S 72 KR 900/12 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
72
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 72 KR 900/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 290/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die aufschiebende Wirkung der vor dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage S 72 KR 900/12 wird angeordnet. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Gründe:

I.

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Benennung einer Schiedsperson gemäß § 132a Absatz 2 S. 7 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).

Nachdem die zwischen den Antragstellern und der Beigeladenen bestehenden Vergütungsvereinbarungen gem. § 132a Abs. 2 S. 1 SGB V abgelaufen waren, fanden zwischen diesen Verhandlungen statt, die jedoch nicht zu einer Einigung führten. Auch über eine Schiedsperson konnten sich die Verhandlungsparteien nicht einigen.

Mit Bescheid vom 7. Mai 2012 bestimmte daraufhin der Antragsgegner Herrn H B als Schiedsperson in den jeweiligen Vertragsverhandlungen zwischen der Beigeladenen und den Antragstellern.

Hiergegen erhoben die Antragsteller unter dem 24. Mai 2012 Klage vor dem Sozialgericht Berlin (Aktenzeichen S 72 KR 900/12).

Mit auf den 21. Mai 2012 datierten Bescheid ordnete der Antragsgegner die sofortige Vollziehbarkeit des Bescheids vom 7. Mai 2012 an. Zur Begründung führte er aus, das Betreiben des Schiedsverfahrens sei wegen des langen vertragslosen Zustandes von enormer Bedeutung für die Versorgung der in häuslicher Krankenpflege zu versorgenden Menschen; insoweit sei auf die Vorträge der AAP (Arbeitsgemeinschaft Ambulante Pflege) und der Beigeladenen zu verweisen, die beide auf die Einsetzung der Schiedsperson gedrängt hätten, um eine stabilisierte Vertragslage herzustellen. Dabei gehe das öffentliche Interesse weit über das Interesse der Vollziehung des Bestimmungsbescheids hinaus. Denn eine Versorgung der Pflegebedürftigen mit häuslicher Krankenpflege unterliege auch den Anforderungen des § 12 SGB V. Für das Sozialversicherungssystem sei der Abschluss von Verträgen und damit die Normierung der Finanzierbarkeit von hoher Bedeutung. Aus diesem Grunde sei es wichtig, dass der benannte Herr B als Schiedsperson feststehe, ohne dass die Klage dessen Einsetzung aussetze, damit das Schlichtungsverfahren nicht bis zur gerichtlichen Entscheidung zum Erliegen komme; neben dem der Leistungserbringung übergeordneten Wirtschaftlichkeitsgebot i.S.d. § 12 SGB V stehe der aufschiebenden Wirkung weiterhin ein Rechtsgut von überragendem Rang entgegen. In der in § 132a Abs. 2 SGB V festgeschriebenen Pflicht zum Vertragsschluss und der dort geforderten Zwangsschlichtung habe sich der Grundsatz der Beitragsstabilität konkretisiert; die Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung gelte als Gemeinwohlaufgabe, der sich die Körperschaften des Öffentlichen Rechts nicht entziehen könnten. Die Finanzierbarkeit des Sozialversicherungssystems stelle einen überragend wichtigen Gemeinwohlbelang dar, von dem sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Systems und der damit verbundenen Steuerung des Verhaltens der Leistungserbringer leiten lassen dürfe.

Am 1. Juni 2012 stellten die Antragsteller einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage vom 24. Mai 2012. Zur Begründung ihres Antrags tragen sie wie folgt vor:

Die Bestimmung des Herrn B sei ermessensfehlerhaft erfolgt. Es sei schon nicht erkennbar, dass der Antragsgegner überhaupt ein Auswahlermessen ausgeübt habe. Er sei in der Auswahl der Schiedsperson nicht "frei", sondern bei seiner Wahl zur ordnungsgemäßen Ermessensausübung verpflichtet. Mit den Einwendungen der Antragsteller habe er sich nicht auseinandergesetzt. Es sei auch nicht erkennbar, ob er andere Personen als Schiedspersonen in Erwägung gezogen habe. Er habe allein zum Ausdruck gebracht, dass er Herrn B für geeignet halte. Damit habe er das ihm zustehende Auswahlermessen nicht ausgeübt. Weiterhin habe es der Antragsgegner versäumt, den Sachverhalt, der zu den Einwendungen geführt habe, aufzuklären und zumindest Herrn B zu den erhobenen Vorwürfen zu befragen. Er habe auch nicht berücksichtigt, dass das gerichtliche Verfahren über den streitigen Schiedsspruch des Herrn B noch nicht abgeschlossen sei.

Die Antragsteller machen weiter geltend, es bestünden berechtigte Zweifel an der fachlichen und persönlichen Eignung des Herrn B. Dieser sei aufgrund seiner Beteiligung an einem Schiedsverfahren in den Jahren 2005/2006 persönlich verklagt worden; eine auch nur mittelbare persönliche Beteiligung eines Richters am Rechtsstreit mit einem der Beteiligten führe nach einhelliger Meinung in der juristischen Literatur zu berechtigtem Misstrauen gegen die unparteiische Amtsausübung. Aufgrund der persönlichen Äußerungen des Herrn B in seinen Schreiben vom 15.08.2006, 03.09.2006 und 09.09.2006 bestehe die Besorgnis der Befangenheit. Weiterhin habe Herr B in dem 2005/2006 geführten Schiedsverfahren gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs verstoßen; bei seinem damaligen Schiedsspruch habe er die Formulierung der Krankenkassen aus einer Antragsänderung der Krankenkassen zur Ablehnung eines Vergleichsangebots im Wortlaut übernommen, obwohl die Antragsänderung erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung und nach Aufnahme der Anträge vorgenommen worden sei. Herr B habe es insoweit versäumt, dem an jenem Verfahren beteiligten Antragsteller zu 5) hinsichtlich der Antragsänderung nochmals rechtliches Gehör zu gewähren; hieraus ergebe sich, dass Herr B zumindest gegenüber diesem nicht unabhängig sei.

Schließlich bestehe kein überwiegendes Vollzugsinteresse an der Durchführung des Schiedsverfahrens durch Herrn B. Der Gesetzgeber habe im Gegensatz zu der Regelung des § 73b Abs. 4a S. 4 SGB V die grundsätzliche aufschiebende Wirkung von Klagen gegen die Bestimmung einer Schiedsperson gem. § 132a Abs. 2 S. 7 SGB V gerade nicht beseitigt. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei auch deshalb nicht erforderlich, weil die Vertragsparteien die Weitergeltung der bisher vereinbarten Regeln für die Zeit nach Ablauf des bestehenden Vertrags bis zu einer erneuten Einigung vereinbart haben; einen vertragslosen Zustand, auf den die Anordnung des Sofortvollzugs gestützt sei, gebe es demnach nicht. Auch würden die Leistungen der häuslichen Krankenpflege für Versicherte der Beigeladenen im Land Berlin weiterhin in ausreichender, zweckmäßiger und wirtschaftlicher Weise erbracht; die Versorgung sei aufgrund der Fortgeltungsklausel sichergestellt. Die Finanzierbarkeit des Sozialversicherungssystems sei nicht gefährdet; im Übrigen würden die Antragsteller eine deutliche Anhebung der Vergütung erwarten, die seit Jahren nicht einmal an die Veränderungsraten gem. § 71 Abs. 3 SGB V angepasst worden sei.

Die Antragsteller beantragen schriftsätzlich,

die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller vom 24.05.2012 - S 72 KR 900/12 – gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 07.05.2012 wieder herzustellen.

Der Antragsgegner beantragt schriftsätzlich,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Antragsgegner trägt vor, die Stellungnahmen der Antragsteller böten kein oder ein lediglich zu vernachlässigendes Interesse am Aufschub der Vollziehung. Weder der Wortlaut des § 132a Abs. 2 S. 7 SGB V noch die Begründung zum Gesetzentwurf würden den zur Bestimmung der Schiedsperson berufenen Behörden eine Prüfungspflicht auferlegen. Die Auffassung der Antragsteller, den Antragsgegner treffe eine umfassende Prüfungspflicht, werde dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung nicht gerecht. Die Aufgabe des Antragsgegners beschränke sich darauf, als neutraler Dritter ohne umfassende Prüfung des zwischen den Vertragsparteien bestehenden Sach- und Streitstands und ohne Ansehen der Personen die obligatorischen Eigenbemühungen der Verhandlungspartner durch die einfache Benennung einer Schiedsperson zu unterstützen. Der Gesetzgeber habe nicht bezweckt, die widerstreitenden Interessen der Verhandlungsparteien durch umfangreiche Nachforschungen der nach §132a Abs. 2 S. 7 SGB V berufenen Behörde tiefgreifend zu erkunden und so eine den verschiedensten wechselseitigen Interessen gerecht werdende Schiedsperson zu suchen und vorzuschlagen; vielmehr sei dem Gesetzgeber daran gelegen gewesen, eine Einigung rasch herbeizuführen und das Schiedsverfahren voranzutreiben. Dabei sei davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber die Regelung des § 319 Abs. 1 S. 2 BGB bewusst gewesen sei, die Verhandlungsparteien also bei einer offensichtlich unbilligen Bestimmung der Schiedsperson oder einer Schiedsentscheidung diese durch ein gerichtliches Urteil ersetzen lassen können. Der Antragsgegner sei in der Bestimmung der Schiedsperson frei und nicht an die Vorschläge der Verhandlungsparteien gebunden. Konkrete Anhaltspunkte oder Beweise für eine Ungeeignetheit des Herrn B als Schiedsperson hätten nicht vorgelegen; die alleinige Behauptung von Tatsachen, nach denen Herr B fehlerhaft gehandelt haben solle, habe der Antragsgegner nicht berücksichtigen dürfen. Er habe im Bescheid vom 7 Mai 2012 in ausreichendem Maße begründet, warum er Herrn B zur Schiedsperson bestimmt habe; mit der Entscheidung vom 21.05.2012 seien damit keine schützenswerten Rechte der Antragsteller verletzt worden.

Weiter würden den Antragstellern mit der sofortigen Vollziehung auch keine irreparablen Rechtsnachteile drohen. Allein durch die Bestimmung der Schiedsperson greife der Antragsgegner nicht in nicht wieder gut zu machender Weise in die Geschäftsbetriebe der Antragsteller ein. Mit der Bestimmung der Schiedsperson und der Anordnung der sofortigen Vollziehung habe der Antragsgegner lediglich dem Gebot des Gesetzgebers an die Verhandlungsparteien, auf eine rasche Einigung hinzuarbeiten, Geltung verschafft.

Ferner spräche das Interesse der Beigeladenen und letztlich auch der Allgemeinheit an einer Begrenzung der Kosten des Gesundheitswesens gegen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung; die Antragsteller würden nach ergebnislosem Abbruch der Vertragsverhandlungen im Spätsommer 2011 weiterhin die nach dem Dafürhalten der Krankenkassen übersetzten Entgelte erhalten, obwohl nach § 132a Abs. 2 SGB V in einer solchen Konstellation zügig ein Schiedsverfahren einen interessengerechten Ausgleich zwischen den Verhandlungsparteien herbeiführen solle. Daraus sei ein Interesse der Beigeladenen nach einem baldigen Ende des Schwebezustands zu folgern; eine Verlängerung des Zustands sei der Beigeladenen und deren Versicherten unter Kostengesichtspunkten nicht zuzumuten. Dem stehe gegenüber, dass die Antragsteller inzwischen ausreichend Gelegenheit gehabt hätten, die Kostensituation ihrer Betriebe auf eine veränderte Ertragslage umzustellen. Falls überhaupt eine wirtschaftliche Existenz bedroht sein könne, sei dies jedenfalls nicht auf die Bestimmung einer Schiedsperson zurückzuführen. Damit bleibe im Rahmen einer Interessenabwägung das Aussetzungsinteresse der Antragsteller hinter dem Vollzugsinteresse zurück.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie schließt sich im Wesentlichen den Ausführungen des Antragsgegners an und weist darauf hin, dass das Sozialgericht Potsdam die Rechtmäßigkeit des Schiedsspruchs 2005/2006 bestätigt habe und die Einlegung der Berufung nicht geeignet sei, Zweifel an der Geeignetheit des Herrn B zu wecken.

II.

Der Antrag der Antragsteller hat Erfolg.

Nach § 86a Abs. 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung entfällt gem. § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten ist und die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung mit schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung anordnet. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in diesen Fällen ganz oder teilweise wieder anordnen (Keller/Meyer-Ladewig, SGG, 10. Auflage 2012, § 86b Rdnr. 5 m.w.N.). Der Antragsgegner hat mit auf den 21. Mai 2012 datiertem Bescheid die sofortige Vollziehung des Bescheids vom 7. Mai 2012 angeordnet, so dass der Klage der Antragsteller keine aufschiebende Wirkung zukommt.

Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGG ist grundsätzlich begründet, wenn im Rahmen einer Interessenabwägung zwischen dem privaten Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung und dem, durch den Antragsgegner vertretenen, Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung das private Interesse überwiegt. Bei der Interessenabwägung ist u. a. die nach summarischer vorläufiger Prüfung der Rechtslage zu bewertende Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86b, Rn. 12c, m.w.N.; Berlit, info also 2005, S. 3, 6; Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Auflage 2008, S. 92).

Unabhängig hiervon ist jedoch die aufschiebende Wirkung bereits dann (wieder) anzuordnen, wenn keine formal rechtmäßige Anordnung der sofortigen Vollziehung vorliegt (vgl. LSG Hessen, Beschluss vom 09.09.2011, L 9 SO 199/11 B ER, Rz. 27 bei juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.03.2008, L 20 B 18/08 SO ER, Rz. 22 bei juris; SG Dresden, Beschluss vom 16.01.2008, S 18 KA 1539/07 ER, Rz. 18 bei juris). Formal rechtmäßig ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung nur dann, wenn sie mit einer auf den konkreten Einzelfall abstellenden und nicht lediglich formelhaften Begründung des besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes versehen ist. Die Begründung muss erkennen lassen, aus welchen Gründen das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung im konkreten Fall das Interesse des Betroffenen überwiegt. An die Begründung sind im Hinblick auf die mit ihr verbundene Warnfunktion für die Behörde sowie die dadurch bezweckte Transparenz und Rechtsklarheit hohe Anforderungen zu stellen (LSG Hessen, a.a.O., Rz. 21 bei juris, m.w.N.).

Diese hohen Anforderungen haben ihren Grund in der gesetzlichen Systematik der §§ 86a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 5 SGG. Sofern die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs nicht vom Gesetzgeber explizit ausgeschlossen wurde, stellt sie die Regel dar, von der nur ausnahmsweise abgewichen werden darf, wenn ein über das Interesse am Erlass des Verwaltungsakts hinausgehendes zusätzliches öffentliches Interesse an dem sofortigen Vollzug besteht (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 18.07.1973, 1 BvR 23/73, 1 BvR 155/73, Rz. 55ff. bei juris; Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 86a Rn. 20 m.w.N.). Dies allein entspricht dem Gebot des effizienten Rechtsschutzes, denn letztlich bewirkt die Anordnung der sofortigen Vollziehung, dass die Exekutive der gerichtlichen Prüfung ihrer Maßnahmen vorgreift.

Für den hier zu entscheidenden Fall der Bestimmung einer Schiedsperson gem. § 132a Abs. 2 S. 7 SGB V hat der Gesetzgeber es bei dem allgemeinen Grundsatz der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen gegen Verwaltungsakte belassen. Anders als bei der hausarztzentrierten Versorgung (§ 73b Abs 4a S. 4 SGB V) findet sich im § 132a SGB V keine Regelung, dass Klagen gegen die Bestimmung der Schiedsperson keine aufschiebende Wirkung haben. Die Regelung des § 73b Abs. 4a SGB V ist durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 15.12.2008 zum 1. Januar 2009 eingeführt worden. Zur Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs ist in der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksachen 16/9559, 16/10070 – Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG), vom 15.10.2008 (BT-Drs. 16/10609, S. 54) ausgeführt:

"Der Schiedsspruch ist justiziabel. Klagen gegen ihn haben aber keine aufschiebende Wirkung. Das Entfallen der aufschiebenden Wirkung bei Klagen gegen den Schiedsspruch ist zur möglichst raschen Sicherstellung eines flächendeckenden Angebotes der hausarztzentrierten Versorgung geboten."

Der Gesetzgeber hat damit in Kenntnis der Regelungen in § 132a Abs 2 SGB V und § 76 Abs 6 SGB XI für das Schiedsverfahren in der hausarztzentrierten Versorgung eine abweichende Regelung getroffen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 25.11.2010, B 3 KR 1/10 R, Rz. 26 bei juris). Auch daraus ist zu folgern, dass der Zweck der gesetzlichen Regelung des § 132a Abs. 2 SGB V, im Falle einer Nichteinigung der Verhandlungspartner eine im Zivilrecht übliche Schlichtung zu ermöglichen, allein nicht ausreicht, um die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu begründen; vielmehr sind besondere Umstände des konkreten Falles darzulegen, die eine Abweichung von der gesetzgeberischen Entscheidung der grundsätzlichen aufschiebenden Wirkung rechtfertigen.

Soweit der Antragsgegner geltend macht, die Stellungnahmen der Antragsteller böten kein oder ein lediglich zu vernachlässigendes Interesse am Aufschub der Vollziehung; diesen drohten durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung keine irreparablen Rechtsnachteile und mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung habe er lediglich dem Gebot des Gesetzgebers an die Verhandlungsparteien, auf eine rasche Einigung hinzuarbeiten, Geltung verschafft, verkennt er diese gesetzliche Systematik. Seine Ausführungen zur Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung genügen den strengen gesetzlichen Anforderungen nicht.

Die Begründung hebt zum einen auf das Wirtschaftlichkeitsgebot ab: Für das Sozialversicherungssystem sei der Abschluss von Verträgen und damit die Normierung der Finanzierbarkeit von hoher Bedeutung; aus diesem Grunde sei es wichtig, dass der benannte Herr B als Schiedsperson feststehe, ohne dass die Klage dessen Einsetzung aussetze, damit das Schlichtungsverfahren nicht bis zur gerichtlichen Entscheidung zum Erliegen komme. Weiterhin verweist die Begründung auf den Grundsatz der Beitragsstabilität, die Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung und die Finanzierbarkeit des Sozialversicherungssystems.

Diese Begründung rechtfertigt die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Bestimmung einer Schiedsperson bereits deshalb nicht, weil sie sich in einem allgemeinen Verweis auf dem SGB V zugrunde liegende Prinzipien erschöpft, ohne Besonderheiten des konkreten Falles in Bezug zu nehmen. Aus den allgemein gehaltenen Ausführungen ist ein besonderes, in dem hier zu beurteilenden konkreten Fall der Benennung des Herrn B als Schiedsperson für das zwischen den Antragstellern und der Beigeladenen durchzuführenden Schiedsverfahrens bestehendes öffentliches Vollzugsinteresse nicht zu entnehmen.

Darüber hinaus ist auch nicht ersichtlich, inwieweit die gesetzliche Regelung über die Bestimmung einer Schiedsperson überhaupt der Beitragsstabilität dienen soll und kann. Das die Regelung dieses Ziel verfolgt, ist der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen. Die Regelungen des § 132a Abs. 2 S. 6-8 SGB V sind durch das Gesetz zur Modernisierung des Gesundheitssystems (GMG) in das SGB V eingeführt worden und zum 01.01.2004 in Kraft getreten. Dem Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 16.06.2003 (BT-Drs. 15/1170, S. 101) ist folgende Begründung zu entnehmen:

"Die Änderungen in Doppelbuchstabe cc verpflichten die Parteien zur Durchführung einer Konfliktlösung, wenn sich die Parteien über den konkreten Inhalt der Verträge, insbesondere über die Höhe der Vergütung, nicht einigen können. Dieses Verfahren entspricht einer im Zivilrecht üblichen Schlichtung, wonach sich die Vertragsparteien auf die Leistungsbestimmung durch einen Dritten einigen (§ 317 BGB). Können sich die Parteien nicht auf eine Schlichtungsperson verständigen, legt die Aufsichtsbehörde die Person fest."

Die Regelung dient damit nicht einseitig den finanziellen Interessen der Krankenkassen, sondern bezweckt die Bereitstellung einer Konfliktlösungsmöglichkeit im Falle einer fehlenden Einigung der Verhandlungspartner. Auf diesen Aspekt hat der Antragsgegner in dem Bescheid vom 21. Mai 2012 auch selbst hingewiesen, indem er ausführte, dass eine qualitativ hochwertige Versorgung nur dann zu erwarten sei, wenn den Leistungserbringern zu Gunsten der Versicherten eine angemessene Vergütung vertraglich zugeschrieben werde. Mithin schließt die Regelung auch eine Anpassung der Vergütungssätze zugunsten der Leistungserbringer nicht aus.

Soweit der Antragsgegner die Anordnung des Sofortvollzugs weiter damit begründet, das Betreiben des Schiedsverfahrens sei wegen des langen vertragslosen Zustandes von enormer Bedeutung für die Versorgung der in häuslicher Krankenpflege zu versorgenden Menschen, weisen die Antragsteller zutreffend darauf hin, dass die Versorgung der Versicherten durch die Fortgeltung der bisherigen vertraglichen Regelungen gesichert ist. Schließlich vermag auch der im hiesigen Verfahren zur Begründung der Vollziehungsanordnung nachgeschobene Hinweis des Antragsgegners, die Beigeladene müsse nach dem ergebnislosen Abbruch der Vertragsverhandlungen im Spätsommer 2011 weiterhin die nach ihrem Dafürhalten übersetzten Entgelte zahlen, obwohl nach § 132a Abs. 2 SGB V in einer solchen Konstellation zügig ein Schiedsverfahren einen interessengerechten Ausgleich zwischen den Verhandlungsparteien herbeiführen solle, kein besonderes öffentliches Interesse an der ausnahmsweisen sofortigen Vollziehung des Bestimmungsbescheids vom 7. Mai 2012 zu begründen. Denn es ist nach den vorliegenden Unterlagen schon nicht ersichtlich, dass die bisher gezahlten Vergütungssätze tatsächlich überhöht sind und für die Beigeladene eine nicht länger zumutbare wirtschaftliche Belastung darstellen. Der Antragsgegner hat die entsprechende Behauptung der Beigeladenen auch nicht geprüft. Ausweislich des vorliegenden Verwaltungsvorgangs bestehen seitens der Antragsteller einerseits und der Beigeladenen andererseits unterschiedliche Vorstellungen über die Entwicklung der Vergütungssätze. Die Antragsteller begehren danach Vergütungssteigerungen, während das von der Beigeladenen vorgelegte Vergütungsangebot nach Auffassung des Antragstellers zu 5) zu einer "Vergütungsstagnation bzw. sogar Vergütungsabsenkung in einzelnen Leistungsgruppen" führen würde. Danach ist offen, in welcher Höhe die im Rahmen des Schiedsverfahrens festzusetzenden Vergütungssätze ausfallen werden. Das vom Antragsgegner geltend gemachte monetäre Interesse der Beigeladenen am Sofortvollzug kann nicht festgestellt werden.

Damit ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung geboten, ohne dass die Erfolgsaussichten in der Hauptsache noch zu prüfen wären.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit §§ 154 Absatz 1, 162 Absatz 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, weil sie keinen eigenen Antrag gestellt hat und damit kein eigenes Kostenrisiko im Sinne des § 154 Absatz 3 VwGO eingegangen ist.
Rechtskraft
Aus
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