S 13 R 28/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Cottbus (BRB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 13 R 28/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die am 1957 geborene Klägerin, bei der ein GdB von 50 vorliegt, absolvierte eine Berufsausbildung zum Facharbeiter Schreibtechnik (Zeugnis vom 15.7.1976) und war zuletzt beschäftigt als Sekretärin bei der I des Landes Brandenburg, Potsdam. Sie erhielt aufgrund des bzw. im Nachgang zum Rechtsstreit mit dem (Az.:) vor dem Sozialgericht Cottbus Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit für die Zeit vom 01.11.03 bis zum 31.10.07 gewährt (Gerichtsbescheid vom 23.10.2007), dem das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. X vom 24.05.07 nach Aktenlage zugrunde lag, wonach die Klägerin als Bürokraft 3 Stunden bis unter 6 Stunden leistungsfähig sei und das die Wegefähigkeit der Klägerin bejahte. Gegen den entsprechenden Bescheid vom 08.02.08 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.07.08 ist ein weiteres Verfahren vor dem Sozialgericht Cottbus unter dem (Az.:) anhängig.

Am 13.11.2007 beantragte die Klägerin die Weitergewährung der ihr bis zum Ablauf des 31.10.2007 gewährten Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die Beklagte veranlasste daraufhin die Begutachtung der Klägerin durch zwei medizinische Sachverständige. Die Klägerin teilte der Beklagten mit, sie suche keinen Gutachter mehr auf. Unter dem 28.04.2008 erteilte die Beklagte der Klägerin Hinweise zu deren Mitwirkungspflicht. Auch in Ansehung derselben hielt die Klägerin daran fest, keinen Gutachter mehr aufzusuchen.

Mit Bescheid vom 19.05.2008 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die Klägerin habe trotz Aufforderung und Belehrung ihre Mitwirkungspflicht nicht erfüllt.

Dagegen ging die Klägerin am 26.05.2008 in Widerspruch. In der Begründung bat sie unter anderem um einen Termin bei einem Facharzt für Orthopädie.

Die Beklagte veranlasst daraufhin erneut die Begutachtung der Klägerin durch zwei medizinische Sachverständige. Die Klägerin lehnte die Wahrnehmung entsprechender Begutachtungstermine erneut ab. Per 17.07.2008 wies die Beklagte die Klägerin erneut auf ihre Mitwirkungspflicht hin. Auch in Ansehung dieser hielt die Klägerin daran fest, keinen Gutachter zu konsultieren.

Mit Widerspruchsbescheid vom 06.01.2009 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, da die Klägerin trotz mehrfacher Aufforderung und Belehrung ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen und sich keiner nervenärztlichen und orthopädischen Begutachtung unterzogen habe, habe der für eine Rentenbewilligung erforderliche Nachweis eines verminderten Leistungsvermögens nicht erbracht werden können.

Mit ihrer am 12.01.2009 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Ziel weiter.

Sie beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.01.2009 zu verurteilen, die ihr gewährte Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit über den Ablauf des 31.10.2007 hinaus weiter zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf den Widerspruchsbescheid.

Zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hat das Sozialgericht Cottbus zusätzlich beigezogen Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärztinnen und Ärzte. Sodann hat es mit Beweisanordnung vom 26.10.2010 ein schriftliches Sachverständigengutachten aufgrund einmaliger ambulanter Untersuchung der Klägerin veranlasst und darin ebenfalls auf die der Klägerin obliegende Mitwirkungspflicht und den Folgen bei Nichtbefolgung hingewiesen. Per 09.11.2010 ist die Ablehnung seitens der Klägerin erfolgt, die nunmehr ausdrücklich eine Begutachtung nach Aktenlage wünscht. Eine entsprechende Änderung der Beweisanordnung ist am 20.12.2010 erfolgt. Nach dem Gutachten des Facharztes für Chirurgie und Sozialmedizin Dr. X vom 22.12.2010 sei der Klägerin die Tätigkeit als Sekretärin vollschichtig zumutbar; auch ihre Wegefähigkeit sei zu bejahen. Das Sozialgericht Cottbus hat schließlich die ergänzende Stellungnahme des Facharztes für Chirurgie und Sozialmedizin Dr. X vom 14.04.2011 zu den Einwänden der Klägerin in deren Schreiben vom 23.01.2011, 24.01.2011, 26.01.2011, 04.03.2011 und 24.03.2011 veranlasst; danach seien die Einwände der Klägerin nicht geeignet, von der Beurteilung in seinem Primärgutachten abzuweichen.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand und dem Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Kammer konnte über die Klage auch in Abwesenheit der Klägerin entscheiden, da sie auf diese Möglichkeit in der Terminsmitteilung hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 SGG i.V.m. 124 Abs. 1 SGG).

II. Die Klage ist zulässig, nicht jedoch begründet. Der streitgegenständliche Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, denn ihr steht kein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wegen Berufsunfähigkeit und damit – da insofern noch weitergehendere Einschränkungen des Leistungsvermögens erforderlich wären – auch kein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu.

1. Die Beklagte hat zu Recht die §§ 43 Abs. 1 und 2 sowie 240 SGB VI n.F. angewandt, da über einen nach dem 01.01.2001 gestellt (Weitergewährung-) Antrag zu entscheiden war und nicht schon am 31.12.2000 ein Anspruch auf eine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit bestand (§§ 301 Abs. 1, 302 b Abs. 1 SGB VI).

2. Nach § 43 SGB VI neue Fassung haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie erstens teilweise erwerbsgemindert sind, zweitens in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und drittens vor Erfüllung der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI neue Fassung haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, die allgemeine Wartezeit erfüllt haben und in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Berufsunfähig sind gemäß § 240 SGB VI Versicherte, die vor dem 02. Januar 1961 geboren sind und deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als 6 Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechend und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderung ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur beruflichen Rehabilitation mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens 6 Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

3. Die Klägerin mag zwar die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum 01.11.2007 wie zum 01.11.2003 erfüllen, wofür analog § 136 Abs. 3 SGG auf die Feststellungen der Beklagten im Bescheid vom 08.02.2008 sowie auf den in der Verwaltungsakte enthaltenen Versicherungsverlauf verwiesen wird; sie ist jedoch nicht berufsunfähig. Vielmehr verfügt die Klägerin, wie aus dem schlüssigen und überzeugenden Gutachten des vom Sozialgericht Cottbus ausgesuchten unabhängigen medizinischen Sachverständigen Facharzt für Chirurgie und Sozialmedizin Dr. X vom 22.12.2010 hervorgeht, noch über ein vollschichtiges Leistungsvermögen in ihrem bisherigen Beruf bzw. Hauptberuf als Sekretärin bzw. Industriekauffrau und ist außerdem in ihrer Wegefähigkeit nicht beschränkt. Hinsichtlich der Wegefähigkeit gibt das im Rechtsstreit mit dem (Az.) eingeholte Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. X vom 24.5.2007 insofern keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung und sieht sich die Kammer bestätigt durch das Vermögen der Klägerin, die sie behandelnden Ärztinnen und Ärzte in mehr als zu vernachlässigender Frequenz aufsuchen zu können. Bezüglich der Fähigkeit überwiegend körperlich leichte Tätigkeiten als Sekretärin bzw. Industriekauffrau mindestens 6 Stunden arbeitstäglich verrichten zu können, sieht sich die Kammer betätigt durch die Frequenz, den Umfang und die inhaltliche Gestaltung der Eingaben der Klägerin im hiesigen Klageverfahren. Soweit das im Rechtsstreit mit dem (Az.) eingeholte Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. X vom 24.5.2007 insofern davon abweichende Feststellungen enthält, konnte ihnen die Kammer im Rahmen der von ihr vorgenommenen freien Beweiswürdigung nicht folgen. Zum einen ist ein am 24.5.2007 erstelltes medizinisches Sachverständigengutachten schon aufgrund Zeitablaufs ungeeignet, eine verminderte Erwerbsfähigkeit für die Zeit ab 1. 11. 2007 sowie weit danach nachzuweisen. Zum anderen berücksichtigte der benannte medizinische Sachverständige nicht bzw. nicht hinreichend die im Falle der Klägerin zu konstatierende Aggravationstendenz, wie sie aber die die Klägerin behandelnde Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie in ihrem Befundbericht vom 27.7.2009 schlüssig und überzeugend beschrieb.

Wollte man dies abweichend beurteilen und insbesondere den medizinischen Sachverhalt entgegen der Überzeugung der Kammer nicht als geklärt ansehen, soweit er rechtlich relevant ist, wäre zu berücksichtigen, dass der vom Sozialgericht Cottbus ausgesuchte unabhängige medizinische Sachverständige Facharzt für Chirurgie und Sozialmedizin Dr. X in seinem Gutachten vom 22.12.2010 ein weiteres Gutachten zur Feststellung des Leistungsvermögens der Klägerin nicht für erforderlich erachtet hat, ferner ebendieser von der Beurteilung in seinem Primärgutachten auch nicht in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14.4.2011 zu den Einwänden der Klägerin in deren Schreiben vom 23. 1.2011, 24.1.2011, 26.1.2011, 04.03.2011und 24.3.2011 abgewichen ist – die Klägerin also keine wesentlichen neuen gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit relevanten Auswirkungen auf ihr Leistungsvermögen geltend machte, die nicht bereits von dem benannten medizinischen Sachverständigen berücksichtigt worden wären – sowie schließlich dass die Klägerin höchstselbst durch ihre letztlich begründungslose Weigerung, sich von einem vom Sozialgericht Cottbus ausgesuchten unabhängigen medizinischen Sachverständigen gutachtlich untersuchen zu lassen, dies zumal in Anbetracht der nach sowohl dem im Rechtsstreit mit dem (Az.) eingeholten Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. X vom 24.5.2007 als auch nach dem im hiesigen Rechtsstreit eingeholten Gutachten des Facharztes für Chirurgie und Sozialmedizin Dr. X vom 22. 12. 2010 nebst ergänzender Stellungnahme vom 14.4.2011 zu den Einwänden der Klägerin in deren Schreiben vom 23. 1.2011, 24.1.2011, 26.1.2011, 04.03.2011und 24.3.2011 gleichermaßen bejahten Wegefähigkeit der Klägerin, dies zumal erst recht in Anbetracht des Fehlens jedweder primärmediznisch definitiver Feststellungen zu einer anderenfalls – bei Wahrnehmung eines Untersuchungstermins bei einem vom Sozialgericht Cottbus ausgesuchten unabhängigen medizinischen Sachverständigen – zu gegenwärtigenden Gefahr für Leben oder Gesundheit der Klägerin als dem einzigen zur Befreiung von der ihr obliegenden Mitwirkungspflicht führenden Umstand (ThürLSG 24.9.2007, Az.), die Klägerin höchstselbst also für den letztlich ebenfalls ihr obliegenden Nachweis des Vorliegens von Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung, dies zumal im Sinne eins Vollbeweises dergestalt mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit als dass vernünftige Zweifel schwiegen beweisfällig geblieben wäre. Die Klägerin trüge die objektive Beweislast einschließlich der prozessrechtlichen Folgen, wenn sie – wie vorliegend – ohne wichtigen Grund – wie ausgeführt – der Aufforderung zur Untersuchung keine Folge leistet (ThürLSG, a.a.O.).

Schließlich gaben auch die nach dem 24.3.2011 erfolgten weitren Eingaben der Klägerin keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung, da selbst wenn aufgrund dessen wesentliche neue gesundheitliche Beeinträchtigungen mit relevanten Auswirkungen auf das Leistungsvermögen der Klägerin anzunehmen wären, die diesbezüglichen Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit noch nicht mindestens 6 Monate bestünden (Rechtsgedanke des § 101 Abs.1 SGB VI; vgl. Jörg, in: Kreikebohm § 43 SGB VI Rn. 23).

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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