S 133 SF 6211/13 E

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
133
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 133 SF 6211/13 E
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Der Rechtsanwalt, der ohne hinreichenden sachlichen Grund auf die Erstattung von Kosten durch den Prozessgegner verzichtet, hat keinen Anspruch auf Vergütung aus der Staatskasse in dem Umfang, in dem er die Möglichkeit des Rückgriffs der Staatskasse auf den Prozessgegner vereitelt hat.

2. Ein hinreichender sachlicher Grund liegt nicht vor, wenn der Verzicht auf Kostenerstattung durch den Gegner der materiellen Rechtslage offensichtlich nicht entspricht und für den Fall einer streitigen Entscheidung von einer positiven Kostengrundentscheidung (ggf. anteilig) ausgegangen werden konnte.

3. Eine Schädigungsabsicht ist nicht erforderlich.
Auf die Erinnerung des Erinnerungsgegners gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Sozialgerichts vom 26. Juni 2013 wird der angegriffene Beschluss aufgehoben und die Vergütung des Erinnerungsführers auf null festgesetzt. Die Erinnerung des Erinnerungsführers wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Streitumfasst ist die Frage der Höhe der dem Erinnerungsführer zustehenden Vergütung aus der Landeskasse bzw. die Frage, ob ihm eine solche überhaupt gebührt.

Die Klägerin des Ursprungsverfahrens, die dort durch den Erinnerungsführer vertreten wurde, wandte sich mit ihrer Klage vom 2. September 2011 gegen eine Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung des damaligen Beklagten, mit dem dieser eine Leistungsbewilligung im Umfang von 32,00 EUR für August 2010 aufhob und diesen Betrag erstattet verlangte.

Mit Beschluss vom 1. November 2012 wurde der Klägerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Erinnerungsführers bewilligt.

Im Erörterungstermin am 29. Januar 2013 erteilte die Vorsitzende der Ursprungskammer den Beteiligten ausweislich des Sitzungsprotokolls den rechtlichen Hinweis, dass die Klägerin mit ihrem Begehren aller Wahrscheinlichkeit nach durchdringen werde. Daraufhin erklärte der Beklagte ein vollständiges Anerkenntnis in der Hauptsache, welches die Klägerin annahm und zusätzlich erklärte, der Rechtsstreit sei damit in vollem Umfang erledigt.

Die Klägerin trat unter dem 22. Juli 2013 ihr Antragsrecht nach § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) an den Erinnerungsgegner ab. Dieser beantragte sodann, den Beklagten zu verpflichten, die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten. Diesen Antrag lehnte die Ursprungskammer mit Beschluss vom 30. Juli 2013 ab, da das abgetretene Recht nicht mehr bestehe. Die Klägerin habe den Rechtsstreit in vollem Umfang, d.h. auch hinsichtlich der Frage der Kostenerstattung dem Grunde nach, für erledigt erklärt.

Unter dem 16. April 2013 reichte der Erinnerungsführer seinen Vergütungsfestsetzungsantrag ein, der mit einer Gesamtsumme von 690,20 EUR endete. Mit den angegriffenen Beschluss vom 26. Juni 2013 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Sozialgerichts die Vergütung des Erinnerungsführers auf 362,95 EUR fest. Der Erinnerungsführer legte daraufhin unter dem 2. August 2013 Erinnerung ein, mit dem Ziel, die antragsgemäße Festsetzung seiner Vergütung, mithin eine höhere Vergütung nach den Bemessungskriterien des § 14 Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RVG) und die Festsetzung einer Gebühr nach Nr. 1006 VV RVG zu erreichen. Mit Schriftsatz vom 15. August 2013 legte der Erinnerungsgegner ebenfalls Erinnerung ein. Er trägt vor, der Erinnerungsführer sei seiner Verpflichtung gegenüber der Landeskasse, diese bei der Durchsetzung von Regressansprüchen gegen den potentiell erstattungspflichtigen Gegner des Ursprungsverfahrens zu unterstützen, nicht nachgekommen. Durch den Verzicht auf eine Kostenerstattung könne die Landeskasse keinen Rückgriff mehr nach § 59 RVG auf den Prozessgegner nehmen. Hierdurch sei der Landeskasse ein Schaden entstanden und daher sei die Vergütung des Erinnerungsführers, auf die er keinen Anspruch mehr habe, insoweit zurückzufordern.

II.

Die zulässige Erinnerung des Erinnerungsgegners ist auch begründet.

Der Erinnerungsführer hat keinen Anspruch auf Auszahlung einer Vergütung aus der Staatskasse. Bereits ausgezahlte Beträge sind zurückzuerstatten.

Es widerspricht Treu und Glauben nach dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und führt im Ergebnis dazu, dass eine solche Leistung (hier: die Auszahlung der Vergütung aus der Staatskasse) nicht erbracht werden muss, wenn der Rechtsanwalt aus der Staatskasse auf Grund der Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung eine Vergütung fordert, obwohl er oder der Mandant entgegen der gesetzlichen Verpflichtung aus § 59 RVG, die Staatskasse bei der Beitreibung von auf sie übergegangenen Ansprüchen gegen einen potentiell erstattungspflichtigen Dritten zu unterstützen, nicht nachgekommen ist und vielmehr ohne hinreichenden sachlichen Grund einen solchen Erstattungsanspruch sogar von vornherein unmöglich gemacht hat (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. April 2008, L 1 B 33/07 AL; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13. November 2008, Az. L 20 B 59/08 SO; Oberlandesgericht München, Beschluss vom 9. Mai 1997, Az. 11 W 1452/97; Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, RVG, 20. Auflage 2012, § 55 Rn. 52). Hierbei genügt es, dass der Rechtsanwalt oder der Mandant in dem Bewusstsein handelte, die Staatskasse ohne einen zwingenden sachlichen Grund zu beeinträchtigen (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 43. Auflage 2013, § 59 Rn. 15). Es reicht demnach aus, dass der Rechtsanwalt oder der Mandant in dem Wissen um einen Nachteil für die Staatskasse handelt und hierfür ein hinreichender sachlicher Grund nicht vorhanden ist. Eine regelrechte Absicht zur Schädigung der Staatskasse –für die ein Motiv grundsätzlich ohnehin schwerlich auszumachen ist- ist nicht erforderlich.

So liegt der Fall hier. Die Klägerin hat, vertreten durch den Erinnerungsführer, im Termin vor der 147. Kammer nach Annahme des vollständigen Anerkenntnisses in der Hauptsache auf die Erstattung der notwendigen außergerichtlichen Kosten durch den Beklagten verzichtet. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus dem Sitzungsprotokoll. Weiteres ist der Sitzungsniederschrift nicht zu entnahmen. Diese entfaltet insoweit Beweiskraft, §§ 165, 415 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 202 SGG. Dieser Verzicht ist indes nicht aus hinreichend sachlichem Grund erklärt worden. Er widerspricht der materiellen Rechtslage nach dem vollständigen Anerkenntnis in der Hauptsache. Bei streitiger Entscheidung der Kostenfrage im Urteil oder durch Beschluss (die hier mit einem Anspruch in Höhe von 32,00 EUR in jedem Falle unanfechtbar gewesen wäre und nach der Mitteilung der Vorsitzenden der Ursprungskammer auch davon ausgegangen werden konnte, dass die Kammer der Klage stattgibt) hätte die Klägerin nach verständiger Würdigung des Falles ohne weiteres davon ausgehen können, dass der Beklagte zur Kostenerstattung verpflichtet worden wäre. Denn es entspricht der Billigkeit im Sinne des § 193 SGG, dass derjenige Beteiligte die Kosten trägt, der in der Hauptsache unterlegen ist. Mangels Anhaltspunkten für eine abweichende Kostenentscheidung im vorliegenden Ursprungsverfahren ist es daher auch unerheblich, dass die Kostenentscheidung in kostenprivilegierten Verfahren nach § 193 SGG eine reine Ermessensentscheidung ist. Eine für die Klägerin negative Kostengrundentscheidung durch die Ursprungskammer wäre deshalb allenfalls aus unsachgemäßen und hier nicht zu erwartenden gerichtlichen Erwägungen heraus denkbar gewesen. Allerdings auch in diesem Falle hätte es der Klägerin nach wie vor noch offen gestanden, den Ausgleich ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten über die Prozesskostenhilfe aus der Staatskasse zu betreiben. Für einen Verzicht auf die Kostenerstattung ist demnach kein hinreichender sachlicher Grund erkennbar, der es rechtfertigte, dass die Staatskasse Kosten zu tragen haben soll, die nach der Rechtslage ein Dritter zu erstatten hätte. Ihrer grundsätzlich bestehenden Möglichkeit, der Staatskasse einen Ersatzanspruch zu sichern, ist sie entgegen ihrer Verpflichtung mit dem sachlich nicht gerechtfertigten Verzicht auf die Kostenerstattung nicht nachgekommen. Ziel war es vielmehr –wobei es auf eine Schädigungsabsicht noch nicht einmal ankommt-, den Beklagten von jeder Kostenlast frei zu halten, mithin auch von der Möglichkeit des Rückgriffs durch die Staatskasse. Unerheblich ist auch die Auffassung des Erinnerungsführers, er habe nicht bewusst zum Nachteil der Staatskasse gehandelt, sondern nur eine gütliche Einigung in Form eines Vergleichs getroffen, denn eines Verzichts auf die Kostenerstattung hätte es nach oben Gesagtem gerade nicht bedurft. Nach Anerkenntnis in der Hauptsache und fehlendem Anerkenntnis hinsichtlich der Kosten hätte die Entscheidung nach § 193 SGG durch Beschluss getroffen werden können. Hätte sich der Beklagte kategorisch geweigert, ein Anerkenntnis ohne Kostenverzicht abzugeben, so hätte die Ursprungskammer nach der zu erwartenden –nicht berufungsfähigen- stattgebenden Entscheidung, diesem die Kosten im Urteil auferlegt. In der Folge des Verzichts, der sich in der Gesamtschau als Vertrag zu Lasten Dritter (der Staatskasse) darstellt, hat der Erinnerungsführer gegen den Erinnerungsgegner keinen Anspruch (mehr) auf Vergütung aus der Staatskasse in dem Umfang, in dem dieser die Möglichkeit des Rückgriffs auf den Verfahrensgegner vereitelt hat. Dies ist hier mit dem vollständigen Verzicht auf Kostenerstattung ebenso vollständig der Fall.

Die Erinnerung des Erinnerungsführers ist mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13. November 2008, Az. L 20 B 59/08 SO). Eine Entscheidung über die Festsetzung weiterer Gebühren der Höhe nach gemäß § 14 RVG und der Festsetzung einer weiteren Gebühr nach Nr. 1006 VV RVG war mit der Festsetzung auf null ohnehin nicht mehr zu treffen.

Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet, § 56 Abs. 2 S. 2 und 3 Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RVG).
Rechtskraft
Aus
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