S 58 AL 1308/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
58
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 58 AL 1308/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 17.12.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.3.2011 verurteilt, die Kosten für die Fahrt zur Vertragsunterzeichnung am 7.1.2010 (218 EUR) zu übernehmen. Die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 5.4. und 22.6.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.6.2011 verurteilt, die Kosten für die Fahrt zum Arbeitantritt am 31.1.2010 (116,60 EUR) zu übernehmen. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 17.12.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.3.2011 verurteilt, den Antrag auf Übernahmen der Kosten für drei Fahrten mit dem PKW B –K (699,60 EUR) ermessensgerecht zu bescheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten.

Tatbestand:

Streitig sind Leistungen aus dem Vermittlungsbudget wegen einer auswärtigen Arbeitsaufnahme.

Der in Berlin lebenden Klägerin war es gelungen, bei der ARGE Köln eine befristete Anstellung zu finden. Die zur Anbahnung der Beschäftigung entstandenen Aufwendungen (Fahrkosten zum Vorstellungsgespräch, Beihilfe wegen Bezug einer zweiten Wohnung in K ) waren von der Beklagten auf einen Antrag der Klägerin vom 16.12.2009 und 1.1.2010 im Rahmen der Förderrichtlinien zu § 45 SGB III übernommen worden.

Zu einer Übernahme der Fahrkosten zur Unterzeichnung des Arbeitsvertrages am 7.1.2010 und der Kosten für drei Fahrten mit dem Privat-PKW der Klägerin zum Transport von Wäsche und Kleinmöbeln von B nach K ist die Beklagte nicht bereit; die Vertragsunterzeichnung hätte auch am Tag des Arbeitsantritts oder auf dem Postweg erfolgen können; Transportfahrten seien keine Leistungen aus dem Vermittlungsbudget (Bescheid vom 17.12.2010, bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom 25.3.2011).

Hiergegen richtet sich die am 23. April 2011 beim Sozialgericht Berlin erhobene Klage, in deren Verlauf die Beklagte einen weiteren Förderantrag der Klägerin (Übernahme der Fahrkosten zum Arbeitsantritt am 31.1.2010) abschlägig beschied (Bescheid vom 5.4.2011, Änderungsbescheid vom 22.6.2011, bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom 23.6.2011).

Die Beklagte stellt rückwirkend die gesamte Förderung in Frage; es habe an der Voraussetzung gefehlt, dass die Arbeitsaufnahme ohne Unterstützung aus dem Vermittlungsbudget nicht erfolgt wäre (fehlende Kausalität). Dies sei aus der Einreichung der Unterlagen zur Kostenerstattung erst im Juli 2010 zu schließen.

Die Klägerin macht unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung geltend, sie habe die erheblichen Aufwendungen nur aufbringen können, weil ihr Vater – im Vertrauen auf eine Förderung nach § 45 SGB III – mit Geldmitteln in Vorleistung gegangen sei. Sie müsse dieses Geld zurückzahlen.

Ihr sei die Obliegenheit zu einer kostensparsamen Planung der Arbeitsaufnahme bewusst gewesen. Sie habe sich auch daran orientiert. Die ARGE Köln habe aber einen Vertragsschluss vor Arbeitsbeginn verlangt, um später keine Probleme mit der Befristung der Stelle zu bekommen. Sie habe diesen Termin zugleich zur Besichtigung einer Wohnung genutzt.

Die im Antrag als "Heimfahrt" bezeichneten Fahrten seien zur Einrichtung der Wohnung nötig gewesen. Sie könnten jedenfalls nach § 81 SGB III analog als Heimfahrten gefördert werden.

Die Klägerin beantragt,

1) die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.12.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.3.2011 zu verurteilen, die Kosten für die Fahrt zur Vertragsunterzeichnung am 7.1.2010 (218 EUR) und für drei Fahrten mit dem PKW ( 699,60 EUR) zu übernehmen;

2) die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 5.4. und 22.6.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.6.2011 zu verurteilen, die Kosten für die Fahrt zum Arbeitantritt am 31.1.2010 (116,60 EUR) zu übernehmen.

Die Beklagtenvertreterin beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ergänzend wird zum übrigen Sach- und Streitstand auf die zwischen den Beteiligten gewech- selten Schriftsätze sowie die beigezogene Leistungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist insgesamt zulässig. Denn nach Bescheidung des Antrags auf Übernahme der Kosten für die Fahrt zum Arbeitsantritt konnte die Klägerin ihren ursprünglichen Antrag auf Bescheidung auf einen Anfechtungs- und Verpflichtungsantrag umstellen (§ 99 Abs. 3 SGG). Im Übrigen ist die Klagerweiterung auch sachdienlich.

Die Klage ist auch weitgehend begründet: Für die Fahrten zur Vertragsunterzeichnung und zum Arbeitsantritt hat sich der Förderanspruch der Klägerin auf eine volle Kostenübernahme verengt; jede andere Entscheidung wäre ermessensfehlerhaft.

Die Transportfahrten können zwar als Leistungen aus dem Vermittlungsbudget übernommen werden, die Höhe der Förderung steht aber im Ermessen der Beklagten, dem das Gericht nicht vorgreifen darf. Insoweit war die Beklagte zu einer ermessensgerechten Bescheidung zu verurteilen.

Im Einzelnen:

Im Ausgangspunkt weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass nach § 45 SGB III, wie früher schon zu den Mobilitätshilfen nach den §§ 53 und 54 SGB III, nur die zur Aufnahme der Beschäftigung "notwendigen" Leistungen übernommen werden können. So wäre z. B. keine Kostenübernahme notwendig, wenn die ARGE Köln arbeitslosen Bewerbern die Fahrkosten erstatten würde.

Die Kausalität zwischen Arbeitsaufnahme und Förderleistung kann aber nicht so ausgelegt werden, dass vom Arbeitslosen der Nachweis verlangt wird, dass er ohne finanzielle Unterstützung die Arbeit hätte absagen müssen. Abgesehen davon, dass ein solcher Nachweis praktisch nur bei weitgehender Mittellosigkeit geführt werden könnte, was in § 45 SGB III nicht hineingelesen werden kann (Bewerbungskosten könnten dann praktisch nie gewährt werden), genügt die substantiierte Erklärung des Arbeitslosen, dass er weder von dem Anfangsgehalt der neuen Stelle noch mit einer sonstigen Unterstützung die Ausgaben im Zusammenhang mit der Arbeitsaufnahme tragen kann und diese Ausgaben erheblich sind, was hier auf der Hand liegt.

Zu Recht hatte die Beklagte daher einen Teil der Aufwendungen übernommen. Die glücklicherweise daran anknüpfenden Folgekosten wegen der Einstellung können dann nur bei einem Verstoß gegen den auch im Sozialrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben mit dem Argument zu Fall gebracht werden, rückblickend habe es an der Notwendigkeit der Förderung gefehlt.

Dazu hat die Beklagte nur das unbeachtliche Argument der späten Einsendung der Kostenauflistung vorgebracht. Es müsste der Beklagten bekannt sein, dass bei rechtzeitiger Antragstellung der Rücklauf eines Formulars keine Auswirkung auf den Anspruch hat. Dies hat das BSG sogar bei Leistungen zum aktuellen Lebensunterhalt nach §§ 20, 22 SGB II bejaht (Urteil vom 28.10.2009 – B 14 AS 56/08 R). Erst recht gilt das für die hier anstehenden Leistungen. Mutmaßungen über versteckte Geldquellen hat die Klägerin mit Verweis auf das Darlehen entkräftet, überdies findet bei Entscheidungen über Leistungen aus dem Vermittlungsbudget nach § 45 SGB III für SGB III-Leistungsberechtigte keine SGB II-Analoge Bedürftigkeitsprüfung statt.

Das Gericht hat somit keinen Zweifel daran, dass die Beklagte die Bewerbung der Klägerin auf die Stelle zu Recht gefördert hatte; dann ist aber die Förderung des Vertragsschlusses und der Fahrt zum tatsächlichen Arbeitsantritt nur konsequent. Da die ARGE Köln keine Unterstützung gibt, war die Beklagte auf den Antrag der Klägerin zu einer Entscheidung über den rechtzeitig gestellten Antrag verpflichtet.

Der Rechtsanspruch der Klägerin auf ermessensgerechte Bescheidung hat sich angesichts der rechtmäßigen Förderung der Arbeitsanbahnung und der unveränderten finanziellen Situation der Klägerin bei Abschluss des Vertrages und bei Arbeitsbeginn am 1.2.2010 auf einen Förderanspruch (Ermessenreduktion auf Null) verengt. Denn hinsichtlich der Fahrt zur Vertragsunterzeichnung hat die Klägerin dargelegt, dass die ARGE Köln wegen der seinerzeit beim BAG anhängigen Verfahren (7 AZR 728/09, am 9.3.2011 entschieden) auf einen Vertragsabschluss vor Arbeitsbeginn bestanden habe. Eine Zusendung des Arbeitsvertrages ist unüblich. Im Übrigen muss hier angemerkt werden, dass es Sache der ARGE gewesen wäre, arbeitslosen Bewerbern durch das Angebot einer Zusendung des Vertrages Kosten zu ersparen. Der Bewerber wird schon aus Angst um die Stelle keine Forderungen an den künftigen Arbeitgeber stellen. Käme es deshalb zu keiner Einstellung, müsste er gar mit einer Sperrzeit rechnen.

Das Argument, die Klägerin könne die Fahrt am 31.1.2011 nicht als Fahrt zum Arbeitsantritt geltend machen, weil die Arbeit am 1.2.2011 begonnen habe, ist unverständlich. Hätte die Klägerin – ohne Veränderung der Kosten – morgens um drei losfahren müssen, um eine Förderung zu erhalten?

Die Klägerin hat dargelegt, dass sie die Kosten für den Vertragsschluss am 7.1.2010 nicht geringer halten konnte. Sie sind daher komplett zu übernehmen. Die Kosten für die Fahrt zum Arbeitsantritt entsprechen den Richtlinien für die Kostenübernahme, sind also ebenfalls voll zu erstatten.

Die Transportfahrten mit dem Auto sind zwar Aufwendungen, die aus dem Vermittlungsbudget erstattet werden können. Dies ergibt sich aus dem früheren § 53 SGB III, der in § 45 SGB III aufgegangen ist. Nach § 53 SGB III a. F. konnte neben der Trennungskostenbeihilfe auch ein Umzug unterstützt werden. Zwar ist damit der Regelfall gemeint, dass nach einer vorübergehenden Phase doppelter Haushaltsführung erst ein "richtiger" Umzug stattfindet. Der gegenüber den §§ 53, 54 SGB III a. F. noch flexiblere § 45 SGB III lässt aber auch Raum für eine Hilfe zu einem Teilumzug, wenn der Grund für das Beibehalten der alten Wohnung darin liegt, dass der Arbeitgeber nur befristet einstellt und der vorübergehende Bezug einer Pension oder eines voll möblierten Zimmers nicht zugemutet werden kann, wovon die Kammer hier ausgeht. Denn die Perspektive einer Verlängerung oder gar Entfristung des Arbeitsvertrages war für die Klägerin nicht so ungewiss, dass sie sich vorerst mit einem provisorischen Pensionszimmerleben hätte begnügen müssen. Im Übrigen dürften die Kosten eines zumutbaren Pensionszimmer über denen einer günstigen Kleinwohnung oder der von der Klägerin gewählten Untermiete liegen.

Eine vom Gesetz nicht gewollte Summierung von Förderleistungen tritt dadurch nicht ein. Denn stellt sich heraus, dass die neue Arbeitsstelle Bestand hat, wird der Umzug – soweit er dann überhaupt noch förderbar ist – durch weniger Transportgut günstiger. Die der Klägerin gewährte Trennungskostenbeihilfe schließt die Förderung des Umzugs nicht aus, weil damit die Kosten für eine zweite Miete und die sonstigen Belastungen einer doppelten Haushaltsführung pauschal abgegolten werden sollen.

Allerdings hat die Beklagte bei Entscheidung über die Höhe der Förderung einen Spielraum, der für die Erwägung offen ist, dass die Kosten bei Anmieten eines Leihwagens deutlich geringer ausgefallen wären. Außerdem darf die Beklagte berücksichtigen, dass die Klägerin einen Teil der Transporte auf einen Zeitpunkt hätte legen können, zu dem sie ohnehin aus privater Veranlassung in Berlin ist. Sie hatte ein Zimmer zur Untermiete genommen, so dass davon auszugehen ist, dass z. B. Küchensachen vorhanden waren.

Der von der Klägerin herangezogene § 81 SGB III enthält keinen allgemeinen Rechtsgedanken auf Förderung von Heimfahrten, kann also keine Leistung aus dem Vermittlungsbudget begründen. Er ist eine spezielle Vorschrift im Bereich der beruflichen Weiterbildung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem überwiegenden Obsiegen der Klägerin Rechnung.

Für die Klägerin ist die Berufung bei dem streitig gebliebenen Betrag von unter 750 EUR nicht eröffnet. Die Beklagte kann das Urteil anfechten.
Rechtskraft
Aus
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