Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
72
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 72 KR 1002/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Anspruch auf Beitragserlass gem. § 256a SGB V ist nicht per se ausgeschlossen, wenn eine nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V gesetzlich krankenversicherte Person im Nacherhebungszeitraum Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung im Wege der Sachleistung in Anspruch genommen hat.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 01.11.13 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.05.2014 verpflichtet, dem Kläger die für den Zeitraum 14.08.2010 bis 31.03.2013 erhobenen Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung einschließlich hierauf entfallender Säumniszuschläge, und Mahngebühren zu erlassen. Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt den Erlass von Beitragsschulden. Der Kläger, dem das Jobcenter Berlin Charlottenburg/Wilmersdorf aufgrund eines Antrags vom Mai 2010 seit Juli 2010 durchgehend darlehensweise und vorläufig Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch / Zweites Buch (SGB II) gewährt, war vom 01.08. bis 13.08.2010 auf der Grundlage von § 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (SGB V) bei der Beklagten krankenversichert. Am 14.08.2010 suchte er eine Arztpraxis auf, die ihm für den Zeitraum 14.08. bis 28.08.2010 Arbeitsunfähigkeit attestierte. Am 11.04.2013 zeigte der Kläger der Be-klagten an, seit dem 14.08.2010 nicht krankenversichert zu sein. Mit Bescheid vom 06.05.2013 teilte die Beklagte dem Kläger den Versicherungsbeginn ab 14.08.2010 und die Höhe der ab Januar 2013 zu zahlenden Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung mit. Gleichzeitig setzte sie für den Zeitraum 14.08.2010 bis 31.03.2013 einen Nachzahlbetrag in Höhe von insgesamt 4.584,84 EUR fest. Mit Schreiben vom 10.07.2013 beantragte der Kläger die Reduzierung der Beitragsschulden. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 01.11.2013 unter Hinweis darauf ab, der Kläger habe im Nacherhebungszeitraum Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung in Anspruch genommen. Den hiergegen erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, dass die Ablehnung des Beitragserlasses nicht auf eine einmalige Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen im Nacherhebungszeitraum gestützt werden könne. Dieser Umstand sei im Gesetz nicht vorgesehen und erst vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) eingeführt worden. Die Regelung erscheine nicht sachgerecht. Zumindest habe vorgesehen werden müssen, dass eine Erstattung möglich ist, wenn der Versicherte die entstandenen Kosten der ärztlichen Inanspruchnahme erstattet. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.05.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Gesetzgeber habe die Ausgestaltung der näheren Voraussetzungen des Beitragserlasses dem GKV-Spitzenverband übertragen. Dieser habe den Regelungsauftrag mit den Einheitlichen Grundsätzen zur Beseitigung finanzieller Überforderung bei Beitragsschulden vom 04.09.2013 erfüllt. Danach schließe jegliche Inanspruchnahme von Leistungen im Nacherhebungszeitraum den Beitragserlass aus. Mit der am 05.06.2014 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter. Zur Begründung der Klage macht er geltend, das Gesetz selbst regele den Fall einer Leistungsinanspruchnahme in Form einer Krankschreibung nicht. Es ermächtige den GKV-Spitzenverband nur, den Erlass der Beiträge von einem Verzicht des Versicherten auf die Inanspruchnahme von Leistungen abhängig zu machen. Der Fall, dass Leistungen bereits in Anspruch genommen worden seien, sei im Gesetz nicht geregelt. Es liege eine Gesetzeslücke vor, die nur so geschlossen werden könne, dass der Beitragserlass zu gewähren sei, wenn der Versicherte die in Anspruch genommene Leistung erstatte. Der Kläger sei beim Aufsuchen des Arztes davon ausgegangen, dass er aufgrund des Bezugs von SGB II-Leistungen krankenversichert sei. Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 01.11.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.05.2014 zu verpflichten, dem Kläger die im Zeitraum 14.08.2010 bis 31.03.2013 erhobenen Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflege-versicherung sowie hierauf entfallender Säumniszuschläge und Mahngebühren zu erlassen. Die Beklagte und die beigeladene Pflegekasse beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf den Widerspruchsbescheid. In dem parallel rechtshängig gemachten Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes verwies die Beklagte zudem auf die Ergebnisniederschrift Fachkonferenz Beiträge vom 19.11.2013, in deren Top4 ausdrücklich geregelt sei, dass jegliche Leistungsinanspruchnahme im Nacherhebungszeitraum den Beitragserlass ausschließe. Das Gericht hat den GKV-Spitzenverband im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens zu der von der Beklagten in Bezug genommenen Ergebnisniederschrift befragt. Der GKV-Spitzenverband hat mitgeteilt, dass die Fachkonferenz Beiträge ein Gremium des GKV-Spitzenverbands sei, in dem Fragen grundsätzlicher Bedeutung einer einheitlichen Bewertung zugeführt werden sollen. Eine gesetzliche Bindung der Krankenkassen an die Ergebnisnie-derschriften bestehe allerdings nicht. Das Bundesministerium für Gesundheit habe an der Er-gebnisniederschrift nicht mitgewirkt, jedoch im Nachgang zu der Besprechung hiervon Kenntnis erhalten. Der mögliche Beitragserlass baue darauf auf, dass eine Inanspruchnahme von Leistungen im Nacherhebungszeitraum einen Erlass oder eine Beitragsermäßigung aus-schließe. Dieser Gedanke folge der Intention der solidarischen gesetzlichen Krankenversicherung, in der der Leistungsanspruch immer an eine Beitragszahlung gekoppelt sei. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat der Kläger ausgeführt, dass die Leistungen nach dem SGB II aufgrund eines Grundstücks in Bulgarien, dass der Kläger gemeinsam mit seiner damaligen Lebensgefährtin erworben habe, lediglich darlehensweise bewilligt worden seien. Der Kläger habe jedoch nie irgendwelche Nachweise über den Grundstückserwerb von seiner damaligen Lebensgefährtin erhalten und diese bestreite den Erwerb. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig (§ 54 Abs. 1 SGG). Das neben der Aufhebung des Bescheids vom 01.11.2013 bestehende Klagebegehren auf Erlass der festgesetzten Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ist als Verpflichtungsbegehren zu verstehen, da über den beantragten Erlass durch Verwaltungsakt zu entscheiden ist. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 01.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.05.2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat Anspruch auf Erlass der begehrten Verwaltungsentscheidung über den Erlass der mit Beitragsbescheid vom 06.05.2013 für den Zeitraum 14.08.2010 bis 31.03.2013 festgesetzten Beiträge. 1) Ein Beitragserlass kommt zunächst naturgemäß nur dann in Betracht, wenn Beiträge aufgrund des Bestehens einer sog. Auffangversicherung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V geschuldet werden. Ob im Zeitraum 14.08.2010 bis 31.03.2013 tatsächlich die Voraussetzungen gem. § 5 Abs. 1 Nr. 13 lit. a) erfüllt waren mit der Folge einer Beitragspflicht gem. §§ 223, 227, 240 SGB V ist allerdings fraglich. Für den Zeitraum 14.08.2010 bis 13.09.2010 kommt ein Eingreifen des nachwirkenden Versicherungsschutzes gem. § 19 Abs. 2 SGB V in Betracht. Das Konkur-renzverhältnis zwischen der Auffangversicherung und dem nachwirkenden Anspruch wird in § 5 Abs 8a S 4 SGB V dahingehend geregelt, dass der Anspruch auf Leistungen nach § 19 Abs 2 SGB V nicht als Absicherung im Krankheitsfall iS des § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V gilt, sofern im Anschluss daran kein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall besteht. Damit wird grundsätzlich der Vorrang der Auffangversicherung gegenüber einem nachwirkenden Leistungsanspruch festgelegt. Nur wenn bei prognostischer Betrachtung davon auszugehen ist, dass die betroffene versicherte Person spätestens nach Ablauf eines Monats nach dem Ende seiner bisherigen Mitgliedschaft eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall erlangen wird verdrängt der nachgehende Leistungsanspruch aus § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB V die ansonsten vorrangige Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Maßgeblicher Zeitpunkt für die anzustellende Prognose ist dabei grundsätzlich der letzte Tag der Mitgliedschaft aus der Beschäftigtenversicherung (vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 04. März 2014 – B 1 KR 68/12 R –, SozR 4-2500 § 5 Nr 22, SozR 4-2500 § 19 Nr 8, Rn. 25 bei juris, m.w.N.). Unter Berücksichtigung des Vortrags des Klägers in der mündlichen Verhandlung spricht viel dafür, dass bei prognostischer, objektiver Betrachtung davon auszugehen war, dass der Kläger nach Beendigung der versicherungspflichtigen Beschäftigung am 13.08.2010 aufgrund seines bereits im Mai 2010 gestellten Antrags SGB II-Leistungen beziehen und damit nach § 5 Abs 1 Nr 2a SGB V versicherungspflichtig sein würde. Unter Berücksichtigung der Ausführungen des Klägers zu seinem verwertbaren Vermögen musste dieser wohl nicht mit einer nur darlehensweise erfolgenden Leistungsbewilligung rechnen. Insoweit ist auch die Rechtmäßig-keit der nur darlehensweise erfolgten Bewilligungen von SGB II – Leistungen für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum offen und mithin ungeklärt, ob dem Kläger ggf. rückwirkend Leistungen nach dem SGB II endgültig zu bewilligen sind mit der Folge einer Versicherungs-pflicht gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V. Jedoch hat die Beklagte mit Bescheid vom 06.05.2013 das Bestehen der Auffangversicherung ab dem 14.08.2010 festgestellt. Diese Feststellung hat der Kläger nicht mit Widerspruch an-gegriffen. Sie ist bestandskräftig geworden. Der Bescheid ist nicht etwa deshalb Gegenstand des Rechtsstreits geworden, weil die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 01.11.2013 den Antrag auf teilweisen Erlass der mit dem Beitragsbescheid festgesetzten Bei-tragsforderung ablehnte (a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.09.2014, L 1 KR 331/14 B ER, Rn. 15 bei juris). Die Argumentation des LSG, wonach die Beklagte mit dem Be-scheid vom 01.11.2013 die festgesetzte Beitragsforderung wiederholt und bestätigt habe, weshalb sich die Regelungsgegenstände der Bescheide überschneiden würden, vermag nicht zu überzeugen. Denn mit der Feststellung der Mitgliedschaft und der Beitragsfestsetzung einerseits und der Entscheidung über einen Erlass der festgesetzten Beiträge andererseits liegen zwei klar voneinander abgrenzbare Regelungsgegenstände vor. Die Entscheidung über die Begründung der Auffangversicherung und die damit verbundene Beitragszahlungspflicht wurde von der Beklagten allein auf Grundlage der Regelungen der §§ 5 Abs. 1 Nr. 13, 223, 227, 240 SGB V getroffen. Die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung ist unabhängig davon zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für einen Beitragserlass des § 256a SGB V vorliegen. Für den Fall der Beantragung eines Erlasses von Beitragsschulden gem. § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV ist dies in der Rechtsprechung auch anerkannt (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 03. Juni 2015 – L 2 R 376/13 –, Rn. 48, juris, das unter Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 01. Juli 2010 – B 13 R 67/09 R – darauf hinweist, dass die Frage eines etwaigen Beitragserlasses gem. § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV im Rahmen des Einziehungsverfahrens zu ent-scheiden ist). 2) Die von der Beklagten für den Zeitraum 14.08.2010 bis 31.03.2013 festgesetzten Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sind jedoch jedenfalls gem. § 256a SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15.07.2013, in Kraft getreten am 01.08.2013, zu erlassen. Nach dieser Vorschrift soll die Krankenkasse den für die Zeit seit dem Eintritt der Versiche-rungspflicht nachzuzahlenden Beitrag und die darauf entfallenden Säumniszuschläge nach § 24 des Vierten Buches erlassen, wenn ein Versicherter das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 SGB V bis zum 31.12.2013 anzeigt bzw. wenn er dies bereits bis zum 31.07.2013 getan hatte. In Absatz 4 Satz 1 der Vorschrift erteilt der Gesetzgeber dem GKV-Spitzenverband den Auftrag, "das Nähere zur Ermäßigung und zum Erlass von Beiträgen und Säumniszuschlägen nach den Absätzen 1 bis 3, insbesondere zu einem Verzicht auf die Inanspruchnahme von Leistungen als Voraussetzung für die Ermäßigung oder den Erlass" zu regeln. Satz 2 sieht vor, dass die Regelungen des GKV-Spitzenverbands zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit bedürfen. In Umsetzung dieses Regelungsauftrags hat der GKV-Spitzenverband am 04.09.2013 die Einheitlichen Grundsätze zur Beseitigung finanzieller Überforderung bei Beitragsschulden er-lassen (im Folgenden: "Einheitliche Grundsätze"). § 3 der Einheitlichen Grundsätze lautet: (1) Hat ein Versicherter das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V bis zum 31. Juli 2013 angezeigt, sind die für die Zeit seit dem Beginn der Versicherungspflicht bis zum Ende des Monats, der dem Tag der Anzeige vorhergeht (Nach-erhebungszeitraum), noch nicht gezahlten Beiträge zu erlassen. Ein Erlass der Beiträge setzt voraus, dass das Mitglied schriftlich erklärt, während des Nacherhebungszeitraums Leistungen für sich nicht in Anspruch genommen zu haben oder im Falle in Anspruch genommener Leistungen auf eine Kostenübernahme oder Kostenerstattung zu verzichten. Ein Erlass der Beiträge scheidet aus, wenn der Nacherhebungszeitraum nicht mehr als drei Monate umfasst. Der Erlass setzt bei geschlossenen Beitragskonten grundsätzlich einen Antrag voraus. (2) Sofern im Falle des Erlasses von Beiträgen nach Absatz 1 auf die Beitragsforderung für den Nacherhebungszeitraum Säumniszuschläge nach § 24 SGB IV zu erheben waren, sind diese zu erlassen. Gleiches gilt für Vollstreckungskosten, Gebühren und Zinsen. Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend." Diese Voraussetzungen sind erfüllt: a) Der Kläger hat die Anzeige zur Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V und § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 12 SGB XI am 11.04.2013 getätigt. Der Nacherhebungszeitraum i.S.d. § 3 Abs. 1 S. 1 der Einheitlichen Grundsätze umfasst mithin den streitgegenständlichen Zeitraum 14.08.2010 bis 31.03.2013. b) Eine schriftliche Erklärung, dass der Kläger im Nacherhebungszeitraum keine Leistungen in Anspruch genommen habe oder dass er zwar Leistungen in Anspruch genommen habe, aber auf eine Kostenübernahme oder Kostenerstattung verzichte, hat der Kläger zwar nicht abgegeben. Insoweit ist allerdings zum einen zu berücksichtigen, dass der Wortlaut der Vorschrift ganz offensichtlich lediglich die Fälle umfasst, in denen die betroffene versicherte Person ent-weder keine medizinischen Leistungen erhalten hat oder diese auf privatärztlicher Basis erhielt. Der hier zu beurteilende Sachverhalt einer Inanspruchnahme im Wege der Sachleistung ist hingegen nicht umfasst. Aufgrund dessen geht das LSG Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 30.09.2014 davon aus, dass die Nichterklärung eines Verzichts dann keine nega-tiven Folgen für den Erstattungsanspruch haben könne (a.a.O., Rn. 20 bei juris). Auch die Beklagte hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass im Fall einer Leistungsinanspruchnahme im Wege der Sachleistung eine Verzichtserklärung entbehrlich wäre. Letztlich braucht nicht ab-schließend entschieden zu werden, ob gleichwohl aufgrund des Wortlauts des § 3 der Einheitlichen Grundsätze in jedem Fall – also auch bei Inanspruchnahme von Leistungen als Sachleistung – eine Verzichtserklärung abzugeben ist, denn der Kläger hat die Erklärung jedenfalls in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll gegeben und damit nachgeholt. c) Weitere Voraussetzungen lassen sich weder dem Wortlaut des § 256a SGB V, noch dem der Einheitlichen Grundsätze entnehmen. Zwar hat die Fachkonferenz Beiträge des GKV-Spitzenverbandes in ihrer Ergebnisniederschrift vom 19.11.2013 ausdrücklich geregelt, dass jegliche Leistungsinanspruchnahme im Nacherhebungszeitraum den Beitragserlass ausschließe. Diese Ergebnisniederschrift schafft jedoch kein verbindliches Recht. Sie stellt sich schon deshalb nicht als Umsetzung des in § 256a Abs. 4 SGB V enthaltenen Regelungsauftrags dar, weil die danach notwendige Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit nicht vorliegt. Der GKV-Spitzenverband räumt selbst ein, dass die Ergebnisniederschrift die Krankenkassen nicht bindet. Überdies wäre die Statuierung der Nichtinanspruchnahme von Leistungen als unbedingte Vo-raussetzung für den Beitragserlass auch nicht mehr vom Wortlaut der Ermächtigungsgrundlage des § 256a Abs. 4 SGB V gedeckt. Denn der Gesetzwortlaut spricht allein von einem "Verzicht auf die Inanspruchnahme von Leistungen". Ein Verzicht setzt eine bewusste Entscheidung bei einer noch bestehenden Wahlmöglichkeit voraus. Der Kläger hatte jedoch keine solche Wahlmöglichkeit; denn er ging bei der Inanspruchnahme der Leistung von einer bestehenden Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund des Bezugs von SGB II-Leistungen aus. Auch aus der Gesetzesbegründung wird deutlich, dass nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V pflichtversicherte Personen ein Wahlrecht haben sollen, ob sie auf Leistungen verzichten und damit den Beitragserlass oder stattdessen nachträglichen Versicherungsschutz in Anspruch nehmen wollen: "Der Spitzenverband Bund hat dabei insbesondere auch die Voraussetzungen dafür zu regeln, nach denen ein Leistungsverzicht bzw. ein Verzicht auf die Einreichung von Rechnungen für den entsprechenden Zeitraum Bedingung für einen Erlass bzw. die Ermäßigung von Beiträgen ist ... Grundsätzlich ist jedoch die Möglichkeit, vom Beitragserlass keinen Gebrauch zu machen, sondern stattdessen den nachträglichen Versicherungsschutz, z. B. durch das Einreichen von Rechnungen in Anspruch zu nehmen, für alle Mitglieder sowohl vor als auch nach dem Stichtag zu sicherzustellen." ( BT-Drs.17/13947, S. 29) Schließlich würde ein Ausschluss des Beitragserlasses bei bereits im Rahmen der Sachleis-tung in Anspruch genommenen Leistungen auch die Erreichung des Ziels der gesetzlichen Regelung, nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V pflichtversicherte Menschen zur Versicherungsan-zeige zu bewegen, gefährden. Überzeugend weist das LSG Berlin-Brandenburg in dem bereits zitierten Beschluss insoweit auf Folgendes hin: "Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers mit dem Erlass des Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung ein Anreiz für die Vielzahl der unerkannt gebliebenen Versicherten geschaffen werden sollte, sich umgehend als Krankenversicherte zu melden (Felix NZS 2013, 921/922). Diese Anreizfunktion, welche auf die Herstellung von Versicherungsschutz und nicht auf die Beitragsoptimierung der Krankenkassen zielt, ginge in Fällen wie dem Vorliegenden vollständig verloren, wenn aus ökonomischer Sicht der vorteilhafteste Weg gewesen wäre, weiter von einer Anzeige der Versicherungspflicht Abstand zu nehmen." (Beschluss vom 30. September 2014, L 1 KR 331/14 B ER, Rn. 19 bei juris)
Weiter hat das LSG nachvollziehbar ausgeführt: "Die Regelungen in § 256a SGB V sind zugeschnitten auf den Fall einer den Krankenkassen mangels Meldung/Anzeige unbekannt gebliebenen Auffangmitgliedschaft nach § 5 Abs.1 Nr. 13 SGB V (BT-Drs 17/13947 S. 28). Eine tatsächlich erfolgte Inanspruchnahme von Leistungen steht aber einer Meldung als Versicherter zumindest nahe und hätte deswegen Anlass für die Prüfung des Versicherungsverhältnisses einschließlich der Durchsetzung bestehender Beitragsforderungen gewesen sein können. Die sich aus der unterbliebenen Prüfung ergebenen nachteiligen Folgen müssen nicht notwendig alleine dem Antragsteller angelastet werden." (a.a.O.) Auch der GKV-Spitzenverband hält eine Gleichsetzung einer tatsächlichen Leistungsinanspruchnahme mit der Anzeige einer Pflichtversicherung für vertretbar (vgl. TOP 4 Ziff. 3 der Ergebnisniederschrift). Es erscheint in der Tat nicht gerechtfertigt, wenn sich die Beklagte trotz unterlassener Prüfung auf einen Beitragsausschluss berufen könnte. Da gem. § 3 der Einheitlichen Grundsätze die Beiträge zu erlassen "sind", steht die Entscheidung hierüber nicht im Ermessen der Beklagten. Die Beklagte war deshalb zum Beitragserlass zu verpflichten. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt den Erlass von Beitragsschulden. Der Kläger, dem das Jobcenter Berlin Charlottenburg/Wilmersdorf aufgrund eines Antrags vom Mai 2010 seit Juli 2010 durchgehend darlehensweise und vorläufig Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch / Zweites Buch (SGB II) gewährt, war vom 01.08. bis 13.08.2010 auf der Grundlage von § 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (SGB V) bei der Beklagten krankenversichert. Am 14.08.2010 suchte er eine Arztpraxis auf, die ihm für den Zeitraum 14.08. bis 28.08.2010 Arbeitsunfähigkeit attestierte. Am 11.04.2013 zeigte der Kläger der Be-klagten an, seit dem 14.08.2010 nicht krankenversichert zu sein. Mit Bescheid vom 06.05.2013 teilte die Beklagte dem Kläger den Versicherungsbeginn ab 14.08.2010 und die Höhe der ab Januar 2013 zu zahlenden Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung mit. Gleichzeitig setzte sie für den Zeitraum 14.08.2010 bis 31.03.2013 einen Nachzahlbetrag in Höhe von insgesamt 4.584,84 EUR fest. Mit Schreiben vom 10.07.2013 beantragte der Kläger die Reduzierung der Beitragsschulden. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 01.11.2013 unter Hinweis darauf ab, der Kläger habe im Nacherhebungszeitraum Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung in Anspruch genommen. Den hiergegen erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, dass die Ablehnung des Beitragserlasses nicht auf eine einmalige Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen im Nacherhebungszeitraum gestützt werden könne. Dieser Umstand sei im Gesetz nicht vorgesehen und erst vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) eingeführt worden. Die Regelung erscheine nicht sachgerecht. Zumindest habe vorgesehen werden müssen, dass eine Erstattung möglich ist, wenn der Versicherte die entstandenen Kosten der ärztlichen Inanspruchnahme erstattet. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.05.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Gesetzgeber habe die Ausgestaltung der näheren Voraussetzungen des Beitragserlasses dem GKV-Spitzenverband übertragen. Dieser habe den Regelungsauftrag mit den Einheitlichen Grundsätzen zur Beseitigung finanzieller Überforderung bei Beitragsschulden vom 04.09.2013 erfüllt. Danach schließe jegliche Inanspruchnahme von Leistungen im Nacherhebungszeitraum den Beitragserlass aus. Mit der am 05.06.2014 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter. Zur Begründung der Klage macht er geltend, das Gesetz selbst regele den Fall einer Leistungsinanspruchnahme in Form einer Krankschreibung nicht. Es ermächtige den GKV-Spitzenverband nur, den Erlass der Beiträge von einem Verzicht des Versicherten auf die Inanspruchnahme von Leistungen abhängig zu machen. Der Fall, dass Leistungen bereits in Anspruch genommen worden seien, sei im Gesetz nicht geregelt. Es liege eine Gesetzeslücke vor, die nur so geschlossen werden könne, dass der Beitragserlass zu gewähren sei, wenn der Versicherte die in Anspruch genommene Leistung erstatte. Der Kläger sei beim Aufsuchen des Arztes davon ausgegangen, dass er aufgrund des Bezugs von SGB II-Leistungen krankenversichert sei. Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 01.11.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.05.2014 zu verpflichten, dem Kläger die im Zeitraum 14.08.2010 bis 31.03.2013 erhobenen Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflege-versicherung sowie hierauf entfallender Säumniszuschläge und Mahngebühren zu erlassen. Die Beklagte und die beigeladene Pflegekasse beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf den Widerspruchsbescheid. In dem parallel rechtshängig gemachten Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes verwies die Beklagte zudem auf die Ergebnisniederschrift Fachkonferenz Beiträge vom 19.11.2013, in deren Top4 ausdrücklich geregelt sei, dass jegliche Leistungsinanspruchnahme im Nacherhebungszeitraum den Beitragserlass ausschließe. Das Gericht hat den GKV-Spitzenverband im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens zu der von der Beklagten in Bezug genommenen Ergebnisniederschrift befragt. Der GKV-Spitzenverband hat mitgeteilt, dass die Fachkonferenz Beiträge ein Gremium des GKV-Spitzenverbands sei, in dem Fragen grundsätzlicher Bedeutung einer einheitlichen Bewertung zugeführt werden sollen. Eine gesetzliche Bindung der Krankenkassen an die Ergebnisnie-derschriften bestehe allerdings nicht. Das Bundesministerium für Gesundheit habe an der Er-gebnisniederschrift nicht mitgewirkt, jedoch im Nachgang zu der Besprechung hiervon Kenntnis erhalten. Der mögliche Beitragserlass baue darauf auf, dass eine Inanspruchnahme von Leistungen im Nacherhebungszeitraum einen Erlass oder eine Beitragsermäßigung aus-schließe. Dieser Gedanke folge der Intention der solidarischen gesetzlichen Krankenversicherung, in der der Leistungsanspruch immer an eine Beitragszahlung gekoppelt sei. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat der Kläger ausgeführt, dass die Leistungen nach dem SGB II aufgrund eines Grundstücks in Bulgarien, dass der Kläger gemeinsam mit seiner damaligen Lebensgefährtin erworben habe, lediglich darlehensweise bewilligt worden seien. Der Kläger habe jedoch nie irgendwelche Nachweise über den Grundstückserwerb von seiner damaligen Lebensgefährtin erhalten und diese bestreite den Erwerb. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig (§ 54 Abs. 1 SGG). Das neben der Aufhebung des Bescheids vom 01.11.2013 bestehende Klagebegehren auf Erlass der festgesetzten Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ist als Verpflichtungsbegehren zu verstehen, da über den beantragten Erlass durch Verwaltungsakt zu entscheiden ist. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 01.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.05.2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat Anspruch auf Erlass der begehrten Verwaltungsentscheidung über den Erlass der mit Beitragsbescheid vom 06.05.2013 für den Zeitraum 14.08.2010 bis 31.03.2013 festgesetzten Beiträge. 1) Ein Beitragserlass kommt zunächst naturgemäß nur dann in Betracht, wenn Beiträge aufgrund des Bestehens einer sog. Auffangversicherung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V geschuldet werden. Ob im Zeitraum 14.08.2010 bis 31.03.2013 tatsächlich die Voraussetzungen gem. § 5 Abs. 1 Nr. 13 lit. a) erfüllt waren mit der Folge einer Beitragspflicht gem. §§ 223, 227, 240 SGB V ist allerdings fraglich. Für den Zeitraum 14.08.2010 bis 13.09.2010 kommt ein Eingreifen des nachwirkenden Versicherungsschutzes gem. § 19 Abs. 2 SGB V in Betracht. Das Konkur-renzverhältnis zwischen der Auffangversicherung und dem nachwirkenden Anspruch wird in § 5 Abs 8a S 4 SGB V dahingehend geregelt, dass der Anspruch auf Leistungen nach § 19 Abs 2 SGB V nicht als Absicherung im Krankheitsfall iS des § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V gilt, sofern im Anschluss daran kein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall besteht. Damit wird grundsätzlich der Vorrang der Auffangversicherung gegenüber einem nachwirkenden Leistungsanspruch festgelegt. Nur wenn bei prognostischer Betrachtung davon auszugehen ist, dass die betroffene versicherte Person spätestens nach Ablauf eines Monats nach dem Ende seiner bisherigen Mitgliedschaft eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall erlangen wird verdrängt der nachgehende Leistungsanspruch aus § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB V die ansonsten vorrangige Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Maßgeblicher Zeitpunkt für die anzustellende Prognose ist dabei grundsätzlich der letzte Tag der Mitgliedschaft aus der Beschäftigtenversicherung (vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 04. März 2014 – B 1 KR 68/12 R –, SozR 4-2500 § 5 Nr 22, SozR 4-2500 § 19 Nr 8, Rn. 25 bei juris, m.w.N.). Unter Berücksichtigung des Vortrags des Klägers in der mündlichen Verhandlung spricht viel dafür, dass bei prognostischer, objektiver Betrachtung davon auszugehen war, dass der Kläger nach Beendigung der versicherungspflichtigen Beschäftigung am 13.08.2010 aufgrund seines bereits im Mai 2010 gestellten Antrags SGB II-Leistungen beziehen und damit nach § 5 Abs 1 Nr 2a SGB V versicherungspflichtig sein würde. Unter Berücksichtigung der Ausführungen des Klägers zu seinem verwertbaren Vermögen musste dieser wohl nicht mit einer nur darlehensweise erfolgenden Leistungsbewilligung rechnen. Insoweit ist auch die Rechtmäßig-keit der nur darlehensweise erfolgten Bewilligungen von SGB II – Leistungen für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum offen und mithin ungeklärt, ob dem Kläger ggf. rückwirkend Leistungen nach dem SGB II endgültig zu bewilligen sind mit der Folge einer Versicherungs-pflicht gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V. Jedoch hat die Beklagte mit Bescheid vom 06.05.2013 das Bestehen der Auffangversicherung ab dem 14.08.2010 festgestellt. Diese Feststellung hat der Kläger nicht mit Widerspruch an-gegriffen. Sie ist bestandskräftig geworden. Der Bescheid ist nicht etwa deshalb Gegenstand des Rechtsstreits geworden, weil die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 01.11.2013 den Antrag auf teilweisen Erlass der mit dem Beitragsbescheid festgesetzten Bei-tragsforderung ablehnte (a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.09.2014, L 1 KR 331/14 B ER, Rn. 15 bei juris). Die Argumentation des LSG, wonach die Beklagte mit dem Be-scheid vom 01.11.2013 die festgesetzte Beitragsforderung wiederholt und bestätigt habe, weshalb sich die Regelungsgegenstände der Bescheide überschneiden würden, vermag nicht zu überzeugen. Denn mit der Feststellung der Mitgliedschaft und der Beitragsfestsetzung einerseits und der Entscheidung über einen Erlass der festgesetzten Beiträge andererseits liegen zwei klar voneinander abgrenzbare Regelungsgegenstände vor. Die Entscheidung über die Begründung der Auffangversicherung und die damit verbundene Beitragszahlungspflicht wurde von der Beklagten allein auf Grundlage der Regelungen der §§ 5 Abs. 1 Nr. 13, 223, 227, 240 SGB V getroffen. Die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung ist unabhängig davon zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für einen Beitragserlass des § 256a SGB V vorliegen. Für den Fall der Beantragung eines Erlasses von Beitragsschulden gem. § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV ist dies in der Rechtsprechung auch anerkannt (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 03. Juni 2015 – L 2 R 376/13 –, Rn. 48, juris, das unter Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 01. Juli 2010 – B 13 R 67/09 R – darauf hinweist, dass die Frage eines etwaigen Beitragserlasses gem. § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV im Rahmen des Einziehungsverfahrens zu ent-scheiden ist). 2) Die von der Beklagten für den Zeitraum 14.08.2010 bis 31.03.2013 festgesetzten Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sind jedoch jedenfalls gem. § 256a SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15.07.2013, in Kraft getreten am 01.08.2013, zu erlassen. Nach dieser Vorschrift soll die Krankenkasse den für die Zeit seit dem Eintritt der Versiche-rungspflicht nachzuzahlenden Beitrag und die darauf entfallenden Säumniszuschläge nach § 24 des Vierten Buches erlassen, wenn ein Versicherter das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 SGB V bis zum 31.12.2013 anzeigt bzw. wenn er dies bereits bis zum 31.07.2013 getan hatte. In Absatz 4 Satz 1 der Vorschrift erteilt der Gesetzgeber dem GKV-Spitzenverband den Auftrag, "das Nähere zur Ermäßigung und zum Erlass von Beiträgen und Säumniszuschlägen nach den Absätzen 1 bis 3, insbesondere zu einem Verzicht auf die Inanspruchnahme von Leistungen als Voraussetzung für die Ermäßigung oder den Erlass" zu regeln. Satz 2 sieht vor, dass die Regelungen des GKV-Spitzenverbands zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit bedürfen. In Umsetzung dieses Regelungsauftrags hat der GKV-Spitzenverband am 04.09.2013 die Einheitlichen Grundsätze zur Beseitigung finanzieller Überforderung bei Beitragsschulden er-lassen (im Folgenden: "Einheitliche Grundsätze"). § 3 der Einheitlichen Grundsätze lautet: (1) Hat ein Versicherter das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V bis zum 31. Juli 2013 angezeigt, sind die für die Zeit seit dem Beginn der Versicherungspflicht bis zum Ende des Monats, der dem Tag der Anzeige vorhergeht (Nach-erhebungszeitraum), noch nicht gezahlten Beiträge zu erlassen. Ein Erlass der Beiträge setzt voraus, dass das Mitglied schriftlich erklärt, während des Nacherhebungszeitraums Leistungen für sich nicht in Anspruch genommen zu haben oder im Falle in Anspruch genommener Leistungen auf eine Kostenübernahme oder Kostenerstattung zu verzichten. Ein Erlass der Beiträge scheidet aus, wenn der Nacherhebungszeitraum nicht mehr als drei Monate umfasst. Der Erlass setzt bei geschlossenen Beitragskonten grundsätzlich einen Antrag voraus. (2) Sofern im Falle des Erlasses von Beiträgen nach Absatz 1 auf die Beitragsforderung für den Nacherhebungszeitraum Säumniszuschläge nach § 24 SGB IV zu erheben waren, sind diese zu erlassen. Gleiches gilt für Vollstreckungskosten, Gebühren und Zinsen. Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend." Diese Voraussetzungen sind erfüllt: a) Der Kläger hat die Anzeige zur Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V und § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 12 SGB XI am 11.04.2013 getätigt. Der Nacherhebungszeitraum i.S.d. § 3 Abs. 1 S. 1 der Einheitlichen Grundsätze umfasst mithin den streitgegenständlichen Zeitraum 14.08.2010 bis 31.03.2013. b) Eine schriftliche Erklärung, dass der Kläger im Nacherhebungszeitraum keine Leistungen in Anspruch genommen habe oder dass er zwar Leistungen in Anspruch genommen habe, aber auf eine Kostenübernahme oder Kostenerstattung verzichte, hat der Kläger zwar nicht abgegeben. Insoweit ist allerdings zum einen zu berücksichtigen, dass der Wortlaut der Vorschrift ganz offensichtlich lediglich die Fälle umfasst, in denen die betroffene versicherte Person ent-weder keine medizinischen Leistungen erhalten hat oder diese auf privatärztlicher Basis erhielt. Der hier zu beurteilende Sachverhalt einer Inanspruchnahme im Wege der Sachleistung ist hingegen nicht umfasst. Aufgrund dessen geht das LSG Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 30.09.2014 davon aus, dass die Nichterklärung eines Verzichts dann keine nega-tiven Folgen für den Erstattungsanspruch haben könne (a.a.O., Rn. 20 bei juris). Auch die Beklagte hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass im Fall einer Leistungsinanspruchnahme im Wege der Sachleistung eine Verzichtserklärung entbehrlich wäre. Letztlich braucht nicht ab-schließend entschieden zu werden, ob gleichwohl aufgrund des Wortlauts des § 3 der Einheitlichen Grundsätze in jedem Fall – also auch bei Inanspruchnahme von Leistungen als Sachleistung – eine Verzichtserklärung abzugeben ist, denn der Kläger hat die Erklärung jedenfalls in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll gegeben und damit nachgeholt. c) Weitere Voraussetzungen lassen sich weder dem Wortlaut des § 256a SGB V, noch dem der Einheitlichen Grundsätze entnehmen. Zwar hat die Fachkonferenz Beiträge des GKV-Spitzenverbandes in ihrer Ergebnisniederschrift vom 19.11.2013 ausdrücklich geregelt, dass jegliche Leistungsinanspruchnahme im Nacherhebungszeitraum den Beitragserlass ausschließe. Diese Ergebnisniederschrift schafft jedoch kein verbindliches Recht. Sie stellt sich schon deshalb nicht als Umsetzung des in § 256a Abs. 4 SGB V enthaltenen Regelungsauftrags dar, weil die danach notwendige Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit nicht vorliegt. Der GKV-Spitzenverband räumt selbst ein, dass die Ergebnisniederschrift die Krankenkassen nicht bindet. Überdies wäre die Statuierung der Nichtinanspruchnahme von Leistungen als unbedingte Vo-raussetzung für den Beitragserlass auch nicht mehr vom Wortlaut der Ermächtigungsgrundlage des § 256a Abs. 4 SGB V gedeckt. Denn der Gesetzwortlaut spricht allein von einem "Verzicht auf die Inanspruchnahme von Leistungen". Ein Verzicht setzt eine bewusste Entscheidung bei einer noch bestehenden Wahlmöglichkeit voraus. Der Kläger hatte jedoch keine solche Wahlmöglichkeit; denn er ging bei der Inanspruchnahme der Leistung von einer bestehenden Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund des Bezugs von SGB II-Leistungen aus. Auch aus der Gesetzesbegründung wird deutlich, dass nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V pflichtversicherte Personen ein Wahlrecht haben sollen, ob sie auf Leistungen verzichten und damit den Beitragserlass oder stattdessen nachträglichen Versicherungsschutz in Anspruch nehmen wollen: "Der Spitzenverband Bund hat dabei insbesondere auch die Voraussetzungen dafür zu regeln, nach denen ein Leistungsverzicht bzw. ein Verzicht auf die Einreichung von Rechnungen für den entsprechenden Zeitraum Bedingung für einen Erlass bzw. die Ermäßigung von Beiträgen ist ... Grundsätzlich ist jedoch die Möglichkeit, vom Beitragserlass keinen Gebrauch zu machen, sondern stattdessen den nachträglichen Versicherungsschutz, z. B. durch das Einreichen von Rechnungen in Anspruch zu nehmen, für alle Mitglieder sowohl vor als auch nach dem Stichtag zu sicherzustellen." ( BT-Drs.17/13947, S. 29) Schließlich würde ein Ausschluss des Beitragserlasses bei bereits im Rahmen der Sachleis-tung in Anspruch genommenen Leistungen auch die Erreichung des Ziels der gesetzlichen Regelung, nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V pflichtversicherte Menschen zur Versicherungsan-zeige zu bewegen, gefährden. Überzeugend weist das LSG Berlin-Brandenburg in dem bereits zitierten Beschluss insoweit auf Folgendes hin: "Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers mit dem Erlass des Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung ein Anreiz für die Vielzahl der unerkannt gebliebenen Versicherten geschaffen werden sollte, sich umgehend als Krankenversicherte zu melden (Felix NZS 2013, 921/922). Diese Anreizfunktion, welche auf die Herstellung von Versicherungsschutz und nicht auf die Beitragsoptimierung der Krankenkassen zielt, ginge in Fällen wie dem Vorliegenden vollständig verloren, wenn aus ökonomischer Sicht der vorteilhafteste Weg gewesen wäre, weiter von einer Anzeige der Versicherungspflicht Abstand zu nehmen." (Beschluss vom 30. September 2014, L 1 KR 331/14 B ER, Rn. 19 bei juris)
Weiter hat das LSG nachvollziehbar ausgeführt: "Die Regelungen in § 256a SGB V sind zugeschnitten auf den Fall einer den Krankenkassen mangels Meldung/Anzeige unbekannt gebliebenen Auffangmitgliedschaft nach § 5 Abs.1 Nr. 13 SGB V (BT-Drs 17/13947 S. 28). Eine tatsächlich erfolgte Inanspruchnahme von Leistungen steht aber einer Meldung als Versicherter zumindest nahe und hätte deswegen Anlass für die Prüfung des Versicherungsverhältnisses einschließlich der Durchsetzung bestehender Beitragsforderungen gewesen sein können. Die sich aus der unterbliebenen Prüfung ergebenen nachteiligen Folgen müssen nicht notwendig alleine dem Antragsteller angelastet werden." (a.a.O.) Auch der GKV-Spitzenverband hält eine Gleichsetzung einer tatsächlichen Leistungsinanspruchnahme mit der Anzeige einer Pflichtversicherung für vertretbar (vgl. TOP 4 Ziff. 3 der Ergebnisniederschrift). Es erscheint in der Tat nicht gerechtfertigt, wenn sich die Beklagte trotz unterlassener Prüfung auf einen Beitragsausschluss berufen könnte. Da gem. § 3 der Einheitlichen Grundsätze die Beiträge zu erlassen "sind", steht die Entscheidung hierüber nicht im Ermessen der Beklagten. Die Beklagte war deshalb zum Beitragserlass zu verpflichten. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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