S 70 AL 4654/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
70
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 70 AL 4654/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung.

Der 1977 geborene Kläger war seit dem 01.10.2007 bei der Universität P als wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäftigt. Sein befristetes Arbeitsverhältnis wurde mehrfach verlängert, zuletzt durch Vertrag vom 09.02.2010 bis zum 30.09.2010. Er meldete sich am 05.07.2010 bei der Beklagten arbeitsuchend. Später meldete er sich zum 01.10.2010 arbeitslos, wobei er gleichzeitig die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwalt im Umfang von 14 Wochenstunden angab.

Durch Bescheid vom 05.10.2010 stellte die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit im Zeitraum 01.10.2010 bis 07.10.2010 fest. Nach § 38 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) sei der Kläger verpflichtet gewesen, sich drei Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden. Dieser Pflicht sei er durch die persönliche Meldung vom 05.07.2010 nicht nachgekommen.

Gegen den Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 17.10.2010 Widerspruch ein. Er wandte ein, dass er sich im Anschluss an seine Beschäftigung als Rechtsanwalt selbständig gemacht habe. Nach Punkt 9.6 Buchst. b) der Durchführungsanweisungen zu § 144 SGB III läge daher ein wichtiger Grund für die verspätete Arbeitsuchendmeldung vor. Eine Meldung bereits am 01.07.2010 hätte nicht dazu geführt, dass eine berufliche Integration gleich im Anschluss an seine Tätigkeit bei der Universität P hätte realisiert werden können.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.2010 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die Beklagte führte darin aus, ein wichtiger Grund für das Meldeversäumnis sei nicht erkennbar. Es sei nicht ersichtlich geworden, dass die frühzeitige Arbeitsuchendmeldung mit Kenntnis der Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem Kläger nicht zumutbar gewesen wäre.

Der Kläger hat am 29.11.2010 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben und verfolgt sein Begehren weiter. Er führt ergänzend zur Klagebegründung an: Nach den erwähnten Durchführungsanweisungen der Beklagten läge ein wichtiger Grund für die verspätete Arbeitssuchendmeldung vor. Wenn man als wichtigen Grund nur die Aufnahme einer selbständigen von mindestens 15 Wochenstunden und damit den Nichteintritt von Arbeitslosigkeit verlangen würde, hätte der Ausschlussgrund nach Nr. 9.6 Buchst. b) der Durchführungsanweisungen praktisch keinen Anwendungsbereich. Die Beklagte sei verpflichtet, die Anweisungen, die keine Einschränkung hinsichtlich des Umfangs der selbständigen Tätigkeit enthielten, einheitlich anzuwenden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2010 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum 01. Oktober 2010 bis zum 07. Oktober 2010 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide und verweist zur Begründung auf diese. Ergänzend weist sie darauf hin, dass der Kläger eine selbständige Tätigkeit von unter 15 Wochenstunden aufgenommen habe und damit die Nebentätigkeit kein wichtiger Grund für die verspätete Arbeitsuchendmeldung sei.

Bezüglich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die vorliegende Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der angefochtene Sperrzeitbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum 01.10.2010 bis 07.10.2010, da eine Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung eingetreten ist.

Die Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit liegen zur Überzeugung der Kammer vor. Nach § 144 Abs. 1 S. 1 SGB III ruht der Arbeitslosengeldanspruch für die Dauer einer Sperrzeit, wenn der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Ein versicherungswidriges Verhalten liegt u. a. vor, wenn der Arbeitslose seiner Meldepflicht nach § 38 Abs. 1 SGB III nicht nachgekommen ist (Sperrzeit bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung, § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 SGB III). Personen, deren Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis endet, sind gem. § 38 Abs. 1 S. 1 SGB III verpflichtet, sich spätestens drei Monate vor dessen Beendigung persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden.

Die Beteiligten sind sich einig, dass der Tatbestand eines versicherungswidrigen Verhaltens durch eine verspätete Arbeitsuchendmeldung des Klägers erfüllt ist. Auch die Kammer hat insoweit keine Zweifel. Dem Kläger war aufgrund der Vertragsverlängerung vom 09.02.2010 bekannt, dass sein Arbeitsverhältnis zum 30.09.2010 endet. Daher war er verpflichtet, sich spätestens Ende Juni 2010 bei der Beklagten arbeitsuchend zu melden. Diese Verpflichtung hat er verletzt, indem er sich erst am 05.07.2010 arbeitsuchend gemeldet hat.

Entgegen der Ansicht des Klägers liegt hier kein wichtiger Grund für die verspätete Arbeitsuchendmeldung vor. Ein wichtiger Grund ist gegeben, wenn es dem Arbeitslosen unmöglich oder unzumutbar war, sich frühzeitig zu melden (Winkler in: Gagel, SGB III, § 144 Rn. 203). Als Beispiele für einen wichtigen Grund werden die Unkenntnis der Meldepflicht, eine Krankheit oder der Abschluss eines Anschlussarbeitsverhältnisses genannt (vgl. Niesel in: Niesel, SGB III, 4. Aufl., § 144 Rn. 138).

Dem Kläger war die Meldepflicht offensichtlich bekannt. Zur Begründung des Meldeversäumnisses macht er die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit geltend. Die beabsichtigte Aufnahme einer geringfügigen Nebentätigkeit von unter 15 Wochenstunden führt aber weder zur Unmöglichkeit noch zur Unzumutbarkeit der rechtzeitigen Arbeitsuchendmeldung. Da in diesem Fall die Arbeitslosigkeit und damit die Notwendigkeit einer frühzeitigen Vermittlung, die durch die Meldepflicht nach § 38 SGB III gewährleistet werden soll, weiterhin bestehen, kann eine Unzumutbarkeit nicht festgestellt werden. Die Annahme der Unzumutbarkeit würde in diesen Fällen bedeuten, dass die Pflicht zur frühzeitigen Arbeitsuchendmeldung leer läuft, obwohl - ebenso wie in anderen Fällen von Arbeitslosigkeit - ein Vermittlungsbedarf nach wie vor besteht. Es ist insoweit auch keine Vergleichbarkeit mit dem Eingehen eines (nicht geringfügigen) Anschlussarbeitsverhältnisses gegeben, da im letzteren Fall der Eintritt von Arbeitslosigkeit vermieden wird.

Ob die Durchführungsanweisungen (Ziff. 9.6 zu § 144 bzw. Rn. 144.120b) der Beklagten hier zur Frage des wichtigen Grundes etwas anderes regeln, kann dahinstehen. Denn es handelt sich dabei um Verwaltungsvorschriften, die als "Binnenrecht" nur innerhalb der Behörde und nicht gegenüber dem Gericht Bindungswirkung entfalten können (vgl. BSG, Urteil v. 27.08.2009, B 13 R 121/08 R, zitiert nach juris Rn. 51). Die Kammer weist insoweit aber darauf hin, dass der Kläger hierbei anscheinend einem Missverständnis unterliegt. Mit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit als Beispiel für einen wichtigen Grund ist bei Rn. 144.120b zu § 144 SGB III offensichtlich der Fall der Aufnahme einer hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit gemeint, die den Eintritt von Arbeitslosigkeit verhindert. Dies ergibt sich insbesondere aus dem dort genannten Beispiel zu "a)" sowie beim Vergleich mit den weiteren dort aufgeführten Fällen einer Unzumutbarkeit (z. B. Ableisten von Wehr- oder Zivildienst, Beginn einer Aus- oder Weiterbildung). Es handelt sich jeweils um Sachverhalte, die typischerweise dem Eintritt von Arbeitslosigkeit entgegenstehen.

Ein wichtiger Grund kann schließlich auch nicht darin gesehen werden, dass der Kläger irrtümlich vom Vorliegen eines wichtigen Grundes ausgegangen ist. Die Voraussetzungen für den wichtigen Grund müssen vielmehr objektiv vorliegen, daher ist die irrtümliche Bewertung eines Sachverhalts als wichtiger Grund insoweit nicht beachtlich (BSG, Urteil v. 29.11.1989, 7 RAr 86/88, zitiert nach juris Rn. 30 = NZA 1990, 628; BSG, Urteil v. 13.03.1997, 11 RAr 25/96 = NZS 1997, 583). Im Übrigen hätte der Kläger seinen Irrtum ohne weiteres vermeiden können, wenn er sich rechtzeitig von der Beklagten beraten lassen hätte.

Somit liegt ein wichtiger Grund nicht vor. Der Sperrzeitbescheid ist nicht zu beanstanden. Nach alledem war die Klage daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Berufung gegen dieses Urteil ist nicht kraft Gesetzes zulässig. Die Kammer hat die Berufung aber wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, da obergerichtliche Rechtsprechung zu einigen hier aufgeworfenen Rechtsfragen, die über den Einzelfall hinaus von Bedeutung sein dürften, nicht vorliegt (vgl. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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