S 51 KR 997/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
51
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 51 KR 997/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei der Bestimmung der beitragspflichtigen Einnahmen im Sinne des § 235 Abs. 1 S. 1 SGB V ist das Regelentgelt im Sinne der §§ 46,47 SGB IX maßgeblich, nicht hingegen die Berechnungsgrundlage, nach der sich das Übergangsgeld unter Berücksichtigung der §§ 46,47,48 SGB IX tatsächlich berechnet.
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 28. November 2013 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 8. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2014 verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum 31. Oktober 2013 bis 5. Januar 2014 höheres Krankengeld, nämlich kalendertäglich in Höhe von 34,03 EUR brutto zu zahlen. Die Beklagte erstattet der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des der Klägerin für den Zeitraum 31. Oktober 2013 bis Januar 2014 zustehenden Krankengeldes.

Die Klägerin nahm im Jahr 2013 an einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme teil, die aber aufgrund einer am 3. Oktober 2013 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit der Klägerin vorzeitig mit Wirkung zum 18. Oktober 2013 widerrufen wurde (Widerrufsbescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 28. Oktober 2013).

Die Klägerin bezog in diesem Zusammenhang ab dem 28. Januar 2013 auf Grundlage des Bescheides der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 30. Januar 2013 Übergangsgeld in Höhe von kalendertäglich 35,89 EUR. Dieses Übergangsgeld wurde der Klägerin bis zum 30. Oktober 2013 gezahlt. Dem Bescheid sind als Anlage die Berechnungen beigefügt, die im Zusammenhang mit der Berechnung des Übergangsgeldes durchgeführt worden sind. Enthalten ist eine Berechnung auf Grundlage des § 47 SGB IX (Seite 1 und 2 der Anlage). Hier wird unter anderem das kalendertägliche Regelentgelt aufgeführt (60,77 EUR) sowie das kalendertägliche Nettoarbeitsentgelt (41,14 EUR). Weiter wird die Berechnungsgrundlage für Übergangsgeld nach § 48 SGB IX ermittelt (Seite 3 und 4), diese beträgt 53,01 EUR.

Die Beklagte zahlte der Klägerin aufgrund ihrer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit für den Zeitraum vom 31. Oktober 2013 bis zum 5. Januar 2014 Krankengeld, welches sie mit Bescheid vom 28. November 2013 der Höhe nach auf 29,69 EUR brutto bezifferte und im Rahmen einer Dynamisierung mit Bescheid vom 8. Januar 2014 für den Zeitraum ab 1. Januar 2014 auf 30,64 EUR brutto anhob.

Die Klägerin erhob gegen den Bescheid vom 28. November 2013 Widerspruch, mit dem sie die Gewährung höheren Krankengeldes forderte. Sie bemängelte, dass sich die Krankengeldberechnung auf eine Summe stütze, die bereits auf 65 Prozent gekürzt gewesen sei. Von Dieser seien weitere 20 Prozent abgezogen worden, um das Regelentgelt zu ermitteln. Danach seien weitere 30 Prozent gekürzt worden, um das Brutto-Krankengeld festzulegen. Soweit ihr bekannt sei, stütze sich die Berechnung des Krankengeldes auf die Summe, die bei Berechnung des Übergangsgeldes als vorheriges Bruttoeinkommen ermittelt wurde. Dies würde bedeuten, dass als Regelentgelt 80 Prozent des Bruttoeinkommens anzusetzen wären. 70 Prozent dieses Betrages würden dann das Brutto-Krankengeld ergeben. Die von der Beklagten angewandte Berechnungsmethode würde dazu führen, dass Rehabilitanten im Vergleich zu Arbeitslosengeldempfängern deutlich benachteiligt würden, obwohl es sich bei beiden um Empfänger von "Leistungen anhand bereits gekürzter Einkommen" handele.

Die Beklagte wies diesen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. April 2014 als unbegründet zurück. Grundsätzlich betrage das Krankengeld 70 Prozent des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliege (Regelentgelt - § 47 Abs. 1 S. 1 SGB V). Für Versicherte, die nicht Arbeitnehmer sind, gelten als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgeblich war (§ 47 Abs. 4 S. 2 SGB V). Bundesozialgericht habe entschieden, dass Teilnehmer an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht als Arbeitnehmer versichert seien. Folglich könne des Krankengeld nicht aus einem vorherigen Arbeitsentgelt berechnet werden (Urteil vom 5. Mai 2009, Az. B 1 KR 16/08 R). Unter Berücksichtigung dieses Urteils seien 80 Prozent des Bemessungsbetrages, der für das unmittelbar vor dem Krankengeld gewährte Übergangsgeld zugrunde gelegt wurde, als Regelentgelt anzusetzen. Die Berechnung des Krankengeldes sei deshalb der Höhe nach nicht zu beanstanden. Denn die Beklagte habe das Krankengeld aus dem zuletzt von der Klägerin bezogenen Übergangsgeld ermittelt.

Klägerin hat am Juni 2014 Klage gegen diese Entscheidungen erhoben, mit der sie ihr Begehren nach höherem Krankengeld weiterverfolgt. Sie hält es für unzutreffend, dass die Beklagte bei ihren Berechnungen von dem Übergangsgeld, das sich vorliegend gemäß § 48 SGB IX aus 65 Prozent des Arbeitsentgeltes errechnet habe, eine Kürzung um 80 Prozent vornehme, um das Resultat hieraus als Regelentgelt für das Krankengeld zu nutzen und dementsprechend bei der Krankengeld Berechnung eine weitere Kürzung von 70 Prozent vorzunehmen. Ihrer Meinung nach müsste der Berechnung des Bruttokrankengeldes das kalendertägliche Regelentgelt i.H.v. 60,77 EUR zu Grunde gelegt werden. Damit ergebe sich für die Berechnung des Krankengeldes folgende Berechnung: 60,77 EUR x 0,8 = 48,12 EUR. 48,12 EUR x 0,7 = 34,03 EUR. Das Brutto-Krankengeld müsse dementsprechend 34,03 EUR betragen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 28. November 2013 in der Form des Änderungsbescheides vom 8. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2014 zu verurteilen, ihr für den Zeitraum 31. Oktober 2013 bis 5. Januar 2014 höheres Krankengeld, und zwar kalendertäglich 34,03 EUR brutto zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie geht davon aus, das Krankengeld zutreffend berechnet zu haben. Sie verweist dazu unter anderem auf ein Gemeinsames Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes vom 9. Dezember 2015 zu Berechnung, Höhe und Zahlung des Krankengeldes und des Verletztengeldes. Dort sei unter Punkt 3.2.4 auch ein Berechnungsbeispiel enthalten, welches die Berechnung der Beklagten bestätige. Dasselbe ergebe sich aus einem Schreiben des Bundesversicherungsamtes vom 22. Oktober 2009 zur Umsetzung des Urteils des Bundessozialgerichts vom 5. Mai 2009 (Az: B 1 KR 16/08 R).

Das Gericht hat eine Stellungnahme des GKV-Spitzenverbandes zur dortigen Auslegung des § 235 Abs. 1 S. 1 SGB V eingeholt. In der Stellungnahme vom 10. August 2016 wird ausgeführt, dass aufgrund der Verwendung des identischen Begriffs "Regelentgelt" in § 235 Abs. 1 S. 1 SGB V und in den §§ 46 und 47 SGB IX hinreichend klargestellt sei, dass Ausgangswert für die Bestimmung der beitragspflichtigen Einnahmen das Regelentgelt im Sinne des § 47 SGB IX sein müsse. Die Regelung des § 235 Abs. 1 S. 1 SGB V differenziere nicht danach, ob das Übergangsgeld nach den §§ 46 und 47 SGB IX oder nach § 48 SGB IX berechnet werde. Auch wenn § 48 SGB IX den Begriff "Regelentgelt" nicht enthalte, sondern auf einem tariflichen bzw. ortsüblichen Arbeitsentgelt aufbaue, werde von Seiten des GKV-Spitzenverbandes die Auffassung vertreten, dass nach der gleichen Systematik dieses fiktive Arbeitsentgelt den Ausgangswert für die Bestimmung der beitragspflichtigen Einnahmen bilde. Die Bestimmung der beitragspflichtigen Einnahmen sei damit – bis auf denselben Ausgangswert – von der Berechnung des Übergangsgeldes selbst abgekoppelt, die in einem weiteren Schritt eine Reduzierung des Regelentgelts bzw. des fiktiven Arbeitsentgelts auf eine "Berechnungsgrundlage" i.H.v. 80 Prozent (§ 46 SGB IX) oder 65 Prozent (§ 48 SGB IX) vorsehe. Die vorstehend beschriebene Beitragsbemessung füge sich damit widerspruchsfrei in die Regelungen über die Höhe der beitragspflichtigen Einnahmen anderer Bezieher von Entgeltersatzleistungen in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung ein, die ebenfalls auf dem zuvor bezogenen oder ausgefallenen Arbeitsentgelt aufbauen und – unabhängig von der Bemessung der jeweiligen Leistung – als beitragspflichtige Einnahmen einen Anteil von 80 % vorsehen.

Die Beteiligten haben mit Erklärungen vom 25. Juli 2017 und 16. August 2017 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der zum Gegenstand der Beratung und Entscheidung der Kammer gemachten Prozessakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.

Die Klage ist als Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 und Abs. 4 SGG zulässig. Sie ist auch begründet. Denn der Klägerin steht Krankengeld in der von ihr begehrten Höhe zu.

Der Anspruch der Klägerin auf Krankengeld für den streitgegenständlichen Zeitraum ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Die Klägerin war bei der Beklagten mit Anspruch auf Krankengeld versichert und im streitgegenständlichen Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt, für das Gericht ergeben sich keine Anhaltspunkte dies in Zweifel zu ziehen.

Im Fall des Krankengeldbezuges im Anschluss an den Bezug von Übergangsgeld berechnet sich die Höhe des Krankengeldes nach Maßgabe des § 47 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 S. 2 i.V.m. § 235 Abs. 1 S. 1 SGB V (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 5. Mai 2009, Az: B 1 KR 16/08 R).

§ 47 Abs. 1 S. 1 SGB V lautet:
"Das Krankengeld beträgt 70 vom Hundert des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt)."

§ 47 Abs. 4 S. 2 SGB V lautet:

"Für Versicherte, die nicht Arbeitnehmer sind, gilt als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgebend war."

§ 235 Abs. 1 S. 1 SB V lautet:

"Für die nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 versicherungspflichtigen Teilnehmer an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gilt als beitragspflichtige Einnahmen 80 vom Hundert des Regelentgelts, das der Berechnung des Übergangsgeldes zugrunde liegt."

Zusammengenommen ergibt sich damit, dass für den Fall des Krankengeldbezuges nach Übergangsgeld das Krankengeld 70 Prozent des Regelentgeltes im Sinne des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V beträgt, also 70 Prozent des kalendertäglichen Betrages, der zuletzt der Beitragsbemessung zu Grunde gelegen hat, also (wegen § 235 Abs. 1 S. 1 SGB V) 70 Prozent von 80 Prozent des Regelentgelts, das der Berechnung des Übergangsgeldes zugrunde liegt.

Dies sind vorliegend 0,7 x 0,8 x 60,77 EUR = 34,03 EUR.

Denn der Bescheid der Deutschen Rentenversicherung vom 30. Januar 2013 weist auf Seite 1 der Anlage als kalendertägliches Regelentgelt eindeutig den Betrag von 60,77 EUR aus. Dieses ist dort aus dem tatsächlich erzielten Bruttogehalt der Klägerin entsprechend der Vorschrift des § 47 SGB IX berechnet worden.

Unzutreffend hat die Beklagte bei der Berechnung des Krankengeldes nicht auf diesen Regelentgelt, sondern auf die Berechnungsgrundlage des Übergangsgeldes in Höhe von 53,01 EUR abgestellt und daher einen Krankengeldanspruch in Höhe von (nur) 0,7 x 0,8 x 53,01 EUR = 29,69 EUR ermittelt (und diesen dann ab Januar 2014 dynamisiert auf 30,64 EUR).

Der Betrag von 53,01 EUR ist die Berechnungsgrundlage für das Übergangsgeld nach § 48 SGB IX. Tatsächlich diente im vorliegenden Fall als Berechnungsgrundlage für das gewährte Übergangsgeldes dieser Wert und nicht das Regelentgelt.

Zum Hintergrund: Das Übergangsgeld berechnet sich in einem mehrstufigen Verfahren. Es wird stets eine Berechnungsgrundlage ermittelt, die dann noch auf einen von den persönlichen Verhältnissen abhängigen Prozentsatz (nach § 46 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 und 2 SGB IX entweder 70, 75 oder 80 Prozent) reduziert wird.

Die Berechnungsgrundlage ermittelt sich wie folgt: Sie beträgt gemäß § 46 Abs. 1 S. 1 SGB IX grundsätzlich 80 Prozent des Regelentgeltes [welches in § 46 Abs. 1 S. 1 SGB IX legal definiert, indem es dort heißt "des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt)" und dessen Berechnung in § 47 SGB IX geregelt ist]. Anschließend wird ein Vergleich angestellt mit dem Nettoarbeitsentgelt. Der niedrigere Wert ist die Berechnungsgrundlage ("höchstens jedoch das in entsprechender Anwendung des § 47 berechnete Nettoarbeitsentgelt"). Anschließend wird ein zweiter Vergleich angestellt und zwar mit dem Wert, der sich bei der Berechnung nach § 48 SGB IX ergibt. Dieser Wert beträgt nach § 48 SGB IX "65 vom Hundert des auf ein Jahr bezogenen tariflichen oder, wenn es an einer tariflichen Regelung fehlt, des ortsüblichen Arbeitsentgelts [ ], das für den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort der Leistungsempfänger gilt". Dieser Wert soll gemäß § 48 SGB IX die Berechnungsgrundlage darstellen, "wenn 1. die Berechnung nach den §§ 46 und 47 zu einem geringeren Betrag führt, 2. Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen nicht erzielt worden ist oder 3. der letzte Tag des Bemessungszeitraums bei Beginn der Leistungen länger als drei Jahre zurückliegt." Die Berechnungsgrundlage für das Übergangsgeld beträgt also - vereinfacht formuliert-:
a) wenn Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt worden und der letzte Tag des Bemessungszeitraums bei Beginn der Leistungen maximal drei Jahre zurückliegt:

80 Prozent des Regelentgeltes, höchstens das Nettoarbeitsentgelt, mindestens jedoch 65 Prozent eines fiktiven, nämlich des tariflichen bzw. ortsüblichen Arbeitsentgelts

b) im Übrigen: 65 Prozent eines fiktiven, nämlich des tariflichen bzw. ortsüblichen Arbeitsentgelts

Hier wird erkennbar, dass das Regelentgelt in nicht wenigen Fällen der Berechnung des Übergangsgeldes nicht direkt zu Grunde liegt. Denn teilweise ist ein fiktives Arbeitsentgelt maßgeblich, teilweise das Nettoarbeitsentgelt. So liegt der Fall auch hier. Weil die nach § 46, 47 SGB IX errechnete Berechnungsgrundlage durch die Beschränkung auf das Nettoarbeitsentgelt mit 41,41 EUR niedriger lag als die nach § 48 SGB IX ermittelte Berechnungsgrundlage von 53,01 EUR, war letztere die maßgebliche Berechnungsgrundlage für die Berechnung des Übergangsgeldes.

Dennoch ist bei der Anwendung des § 235 Abs. 1 S. 1 SGB V (hier im Zusammenhang mit § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V) auf das Regelentgelt und nicht auf die maßgebliche Berechnungsgrundlage für das Übergangsgeld abzustellen.

Denn nach der Auffassung der Kammer ist ausschlaggebend in diesem Zusammenhang die Verwendung des Begriffes "Regelentgelt" und nicht der Zusatz, "das der Berechnung des Übergangsgeldes zugrunde liegt".

Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Der Begriff des Regelentgeltes ist ein sozialrechtlicher Fachbegriff, den der Gesetzgeber selbst im Wege einer so genannten "Legaldefinition" mit einer bestimmten Bedeutung belegt hat. Verwendet der Gesetzgeber einen solchen Fachbegriff, so ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ihm die Bedeutung dieses Begriffes bewusst ist und er den Begriff auch in der von ihm selbst per gesetzlicher Definition festgelegten Bedeutung verwendet wissen will.

Bei dieser Auslegung wird auch der Wortlaut des § 235 Abs. 1 S. 1 SGB V nicht etwa dadurch missachtet, dass der Zusatz "das der Berechnung des Übergangsgeldes zugrunde liegt" gänzlich außer Acht gelassen würde. Denn ein mögliches Verständnis dieses Zusatzes kann auch darin liegen, dass der Gesetzgeber hiermit deutlich machen wollte, dass er sich auf das Regelentgelt im Sinne des § 46, 47 SGB IX bezieht und nicht etwa auf das Regelentgelt aus § 47 SGB V im Zusammenhang mit dem Krankengeldbezug (auch wenn sich diese Regelungen zumindest aktuell in der Berechnungsweise im Regelfall nicht unterscheiden). Diese Klarstellung macht durchaus Sinn. Denn bei der Anwendung des § 235 SGB V könnte ansonsten durch aus naheliegen, bei dem Begriff Regelentgelt auf die entsprechende Legaldefinition aus dem selben Gesetzbuch zurückzugreifen und damit auf § 47 SGB V. Dadurch würde sich aber im Anwendungsbereich des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V, ein Zirkelschluss ergeben, da dieser bezüglich des Regelentgeltes auf die beitragspflichtigen Einnahmen und damit im Ergebnis beispielweise in der vorliegenden Konstellation wiederum auf § 235 SGB V verweist.

Zudem liegt das Regelentgelt der Berechnung des Übergangsgeldes in allen Fällen, in denen Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt worden ist und der letzte Tag des Bemessungszeitraumes innerhalb der letzte drei Jahre vor Einsetzen des Übergangsgeldes liegt, zumindest indirekt zu Grunde, weil es im Wege eines doppelten Vergleiches dem Nettoarbeitsentgelt und dem fiktiven Einkommen nach § 48 SGB IX gegenübergestellt wird. Damit wirkt es sich – wenn es nicht selbst (auf 80 Prozent gekürzt) die Berechnungsgrundlage darstellt – jedenfalls indirekt aus (beispielsweise, indem es eben so niedrig liegt, dass der Betrag nach § 48 SGB IX zur Berechnung heranzuziehen ist).

Allein die Tatsache, dass in manchen Fällen (wenn Einkommen beispielweise überhaupt gar nicht erzielt worden ist) ein Regelentgelt nicht ohne Weiteres zu berechenbar ist, kann nicht dazu führen, dass die eindeutige Wortwahl des Gesetzgebers in regulären Fällen, in denen ein Regelentgelt bestimmbar ist, außer Acht gelassen wird. Für solche Sonderfälle muss über eine sinnvolle Auslegung ein für diese Fälle sachgerechtes Ergebnis gefunden werden (beispielweise in der vom GKV-Spitzenverband dargestellten Weise). Dies kann aber nicht Gegenstand der vorliegenden Entscheidung sein. Denn vorliegend lässt sich ein Regelentgelt bestimmen und dieses ist auch durch die Deutsche Rentenversicherung (soweit ersichtlich fehlerfrei) bestimmt worden.

Dieses Auslegungsergebnis wird auch bestätigt durch eine Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 31. Januar 1980. In seinem Urteil zum Zeichen 8a RK 10/79 hat das Bundessozialgericht zu der Vorschrift des § 385 Abs. 3a RVO wie folgt ausgeführt:

"Nach § 385 Abs 3a Satz 1 RVO (iVm § 381 Abs 3a Nr 2 RVO) sind die Krankenversicherungsbeiträge nach dem Entgelt zu bemessen, das der Berechnung des Übergangsgeldes zugrunde liegt. Entgelt im Sinne dieser Vorschrift ist das Arbeitsentgelt des Versicherten und nicht das Alg. Das folgt aus § 160 Abs 1 RVO (aufgehoben mit Wirkung vom 1. Juli 1977 durch Art II § 1 Nr 1 Buchst a des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften - vom 23. Dezember 1976, BGBl I 3845 -SGB 4- und ersetzt durch § 14 SGB 4). Hier ist festgelegt, was zum Entgelt im Sinne der RVO gehört. In erster Linie gehört der Lohn dazu, nicht aber die Sozialleistungen - hier das Alg -, die anstelle des Lohnes gezahlt werden.

Das Arbeitsentgelt liegt auch, wie dies § 385 Abs 3a Satz 1 RVO voraussetzt, der Berechnung des Übergangsgeldes zugrunde´. Zwar braucht in den Fällen der vorliegenden Art bei der Berechnung des Übergangsgeldes tatsächlich nicht auf das Arbeitsentgelt zurückgegriffen zu werden. Denn nach § 561 Abs 2 RVO iVm § 158 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) muß bei Beginn der medizinischen Rehabilitation während der Arbeitslosigkeit lediglich der Betrag des Alg als Übergangsgeld weitergezahlt werden. Diese vereinfachte Methode, die Höhe des Übergangsgeldes festzulegen, rechtfertigt aber nicht die Meinung, der Berechnung des Übergangsgeldes liege das Arbeitsentgelt nicht zugrunde. Denn der Berechnung des Alg, das als Übergangsgeld weiter zu zahlen ist, liegt das Arbeitsentgelt unmittelbar (§ 112 AFG), der Berechnung des Übergangsgeldes jedoch immerhin mittelbar zugrunde. Damit erfüllt das Arbeitsentgelt die Erfordernisse des § 385 Abs 3a Satz 1 RVO. Daß dem Rehabilitationsträger die selbständige Berechnung des Übergangsgeldes erspart wird, weil sie ein anderer Leistungsträger für das Alg bereits vorgenommen hat, rechtfertigt es nicht, auch bei der Beitragsberechnung die eigentliche
Berechnungsgrundlage der Leistung außer Betracht zu lassen."

Denn auch dort hat das Bundessozialgericht der Bedeutung des vom Gesetzgeber verwendeten rechtlichen Fachbegriffes (dort: "Entgelt") eine größere Bedeutung beigemessen als dem Zusatz "das der Berechnung des Übergangsgeldes zu Grunde liegt." und hat es ausreichen lassen, dass die Größe, auf die der Gesetzgeber Bezug genommen hat, in Einzelfällen der Berechnung des Übergangsgeldes zwar nicht direkt, aber zumindest indirekt zu Grunde liegt.

Hinzu kommt – worauf der GKV-Spitzenverband in seiner Darstellung zu Recht hinweist und worauf auch die Klägerin in ihrem Widerspruchsschreiben bereits hingewiesen hat – dass sich bei einem Abstellen auf die Berechnungsgrundlage wohl ungerechtfertigte Unterschiede gegenüber Beziehern anderer Lohnersatzleistungen ergeben würden. Beitragspflichtig sind nämlich beispielsweise gemäß § 232a Abs. 1 Nr. 1 SGB V bei Beziehern von Arbeitslosengeld I (und Unterhaltsgeld) 80 Prozent des der Leistung zugrunde liegenden, durch sieben geteilten wöchentlichen Arbeitsentgelts. Abgestellt wird hier auf das Bemessungsarbeitsentgelt (vgl. Peters in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 95. EL Juli 2017, online-Version, § 232a Rz 6) und damit auf eine Größe, die dem Regelentgelt vergleichbar ist. Würde man bei § 235 Abs. 1 S. 1 SGB V hingegen nicht auf das Regelentgelt abstellen, sondern – wie die Beklagte – auf die Berechnungsgrundlage, so würde ein Wert von lediglich 80 Prozent des Regelentgeltes bzw. das Nettoarbeitsentgelt bzw. 65 Prozent eines fiktiven Einkommens herangezogen und nach Maßgabe des § 235 Abs. 1 S. 1 SGB V Beiträge auf 80 Prozent dieses (bereits verringerten) Wertes erhoben. Eine äquivalentere Beitragserhebung zwischen Beziehern von Arbeitslosengeld I und Beziehern von Übergangsgeld erfolgt daher, wenn im Sinne der vorliegend vertretenen Rechtsauffassung auf das Regelentgelt und nicht auf die Berechnungsgrundlage des Übergangsgeldes abgestellt wird.

Der Beklagten ist zuzugeben, dass das Bundessozialgericht in der Entscheidung vom 5. Mai 2009 (Az: B 1 KR 16/08 R) einen vergleichbaren Sachverhalt wie den vorliegenden zu beurteilen hatte. Auch dort war streitgegenständlich, wie sich das Krankengeld in einem Fall berechnet, in dem zuvor Übergangsgeld bezogen worden ist. Auch dort hatte der Versicherte, wie sich aus dem Tatbestand der Entscheidung ergibt, Übergangsgeld bezogen, das nach Maßgabe des § 48 SGB IX berechnet worden war. Die dort beklagte Krankenkasse hatte das Krankengeld – wie die hiesige Beklagte – ausgehend von dieser Berechnungsgrundlage des Übergangsgeldes berechnet und nicht auf das Regelentgelt im eigentlichen Wortsinn abgestellt. Das Bundessozialgericht hat diese Berechnungsweise in seinem Urteil nicht beanstandet. Allerdings hat sich das Bundessozialgericht in der genannten Entscheidung vorrangig mit einer anderen Rechtsfrage beschäftigt. Es ging dort vor allem darum, ob für Versicherte, die nicht Arbeitnehmer sind, auch nach dem 30.3.2005 als Regelentgelt für die Höhe des Krankengelds der kalendertägliche Betrag gilt, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung maßgebend war (vgl. dortiger Leitsatz). Der hier zwischen den Beteiligten im Streit stehenden Rechtsfrage hat das Bundessozialgericht in der dortigen Entscheidung erkennbar keine Aufmerksamkeit geschenkt. Dies ist an folgendem Zitat aus dem Tatbestand(!) der Entscheidung erkennbar: "Ausgehend von der Berechnungsgrundlage für das Übg von 64,85 Euro knüpfte sie an einen Anteil von 80 vH dieses Regelentgelts an, das als beitragspflichtige Einnahme für versicherungspflichtige Teilnehmer an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gilt, und berechnete hiervon 70 vH, gestützt auf § 47 Abs 4 Satz 2 und Abs 1 Satz 1 SGB V (Bescheid vom 16.9.2004)." Das Bundessozialgericht verwendet hier den Begriff der Berechnungsgrundlage für das Übergangsgeld und den Begriff des Regelentgelts quasi synonym. Die Tatsache, dass dies nicht (erst) in den Entscheidungsgründen – nach einer entsprechenden Begründung oder Klarstellung – so erfolgt, sondern bereits im Tatbestand auf eine Unterscheidung dieser Begriffe gar kein Wert gelegt wird, zeigt dass das Bundessozialgericht sich die im Wortlaut des § 235 Absatz 1 S. 1 SGB V angelegte Zweideutigkeit offenbar nicht bewusst gemacht hat. Die Entscheidung enthält dementsprechend auch keine Argumente, die für die von der Beklagten vorgenommene Auslegungsvariante (und damit gegen die von der Kammer vertretene Auslegung) sprechen würden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt hier dem Ausgang in der Sache. Gründe für eine abweichende Verteilung der Kostenlast sind vorliegend nicht erkennbar.

Die Berufung bedurfte der der Zulassung, da die Beklagte ausweislich des Klageantrages täglich weitere 4,34 EUR für einen Zeitraum von 65 Tagen, insgesamt also ein Betrag von 282,10 EUR geltend gemacht wurden.

Die Berufung ist zugelassen worden, weil die Frage, wie die Krankengeldhöhe nach dem Bezug von Übergangsgeld zu bestimmen ist, grundsätzliche Bedeutung hat, da hierzu keine eindeutige höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt. Denn die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 5. Mai 2009 behandelt zwar einen durchaus vergleichbar gelagerten Fall, setzt sich aber mit der vorliegend entschiedenen Rechtsfrage (ob § 235 Abs. 1 S. 1 SGB V auf das Regelentgelt im Sinne des § 46 SGB IX abstellt oder auf die Berechnungsgrundlage, die der Berechnung des Übergangsgeldes zu Grunde liegt) erkennbar nicht auseinander (s.o) und stellt damit keinen Rechtssatz dazu auf, ob auf das Regelentgelt im Sinne des § 46 Abs. 1 SGB IX oder die dem Übergansgeld tatsächlich zu Grunde liegende Berechnungsgrundlage abzustellen ist.
Rechtskraft
Aus
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