Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
73
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 73 KR 1335/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 350/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 24. Juli 2012 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin, Az.: Prüfdienste-CGZP, wird angeordnet. 2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rechtsstreites zu tragen. 3. Der Streitwert wird auf 1.720,26 EUR festgesetzt.
Gründe:
Der Antragsteller betreibt ein Personaldienstleistungsunternehmen. Die Vergütung der Arbeitnehmer erfolgte nach dem "Tarifvertrag" von CGZP und AMP. Eine Betriebsprüfung für den Zeitraum vom Dezember 2004 bis Dezember 2007 wurde von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 15. Oktober 2008 ohne Beanstandung abgeschlossen. Nach der Entscheidung des BAG vom 14. Dezember 2010 über die Tarifunfähigkeit der CGZP nahm die Antragsgegnerin am 28. Juni 2012 eine erneute Betriebsprüfung vor und stellte für das Kalenderjahr 2006 eine Beitragsnachforderung von 1.720,26 EUR fest (Bescheid mit unleserlichem Datum, Az.: Prüfdienste- -CGZP). Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 24. Juli 2012 Widerspruch erhoben, über den noch nicht entschieden ist.
Der Antragsteller hat das Gericht mit Schreiben vom 31. Juli 2012 um einstweiligen Rechtsschutz ersucht. Der Bescheid sei offensichtlich rechtswidrig, denn die Rechtsprechung des BAG habe gesetzesgleiche Wirkung, weshalb der Vertrauensschutz des Rechtsverkehrs bis zur normativen Neuordnung nicht verletzt werden dürfe. Erst ab der BAG-Entscheidung hätten die Arbeitnehmer entsprechende Entgeltansprüche, so dass auch erst ab diesem Zeitpunkt weitere Beitragsforderungen entstanden sein könnten. Zudem stehe der bestandskräftige Bescheid vom 15. Oktober 2008 dem angefochtenen Bescheid entgegen. Schließlich seien die Beitragsforderungen für das Jahr 2006 verjährt.
Der Antragsteller beantragt
die aufschiebende Wirkung des gegen den Bescheid der Antragsgegnerin (vom: Datum unleserlich – evtl 10. Juli 2012), Az.: Prüfdienste- -CGZP, am 24. Juli 2012 eingelegten Widerspruchs des Antragstellers anzuordnen.
Die Antragsgegnerin hat sich nicht geäußert.
Die aufschiebende Wirkung war anzuordnen.
Nach § 86a Abs 1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und Klage aufschiebende Wirkung. § 86a Abs 2 Nr 1 SGG trifft eine Spezialregelung, nach welcher die aufschiebende Wirkung bei Entscheidungen über die Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie die Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten entfällt. In diesen Fällen kann wegen § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass der Widerspruch gegen den angefochtenen Bescheid, weil dieser Beitragspflichten regelt, keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Das Begehren des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist daher statthaft.
Die erforderliche Abwägung des Suspensivinteresses der Antragstellerin mit dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin hat die Wertung von § 86a Abs 3 Satz 2 SGG einzubeziehen, wonach im Hinblick auf das Regel-Ausnahme-Verhältnis von Sofortvollziehbarkeit und aufschiebender Wirkung, der Sofortvollzug nur dann ausgesetzt werden soll, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Zahlungspflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Dabei gilt, dass an der Vollziehung rechtwidriger Bescheide stets das öffentliche Interesse fehlt und unbillige Regelungen grundsätzlich ebenfalls nicht im öffentlichen Interesse liegen, so dass weitere öffentliche Belange in die Abwägung bei feststehender Unbilligkeit eine Ausnahme rechtfertigen müssen.
Die auf dieser Grundlage notwendige Abwägung ergibt im Falle des Antragstellers, dass dem Vollzugsinteresse kein entscheidungserhebliches Gewicht zukommt. Der angefochtene Bescheid ist – jedenfalls in seiner aktuellen Gestalt – hinsichtlich seiner Rechtmäßigkeit ernsthaften Zweifeln ausgesetzt. Er gibt als schriftlicher Verwaltungsakt in seiner Begründung gemäß § 35 Abs 1 Satz 2 SGB X keine Ermächtigungsgrundlage zu erkennen, auf die eine Rücknahme oder ein Widerruf des Bescheides vom 15. Oktober 2008 gestützt wurde. Zu diesem früheren Bescheid verhält sich die Bescheidbegründung schlichtweg nicht. Sofern die Antragsgegnerin gemeint haben sollte, mit dem angefochtenen Verwaltungsakt den Regelungsbereich des früheren Bescheides nicht berührt zu haben und deshalb nicht auf die Rücknahmevorschrift des § 45 SGB X zurückgreifen zu brauchen, wäre eine (kurze) Begründung erforderlich gewesen. Ebenso wäre ggf darzustellen gewesen, warum die Voraussetzungen der Widerrufsvorschrift des § 28f Abs 2 Satz 5 SGB IV hätten erfüllt sein sollen, denn dem früheren Bescheid lässt sich nicht entnehmen, dass eine Entgeltschätzung erfolgt wäre oder die Voraussetzungen von § 28f Abs 2 Sätze 1 und 2 SGB IV vorgelegen hätten.
Sofern die Antragsgegnerin den früheren Bescheid in seiner Bedeutung für den Fall verkannt haben sollte und insofern die Begründung nicht formell fehlerhaft wäre, bestehen ernstlich Zweifel an der materiellen Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides wegen des früheren Bescheides. Fraglich ist, wie angesichts dieser früheren Regelung durch die Antragsgegnerin für den hier streitigen Zeitraum die Vertrauensschutzvorgaben des § 45 SGB X eine Rücknahme gerechtfertigt haben könnten. Soweit unabhängig vom Zeitpunkt der Entscheidung des BAG bereits zuvor hinreichende Anhaltspunkte dafür bestanden, dass eine sittenwidrige Entlohnung auch bei Tarifverträgen bestehen kann, gibt es dazu ältere Rechtsprechung (BAG vom 24.3.2004, 5 AZR 303/03, BAGE 110, 79; Urteil des SG Berlin vom 27.02.2006, S 77 AL 742/05 mit weiteren Nachweisen), die jedoch bereits bei der Betriebsprüfung 2007 hätte berücksichtigt werden müssen.
Es lässt sich nicht erkennen, dass die Voraussetzungen des § 28f Abs 2 Satz 5 SGB IV erfüllt sein könnten.
Angesichts des Bescheides vom 15. Oktober 2008 lässt sich auch schwerlich annehmen, dass eine längere Verjährungsfrist als die des § 25 Abs 1 Satz 2 SGB IV, insbesondere die 30-jährige Frist nach Satz 2, in Frage käme. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegnerin die Anwendung des genannten Tarifvertrages oder der gezahlten Entgelte 2007/2008 bei der Betriebsprüfung nicht mitgeteilt haben könnte, sind nicht ersichtlich. Sofern die Antragsgegnerin auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Verjährungsfrist als maßgeblich für die subjektiven Voraussetzungen des § 25 Abs 1 Satz 2 SGB IV abstellt, ist der individuelle Verschuldensmaßstab und dabei der bestandskräftige Bescheid vom 15. Oktober 2008 zu beachten. Dabei ist zu bedenken, dass der Antragsteller offensichtlich in erheblichem Umfange höhere Entgelte zahlte und die Forderung der Antragsgegnerin lediglich Ergebnis einer Schätzung ist. Der Vorsatz (und sei es nur dolus eventualis) wäre durch die Antragsgegnerin dem Antragsteller auch hinsichtlich des sich durch Schätzung ergebenden Umfanges nachzuweisen. Bereits dieser Umstand begründet ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197a SGG, 154 Abs 1 VwGO. Sie berücksichtigt den Erfolg der Rechtsverteidigung.
Gründe:
Der Antragsteller betreibt ein Personaldienstleistungsunternehmen. Die Vergütung der Arbeitnehmer erfolgte nach dem "Tarifvertrag" von CGZP und AMP. Eine Betriebsprüfung für den Zeitraum vom Dezember 2004 bis Dezember 2007 wurde von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 15. Oktober 2008 ohne Beanstandung abgeschlossen. Nach der Entscheidung des BAG vom 14. Dezember 2010 über die Tarifunfähigkeit der CGZP nahm die Antragsgegnerin am 28. Juni 2012 eine erneute Betriebsprüfung vor und stellte für das Kalenderjahr 2006 eine Beitragsnachforderung von 1.720,26 EUR fest (Bescheid mit unleserlichem Datum, Az.: Prüfdienste- -CGZP). Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 24. Juli 2012 Widerspruch erhoben, über den noch nicht entschieden ist.
Der Antragsteller hat das Gericht mit Schreiben vom 31. Juli 2012 um einstweiligen Rechtsschutz ersucht. Der Bescheid sei offensichtlich rechtswidrig, denn die Rechtsprechung des BAG habe gesetzesgleiche Wirkung, weshalb der Vertrauensschutz des Rechtsverkehrs bis zur normativen Neuordnung nicht verletzt werden dürfe. Erst ab der BAG-Entscheidung hätten die Arbeitnehmer entsprechende Entgeltansprüche, so dass auch erst ab diesem Zeitpunkt weitere Beitragsforderungen entstanden sein könnten. Zudem stehe der bestandskräftige Bescheid vom 15. Oktober 2008 dem angefochtenen Bescheid entgegen. Schließlich seien die Beitragsforderungen für das Jahr 2006 verjährt.
Der Antragsteller beantragt
die aufschiebende Wirkung des gegen den Bescheid der Antragsgegnerin (vom: Datum unleserlich – evtl 10. Juli 2012), Az.: Prüfdienste- -CGZP, am 24. Juli 2012 eingelegten Widerspruchs des Antragstellers anzuordnen.
Die Antragsgegnerin hat sich nicht geäußert.
Die aufschiebende Wirkung war anzuordnen.
Nach § 86a Abs 1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und Klage aufschiebende Wirkung. § 86a Abs 2 Nr 1 SGG trifft eine Spezialregelung, nach welcher die aufschiebende Wirkung bei Entscheidungen über die Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie die Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten entfällt. In diesen Fällen kann wegen § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass der Widerspruch gegen den angefochtenen Bescheid, weil dieser Beitragspflichten regelt, keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Das Begehren des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist daher statthaft.
Die erforderliche Abwägung des Suspensivinteresses der Antragstellerin mit dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin hat die Wertung von § 86a Abs 3 Satz 2 SGG einzubeziehen, wonach im Hinblick auf das Regel-Ausnahme-Verhältnis von Sofortvollziehbarkeit und aufschiebender Wirkung, der Sofortvollzug nur dann ausgesetzt werden soll, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Zahlungspflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Dabei gilt, dass an der Vollziehung rechtwidriger Bescheide stets das öffentliche Interesse fehlt und unbillige Regelungen grundsätzlich ebenfalls nicht im öffentlichen Interesse liegen, so dass weitere öffentliche Belange in die Abwägung bei feststehender Unbilligkeit eine Ausnahme rechtfertigen müssen.
Die auf dieser Grundlage notwendige Abwägung ergibt im Falle des Antragstellers, dass dem Vollzugsinteresse kein entscheidungserhebliches Gewicht zukommt. Der angefochtene Bescheid ist – jedenfalls in seiner aktuellen Gestalt – hinsichtlich seiner Rechtmäßigkeit ernsthaften Zweifeln ausgesetzt. Er gibt als schriftlicher Verwaltungsakt in seiner Begründung gemäß § 35 Abs 1 Satz 2 SGB X keine Ermächtigungsgrundlage zu erkennen, auf die eine Rücknahme oder ein Widerruf des Bescheides vom 15. Oktober 2008 gestützt wurde. Zu diesem früheren Bescheid verhält sich die Bescheidbegründung schlichtweg nicht. Sofern die Antragsgegnerin gemeint haben sollte, mit dem angefochtenen Verwaltungsakt den Regelungsbereich des früheren Bescheides nicht berührt zu haben und deshalb nicht auf die Rücknahmevorschrift des § 45 SGB X zurückgreifen zu brauchen, wäre eine (kurze) Begründung erforderlich gewesen. Ebenso wäre ggf darzustellen gewesen, warum die Voraussetzungen der Widerrufsvorschrift des § 28f Abs 2 Satz 5 SGB IV hätten erfüllt sein sollen, denn dem früheren Bescheid lässt sich nicht entnehmen, dass eine Entgeltschätzung erfolgt wäre oder die Voraussetzungen von § 28f Abs 2 Sätze 1 und 2 SGB IV vorgelegen hätten.
Sofern die Antragsgegnerin den früheren Bescheid in seiner Bedeutung für den Fall verkannt haben sollte und insofern die Begründung nicht formell fehlerhaft wäre, bestehen ernstlich Zweifel an der materiellen Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides wegen des früheren Bescheides. Fraglich ist, wie angesichts dieser früheren Regelung durch die Antragsgegnerin für den hier streitigen Zeitraum die Vertrauensschutzvorgaben des § 45 SGB X eine Rücknahme gerechtfertigt haben könnten. Soweit unabhängig vom Zeitpunkt der Entscheidung des BAG bereits zuvor hinreichende Anhaltspunkte dafür bestanden, dass eine sittenwidrige Entlohnung auch bei Tarifverträgen bestehen kann, gibt es dazu ältere Rechtsprechung (BAG vom 24.3.2004, 5 AZR 303/03, BAGE 110, 79; Urteil des SG Berlin vom 27.02.2006, S 77 AL 742/05 mit weiteren Nachweisen), die jedoch bereits bei der Betriebsprüfung 2007 hätte berücksichtigt werden müssen.
Es lässt sich nicht erkennen, dass die Voraussetzungen des § 28f Abs 2 Satz 5 SGB IV erfüllt sein könnten.
Angesichts des Bescheides vom 15. Oktober 2008 lässt sich auch schwerlich annehmen, dass eine längere Verjährungsfrist als die des § 25 Abs 1 Satz 2 SGB IV, insbesondere die 30-jährige Frist nach Satz 2, in Frage käme. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegnerin die Anwendung des genannten Tarifvertrages oder der gezahlten Entgelte 2007/2008 bei der Betriebsprüfung nicht mitgeteilt haben könnte, sind nicht ersichtlich. Sofern die Antragsgegnerin auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Verjährungsfrist als maßgeblich für die subjektiven Voraussetzungen des § 25 Abs 1 Satz 2 SGB IV abstellt, ist der individuelle Verschuldensmaßstab und dabei der bestandskräftige Bescheid vom 15. Oktober 2008 zu beachten. Dabei ist zu bedenken, dass der Antragsteller offensichtlich in erheblichem Umfange höhere Entgelte zahlte und die Forderung der Antragsgegnerin lediglich Ergebnis einer Schätzung ist. Der Vorsatz (und sei es nur dolus eventualis) wäre durch die Antragsgegnerin dem Antragsteller auch hinsichtlich des sich durch Schätzung ergebenden Umfanges nachzuweisen. Bereits dieser Umstand begründet ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197a SGG, 154 Abs 1 VwGO. Sie berücksichtigt den Erfolg der Rechtsverteidigung.
Rechtskraft
Aus
Login
BRB
Saved