S 13 R 339/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Cottbus (BRB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 13 R 339/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 21.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.04.2006 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Beschäftigungszeit des Klägers bei der Firma E Ost GmbH vom 01.01.2004 bis zum 31.12.2004 der knappschaftlichen Rentenversicherung zuzuordnen ist. Beklagte und Beigeladene tragen die außergerichtlichen Kosten des Klägers als Gesamtschuldner.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Zuordnung der Beschäftigungszeit vom 1. 1. 2004 bis 31. 12. 2004 bzw. die Buchung darauf entrichteter Pflichtbeiträge zur knappschaftlichen Rentenversi-cherung.

Der am 1947 geborene Kläger war vom 1. 1. 2004 bis zum 31. 12. 2004 bei der Fa. E OST GmbH – im folgenden: Beigeladene – gegen Arbeitsentgelt sozialversicherungspflichtig be-schäftigt. Die Beigeladene führte insbesondere im Auftrag der L GmbH bzw. der Fa. V In-standhaltungs-, Reparatur- und Wartungsarbeiten an Tagebaugroßgeräten durch.

Nach den Angaben der Beigeladenen war der Kläger hauptsächlich im Tagebau J der Fa. V eingesetzt, teilweise auch in der ca. 60 km entfernten Werkstatt H, die von der Beigeladenen von der Fa. V angemietet wurde und sich ebenfalls auf einem Gelände der Fa. V befindet. Nach eigenen Angaben war er ausschließlich auf den Tagebauen N, W/Süd, J und C Nord ein-gesetzt. Nach übereinstimmenden Angaben war der Kläger als Betriebsschlosser mit der In-standhaltung, Reparatur und Wartung von Tagebaugroßgeräten befasst.

Für die Beschäftigungszeit vom 1. 1. 2004 bis zum 31. 12. 2004 wurden Pflichtbeiträge ur-sprünglich zur knappschaftlichen Rentenversicherung entrichtet.

Nach unter dem 17. bzw. 20. 6. 2005 erfolgter Anhörung ordnete die Beklagte mit Bescheid vom 21. 11. 2005 die Beschäftigungszeit vom 1. 1. 2004 bis zum 31. 12. 2004 gem. § 201 Abs. 2 SGB VI von der knappschaftlichen der allgemeinen Rentenversicherung zu und buchte die Pflichtbeiträge entsprechend um. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, Instandhal-tungsarbeiten, gleichgültig, ob sie auf ehemaligen Braunkohletagebaugeländen oder auf aktiven Tagebauen verrichtet würden, seien keine knappschaftlichen Arbeiten i. S. v. §§ 137 Nr.2, 138 Abs.4 i. d. bis 31.12.2004 g. F. des SGB VI i. V m. § 1 Abs.1 Nrn.1-11 der VO über knappschaftliche Arbeiten – im Folgenden: VO –.

Den dagegen am 21. 12. 2005 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchs-bescheid vom 3. 4. 2006 als unbegründet zurück.

Mit seiner am 11. 4. 2006 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Ziel der Zuordnung der Beschäftigungszeit vom 1. 1. 2004 bis zum 31. 12. 2004 zur knappschaftlichen Rentenversi-cherung weiter.

Mit Beschluss vom 2. 3. 2007 ist die Fa. ECOSOIL OST GmbH beigeladen worden.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 21.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.04.2006 aufzuheben und festzustellen, dass die Beschäftigungszeit bei der Firma ECOSOIL Ost GmbH vom 01.01.2004 bis zum 31.12.2004 der knappschaftlichen Ren-tenversicherung zuzuordnen ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf die Ausführungen im Ausgangs- und Wi-derspruchsbescheid und macht ergänzend geltend, insbesondere die Nr. 7 des § 1 Abs.1 der VO sei nicht einschlägig, da der Kläger hauptsächlich unter freiem Himmel repariert habe, nicht jedoch in einer Werkstatt, und wenn eine Maschine an einen zu reparierenden Gegenstand ge-bracht werde und nach der Reparatur wieder wegbefördert werde, könne man nicht von einer Werkstatt sprechen.

Die Beigeladene beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene macht geltend, Instandhaltungs-, Reparatur- und Wartungsarbeiten an Tage-baugroßgeräten beträfen nicht in ihrem Kern die eigentliche Tätigkeit des Bergwerksbetriebs, da es sich nicht um eine die Gewinnung von Bodenschätzen prägende und typische Tätigkeit handelt. Auch fehle ein betrieblicher, räumlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang mit dem Tagebaubetrieb; jeder hinsichtlich der Wartung von Tagebaugroßgeräten kundige dritte Repa-raturdienstleister könne die Auftragsarbeiten ausführen.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand und dem Vorbringen der Beteilig-ten im Einzelnen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere kann dem Kläger ein Feststellungsinteresse hinsichtlich der Zuordnung der Beschäftigungszeit vom 1. 1. 2004 bis zum 31. 12. 2004 zur knappschaftli-chen Rentenversicherung auch außerhalb des Vormerkungsverfahrens nach § 149 Abs.5 SGB VI, wie der streitgegenständliche Bescheid zeigt, nicht abgesprochen werden.

II. Die Klage ist auch begründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtswidrig und ver-letzt den Kläger auch in seinen Rechten.

1. Es kann dahinstehen, ob die Beklagte außerhalb des Vormerkungsverfahrens nach § 149 Abs.5 SGB VI gestützt nur auf § 201 SGB VI überhaupt ermächtigt war, nicht nur die Pflicht-beiträge aus der Beschäftigungszeit vom 1. 1. 2004 bis zum 31. 12. 2004 bei der Beigeladenen von der knappschaftlichen in die allgemeinen Rentenversicherung umzubuchen, sondern auch die Beschäftigungszeit gegenüber dem Kläger, der unstreitig nicht Arbeitgeber i. S. v. § 201 Abs.3 SGB VI ist, durch Verwaltungsakt entsprechend zuzuordnen.

2. Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass der Kläger in der streitgegenständlichen Zeit gem. §§ 137 Nr.2, 138 Abs.4 i. d. bis 31.12.2004 g. F. des SGB VI i. V. m. § 1 Abs.1 Nrn.1-11 der VO zumindest überwiegend knappschaftliche Arbeiten verrichtete, die räumlich und be-trieblich mit einem Bergwerksbetrieb zusammenhingen, aber von einem anderen Unternehmer ausgeführt wurden.

a. Die Beigeladene betreibt mit der schwerpunktmäßigen Ausführung von Aufträgen der L GmbH bzw. der Fa. V mit dem Gegenstand von Instandhaltungs-, Reparatur- und Wartungsar-beiten an Tagebaugroßgeräten zweifellos nicht ihrerseits ein bergbauliches Unternehmen mit dem Gegenstand der bergmännischen Gewinnung von Mineralien oder ähnlichen Stoffen. Inso-fern weist die Beigeladene zu Recht darauf hin, dass Instandhaltungs-, Reparatur- und War-tungsarbeiten an Tagebaugroßgeräten nicht in ihrem Kern die eigentliche Tätigkeit des Berg-werksbetriebs beträfen.

b. Der Kläger verrichtete im streitgegenständlichen Zeitraum allerdings knappschaftliche Ar-beiten. Dies belegen auch die Nrn. 1, 5 und 7 des § 1 Abs.1 der VO, die im Lichte des § 138 Abs.1 i. d. bis 31.12.2004 g. F. des SGB VI auszulegen sind. Richtig ist zwar, dass Bergwerks-betriebe bzw. Betriebe, in denen Mineralien oder ähnliche Stoffe bergmännisch gewonnen werden, ebenso wie vor allem die aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung Leitbildfunktion besitzende Nr. 1 des § 1 Abs.1 der VO in erster Linie auf Untertagebetriebe zugeschnitten sind und Tätigkeiten unter freiem Himmel, worauf die Beklagte insoweit zutreffend hinweist, nicht schwerpunktmäßig erfasst sind. Doch selbst ausgehend von dem Leitbild einer untertage be-triebenen Grube macht die VO ihrerseits bereits Ausnahmen, indem sie auch bestimmte Unter-haltungsarbeiten an Grubenanschlussbahnen innerhalb des über Tage befindlichen Zechenge-ländes sowie ferner bestimmte Arbeiten in den über Tage befindlichen Reparaturwerkstätten als knappschaftliche Arbeiten definiert. Zusätzlich zu berücksichtigen ist, dass § 138 Abs.1, 2. Hs. SGB VI i. d. bis 31.12.2004 g. F. lediglich solche Betriebe vom Oberbegriff der knapp-schaftlichen Betriebe ausnimmt, bei denen es sich um Betriebe der Industrie Steine und Erden handelt, die nicht überwiegend unterirdisch betrieben werden. Daraus ist zu folgern, dass Be-triebe, die überwiegend oberirdisch betrieben werden, allerdings von Steinen und Erden ver-schiedene Mineralien bergmännisch gewinnen, ohne weiteres knappschaftlich sind. Ein Tage-bau zur oberirdischen Gewinnung von Braunkohle ist also ein knappschaftlicher Betrieb (vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, 13.2.2007, L 12 RJ 22/04). Wenn ein Tagebau zur oberirdi-schen Gewinnung von Braunkohle aber ohne weiteres ein knappschaftlicher Betrieb ist, dann müssen auch alle unmittelbar der oberirdischen Gewinnung von Braunkohle dienenden Arbei-ten gem. § 1 Abs.1 Nr. 1 der VO im Lichte von § 138 SGB Abs. 1 VI i. d. bis 31.12.2004 g. F. als knappschaftliche Arbeiten zu qualifizieren sein, und ebenso laufende Unterhaltungsarbeiten an unterirdischen Grubenbahnen vergleichbarem oberirdischen Transportgerät für Abraum und Mineralien gem. § 1 Abs.1 Nr. 5 der VO im Lichte von § 138 Abs. 1 SGB VI i. d. bis 31.12.2004 g. F., und aufgrund der Klammerwirkung der Nrn. 1 und 5 des § 1 Abs.1 der VO im Lichte von § 138 SGB Abs.1 VI i. d. bis 31.12.2004 g. F. erst recht laufende Unterhaltungs-arbeiten an oberirdischem unmittelbar der Gewinnung von Braunkohle dienendem Gerät. Dies wiederum wird bestätigt durch § 1 Abs.1 Nr. 7 der VO. Da danach sogar bestimmte Arbeiten in den Reparaturwerkstätten knappschaftliche Arbeiten sind, müssen im Lichte von § 138 Abs. 1 SGB VI i. d. bis 31.12.2004 g. F. erst recht Arbeiten auf einem der oberirdischen Gewinnung von Braunkohle dienenden Gelände an einem der oberirdischen Gewinnung von Braunkohle dienenden Gerät zu dessen Unterhaltung bzw. Reparatur knappschaftliche Arbeiten sein. Das Vorbringen der Beklagten, der Kläger habe hauptsächlich unter freiem Himmel repariert und eine Maschine an einen zu reparierenden Gegenstand gebracht und nach der Reparatur wieder wegbefördert, stützt also geradezu das klägerische Begehren. Da der Kläger vorliegend jeden-falls, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist, als Betriebsschlosser mit der Instandhal-tung, Reparatur und Wartung von Tagebaugroßgeräten befasst war, folgt aus der Zusammen-schau der Nrn. 1, 5 und 7 des § 1 Abs.1 der VO im Lichte von § 138 Abs. 1 SGB VI i. d. bis 31.12.2004 g. F., dass er im streitgegenständlichen Zeitraum knappschaftliche Arbeiten ver-richtete. Die Begründung der Beklagten, Instandhaltungsarbeiten, gleichgültig, ob sie auf ehe-maligen Braunkohletagebaugeländen oder auf aktiven Tagebauen verrichtet würden, seien kei-ne knappschaftlichen Arbeiten i. S. v. §§ 137 Nr.2, 138 Abs.4 i. d. bis 31.12.2004 g. F. des SGB VI i. V. m. § 1 Abs.1 Nrn.1-11 der VO, ist insoweit rechtsirrig.

Dagegen spricht auch nicht, dass die Kammer dem Enumerationsprinzip zuwider die VO an-wendete. Zum einen ist der VO nicht zu entnehmen, dass die Aufzählung in ihrem § 1 Abs.1 abschließend wäre. Zum anderen hat die Kammer lediglich eine Auslegung der Begrifflichkei-ten "alle Arbeiten unter Tage", "laufende Unterhaltungsarbeiten an Grubenbahnen" sowie "Ar-beiten in Reparaturwerkstätten" im Lichte des systematisch vorrangigen § 138 Abs.1 i. d. bis 31.12.2004 g. F. des SGB VI unter Berücksichtigung der vom Verordnungsgeber den seiner-zeitigen Verhältnissen geschuldet offensichtlich nicht bedachten oberirdischen bergmännischen Gewinnung von Mineralien vorgenommen. Nach Überzeugung der Kammer sind danach "alle Arbeiten unter Tage", "laufende Unterhaltungsarbeiten an Grubenbahnen" sowie "Arbeiten in Reparaturwerkstätten" eben auch die Instandhaltung, Reparatur und Wartung von Tagebaug-roßgeräten, und zwar gleichgültig, ob sie auf (ehemaligen) Braunkohletagebaugeländen "unter freiem Himmel" oder in einer vom Tagebaubetreiber angemieteten Werkstatt verrichtet werden.

Die von der Beigeladenen und auch vom Kläger mit der Durchführung von Instandhaltungs-, Reparatur- und Wartungsarbeiten an Tagebaugroßgeräten ausgeführten Arbeiten hängen nach Überzeugung der Kammer zudem auch räumlich und betrieblich mit einem Bergwerksbetrieb zusammen. Dies folgt schon aus den Angaben der Beigeladenen und Beklagten. Ein engerer räumlicher und betrieblicher Zusammenhang mit einem Bergwerksbetrieb, der die Fa. L GmbH bzw. V zweifellos ist, als auf dessen Gelände bzw. in einer von ihm angemieteten und auf des-sen Gelände befindlichen Werkstatt für die bergmännische Gewinnung von Mineralien wie Braunkohle ureigenst gedachtes und eingesetztes Tagebaugroßgerät Instand zuhalten, zu repa-rieren und zu warten, ist kaum vorstellbar.

Dagegen spricht auch nicht, dass jeder hinsichtlich der Wartung von Tagebaugroßgeräten kun-dige dritte Reparaturdienstleister die Auftragsarbeiten ausführen könnte. Denn nach dem inso-weit eindeutigen Gesetzeswortlaut würden Arbeiten eines jedweden dritten Reparaturdienst-leisters, die räumlich und betrieblich mit einem Bergewerksbetrieb zusammenhängen, sofern sie nur ihrerseits knappschaftlich sind, die Zuständigkeit der Beklagten begründen. Weder ist erforderlich, dass der dritte Reparaturdienstleister bzw. der andere Unternehmer ausschließlich noch überwiegend seinerseits knappschaftliche Arbeiten verrichten ließe. Nach dem insoweit völlig eindeutigen Gesetzeswortlaut genügt es vielmehr, dass die Beigeladene – wie vorliegend jedenfalls unter Einsatz des Klägers – überhaupt knappschaftliche Arbeiten im räumlichen und betrieblichen Zusammenhang mit einem Bergwerksbetrieb ausführen ließ.

Daher war der angefochtene, dem zuwiderlaufende Bescheid aufzuheben und die begehrte Feststellung zu treffen. Infolgedessen wird die Beigeladene auch, sofern die Unterschiedsbe-träge zwischen den Beiträgen zur knappschaftlichen Rentenversicherung und den Beiträgen zur allgemeinen Rentenversicherung ihr von der Beklagten bereits erstattet worden waren, eben-diese der Beklagten nachzuzahlen haben.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt hinsichtlich der Beige-ladenen den Rechtsgedanken der §§ 197a Abs.2 S. 1 SGG, 154 Abs. 3 VwGO.
Rechtskraft
Aus
Saved