S 19 AL 11/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Cottbus (BRB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 19 AL 11/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Insolvenzgeld für die Zeit vom 15.09.2001 bis zum 14.12.2001.

Der 1979 geborene Kläger war vom 16.08.1998 bis zum 14.12.2001 bei der Einzelfirma V, Inhaber T S, beschäftigt. Sein Arbeitsverhältnis endete infolge Arbeitgeberkündigung vom 26.11.2001 wegen mangelnder Auftragslage zum 14.12.2001. Auf seine persönliche Arbeitslosmeldung und seinen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld vom 17.12.2001 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld ab 15.12.2001 (Bescheid vom 08.01.2002).

Nach dem am 09.10.2002 vor dem Arbeitsgericht Senftenberg (Az. ) zwischen dem Kläger und dem T S geschlossenen Vergleich verpflichtete sich letzterer, an ausstehendem Arbeitslohn an den Kläger zu zahlen: Für September 2001: 662,24 bzw. 650,24 EUR Netto; für Oktober 2001: 1.017,86 EUR Netto; für November 2001: 989,26 EUR Netto; für Dezember 2001: 453,89 EUR Netto. Der Vergleich enthielt einen Widerrufsvorbehalt zugunsten des ehemaligen Arbeitgebers bis zum 16.10.2002. Nach dem Schriftsatz des Vorsitzenden der 2. Kammer des Arbeitsgerichts Senftenberg, Richter am Arbeitsgericht Dr. N, vom 25.10.2002 ist ein Widerruf des Vergleichs nicht erfolgt.

Am 23.01.2003 meldete der T S sein Gewerbe ab. Gegenüber der Beklagten erklärte er, am 30.01.2003 die letzte dem Betriebzweck dienende Tätigkeit (ausgenommen nachfolgende
Abwicklungsarbeiten) ausgeübt zu haben. Nach den im Insolvenzverfahren beim Amtsgericht Cottbus (Az. ) getroffenen Feststellungen (Bericht der Rechtsanwältin K R vom 19.06.2003) beschäftigte der ehemalige Arbeitgeber des Klägers zuletzt eine Arbeitnehmerin, die das Arbeitsverhältnis wegen rückständiger Gehälter seit Oktober 2002 selbst zum 31.01.2003 gekündigt habe. Am 21.11.2002 hatte die S Betriebskrankenkasse beim Amtsgericht Cottbus beantragt, über das Vermögen des ehemaligen Arbeitgebers des Klägers das Insolvenzverfahren zu eröffnen, da Sozialversicherungsbeiträge für Februar 2002 bis September 2002 von insgesamt 3.727,17 EUR (einschließlich Kosten und Säumniszuschlägen) geschuldet würden. Am 18.12.2002 hatte das Amtsgericht Cottbus angeordnet, ein schriftliches Sachverständigengutachten darüber einzuholen, ob Tatsachen vorliegen, die den Schluss rechtfertigen, dass der Schuldner
zahlungsunfähig und ob eine kostendeckende Masse vorhanden sei und damit die Rechtsanwältin K R beauftragt. Am 21.01.2003 beantragte der ehemalige Arbeitgeber des Klägers seinerseits, über sein Vermögen das Insolvenzverfahren zu eröffnen. Am 15.04.2003 beschloss das Amtsgericht Cottbus die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des T S. Am 06.05.2003 meldete der Kläger seine Arbeitslohnforderung aus dem Vergleich vor dem Arbeitsgericht Senftenberg vom 09.10.2002 bei der Insolvenzverwalterin zur Tabelle an.

Am 28.12.2001 bereits hatte der Kläger bei der Beklagten erstmals die Gewährung von Insolvenzgeld für den rückständigen Arbeitslohn in der Zeit vom 15.09.2001 bis zum 14.12.2001 beantragt. Mit Bescheid vom 09.08.2002 hatte die Beklagte diesen Antrag abgelehnt. Zur
Begründung hatte sie im Wesentlichen ausgeführt, es liege kein Insolvenzereignis vor; gemäß Mitteilung des Amtsgerichts Cottbus liege kein Insolvenzantrag vor und außerdem habe eine vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit nicht festgestellt werden können. Der Bescheid enthielt eine Rechtsbehelfsbelehrung, in der auf die Möglichkeit des Widerspruches hingewiesen wurde. Widerspruch wurde nicht eingelegt.

Am 22.07.2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten erneut, ihm für die Zeit vom 15.09.2001 bis zum 14.12.2001 Insolvenzgeld für den noch ausstehenden Arbeitslohn aufgrund des am 09.10.2002 vor dem Arbeitsgericht Senftenberg geschlossenen Vergleichs zu gewähren. Mit Bescheid vom 12.11.2003 lehnte die Beklagte auch diesen Antrag ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, der Kläger habe diesen erst am 22.07.2003 und damit nach Ablauf der 2-monatigen Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III nach dem 15.04.2003 – der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen seines ehemaligen Arbeitgebers – gestellt. Diese Ausschlussfrist sei auch schuldhaft versäumt worden, da er am 06.05.2003 seine Lohnforderung zur Tabelle bei der Insolvenzverwalterin angemeldet habe, also Kenntnis von der Insolvenz seines ehemaligen Arbeitgebers während der eigentlichen Frist erhalten habe.

Den dagegen am 04.12.2003 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.12.2003 als unbegründet zurück.

Mit seiner am 08.01.2004 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Ziel weiter. Er macht insbesondere geltend, der Bescheid vom 09.08.2002 hätte auf die Möglichkeit einer erneuten Antragstellung bei veränderter Sachlage hinweisen müssen. Außerdem sei sein Antrag vom 22.07.2003 als Überprüfungsantrag hinsichtlich des Bescheids vom 09.08.2002 zu qualifizieren.

Er beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.11.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2003 und im Überprüfungswege auch des Bescheids vom 09.08.2002 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 15.09. bis zum 14.12.2001
Insolvenzgeld auf der Grundlage des vor dem Arbeitsgericht Senftenberg, Az. am 09.10.2002 geschlossenen und nach dem Schreiben des Vorsitzenden der 2. Kammer, Richter am Arbeitsgericht Dr. N vom 25.10.2002 nicht widerrufenen Vergleichs zu gewähren.

Die Beklagte beantragt demgegenüber,

die Klage abzuweisen.

Zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hat das Sozialgericht Cottbus beigezogen die Verwaltungsakte der Beklagten einschließlich der Betriebsakte, die Akte des Amtsgerichts Cottbus mit dem Az. sowie die Akte des Arbeitsgerichts Senftenberg mit dem Az ...

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand und dem Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Klage ist zulässig, nicht jedoch begründet. Vielmehr erweist sich der Bescheid vom 12.11.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2003 und im Überprüfungswege auch der Bescheid vom 09.08.2002 als rechtmäßig, ohne den Kläger in seinen Rechten zu verletzen, da ihm ein Anspruch auf Gewährung von Insolvenzgeld für die Zeit vom 15.09.2001 bis zum 14.12.2001 nicht zusteht.

Dies folgt aus den §§ 183, 324 SGB III.

Nach § 183 Abs. 1 SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei 1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers, 2. Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Mas-se oder 3. vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt, (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden 3 Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Nach § 324 Abs. 3 SGB III ist Insolvenzgeld innerhalb einer Ausschlussfrist von 2 Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen. Hat der Arbeitnehmer die Frist aus Gründen versäumt, die er nicht zu vertreten hat, so wird Insolvenzgeld geleistet, wenn der Antrag innerhalb von 2 Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt wird. Der Arbeitnehmer hat die Versäumung der Frist zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat.

1. Nach Überzeugung der Kammer ist die Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass das Insolvenzereignis vorliegend die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des T S (Beschluss des Amtsgericht Cottbus vom 15.04.2003, Az. ) im Sinne von § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III darstellt. Zwar ist das zeitlich früheste der drei in § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III erwähnten Insolvenzereignisse maßgeblich (sogenannte Sperrwirkung, vergleiche BSG SozR 3-4100 § 141 b Nr. 3; BSG, 08.02.2001, B 11 AL 27/00 R). Zum einen ist vor dem 15.04.2003 jedoch kein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgewiesen worden (§ 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III). Zum anderen ist zwar nach den im Tatbestand wiedergegebenen Einzelumständen von einer vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit des ehemaligen Arbeitgebers des Klägers im Inland im Januar 2003 auszugehen; zu diesem Zeitpunkt war indes bereits der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des ehemaligen Arbeitgebers des Klägers der S Betriebskrankenkasse vom 21.11.2002 beim Amtsgericht Cottbus gestellt (vgl. § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III). Vor der Antragstellung der S Betriebskrankenkasse beim Amtsgericht Cottbus am 21.11.2002 wiederum sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Betriebstätigkeit des ehemaligen Arbeitgebers des Klägers im Inland vollständig beendet gewesen wäre. Letzteres folgert die Kammer aus den im Tatbestand wiedergegebenen Angaben des ehemaligen Arbeitgebers, dem Umstand der Abmeldung seines Gewerbes am 23.01.2003 erst sowie ferner dem Umstand, dass eine andere Arbeitnehmerin bei dem ehemaligen Arbeitgeber des Klägers nach den Feststellungen der Gutachterin, Rechtsanwältin K R, in deren Bericht vom 19.06.2003 bis zum 31.01.2003 beschäftigt war. Ferner spräche dagegen, dass ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht käme, der Umstand, dass das Amtsgericht Cottbus am 18.12.2002 zur Prüfung, ob der Schuldner zahlungsunfähig und eine kostendeckende Masse vorhanden sei, gerade ein schriftliches Sachverständigengutachten für nötig erachtete und Rechtsanwältin Kerstin Richter damit beauftragte.

2. Ausgehend von dem damit maßgeblichen Insolvenzereignis des § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III in Form der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des T S am 15.04.2003 wahrte der Antrag vom 22.07.2003 die 2-monatige Ausschlussfrist des § 324 Abs. 1 Satz 1 SGB III nicht. Der Antrag vom 28.12.2001 ist dagegen schon aufgrund des enormen zeitlichen Abstandes zum Beschluss des Amtsgericht Cottbus vom 15.04.2003 als unwirksam anzusehen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.11.2006, Az. L 12 AL 28/05). Vor-hergehende Anträge können nur dann als wirksam angesehen werden, wenn der Eintritt eines Insolvenzereignisses bereits bekannt oder zumindest vorhersehbar ist. Letzteres kann im De-zember 2001 und damit ca. 11 Monate vor auch nur der ersten Stellung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des ehemaligen Arbeitgebers des Klägers mitnichten angenommen werden.

3. Ausgehend vom Antrag vom 22.07.2003 ist dem Kläger auch nicht die Nachfrist des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III einzuräumen. Zwar hat sich der Kläger durchaus um die Durchsetzung seiner Arbeitslohnforderungen bemüht (z. B. durch Beauftragung des Gerichtsvollziehers und Anmeldung seiner Arbeitslohnforderungen zur Tabelle). Er hatte jedoch innerhalb der 2-monatigen Ausschlussfrist zur Stellung des Antrags auf Gewährung von Insolvenzgeld Kenntnis von der Insolvenz seines ehemaligen Arbeitgebers erlangt. Anders erklärt sich seine (des Klägers) Anmeldung seiner Arbeitslohnforderung aus dem arbeitsgerichtlichen Vergleich zur Insolvenztabelle bei der Insolvenzverwalterin, Rechtsanwältin K R, am 06.05.2003 nicht, so dass deren Versäumung nicht unverschuldet ist. Nach Überzeugung der Kammer ist hier die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts anzuwenden, wonach es bei der Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III – ohne dass die Nachfrist des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III zugunsten des Arbeitnehmers eröffnet wird – verbleibt, wenn es dem Arbeitnehmer unter den gegebenen Umständen bei Anwendung der ihm zumutbaren Sorgfalt möglich gewesen wäre, diese Frist einzuhalten (BSG, 10.04.85, Az. 10 RAr 11/84). Soweit der Kläger sich auf einen ggf. neben der Ausschlussregelung des § 324 Abs. 3 SGB III anwendbaren sozialrechtlichen Herstellungsanspruch berufen mag, soweit man des Weiteren zu seinen Gunsten – auch ohne konkretes diesbezügliches Beratungsersuchen – eine Beratungspflicht sowie ferner deren Verletzung durch die Beklagte unterstellte, würde bei wertender Betrachtung das Versäumnis des Klägers, nach der Anmeldung seiner Arbeitslohnforderung zur Tabelle bei der Insolvenzver-walterin K R am 06.05.2003 noch nicht einmal zumindest vorsorglich einen erneuten Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld bei der Beklagten gestellt zu haben, nach Überzeugung der Kammer überwiegen (vgl. LSG für das Land Brandenburg, Urteil vom 03.09.2004, Az. L 10 AL 189/02, LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.12.2006, Az. L 6 AL 43/05).

4. Soweit das LSG Berlin-Brandenburg im PKH-Verfahren (Beschluss vom 16.11.2005, Az. L 30 B 74/04 AL PKH) meinte, der Antrag vom 22.07.2003 sei zugleich als Überprüfungsantrag im Sinne von § 44 SGB X oder § 48 SGB X anzusehen, ist demgegenüber darauf zu verweisen, dass § 48 SGB X schon deshalb nicht anwendbar ist, weil die Ablehnung des Antrages auf Gewährung von Insolvenzgeld vom 28.12.2001 durch Bescheid vom 09.08.2002 entgegen der nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut unabdingbaren Aufhebungsvoraussetzung gerade keine Dauerwirkung entfaltet sowie ferner darauf, dass der Bescheid vom 09.08.2002 gerade nicht von einem unzutreffenden Sachverhalt im Sinne von § 44 Abs. 1 SGB X, sondern von einem zutreffenden Sachverhalt ausging, da – wie ausgeführt – zum Zeitpunkt seines Erlasses am 09.08.2002 keines der drei Insolvenzereignisse des § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III vorlag.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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