die von ihr vorgenommenen Leistungen zweimal abzurechnen und dementsprechend auch vergütet zu bekommen. Die Klägerin hätte entgegen der Regelung des § 85 Absatz 4 Satz 6 SGB V eine übermäßige Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit bezahlt bekommen. Die Folge wäre eine Abwertung des Individualpunktwertes gewesen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Beklagte bei der Frage einer Anpassung des Individualbudgets zutreffend von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen. Das Ermessen ist auf Null reduziert, wenn rechtlich nur eine einzige Ermessensentscheidung zulässig ist. Dies ist hier der Fall. Bei dem vom erweiterten Bundesschiedsamt festgesetzten AOP-Vertrag nach § 115 b SGB V handelt es sich um einen Normenvertrag, der von allen Beteiligten – also auch der Beklagten – zwingend zu beachten ist. Der AOP-Vertrag sieht zwingend vor, dass Leistungen nach § 115 b SGB V zu einem feststehenden Punktwert ohne jegliche Budgeteinschränkung honoriert werden müssen. Das Morbiditätsrisiko wird in diesem Bereich auf die Krankenkassen übertragen. Da die budgetierte Gesamtvergütung von dem AOP-Vertrag nicht betroffen sein soll, hat eine Bereinigung der Gesamtvergütung auf der Basis der im Jahre 2005 in diesem Leistungsbereich abgerechneten Leistungen zu erfolgen. Die Gesamtvertragsparteien bestimmen auf der Grundlage des Jahres 2005 die Bereinigung der Gesamtvergütung (vgl. § 7 Absatz 1 Satz 4 AOP-Vertrag).

Soweit die Klägerin bestreitet, dass es sich bei dem Vertrag nach § 115 b SGB V um eine Rechtsänderung handelt, die eine andere Berechnung des Individualbudgets rechtfertigt, so ist auf Folgendes hinzuweisen: Der AOP-Vertrag wurde durch das erweiterte Bundesschiedsamt nach § 115 b Absatz 3 SGB V festgesetzt. Die Festsetzung besitzt aufgrund des mit ihr verbundenen Eingriffs in die Vertragskompetenz Regelungsqualität und stellt gegenüber der Klägerin einen Normenvertrag dar. Ein solcher Normenvertrag verpflichtet nicht nur die unmittelbar an diesem Vertrag beteiligten Parteien, sondern bindet auch diejenigen Personen, die nicht am Vertragsschluss mitgewirkt haben. Im Verhältnis zu diesen Personen, zu denen die Vertragsärzte zu zählen sind, wirken diese Verträge wie Rechtsnormen und binden sie unabhängig von deren Zustimmung.

Der Auffassung der Klägerin, es läge ein Verstoß gegen § 35 SGB X vor, kann nicht gefolgt werden. Gemäß § 35 Absatz 1 SGB X ist ein schriftlicher Verwaltungsakt mit einer Begründung zu versehen (Satz 1). In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben (Satz 2). Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist (Satz 3 der Vorschrift). 35 Absatz 1 SGB X verlangt nicht, schriftliche Verwaltungsakte in allen Einzelheiten zu begründen. Vielmehr sind dem Betroffenen nur die wesentlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Dabei richten sich Inhalt und Umfang der notwendigen Begründung nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebiets und nach den Umständen des einzelnen Falles. Die Begründung braucht sich nicht ausdrücklich mit allen in Betracht kommenden Umständen und Einzelüberlegungen auseinanderzusetzen. Es reicht aus, wenn dem Betroffenen die Gründe der Entscheidung in solcher Weise und in solchem Umfang bekannt gegeben werden, dass er seine Rechte sachgemäß wahrnehmen kann. Die Verwaltung darf sich deshalb auf die Angabe der maßgebend tragenden Erwägungen beschränken und braucht Gesichtspunkte und Umstände, die auf der Hand liegen oder dem Betroffenen bekannt sind, nicht nochmals ausführlich zu erörtern. Die Anforderungen an die Darlegungen und Berechnungen dürfen insbesondere auch im Vertragsarztrecht nicht überspannt werden. Denn bei ihnen kommt dem Umstand Bedeutung zu, dass sie sich an einen sachkundigen Personenkreis richten, der mit den Voraussetzungen des betreffenden Verfahrensgegenstandes grundsätzlich vertraut ist bzw. zu dessen Pflichten es gehört, über die Grundlagen der Regelungsgegenstände Bescheid zu wissen. (vgl. BSG, Urteil vom 9. Dezember 2004, zitiert nach Juris, Rdnr. 32 f., mit weiteren Nachweisen).

Diesen Voraussetzungen genügen die angefochtenen Bescheide der Beklagten. Die Begründungen enthalten alle wesentlichen Faktoren: Ausführungen dahingehend, aus welchen Gründen das Individualbudget angepasst werden musste, die von der Anpassung betroffenen Leistungen, die zugrunde gelegten Basisquartale, der für die Anpassung maßgebliche Berechnungsvorgang sowie die errechneten Abzüge.

Schließlich steht der Rechtmäßigkeit einer Anpassung des Individualbudgets der Klägerin auch nicht entgegen, dass bereits das Regelungskonzept der Individualbudgets in den streitgegenständlichen Quartalen III/2007 bis IV/2008 rechtswidrig gewesen wäre. Die Kammer hält das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. März 2010 in dem Verfahren B 6 KA 43/08 R, das zu den Honorarverteilungsregelungen des Bezirks der Kassenärztlichen Vereinigung Nord-Württemberg ergangen ist, im Ergebnis nicht auf die in den beiden genannten Quartalen geltenden Honorarverteilungsregelungen im Bezirk der Beklagten übertragbar. Die für den streitgegenständlichen Zeitraum geltenden Honorarverteilungsregelungen der Beklagten verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf das Urteil der Kammer vom 17. November 2010, Az. S 71 KA 12/09 verwiesen (in Juris veröffentlicht). Die Kammer hat dort ausgeführt, dass die Honorarverteilungsregelungen, die die Beklagte und die Krankenkassen vereinbart hatten, zwar nicht den Vorgaben des § 85 Absatz 4 Satz 7 SGB V entsprachen, wonach in der Honorarverteilung insbesondere arztgruppenspezifische Grenzwerte festzulegen sind, bis zu denen die von einer Arztpraxis erbrachten Leistungen mit festen Punktwerten zu vergüten sind (Regelleistungsvolumina). Die Honorarverteilungsregelungen erfüllten jedoch die Voraussetzungen der Übergangsregelung in Teil III Nr. 2.2. des Beschlusses des Bewertungsausschusses vom 29. Oktober 2004, da bisherige Steuerungsinstrumente fortgeführt wurden, deren Auswirkungen mit den Vorgaben des § 85 Absatz 4 SGB V vergleichbar sind.

Auch das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg vertritt im Ergebnis die Auffassung, dass das Regelungskonzept der Individualbudgets – jedenfalls insoweit, wie es in den bis zum Quartal IV/2006 geltenden Honorarverteilungsregelungen im Bezirk der Beklagten seinen Niederschlag gefunden hat – rechtmäßig ist. Das LSG geht davon aus, dass diese Regelungen zumindest wegen der unter III. 2. 2. des oben genannten Beschlusses des Bewertungsausschusses vorgesehenen Übergangsbestimmung nicht zu beanstanden sind und die Beklagte mit den Individualbudgets ein Steuerungselement verwendet hat, das in seinen Auswirkungen mit der gesetzlichen Regelung in § 85 Absatz 4 SGB V vergleichbar ist (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. November 2010, Az. L 7 KA 162/07).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Absatz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtskraft
Aus
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