S 2 AL 4947/12

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Chemnitz (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 2 AL 4947/12
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der erhöhte Grundfreibetrag nach § 11b Abs. 2 S. 3 SGB II kann nur in Höhe des tatsächlich erzielten Einkommens aus steuerfreier Tätigkeit nach § 3 Nummer 12, 26, 26a oder 26b des Einkommensteuergesetzes abgesetzt werden, sofern der Betrag von 175 € nicht erreicht wird.

2. Wird neben den steuerfreien Einnahmen noch Nichterwerbseinkommen (sonstiges Einkommen) bezogen, kann der nicht ausgereizte Pauschalbetrag nach § 11b Abs. 2 S. 3 SGB II nicht auf das Gesamteinkommen abgesetzt werden.
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Bereinigung des Einkommens der Klägerin zu 1.). Mit Bescheid vom 17.09.12 wurden der am xx.xx.52 geborenen Klägerin zu 1.) und dem am xx.xx.53 geborenen Kläger zu 2.) vorläufig Leistungen für die Zeit vom 01.10.12 bis 31.03.13 in Höhe von 598,99 EUR bewilligt. Dabei wurde bei der Klägerin zu 1.) Einkommen für die Tätigkeit bei der T. Stiftung in Höhe von 78,00 EUR sowie Einkommen aus Arbeitslosengeld I in Höhe von 460,50 EUR und beim Kläger zu 2.) ein Einkommen in Höhe von 100,00 EUR berücksichtigt. Das Einkommen des Klägers blieb anrechnungsfrei. Bei der Klägerin zu 1.) wurde Einkommen in Höhe von 460,50 EUR aus Arbeitslosengeld I leistungsmindernd angerechnet, während dessen das Einkommen bei der T. Stiftung anrechnungsfrei blieb. Mit Schreiben vom 28.09.12, eingegangen am 01.10.12, erhoben die Kläger Widerspruch. Sie tragen vor, dass in der Berechnung die Kfz-Haftpflicht und die Werbungskostenpauschale nicht berücksichtigt worden seien. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.10.12 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass das Gesamteinkommen der Klägerin von 538,50 EUR lediglich um die Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 EUR und die Kfz-Haftpflichtversicherung in Höhe von 19,25 EUR zu bereinigen sei. Es handele sich bei den vorliegenden Einkünften nicht um Erwerbseinkommen. Die Kläger seien deswegen schon ungerechtfertigt begünstigt. Die Kläger haben am 14.11.12 Klage erhoben. Es wird vorgebracht, dass jedenfalls zu Recht 78,00 EUR anrechnungsfrei geblieben seien. Die Kläger sind der Auffassung, dass aufgrund des Wortlauts von § 11b Abs. 2 S. 3 SGB II das Gesamteinkommen der Klägerin zu 1.) in Höhe von 538,50 EUR um den erhöhten Freibetrag von 175,00 EUR zu bereinigen sei, da nur aus mindestens einer Tätigkeit steuerfreie Bezüge zufließen müssen.

Die Kläger beantragen,

das beklagte Jobcenter wird verurteilt, unter Aufhebung seines insoweit entgegenstehenden Bescheides vom 17.09.12 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.12, den Klägern im Zeitraum 01.10.12 bis 31.03.13 Leistungen unter Berücksichtigung des Grundfreibetrages in Höhe von 175,00 EUR zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte bezieht sich vollumfänglich auf sein Vorbringen im Widerspruchsbescheid. Das Gericht hat die Leistungsakten des Beklagten beigezogen. Diese sowie die in der Klageakte enthaltenen Schriftsätze der Beteiligten waren Gegenstand des Verfahrens. Hierauf und auf den übrigen Akteninhalt wird zur Ergänzung des Tatbestands Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf höhere Leistungen. Der Bescheid vom 17.09.12 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.12 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. a) Die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen liegen vor. Gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II haben Anspruch auf Grundsicherungsleistungen Personen, die das 15. Lebensjahr vollen-det und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, die erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren persönlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe auch nicht von anderen erhält. Diese Voraussetzungen erfüllen die Kläger. b) Der Beklagte hat die Leistungshöhe zutreffend festgesetzt. Streitig war insofern nur die Frage der Einkommensbereinigung bei der Klägerin zu 1.). Das Gesamteinkommen der Klägerin zu. 1) war hier nicht um den vollständigen erhöhten Grundfreibetrag in Höhe von 175,00 EUR nach § 11b Abs. 2 S. 3 SGB II (in der Fassung vom 13.05.11) zu bereinigen. Nach dieser Vorschrift tritt anstelle des Grundfreibetrages nach § 11b Abs. 2 S. 1 SGB II in Höhe von 100,00 EUR der Betrag von 175,00 EUR, wenn die leistungs-berechtigte Person mindestens aus einer Tätigkeit Bezüge oder Einnahmen erhält, die nach § 3 Nr. 12, 26, 26a oder 26b des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei sind. aa) Bei den Bezügen im Zusammenhang mit der Tätigkeit bei der T. Stiftung handelt es sich um steuerfreie Einnahmen im Sinne des § 3 Nr. 26 EStG. Unter diese Vorschrift fallen Einnahmen aus nebenberuflichen Tätigkeiten als Übungsleiter, Ausbilder, Erzieher, Betreuer oder vergleichbaren nebenberuflichen Tätigkeiten, aus nebenberuflichen künstlerischen Tätigkeiten oder der nebenberuflichen Pflege alter, kranker oder behinderter Menschen im Dienst oder im Auftrag einer juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einer unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) fallenden Einrichtung zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger und kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der Abgabenordnung). Die T. Stiftung organisiert ehrenamtliche und gemeinnützige Betätigung für Langzeitarbeitslose. Die Klägerin zu 1.) erhält aufgrund der Teilnehmervereinbarung (Bl. 436 der Leistungsakte) 78,00 EUR Aufwandsentschädigung. Bei der T. Stiftung handelt sich um keine juristische Person des öffentlichen Rechts, sondern um eine juristische Person des Privatrechts, da diese in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins konstituiert ist. Diese Einrichtung fällt aber unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des KStG, da es sich um eine Körperschaft han-delt, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken dient. bb) Die steuerfreien Bezüge aus einer Tätigkeit sind nach § 11b Abs. 2 S. 3 SGB II nur in tatsächlicher Höhe zu bereinigen, wenn diese den erhöhten Grundfreibetrag von 175,00 EUR nicht erreichen. Sofern, wie hier, daneben noch ein anderes Nichterwerbseinkommen zufließt, ist nicht der vollständige Freibetrag in Höhe von 175,00 EUR vom Gesamteinkommen in Ansatz zu bringen. Dies ergibt das Ergebnis der Auslegung der Vorschrift. (1) Zwar stützt der Wortlaut von § 11b Abs. 2 S. 3 SGB II das Begehren der Kläger. Nach dem Gesetzeswortlaut kommt der erhöhte Freibetrag zur Anwendung, wenn "mindestens aus einer Tätigkeit" steuerfreie Bezüge oder Einnahmen vorhanden sind. Hier bezieht die Klägerin zu 1.) neben dem Einkommen aus der ehrenamtlichen Tätigkeit ein weiteres Einkommen, nämlich Arbeitslosengeld I. Es liegt jedenfalls mindestens eine Tätigkeit in die-sem Sinne vor. Dem Wortlaut steht es nach Auffassung der Kammer nicht entgegen, dass es sich bei dem weiteren Einkommen um Nichterwerbseinkommen handelt. Ein Verständnis dahingehend, dass auch das weitere Einkommen aus einer anderen (Erwerbs)Tätigkeit bezogen werden muss, überdehnt den Wortlaut. Es ist nach dem Wortlaut vielmehr nicht erforderlich, dass das weitere Einkommen tätigkeitsbezogen ist. (2) Der Wille des Gesetzgebers ist, soweit ersichtlich, allein darin begründet die in § 11b Abs. 2 S. 3 SGB II genannten Einkünfte zu privilegieren. Durch höhere Freibeträge bei den genannten Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeit, die nunmehr als Einkommen anzurechnen sind, soll das Ehrenamt anerkannt und das gesellschaftspolitisch wünschenswerte Verhalten der ehrenamtlich Tätigen gewürdigt werden. (Striebinger in Gagel SGB II/SGB III, 48. Ergänzungslieferung 2013, § 11b Rn. 48). Zum anderen begründet sich die Privilegierung mit dem Unterschied dieser Tätigkeiten zu beruflichen Tätigkeiten, die in Erwerbsabsicht ausgeübt werden, die privilegierten Tätigkeiten werden nebenberuflich ausgeübt. Der Privilegierung liegt damit die Vorstellung zu Grunde, bei freiwilligen Tätigkeiten stehe der Altruismus im Vordergrund, was es rechtfertige, die hierüber erzielten Anerkennungsbeträge in größerem Umfang abzusetzen (Fahlbusch in BeckOK SGB II, Stand: 01.03.13, § 11b Rn. 28). § 11b Abs. 2 S. 3 SGB II wurde im Wege der Neustrukturierung der gesamten Regelungen zur Einkommensanrechnung mit Wirkung vom 01.04.2011 durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialge-setzbuch vom 24.03.2011 eingeführt. Der ursprüngliche Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP (BT-Drs. 17/3404, S. 11 f. und 95) enthielt kein Privilegierungs-tatbestand von steuerfreien Einkünften. Aufgrund der Empfehlung des Vermittlungsausschusses ist eine Ergänzung des § 11 b Abs. 2 SGB II um die Sätze 3 und 4 vorgenommen worden, wonach für besonders steuerpriveligierte Einkünfte erhöhte Pauschbeträge vorge-sehen werden (BT-Drs. 17/4719, S. 2). Eine Begründung hierzu findet sich in den Gesetzesmaterialien aber nicht. Es ist nicht erkennbar, dass sich der Gesetzgeber des hier gegebenen Problems bei der Einkommensbereinigung beim Zusammentreffen von Nichterwerbseinkommen (sonstiges Einkommen) und einem in § 11b Abs. 2 S. 3 SGB II genannten steuerfreien Einkommen bewusst war. Hieran ändert sich letztlich auch nichts deshalb, weil der Grundfreibetrag nach § 11b Abs. 2 S. 3 SGB II in der Fassung vom 21.3.2013 (Art. 8 Gesetz zur Stärkung des Ehrenamts) rückwirkend zum 01.01.13 von 175,00 EUR auf 200,00 EUR erhöht wurde. Jedenfalls ist es nicht belegt, dass der Gesetzgeber diese Vorschrift in Kenntnis der hier streitigen Problematik geändert hat. Die Änderung ist letztlich nur eine Folgeanpassung zur Änderung des § 3 Nr. 26 S.1 EStG (Fassung vom 21.03.13). Danach sind die dort genannten Einnahmen nunmehr jährlich bis zur Höhe von insgesamt 2.400,00 EUR steuerfrei. Dies entspricht 200,00 EUR je Monat. Bis zum 31.12.12 waren die Einnahmen nach § 3 Nr. 26 S.1 EStG in der Fassung vom 08.05.12 nur bis zur Höhe von 2.100,00 EUR steuerfrei, was 175,00 EUR je Monat ent-sprach. (3) Aufschluss ergibt aber die Auslegung nach Sinn und Zweck der Vorschrift sowie die gesetzliche Systematik. Nach § 11b Abs. 2 S. 3 SGB II tritt anstelle des Grundfreibetrages von 100,00 EUR der Betrag von 175,00 EUR. Im Übrigen verbleibt es bei § 11b Abs. 2 S. 1 und 2 SGB II. Dort geregelt ist die Absetzung des Grundfreibetrages bei Bezug von Erwerbseinkommen. Erwerbseinkommen ist eine Einnahme, die der Leistungsberechtigte unter Einsatz und Verwertung seiner Arbeitskraft erzielt. Nur auf derartiges Einkommen kann der Grundfreibetrag abgesetzt werden. Der beim Erwerbseinkommen nicht ausgereizte Pauschalbetrag ist, mangels einer gesetzlichen Ausnahmeregelung, nicht bei sonstigem Einkommen zu berücksichtigen (a.A. ohne nähere Begründung: Münder in LPK-SGB II, 4. Aufl., § 11b Rn. 29). Ferner kann die Auffassung der Kläger schon allein deshalb nicht zutreffen, weil bei die-sem Verständnis bereits der Bezug von 1 EUR aus einer steuerfreien Tätigkeit ausreichen würde, um den vollen Grundfreibetrag von 175,00 EUR auszulösen, sofern noch ein weiteres Nichterwerbseinkommen bezogen wird, welches über diesen Betrag hinausgeht. Hieraus resultiert die Gefahr der Umgehung sowie des Missbrauchs. Dafür, dass der Gesetzgeber die in § 3 Nr. 12, 26, 26a oder 26b EStG genannten Einkünfte im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende derart privilegieren wollte, ist nichts erkennbar. Nur wenn es sich bei dem weiteren Einkommen der Klägerin um Erwerbseinkommen, beispielsweise aufgrund geringfügiger Beschäftigung handelt, könnte der volle Betrag von 175,00 EUR auf das Gesamteinkommen abgesetzt werden, sofern das Gesamteinkommen jedenfalls 175 EUR be-trägt. Auf die Berechnungsbeispiele in den Hinweisen der BA Nr. 11.166 wird insofern verwiesen. Die von den Klägern im Widerspruchsverfahren erhobene Rüge hinsichtlich der Kfz-Haftpflicht und der Werbungskostenpauschale geht ins Leere. Der Grundfreibetrag wurde hier in Höhe des tatsächlichen Einkommens von 78,00 EUR berücksichtigt. Die Absatzmöglichkeiten der § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 -5 SGB II gehen hierin aber auf, wie sich aus § 11b Abs. 2 S. 3 i.V.m. S. 1 SGB II ergibt. Die Absatzbeträge für die Kfz-Haftpflicht nach § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Alt. 1 SGB II (19,25 EUR) sowie die Versicherungspauschale nach § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 i.V.m. § 6 Abs. 2 Nr. 1 Alg II-VO (30,00 EUR) ergeben in der Summe 49,25 EUR und übersteigen die vom Beklagten abgesetzten 78,00 EUR nicht.

2. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausspruch in der Sache.

3. Die Berufung ist nach §§ 144 Abs. 1 Nr. 1, 143 SGG nicht zulässig, da der Beschwerdewert von 750,00 EUR hier nicht über schritten wird. Die Berufung war aber gem. § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, da die Rechtsfrage grundsätz-liche Bedeutung hat. Die Streitsache muss danach eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwerfen, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, um eine grundsätzliche Bedeutung zu begründen. Ein Individualinteresse genügt nicht (Meyer-Ladewig/Leitherer, 10. Aufl., § 144 Rn. 28 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen nach Überzeugung der Kammer vor. Die hier streitige Rechtsfrage ist, soweit ersichtlich, bislang ungeklärt. Die Klärung dieser Rechtsfrage dient zudem der Fortbildung des Rechts.
Rechtskraft
Aus
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