S 10 KR 106/09

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Chemnitz (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 10 KR 106/09
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.) Eine betriebliche Altersversorgung im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 BetrAVG
liegt schon begrifflich nicht vor, wenn nicht ein "biometrisches" Risiko (Alter,
Invaliditaet oder Tod) abgesichert werden soll, sondern das Risiko der Arbeitslosigkeit (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14.02.2012, Az. 3 AZR 260/10.

2.) Überbrückungsgelder, die ein ehemaliger Arbeitgeber an seinen ehemaligen
Arbeitnehmer für die Zeit nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers zahlt,
sind daher grundsätzlich keine Leistungen der betrieblichen Altersversorgung,
denn sie dienen in der Regel der Absicherung gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit.

3.) Aus demselben Grund ist ein solches Überbrückungsgeld, dessen Zahlung auf den
Zeitraum zwischen Vollendung des 55. Lebensjahres und dem Beginn einer
Regelaltersrente beschränkt ist, auch kein Versorgungsbezug im Sinne des § 229
Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V, denn dieses Überbrückungsgeld wird nicht" wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung" gezahlt.

4.) Der Zeitpunkt, ab dem eine Versorgung wegen des Alters vorliegt, ist der vom
Gesetzgeber jeweils festgelegte Zeitpunkt des (abschlagsfreien) Beginns der
individuellen Regelaltersrente.
I. Der Bescheid vom 24.04.2008 und der Widerspruchsbescheid vom 22.01.2009 werden aufgehoben.

II. Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendig entstandene außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Verbeitragung eines Überbrückungsgeldes.

Der am xx.xx.1949 geborene Kläger wurde am 01.03.2008 Pflichtmitglied in der Krankenversicherung der Rentner.

Neben der Witwerrente erhielt der Kläger Überbrückungsgeld der Beigeladenen in Höhe von monatlich 1.290,62 EUR brutto.

Mit Schreiben vom 11.02.2008 an den Kläger bestätigte die Beigeladene, der Kläger erhalte entsprechend des geschlossenen Sozialplanes bis zum frühest möglichen Übergang in den gesetzlichen Rentenbezug ab 01.03.2008 eine monatliche Abfindungszahlung durch die Beigeladene in Höhe von 1.290,62 EUR brutto.

Mit streitigem Bescheid vom 24.04.2008 an den Kläger verwies die Beklagte darauf, das monatliche Überbrückungsgeld sei als Versorgungsbezug einzuordnen und deshalb beitragspflichtig zur Kranken- und Pflegeversicherung.

Den Widerspruch des Klägers vom 25.04.2008 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.01.2009 als unbegründet zurück. Ein Versorgungsbezug gemäß § 229 SGB V liege vor, weil die Zahlung der Beigeladenen der Sicherung des Lebensstandards des Klägers nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben diene. Ein wesentliches Merkmal für das Vorliegen von Versorgungsbezügen sei, dass die Leistungszusage des Arbeitgebers vom Alter des Arbeitnehmers abhängig gemacht werde.

Dagegen hat der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten am 20.02.2009 Klage erhoben.

Mit Beschluss vom 24.02.2009 wurde das Verfahren abgetrennt, soweit sich die Klage gegen die Beiträge zur Pflegeversicherung wendet.

Mit Klagebegründung vom 30.07.2009 verwies der Bevollmächtigte des Klägers darauf, dass ein Fall des § 229 SGB V nicht vorliege. Die Abfindung werde hauptsächlich zum Ausgleich des Arbeitsplatzverlustes gezahlt. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei nicht eingeschränkt.

Mit Beschluss vom 31.10.2012 wurde die ehemalige Arbeitgeberin des Klägers, die C. AG, beigeladen.

Das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung haben der Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 07.05.2012, die Vertreterin der Beklagten mit Schreiben vom 17.07.2012 erklärt.

Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt sinngemäß (Klageschrift vom 20.02.2009):

1. Der Bescheid vom 24.04.2008 und der Widerspruchsbescheid vom 22.01.2009 werden aufgehoben. 2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Die Vertreterin der Beklagten beantragt,

die Klage abzuweisen (Schreiben vom 20.04.2009).

Die Beigeladene hat keine Anträge gestellt.

Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Auf diese sowie die Prozessakte wird zur Ergänzung des Tatbestandes verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben und insgesamt zulässig.

Die Klage ist auch begründet. Das streitige Überbrückungsgeld ist nicht beitragspflichtig.

Die Beklagte stützt die streitigen Bescheide auf § 229 SGB V. Gemäß § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V gelten Renten der betrieblichen Altersversorgung einschließlich der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst und der hüttenknappschaftlichen Zusatzversorgung als der Rente vergleichbare Einnahmen (Versorgungsbezüge), soweit sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt werden.

Der Begriff "der Rente vergleichbare Einnahmen" ist entnommen aus § 237 SGB V. Gemäß § 237 Satz 1 Nr. 2 SGB V werden bei versicherungspflichtigen Rentnern der Beitragsbemessung u. a. der Zahlbetrag der der Rente vergleichbaren Einnahmen zugrunde gelegt.

Nach Ansicht des Gerichts handelt es sich bei dem streitigen Überbrückungsgeld nicht um einen Versorgungsbezug im Sinne des § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V, denn diese Zahlung erfolgt vorliegend weder wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit des Klägers noch zu dessen Altersversorgung. Die Zahlung des Überbrückungsgeldes war generell auf den Zeitraum zwischen Vollendung des 55. Lebensjahres und dem Beginn einer Regelaltersrente beschränkt. Die Zahlung des streitigen Überbrückungsgeldes bezog sich damit auf den Zeitraum vor Beginn der Altersversorgung des Klägers. Das Gericht sieht den vom Gesetzgeber jeweils festgelegten Zeitpunkt des Beginns der Regelaltersrente als den Zeitpunkt an, ab dem eine Versorgung wegen des Lebensalters als erforderlich angesehen wird. Versorgungsbezüge als beitragspflichtige Einnahmen im Sinne des § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V können danach erst ab dem Zeitpunkt des frühestmöglichen Beginns der individuellen Regelaltersrente angenommen werden.

Schon deswegen scheidet eine Beitragspflichtigkeit des streitbefangenen Überbrückungsgeldes aus.

Überdies betrifft § 229 SGB V nach Ansicht des Gerichts allgemein keine Zahlungen, die zum Ausgleich etwa verminderter Zugangschancen zum Arbeitsmarkt gezahlt werden. Hier schließt sich das Gericht der Argumentation des Sächsischen Landessozialgerichts im Urteil vom 04.02.2009 (Az.: L 1 KR 132/07) an, wonach das Überbrückungsgeld eher arbeitsförderungsrechtlichen Leistungen entspricht.

Schließlich ist noch hinzuweisen auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14.02.2012, Az. 3 AZR 260/10. Danach liegt eine betriebliche Altersversorgung im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) schon begrifflich nicht vor, wenn nicht ein "biometrisches" Risiko (Alter, Invalidität oder Tod) abgesichert werden soll, sondern das Risiko der Arbeitslosigkeit.

Der Klage war daher wie tenoriert stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Rechtskraft
Aus
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