S 165 SF 18406/11 E

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
165
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 165 SF 18406/11 E
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Für Verfahren der Anfechtung von Mahngebührenbescheiden ist in der Regel – vorbehaltlich von Besonderheiten des Einzelfalles – von einer Geschäftsgebühr bzw. einer Verfahrensgebühr in Höhe der doppelten Mindestgebühr auszugehen.

2. Für Verfahren bezogen auf das behördliche Kostenfestsetzungsverfahren bzw. für Klageverfahren bezogen auf die isolierte Anfechtung von Kostenentscheidungen im Widerspruchsbescheid, sind überwiegend Gebühren in Höhe von 30 % bis 60 % der Mittelgebühr als billig anzusehen.
Diesbezüglich – da stark einzelfallbezogen – sind keine weitergehend differenzierten Musterbeschlüsse zu jeweiligen „Regelgebühren“ beabsichtigt.
Auf die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Sozialgerichts vom 1. Dezember 2011 werden die zu erstattenden Kosten auf 114,24 EUR festgesetzt. Der Ausspruch über die Verzinsung gilt entsprechend. Die weitergehende Erinnerung wird zurückgewiesen. Von den notwendigen außergerichtlichen Kosten des Erinnerungsverfahrens hat die Erinnerungsgegnerin ein Viertel zu erstatten.

Gründe:

I.

Gegenstand der Klage vom 14. April 2011 im Verfahren - S 57 AL 1201/11 - war die Anfechtung eines Mahnbescheides vom 23. Februar 2011 über 15,36 EUR in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 2011, welcher den Widerspruch mangels Bescheidqualität der angefochtenen Mahnung als unzulässig verwarf. Mit Schriftsatz vom 23. August 2011 hob die Erinnerungsgegnerin die streitgegenständlichen Bescheide auf und erklärte sich dem Grunde nach bereit, die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Erinnerungsführers für das Vorverfahren zu übernehmen. Die Zuziehung des Bevollmächtigten wurde als notwendig erachtet. Mit am 14. Oktober 2011 beim Sozialgericht Berlin eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage nahm der Erinnerungsführer diese Anerkenntnisse an, erklärte das Verfahren in der Hauptsache für erledigt und beantragte mit der dem Schriftsatz anliegenden Rechnung vom gleichen Tage die Festsetzung von 309,40 EUR für das Vorverfahren lt. nachstehender Berechnung:

Verfahrensgebühr Nr. 2400 VV RVG 240,00 EUR

Post- und Telekommunikationsdienstleistungen Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR

Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG (19 %) 49,40 EUR

Summe 309,40 EUR.

Die Erinnerungsgegnerin wandte mit Schriftsatz vom 28. September 2011 Unbilligkeit ein. Sie hielt 57,12 EUR lt. nachstehender Berechnung für angemessen:

Verfahrensgebühr Nr. 2400 VV RVG 40,00 EUR

Post- und Telekommunikationsdienstleistungen Nr. 7002 VV RVG 8,00 EUR

Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG (19 %) 9,12 EUR

Summe 57,12 EUR.

Dem ist der Erinnerungsführer mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2011 entgegen getreten.

Mit Beschluss vom 1. Dezember 2011 setzte die Urkundsbeamtin unter Zurückweisung des Antrags im Übrigen die zu erstattenden Kosten auf den Betrag von 57,12 Euro lt. nachstehender Berechnung fest:

Verfahrensgebühr Nr. 2400 VV RVG 40,00 EUR

Post- und Telekommunikationsdienstleistungen Nr. 7002 VV RVG 8,00 EUR

Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG (19 %) 9,12 EUR

Summe 57,12 EUR.

Auf die Gründe des Beschlusses wird Bezug genommen.

Die Erinnerung gegen den am 9. Dezember 2011 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss ist am 19. Dezember 2011 beim Sozialgericht Berlin eingegangen. Der Erinnerungsführer trägt vor, die Kosten seien fehlerhaft festgesetzt worden und der Arbeitsaufwand seines Bevollmächtigten nicht hinreichend gewürdigt. Der Gebührenrahmen reiche von 40,00 bis 520,00 EUR. Dabei habe der Gesetzgeber klargestellt, dass nur dann eine höhere Gebühr als 240,00 EUR verlangt werden könne, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig sei bzw. gewesen sei. Damit sei grundsätzlich von der Mittelgebühr auszugehen, soweit keine besonderen Umstände gegen den Ansatz einer Mittelgebühr sprächen. Diese seien hier nicht ersichtlich gewesen: Die Bedeutung der Angelegenheit sei unerheblich vom Beschwerdewert als hoch einzustufen, denn für Leistungsbezieher nach dem SGB II sei es unerheblich, wie hoch zusätzliche Kosten eines Vollstreckungsverfahrens seien. Im Übrigen sei Streitgegenstand nicht allein die Höhe der Mahngebühr, sondern die Berechtigung zur Vollstreckung und zum Erlass von Mahngebühren durch die Erinnerungsgegnerin insgesamt gewesen. Damit sei nicht allein die Höhe der Mahngebühr entscheidend, sondern die Tatsache, dass die Erinnerungsgegnerin ohne eine Rechtsgrundlage für die Verwaltungsvollstreckung tätig geworden sei. Insoweit sei die Beschwerde nicht allein in der Höhe der Mahngebühr, sondern gleichsam in der Höhe der zu vollstreckenden Forderung zu finden. Diesbezüglich sei die Bedeutung sehr hoch gewesen. Der zeitliche Umfang und die Schwierigkeit seien entgegen der Auffassung der Erinnerungsführerin hoch gewesen. Der zeitliche Umfang habe sich durch die Prüfung der Voraussetzungen (Zugang eines Rückforderungsbescheides, Prüfung der Fälligkeit der Forderung, Prüfung der Höhe der Mahngebühr und Prüfung der formalen Voraussetzungen in einem durchschnittlichen Zeitumfang) niedergeschlagen. Dass die Angelegenheit durchaus schwierig gewesen sei, ergebe sich bereits aus dem Umstand, dass die Rechtsprechung hierzu nicht einheitlich gewesen sei und sich das Bundessozialgericht mit der Angelegenheit habe beschäftigen müssen. Von einer nur geringen Schwierigkeit könne daher nicht ausgegangen werden. Das gemäß § 14 Abs. 1 Abs. 3 RVG von der Erinnerungsgegnerin (im Kostenfestsetzungsverfahren) angeführte Haftungsrisiko sei vorliegend nicht zu berücksichtigen gewesen, denn ein besonderes Haftungsrisiko liege bei Verfahren nach dem SGB II insbesondere aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes regelmäßig nicht vor (Beschluss des SG Neuruppin vom 13. April 2006 - S 12 SF 58/05 -). Es sei daher weder Gebühren erhöhend noch Gebühren mindernd zu berücksichtigen und daher als Kriterium ungeeignet. Ausführungen hierzu seien irrelevant.

Die Erinnerungsgegnerin trägt vor, im angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss sei die Bedeutung der Angelegenheit zu Recht als äußerst gering eingeschätzt worden. Bei der Bedeutung komme es auf die unmittelbare tatsächliche, ideelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder rechtliche Bedeutung für den Kläger, nicht aber für die Allgemeinheit an (BSG vom 1. Juli 2009-B 4 AS 21/09 R -, in juris). In dem Verfahren sei es um die Erhebung von Mahngebühren in Höhe von 15, 35 EUR aus der angefochtenen Mahnung gegangen. Bei diesem Beschwerdewert müsse auch bei Beziehern von Leistungen nach dem SGB II von einer nur geringen Bedeutung der Angelegenheit für die Auftraggeber ausgegangen werden. Ein Vollstreckungsverfahren sei vorliegend nicht eingeleitet worden. Mit der Mahnung sei der Erinnerungsführer daher nur in Höhe der Mahngebühr - 15,35 EUR - beschwert gewesen, so dass die eigentliche Forderung nach dem SGB II gerade nicht streitgegenständlich gewesen sei. Durch die Tatsache, dass zu den streitgegenständlichen Rechtsfragen, ob es sich bei den Mahngebührenbescheiden um Verwaltungsakte handele und die Regionaldirektion berechtigt gewesen sei, Mahngebühren zu erheben, in anderen gleich gelagerten Verfahren bereits sozial- bzw. landessozialgerichtliche Entscheidungen gegen die Erinnerungsgegnerin ergangen seien und diesbezüglich auch ein Verfahren beim Bundessozialgericht anhängig gewesen sei, werde die Angelegenheit nicht bedeutender. Nach der Entscheidung des BSG vom 26. Mai 2011 in dem Verfahren - B 14 AS 54/10 R - und der Klärung der Mahngebührenfestsetzung als Verwaltungsakt sowie der Frage der Zuständigkeit für die Mahnung bzw. Mahngebühren, handele es sich nicht mehr um eine "schwierige und ungeklärte" Rechtsfrage. Wegen der Bindung der Erinnerungsführerinnen an Recht und Gesetz sei eine andere Entscheidung als vom BSG vorgegeben, nicht möglich gewesen. Zur weiteren Begründung verweist die Erinnerungsgegnerin auf die ihrer Ansicht nach - überzeugenden Ausführungen im Kostenfestsetzungsbeschluss.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Ursprungsakte – S 57 AS 1201/11 – sowie des Widerspruchsvorgangs – W 499/11 – zum Vorverfahren gegen den Mahngebührenbescheid der Erinnerungsgegnerin vom 23. Februar 2011 verwiesen, insbesondere auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze.

II.

Auf die zulässige Erinnerung waren die zu erstattenden Kosten auf den Betrag von 114,24 EUR lt. nachstehender Berechnung festzusetzen:

Verfahrensgebühr Nr. 2400 VV RVG 80,00 EUR

Post- und Telekommunikationsdienstleistungen Nr. 7002 VV RVG 16,00 EUR

Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG (19 %) 18,24 EUR

Summe 114,24 EUR.

Zur Überzeugung der Kammer war die anwaltliche Gebührenbestimmung für die Geschäftsgebühr in Höhe der sog. "Schwellengebühr" nach der Anmerkung zu Nr. 2400 VV RVG unbillig und daher gem. § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG als unverbindlich zu ersetzen, allerdings – entgegen der Auffassung der Urkundsbeamtin und der Erinnerungsgegnerin - nicht in Höhe der Mindestgebühr, vielmehr hält die Kammer in Verfahren betreffend der Anfechtung von Mahngebührenbescheiden und im Einklang mit der sich zur Zeit festigenden Rechtsprechung der Kostenkammern des SG Berlin in der Regel – vorbehaltlich von Besonderheiten des Einzelfalles, welche hier aber nicht zu bestätigen waren - eine Geschäftsgebühr in Höhe einer doppelten Mindestgebühr für billig, und zwar aus den folgenden Gründen:

Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit waren vorliegend unterdurchschnittlich, allerdings nicht derart weitgehend, dass nur eine Mindestgebühr in Betracht kommt. Der Widerspruch wurde unter Anführung obergerichtlicher Rechtsprechung begründet und seitens der Bevollmächtigten schriftsätzlich Gründe angeführt, warum der Erinnerungsführer ein Ruhen bis zur Entscheidung des BSG nicht als sachdienlich erachte. Auch die unterdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit für den Erinnerungsführer rechtfertigt keine Ersetzung der anwaltlich bestimmten Geschäftsgebühr in Höhe der Mindestgebühr. Zwar war Gegenstand des Widerspruchsverfahrens nach dem ausdrücklichen Vorbringen der Bevollmächtigten dort allein die Rechtmäßigkeit der Festsetzung einer Mahngebühr durch die Erinnerungsgegnerin, nicht aber auch die Rechtmäßigkeit des Vollzugs der Erstattungsforderung. Im Übrigen wäre eine solche allein bei der Kostengrundentscheidung zu berücksichtigen, nicht aber im Rahmen der Kostenfestsetzung. Eine Mahngebühr von 15,35 Euro hat für den Erinnerungsführer, dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse unterdurchschnittlich sind, nicht eine so geringe Bedeutung, dass bereits deshalb nur eine Mindestgebühr angemessen wäre (in gleichgelagerten Fällen so auch z.B. bereits die erkennende Kammer in einem nicht veröffentlichten Beschluss vom 30. August 2012 - S 165 SF 1402/12 E - sowie die 164. Kammer des SG Berlin mit - unveröffentlichtem - Beschluss vom 19. Dezember 2012 - S 164 SF 3601/12 E -).

Des Weiteren hat die 165. Kammer des SG Berlin in einem Musterbeschluss vom 23. November 2011 - S 165 SF 10110/11 E -, in juris, welcher die Grundlage der seither diesbezüglich ständigen Rechtsprechung der Kostenkammern des SG Berlin bildet, entschieden, dass schon für "bloße" Untätigkeitsklagen auf Erlass eines Widerspruchsbescheides auf den Widerspruch gegen einen Mahngebührenbescheid in der Regel 20% der Mittelgebühr(en) als billig anzusehen sind, was – "übertragen" auf die vorliegend streitgegenständliche Geschäftsgebühr – einer solchen in Höhe von 56,00 EUR entspräche. Im Vergleich zu derartigen Fällen war hier alleine schon das Abstandsgebot – nach "unten" - zu wahren, nach "oben" aber auch im Vergleich zu Fällen isolierter Widerspruchsverfahren bezogen auf das behördliche Kostenfestsetzungsverfahren, in denen die Kostenkammern des SG Berlin – vorbehaltlich weitergehender Besonderheiten des Einzelfalles – überwiegend Gebühren in Höhe von 30% bis 60% der Mittelgebühr(en) als billig erachten, je nachdem, ob die vollständige Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens dem Grunde nach (bis zu 60% der Mittelgebühr) oder "lediglich" hinsichtlich einer – variierenden - Kostenquote dem Grunde nach und/oder der Kostenfestsetzung der Höhe nach (nach "unten" bis hin zu 30% der Mittelgebühr (das wären übertragen auf den vorliegenden Fall immer noch 84,00 EUR für die Geschäftsgebühr)) im Streit standen, in denen die Bedeutung der Angelegenheit sowie der anwaltliche Aufwand in der Regel aber, letzterer wenn auch zumindest nur leicht höher sind als in Fällen wie dem vorliegenden (diesbezüglich beabsichtigen die Kostenkammern des SG Berlin – da stark einzelfallbezogen – keinen Erlass von Musterbeschlüssen zu "Regelgebühren").

Die Kostenentscheidung für das Erinnerungsverfahren beruht auf § 193 SGG. Hierbei war zu berücksichtigen, dass die Erinnerung mit ca. 23% der Differenz (252,28 EUR) zwischen dem Kostenfestsetzungsantrag (309,40 EUR) und der angegriffenen Kostenfestsetzung (57,12 EUR) erfolgreich war, nämlich in Höhe der Differenz von 57,12 EUR zwischen der angegriffenen Kostenfestsetzung (57,12 EUR) und dem jetzt festgesetzten Betrag (114,24 EUR).

Die Kammer hält im Einklang mit der gefestigten Rechtsprechung der Kostenkammern des SG Berlin eine gesonderte Kostenentscheidung im Erinnerungsverfahren für erforderlich, und zwar aus den Gründen der Beschlüsse des SG Berlin vom 2. Februar 2009 - S 165 SF 11/09 E - und vom 6. März 2009 – S 164 SF 118/09 E - (in juris, so jetzt auch Meyer-Ladewig, a.a.O., § 197 Rz. 10).

Dieser Beschluss ist, auch hinsichtlich der Kostengrundentscheidung, unanfechtbar (§ 197 Abs. 2, § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG).
Rechtskraft
Aus
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