Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Bayreuth (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 4 AS 85/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 115/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 7.1.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.4.2005 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ohne Anrechnung einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zustehen (§ 11 (1) S. 1, Abs. 3 Nr. 1 lit. a SGB II, § 13 S. 1 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 1 (1) Nr. 2 Alg II-V).
Am 16.9.2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Unter Anrechnung eines Einkommens aus einer Verletztenrente der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft i.H.v. monatlich 225,66 Euro, von dem ein Pauschbetrag für Beiträge zu privaten Versicherungen i.H.v. 30.- Euro abgezogen wurde, bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 7.1.2005 für den Zeitraum 1.1.2005 bis 30.6.2005 Leistungen in Höhe von monatlich 320,17 Euro.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 19.1.2005 Widerspruch ein. Er trug vor, er erhalte die Unfallrente aufgrund eines Arbeitsunfalls im Jahr 1988. Er bat um Überprüfung, ob die Rente als Einkommen angerechnet werden müsse.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18.4.2005 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, die Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung stelle keine privilegierte Rente i.S.d. § 11 (1) SGB II und auch keine privilegierte zweckbestimmte Einnahme i.S.d. § 11 (3) Nr. 1 lit. a SGB II dar. Daher sei sie als Einnahme zu berücksichtigen.
Am 20.4.2005 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Bayreuth erhoben. Zur Begründung bringt er vor, die gewährte Unfallrente der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft dürfe zumindest in Höhe der maßgeblichen Grundrente nicht als Einkommen berücksichtigt werden, da dies dem Zweck der Verletztenrente widerspräche. Die Verletztenrente diene dazu, einen Ausgleich zu dem Verdienst zu erreichen, der aufgrund einer gesundheitlichen bzw. körperlichen Einschränkung nicht mehr erzielt werden könne. Das Arbeitslosengeld II diene dagegen der Grundsicherung für Arbeitssuchende; ein Ausgleich für eine geminderte Erwerbsfähigkeit sei damit nicht bezweckt. Um also sicherzustellen, daß der Arbeitssuchende mit gesundheitlicher Einschränkung dasselbe Einkommen erzielen kann wie ohne gesundheitliche Einschränkung bei voller Leistungsfähigkeit, müsse bei der Leistung des ALG II die Unfallrente in Höhe der maßgeblichen Grundrente unberücksichtigt bleiben. Dies gelte auch unter Geltung der mit "Hartz IV" eingeführten gesetzlichen Regelungen; der Wegfall von § 2 Nr. 2 AlhiVO 2002 habe insofern keine Auswirkung. § 11 (1) SGB II, der Renten, die für Schaden an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente von der Anrechnung freistelle, gelte auch für die Verletztenrente, auch wenn diese im Gesetzestext nicht ausdrücklich erwähnt sei. Hierfür sprächen insbesondere die öffentlichen Stellungnahmen der Bundesregierung hinsichtlich der Auswirkungen von Hartz IV. So werde in einer Broschüre des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit ausgeführt, daß eine Verletztenrente bei der Berechnung des ALG II-Anspruches im Rahmen des Einkommens nicht berücksichtigt würde. Gleiches wäre auf einer Internetseite des Ministeriums unter www.arbeitsmarktreform.de zu lesen.
Der Kläger beantragt daher sinngemäß,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 7.1.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.4.2005 zu verurteilen, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ohne Anrechnung der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie führt aus, eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung stelle zweifelsfrei keine ganz oder teilweise anrechnungsfreie Leistung i.S.d. § 11 (1) S. 1 SGB II dar. Sie falle insbesondere auch nicht unter die privilegierten Einnahmen nach § 11 (3) SGB II. Sie sei vielmehr eine anrechenbare Lohnersatzleistung.
Am 22.9.2005 fand ein Erörterungstermin mit den Beteiligten statt.
Mit Schreiben vom 19.10.2005 und vom 24.10.2005 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift, der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, macht das Gericht gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von der Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Die Beteiligten wurden zuvor gehört.
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 7.1.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.4.2005 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat dem Kläger in gesetzmäßiger Weise für den Zeitraum 1.1.2005 bis 30.6.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) i.H.v. 320,17 Euro monatlich bewilligt. Die Rente des Klägers aus der gesetzlichen Unfallversicherung war dabei in voller Höhe als Einkommen zu berücksichtigen.
a) Nach § 11 (1) S. 1 SGB II sind Einnahmen in Geld oder Geldeswert als Einkommen zu berücksichtigen, mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz.
Die Unfallrente des Klägers i.H.v. 225,66 Euro ist eine Einnahme in Geld; sie fällt unter keine der in § 11 (1) S. 1 SGB II wörtlich aufgeführten Ausnahmen.
Dieser Umstand stellt allerdings keine planwidrige Lücke im Gesetz dar, so daß auch für eine analoge Anwendung der Vorschrift kein Raum besteht. Schon unter Geltung des § 76 (1) BSHG war eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung bei der Prüfung des Anspruchs auf Sozialhilfe im Rahmen der Einkommensermittlung in voller Höhe zu berücksichtigen (siehe dazu BSG, Urt. v. 3.12.2002 - B 2 U 12/02 R). Nachdem der Gesetzgeber § 11 (1) S. 1 SGB II in Kenntnis dieses Umstandes § 76 (1) BSHG nachgebildet hat (vgl. BT-Drucks. 15/1516, S. 53), kann vom Vorliegen einer Gesetzeslücke nicht ausgegangen werden. Dies auch deshalb, weil der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 11 (1) S. 1 SGB II den Ausnahmetatbestand gegenüber der Vorgängerregelung um Renten erweitert hat, die nach Gesetzen erbracht werden, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen, ohne für die gesetzliche Verletztenrente eine entsprechende Regelung zu treffen. Überdies ist eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit einer Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz oder einer Rente oder Beihilfe, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht wird, nicht vergleichbar. Dem Bezug dieser Renten liegt nämlich - anders als bei der Unfallrente - der Umstand zugrunde, daß dem Bezieher als Kriegs- oder Wehrdienstbeschädigtem oder als Verfolgtem des nationalsozialistischen Regimes ein Sonderopfer abverlangt wurde (BSG a.a.O.).
b) Die Unfallrente des Klägers muß auch nicht als zweckbestimmte Einnahme beim Einkommen unberücksichtigt bleiben.
Nach § 11 (3) Nr. 1 SGB II sind Einnahmen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen (lit. a) oder als Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege (lit. b) einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, daß daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären, als Einkommen nicht zu berücksichtigen. Ergänzend regelt § 13 S. 1 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 1 (1) Nr. 2 Alg II-V, daß Zuwendungen Dritter, die einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch dienen, nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind, soweit sie die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, daß daneben Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht gerechtfertigt wären. Die gesetzliche Unfallrente, die aufgrund öffentlicher Vorschriften erbracht wird, unterliegt keiner ausdrücklichen Zweckbestimmung, sie ist vielmehr als "zweckneutrale" Leistung anzusehen (BSG a.a.O.). Am ehesten könnte ihr noch eine Lohnersatzfunktion zugeschrieben werden (BSG a.a.O.). In diesem Fall diente sie aber ebenso wie die Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (vgl. § 1 (1) S. 1 u. 2 SGB II) der Sicherung des Lebensunterhalts des Arbeitssuchenden und damit keinem anderen Zweck. Auch die vom Kläger angeführten Mitteilungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit erlauben keine andere rechtliche Beurteilung. Zum einen läßt dieses Informationsmaterial - im Rahmen der Auslegung des § 11 (3) SGB II - nur sehr bedingt Rückschlüsse auf den Willen des Gesetzgebers zu. Zum anderen blieb die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung bei der Einkommensermittlung im Rahmen der Arbeitslosenhilfegewährung nach § 2 S. 1 Nr. 2 AlhiV 2002 bis zu einem bestimmten Betrag der Mindestgrundrente unberücksichtigt. Es wäre dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit als Verordnungsgeber nach § 13 SGB II problemlos möglich gewesen, eine entsprechende Regelung in die Alg II-Verordnung aufzunehmen. Daß er dies unterlassen hat, spricht für eine vollständige Berücksichtigung der Verletztenrente als Einnahme bei der Einkommensermittlung nach § 11 SGB II (a.A. Hänlein in Gagel, SGB II, § 11 Rn. 62; wie hier Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 11 Rn. 252). Ebenfalls dafür spricht der Umstand, daß sich der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 11 (3) SGB II am Sozialhilfe- und nicht am Arbeitslosenhilferecht orientieren wollte (vgl. BT-Drucks. 15/1516, S. 53). Im Sozialhilferecht fand aber eine vollständige Anrechnung der Verletztenrente als Einkommen statt (s.o.).
Soweit der Kläger vorbringt, die Verletztenrente diene dazu, einen Ausgleich zu dem Verdienst zu erreichen, der aufgrund einer gesundheitlichen bzw. körperlichen Einschränkung nicht mehr erzielt werden kann, stützt das die dargelegte Auffassung. Denn anders als die Arbeitslosenhilfe knüpfen die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in der Höhe nicht mehr an das vormals erzielte bzw. zur Zeit erzielbare Arbeitseinkommen an. Deshalb zieht eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit - solange noch die Voraussetzungen des § 8 (1) SGB II gegeben sind - für den Betroffenen keine finanziellen Nachteile nach sich. Vielmehr können gesundheitliche Einschränkungen des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen aufgrund der Konzeption des SGB II im Einzelfall zur Erbringung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts führen (bedarfsorientierte Leistungserbringung nach den §§ 21 ff SGB II); dies war bei der Arbeitslosenhilfe nicht der Fall.
c) Der Bescheid der Beklagten vom 7.1.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.4.2005 ist somit rechtmäßig ergangen. Der bewilligte monatliche Betrag von 320,17 Euro entspricht dem gesetzlichen Leistungsanspruch des Klägers bei (vollständiger) Anrechnung seiner gesetzlichen Unfallrente i.H.v. 225,66 Euro als Einkommen.
Die Klage ist daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ohne Anrechnung einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zustehen (§ 11 (1) S. 1, Abs. 3 Nr. 1 lit. a SGB II, § 13 S. 1 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 1 (1) Nr. 2 Alg II-V).
Am 16.9.2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Unter Anrechnung eines Einkommens aus einer Verletztenrente der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft i.H.v. monatlich 225,66 Euro, von dem ein Pauschbetrag für Beiträge zu privaten Versicherungen i.H.v. 30.- Euro abgezogen wurde, bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 7.1.2005 für den Zeitraum 1.1.2005 bis 30.6.2005 Leistungen in Höhe von monatlich 320,17 Euro.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 19.1.2005 Widerspruch ein. Er trug vor, er erhalte die Unfallrente aufgrund eines Arbeitsunfalls im Jahr 1988. Er bat um Überprüfung, ob die Rente als Einkommen angerechnet werden müsse.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18.4.2005 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, die Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung stelle keine privilegierte Rente i.S.d. § 11 (1) SGB II und auch keine privilegierte zweckbestimmte Einnahme i.S.d. § 11 (3) Nr. 1 lit. a SGB II dar. Daher sei sie als Einnahme zu berücksichtigen.
Am 20.4.2005 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Bayreuth erhoben. Zur Begründung bringt er vor, die gewährte Unfallrente der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft dürfe zumindest in Höhe der maßgeblichen Grundrente nicht als Einkommen berücksichtigt werden, da dies dem Zweck der Verletztenrente widerspräche. Die Verletztenrente diene dazu, einen Ausgleich zu dem Verdienst zu erreichen, der aufgrund einer gesundheitlichen bzw. körperlichen Einschränkung nicht mehr erzielt werden könne. Das Arbeitslosengeld II diene dagegen der Grundsicherung für Arbeitssuchende; ein Ausgleich für eine geminderte Erwerbsfähigkeit sei damit nicht bezweckt. Um also sicherzustellen, daß der Arbeitssuchende mit gesundheitlicher Einschränkung dasselbe Einkommen erzielen kann wie ohne gesundheitliche Einschränkung bei voller Leistungsfähigkeit, müsse bei der Leistung des ALG II die Unfallrente in Höhe der maßgeblichen Grundrente unberücksichtigt bleiben. Dies gelte auch unter Geltung der mit "Hartz IV" eingeführten gesetzlichen Regelungen; der Wegfall von § 2 Nr. 2 AlhiVO 2002 habe insofern keine Auswirkung. § 11 (1) SGB II, der Renten, die für Schaden an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente von der Anrechnung freistelle, gelte auch für die Verletztenrente, auch wenn diese im Gesetzestext nicht ausdrücklich erwähnt sei. Hierfür sprächen insbesondere die öffentlichen Stellungnahmen der Bundesregierung hinsichtlich der Auswirkungen von Hartz IV. So werde in einer Broschüre des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit ausgeführt, daß eine Verletztenrente bei der Berechnung des ALG II-Anspruches im Rahmen des Einkommens nicht berücksichtigt würde. Gleiches wäre auf einer Internetseite des Ministeriums unter www.arbeitsmarktreform.de zu lesen.
Der Kläger beantragt daher sinngemäß,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 7.1.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.4.2005 zu verurteilen, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ohne Anrechnung der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie führt aus, eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung stelle zweifelsfrei keine ganz oder teilweise anrechnungsfreie Leistung i.S.d. § 11 (1) S. 1 SGB II dar. Sie falle insbesondere auch nicht unter die privilegierten Einnahmen nach § 11 (3) SGB II. Sie sei vielmehr eine anrechenbare Lohnersatzleistung.
Am 22.9.2005 fand ein Erörterungstermin mit den Beteiligten statt.
Mit Schreiben vom 19.10.2005 und vom 24.10.2005 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift, der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, macht das Gericht gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von der Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Die Beteiligten wurden zuvor gehört.
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 7.1.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.4.2005 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat dem Kläger in gesetzmäßiger Weise für den Zeitraum 1.1.2005 bis 30.6.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) i.H.v. 320,17 Euro monatlich bewilligt. Die Rente des Klägers aus der gesetzlichen Unfallversicherung war dabei in voller Höhe als Einkommen zu berücksichtigen.
a) Nach § 11 (1) S. 1 SGB II sind Einnahmen in Geld oder Geldeswert als Einkommen zu berücksichtigen, mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz.
Die Unfallrente des Klägers i.H.v. 225,66 Euro ist eine Einnahme in Geld; sie fällt unter keine der in § 11 (1) S. 1 SGB II wörtlich aufgeführten Ausnahmen.
Dieser Umstand stellt allerdings keine planwidrige Lücke im Gesetz dar, so daß auch für eine analoge Anwendung der Vorschrift kein Raum besteht. Schon unter Geltung des § 76 (1) BSHG war eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung bei der Prüfung des Anspruchs auf Sozialhilfe im Rahmen der Einkommensermittlung in voller Höhe zu berücksichtigen (siehe dazu BSG, Urt. v. 3.12.2002 - B 2 U 12/02 R). Nachdem der Gesetzgeber § 11 (1) S. 1 SGB II in Kenntnis dieses Umstandes § 76 (1) BSHG nachgebildet hat (vgl. BT-Drucks. 15/1516, S. 53), kann vom Vorliegen einer Gesetzeslücke nicht ausgegangen werden. Dies auch deshalb, weil der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 11 (1) S. 1 SGB II den Ausnahmetatbestand gegenüber der Vorgängerregelung um Renten erweitert hat, die nach Gesetzen erbracht werden, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen, ohne für die gesetzliche Verletztenrente eine entsprechende Regelung zu treffen. Überdies ist eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit einer Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz oder einer Rente oder Beihilfe, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht wird, nicht vergleichbar. Dem Bezug dieser Renten liegt nämlich - anders als bei der Unfallrente - der Umstand zugrunde, daß dem Bezieher als Kriegs- oder Wehrdienstbeschädigtem oder als Verfolgtem des nationalsozialistischen Regimes ein Sonderopfer abverlangt wurde (BSG a.a.O.).
b) Die Unfallrente des Klägers muß auch nicht als zweckbestimmte Einnahme beim Einkommen unberücksichtigt bleiben.
Nach § 11 (3) Nr. 1 SGB II sind Einnahmen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen (lit. a) oder als Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege (lit. b) einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, daß daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären, als Einkommen nicht zu berücksichtigen. Ergänzend regelt § 13 S. 1 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 1 (1) Nr. 2 Alg II-V, daß Zuwendungen Dritter, die einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch dienen, nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind, soweit sie die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, daß daneben Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht gerechtfertigt wären. Die gesetzliche Unfallrente, die aufgrund öffentlicher Vorschriften erbracht wird, unterliegt keiner ausdrücklichen Zweckbestimmung, sie ist vielmehr als "zweckneutrale" Leistung anzusehen (BSG a.a.O.). Am ehesten könnte ihr noch eine Lohnersatzfunktion zugeschrieben werden (BSG a.a.O.). In diesem Fall diente sie aber ebenso wie die Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (vgl. § 1 (1) S. 1 u. 2 SGB II) der Sicherung des Lebensunterhalts des Arbeitssuchenden und damit keinem anderen Zweck. Auch die vom Kläger angeführten Mitteilungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit erlauben keine andere rechtliche Beurteilung. Zum einen läßt dieses Informationsmaterial - im Rahmen der Auslegung des § 11 (3) SGB II - nur sehr bedingt Rückschlüsse auf den Willen des Gesetzgebers zu. Zum anderen blieb die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung bei der Einkommensermittlung im Rahmen der Arbeitslosenhilfegewährung nach § 2 S. 1 Nr. 2 AlhiV 2002 bis zu einem bestimmten Betrag der Mindestgrundrente unberücksichtigt. Es wäre dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit als Verordnungsgeber nach § 13 SGB II problemlos möglich gewesen, eine entsprechende Regelung in die Alg II-Verordnung aufzunehmen. Daß er dies unterlassen hat, spricht für eine vollständige Berücksichtigung der Verletztenrente als Einnahme bei der Einkommensermittlung nach § 11 SGB II (a.A. Hänlein in Gagel, SGB II, § 11 Rn. 62; wie hier Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 11 Rn. 252). Ebenfalls dafür spricht der Umstand, daß sich der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 11 (3) SGB II am Sozialhilfe- und nicht am Arbeitslosenhilferecht orientieren wollte (vgl. BT-Drucks. 15/1516, S. 53). Im Sozialhilferecht fand aber eine vollständige Anrechnung der Verletztenrente als Einkommen statt (s.o.).
Soweit der Kläger vorbringt, die Verletztenrente diene dazu, einen Ausgleich zu dem Verdienst zu erreichen, der aufgrund einer gesundheitlichen bzw. körperlichen Einschränkung nicht mehr erzielt werden kann, stützt das die dargelegte Auffassung. Denn anders als die Arbeitslosenhilfe knüpfen die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in der Höhe nicht mehr an das vormals erzielte bzw. zur Zeit erzielbare Arbeitseinkommen an. Deshalb zieht eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit - solange noch die Voraussetzungen des § 8 (1) SGB II gegeben sind - für den Betroffenen keine finanziellen Nachteile nach sich. Vielmehr können gesundheitliche Einschränkungen des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen aufgrund der Konzeption des SGB II im Einzelfall zur Erbringung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts führen (bedarfsorientierte Leistungserbringung nach den §§ 21 ff SGB II); dies war bei der Arbeitslosenhilfe nicht der Fall.
c) Der Bescheid der Beklagten vom 7.1.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.4.2005 ist somit rechtmäßig ergangen. Der bewilligte monatliche Betrag von 320,17 Euro entspricht dem gesetzlichen Leistungsanspruch des Klägers bei (vollständiger) Anrechnung seiner gesetzlichen Unfallrente i.H.v. 225,66 Euro als Einkommen.
Die Klage ist daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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