S 111 P 550/10 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
111
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 111 P 550/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antragsgegner wird verpflichtet, es vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu unterlassen, auf einer in seinem Auftrag vom AOK Bundesverband im Internet unter http://www.aok-pflegheimnavigator.de betriebenen Seite zu behaupten, in der von der Antragstellerin betriebenen Einrichtung D sei die Leistung in Bezug auf einen Risikofaktor: "Dekubitus – Wird Dekubitus vermieden?" mit mangelhaft zu bewerten. Der Antragsgegner wird verpflichtet, es vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu unterlassen, auf einer in seinem Auftrag vom AOK Bundesverband im Internet unter http://www.aok-pflegheimnavigator.de betriebenen Seite zu behaupten, in der von der Antragstellerin betriebenen Einrichtung D sei die Leistung in Bezug auf einen Risikofaktor: "Kontraktur – Werden Kontrakturen vermieden" mit mangelhaft zu bewerten. Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen. Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten je zur Hälfte. Der Streitwert wird auf 5000,- festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsgegner berechtigt ist, Prüfergebnisse des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) auf der Internetseite http://www.aok-pflegheimnavigator.de zusätzlich zu der sonst üblichen Form der Veröffentlichung mit einer Sortierung nach Risikofaktoren darzustellen.

Die Antragstellerin betreibt insgesamt 6 stationäre Pflegeeinrichtungen, zu denen auch das D gehört. Am 3. Mai 2010 führte der MDK bei der Antragstellerin eine Qualitätsprüfung durch. Die Ergebnisse dieser Prüfung wurden in einem Transparenzbericht niedergelegt (vgl Anlage 2 der Antragsschrift). Das Gesamtergebnis lautet 2,8 (befriedigend). Auf der Internetseite http://www.aok-pflegheimnavigator.de können über den Transparenzbericht hinaus über eine Sortierung u. a. nach den Kriterien

- Dekubitus – wird Dekubitus vermieden? - Kontraktur – werden Kontrakturen vermieden?

Erkenntnisse darüber gewonnen werden, an welcher Stelle – nach den genannten Kriterien – die jeweilige Einrichtung in der Rangfolge steht (vgl Anlage 4 und 5 der Antragsschrift).

Die Antragstellerin trägt vor, sie habe den Antragsgegner mit Schreiben vom 11. Oktober 2010 aufgefordert, diese Form der Veröffentlichung zu unterlassen, was dieser abgelehnt habe, weswegen der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt worden sei. Der Antragsgegner, der die Daten an die vom AOK – Bundesverband betriebene Internetseite weitergegeben habe, habe hierzu kein Recht, da die Vereinbarung nach § 115 Abs. 1a Satz 6 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) über die Kriterien der Veröffentlichung sowie die Bewertungssystematik der Qualitätsprüfung der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung sowie gleichwertiger Prüfergebnisse in der stationären Pflege (PTVS) diese Form der Veröffentlichung nicht zulasse. Es gebe auch Zweifel an der Verfassungsgemäßheit der PTVS, da wesentliche Dinge wie z.B. die Verwendung eines Schulnotensystems, nicht in einem Gesetz geregelt worden sei. Die vom Antragsgegner auf der Internetseite veröffentlichten Aussagen über die Antragstellerin, diese gehöre hinsichtlich des Risikos von "Dekubitus" zu den 26 schlechtesten Einrichtungen und hinsichtlich des Risikos von "Kontrakturen" zu den 39 schlechtesten Einrichtungen von insgesamt 104 Einrichtungen der vollstationären Pflege sei falsch und unzulässig, denn in der PTVS werde der Erfolg nicht bewertet. Der Antragsgegner verstoße mit der Art der Darstellung gegen das Gebot der Vergleichbarkeit der Bewertungen und die gegenüber den Landesverbänden bestehende Pflicht zum gemeinschaftlichen Handeln, wie sich aus § 81 SGB XI ergebe. Danach bestehe ein Anordnungsanspruch.

Angesichts eines bestehenden Anordnungsanspruchs seien an die Eilbedürftigkeit geringere Anforderungen zu stellen und im Wege der Folgenabwägung zu bejahen.

Die Antragstellerin beantragt,

1. der Antragsgegner wird vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, es zu unterlassen, über eine vom AOK Bundesverband in seinem Auftrag betriebene Internetplattform den Wettbewerb zwischen dem von der Antragstellerin betriebenen D. und mit ihr in B konkurrierenden Pflegeeinrichungen durch eine von der in der PTVS vereinbarten Darstellungsform abweichenden Darstellung unter Einbeziehung zusätzlicher Ebenen und Einfügung zusätzlicher in der PTVS nicht vereinbarter Kriterien zu verzerren und den AOK Bundesverband anzuweisen, sich bei der Veröffentlichung auf die Wiedergabe des nach Maßgabe der PTVS erstellten Transparenzberichtes zu beschränken,

hilfsweise es zu unterlassen, über eine vom AOK Bundesverband in seinem Auftrag betriebene Internetplattform Aussagen über die Einhaltung der Risikofaktoren "Dekubitus – wird Dekubitus vermieden?", "Sturz – werden Stürze vermieden?" und "Kontraktur – werden Kontrakturen vermieden?" durch die Einrichtung A-M und anderer mit ihr in B konkurrierender Pflegeheime zu treffen.

2. der Antragsgegner wird verpflichtet, es vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu unterlassen, auf einer in seinem Auftrag vom AOK Bundesverband im Internet unter http://www.aok-pflegheimnavigator.de betriebenen Seite zu behaupten, in der von der Antragstellerin betriebenen Einrichtung D sei die Leistung in Bezug auf einen Risikofaktor: "Dekubitus – Wird Dekubitus vermieden?" mit mangelhaft zu bewerten.

3. der Antragsgegner wird verpflichtet, es vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu unterlassen, auf einer in seinem Auftrag vom AOK Bundesverband im Internet unter http://www.aok-pflegheimnavigator.de betriebenen Seite zu behaupten, in der von der Antragstellerin betriebenen Einrichtung D sei die Leistung in Bezug auf einen Risikofaktor: "Kontraktur – Werden Kontrakturen vermieden" mit mangelhaft zu bewerten.

4. der Antragsgegner wird verpflichtet, es vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu unterlassen, die Übermittlung von im Verfahren nach § 114, § 114 a und § 115 SGB XI gewonnenen und sich auf Pflegeeinrichtungen in Berlin und Brandenburg beziehenden Daten an den AOK Bundesverband einzustellen und diesem die Nutzung der bereits übermittelten Daten zu untersagen, bis die Einhaltung der in den Anträgen 1 -3 geltend gemachten Ansprüche sichergestellt ist.

Der Antragsgegner beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Er trägt vor, das Gesetz gebe keine abschließenden Vorgaben vor und die PTVS stelle keine abschließende Regelung dar. Die Veröffentlichung unterliege dem Gestaltungsermessen der Landesverbände, was sich bereits aus § 115 Abs. 1a Satz 1 SGB XI ergebe, wonach die Landesverbände der Pflegekassen sicher stellten, dass die Leistungen und deren Qualität übersichtlich und vergleichbar sowohl im Internet als auch in anderer geeigneter Form kostenfrei veröffentlicht würden. Dürfe danach außerhalb des Internets in geeigneter Form veröffentlicht werden, müsse dies auch für das Internet gelten. Die Sortierung nach besonderen Risikofaktoren wie "Dekubitus" und "Kontrakturen" diene der Verständlichkeit und Benutzerfreundlichkeit angesichts der vielfältigen Daten zu 12.000 Pflegeheimen und folge wissenschaftlichen Erkenntnissen bezüglich besonderer Risiken für Pflegebedürftige. Grundlage für die Angaben zu dem Risikofaktor "Dekubitus" seien die im Transparenzberichtskriterium 7 niedergelegten Ergebnisse. Danach habe bei 3 von 5 zu prüfenden Pflegebedürftigen nachweislich keine Dekubitusprophylaxe stattgefunden. Grundlage für die Angaben zu dem Risikofaktor "Kontrakturen" seien die niedergelegten Ergebnisse des Kriteriums 28, wonach bei 2 von 5 Pflegebedürftigen keine Kontrakturprophylaxe durchgeführt worden sei. Eine Abstimmung hinsichtlich der von ihr vorgenommenen Hinweis- und Sortierfunkion müsse mit den Landesverbänden nicht erfolgen. Im Übrigen fehle aber auch ein Anordnungsgrund, denn es sei nicht ersichtlich, dass der Antragstellerin ein Abwarten des Hauptverfahrens nicht zumutbar sein solle. Insbesondere sei keine konkrete Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz erkennbar.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach – und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst ihrer Anlagen verwiesen.

II.

Die Anträge zu 1) und 4) sind bereits unzulässig. Ein Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin, unabhängig von ihrer persönlichen Betroffenheit ein grundsätzliches Gebot zu erreichen, dass die Internetseite ausschließlich so gestaltet wird wie es die PTVS regele bzw. für Pflegeeinrichtungen in Berlin und Brandenburg tätig zu werden, ist nicht erkennbar.

Die Anträge der Antragstellerin zu 2) und 3) sind begründet. Rechtsgrundlage für die Unterlassungsansprüche ist § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –. Voraussetzung für die so genannte Regelungsanordnung ist, dass sowohl ein Anordnungsanspruch (materiellrechtlicher Leistungsanspruch) als auch ein Anordnungsgrund (die besondere Eilbedürftigkeit) hinreichend glaubhaft gemacht werden (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung).

Nach § 115 Abs. 1 a Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) haben die Landesverbände der Pflegekassen sicherzustellen, dass die von Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität, insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen verständlich, übersichtlich und vergleichbar sowohl im Internet als auch in anderer geeigneter Form kostenfrei veröffentlich werden. Hierbei sind die Ergebnisse der Qualitätsprüfung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung sowie gleichwertige Prüfungsergebnisse nach § 14 Abs. 3 und 4 zugrunde zu legen.

Nach Satz 6 des § 115 Abs. 1 a SGB XI sind die Kriterien der Veröffentlichung einschließlich der Bewertungssystematik durch den Spitzenverband Bund der Pflegekassen, die Vereinigung der Träger der Pflegeeinrichtungen auf Bundesebene, die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände bis zum 30. September 2008 unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkasse zu vereinbaren. Eine solche Vereinbarung liegt in Form der Pflegetransparenzvereinbarung stationär (PTVS) vom 17. Dezember 2008 mit den dazugehörigen Anlagen1 (Kriterien der Veröffentlichung), Anlage 2 (Bewertungssystematik), Anlage 3 (Ausfüllanleitung für den Prüfer) und Anlage 4 (Darstellung der Prüfergebnisse) vor.

Nach § 5 Satz 1 PTVS werden die Prüfergebnisse bundesweit einheitlich auf zwei Darstellungsebenen veröffentlicht. Auf der 1. Darstellungsebene erscheinen die Prüfergebnisse der Qualitätsbereiche, das Gesamtergebnis sowie mögliche Ergebnisse gleichwertiger Prüfungen. Nach Satz 2 werden die Prüfergebnisse auf der 2. Darstellungsebene zu den einzelnen Bewertungskriterien dargestellt. Satz 3 bestimmt, dass weitere Einzelheiten zu den weiteren Angaben sowie zu deren Anordnung sich aus der Anlage 4 der PTVS ergeben.

Hieraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber den nach Satz 6 des § 115 Abs. 1 a SGB XI genannten Beteiligten die Einzelheiten der Veröffentlichung von Qualitätsergebnissen überlassen wollte. Die Beteiligten haben hiervon Gebrauch gemacht und insbesondere nach § 5 PTVS iVm der Anlage 4 genaue Vorgaben hierzu gemacht. Diesen Vorgaben wird zwar der ebenfalls unter der Internetseite http://www.aok-pflegheimnavigator.de zu findende Transparenzbericht (vgl. Anlage 2 der Antragsschrift) gerecht, nicht jedoch die auf dieser Internetseite ebenfalls über besondere Links erreichbaren besonderen Risikofaktoren, die in den Bereichen "Dekubitus – wird Dekubitus vermieden" und "Kontraktur – werden Kontrakturen vermieden" für die Antragstellerin mit 5,0 (mangelhaft) bewertet und die Antragstellerin in einer entsprechend schlechten Rangfolge gelistet ist. Dies haben die Vertragspartner in der PTVS eindeutig nicht vereinbart. Entgegen der Darstellung des Antraggegners handelt es sich auch nicht nur um eine benutzerfreundliche Handhabung, die von den Vorgaben des Gesetzes und der PTVS gedeckt ist, sondern um eine eigenständige Wertung unter Herstellung einer Rangordnung. Ob diese sinnvoll ist, kann hier dahingestellt bleiben, denn jedenfalls haben sich die Vertragspartner der PTVS dahingehend geeinigt, dass die Ergebnisse der Qualitätsprüfungen auf zwei Darstellungsebenen entsprechend der verbindlichen Muster 1 und 2 dargestellt werden (vgl. Anlage 4 1. Satz). Diese Muster entsprechen dem Transparenzbericht, wie er in der Anlage 2 der Antragsschrift eingereicht wurde, nicht aber den vom Antragsgegner hinzugefügten Bewertungen nach besonderen Risikofaktoren. Dem Antragsgegner ist daher vorläufig zu untersagen, die mangelhaften Bewertungen zu den Bereichen "Dekubitus" und "Kontrakturen" weiter zu veröffentlichen.

Angesichts eines bestehenden Anordnungsanspruchs sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund gering, so dass dieser zu bejahen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §§ 197 a SGG, 155 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197 a SGG i.V.m. §§ 53 Abs. 2 Nr. 4 und 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz.
Rechtskraft
Aus
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