S 39 AL 240/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Cottbus (BRB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 39 AL 240/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AL 63/18 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 28.02.2018 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I. Mit Urteil vom 28.02.2018 hat das Sozialgericht (SG) Cottbus den Sperrzeitbescheid der Beklagten vom 01.06.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.07.2016 (W 1654/16) in der Fassung des Sperrzeitänderungsbescheids vom 18.07.2016 aufgehoben. Das SG hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für den Eintritt der Sperrzeit nach § 159 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) nicht gegeben seien, weil die Beklagte den Kläger nicht ordnungsgemäß über die Rechtsfolgen bei Nichtantritt der angebotenen Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung (§ 45 SGB III) belehrt habe. Eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung müsse verständlich, sachlich richtig und vollständig sein und hinreichend konkret auf den betreffenden Einzelfall abstellen. Unerheblich sei, ob der Arbeitssuchende etwa aus anderen Belehrungen die Rechtsfolgen bereits gekannt habe oder hätte kennen müssen. Die von der Beklagten standardmäßig mit geringen Variationen verwendeten Rechtsfolgenbelehrungen seien nicht hinreichend auf den konkreten Einzelfall bezogen, weil sie letztlich bloß den Gesetzestext wiedergäben, nicht die konkret zu befürchtende Sperrzeitdauer mitteilten, sondern sämtliche gesetzlich vorgesehenen Sperrzeitlängen aufführten und der Kläger die konkret drohende Sperrzeitdauer selbst zu ermitteln habe. Die Angabe einer "Bandbreite" entspreche nicht diesen Voraussetzungen (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 01.06.2006, B 7a AL 26/05 R, juris Rn. 14). Zudem sei die Rechtsfolgenbelehrung unvollständig, denn sie beinhalte keinen Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 161 Abs. 1 Nr. 2 SGB III. Eines derartigen Hinweises bedürfe es auch dann, wenn die konkret in Betracht kommende Sperrzeit für sich genommen noch nicht zum Erlöschen des Leistungsanspruchs führe, denn die Regelung sehe eine Summierung der eingetretenen Sperrzeiten vor, die Einfluss auf das Erlöschen des Arbeitslosengeld(Alg)-Anspruchs haben könne. Aus der Rechtsfolgenbelehrung ergebe sich auch nicht, in welchem Fall eine Sperrzeit von "längstens 12 Wochen" eintrete. Es werde nur darauf hingewiesen, dass die Sperrzeit 3 Wochen und beim zweiten versicherungswidrigen Verhalten 6 Wochen dauere, nicht aber, welche Bewandtnis die 12-Wochen-Dauer habe und auch nicht, dass es zwischen 6 und 12 Wochen keine Zwischensprünge gebe. Bei einer fehlerhaften Rechtsfolgenbelehrung spiele es keine Rolle, ob diese ursächlich für das Verhalten des Arbeitslosen sei (BSG, Urteil vom 01.06.2006, a.a.O.). Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 Nr. 4 SGB III seien die weiteren Verfügungen im Sperrzeitbescheid, die Aufhebung der Alg-Leistungen im Zeitraum vom 22.05. - 11.06.2016 gem. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III, die Erstattungsforderung i.H.v. 462,40 EUR gemäß § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X, die Aufrechnung mit dem Anspruch des Klägers auf Alg gem. § 333 Abs. 1 SGB III sowie die Minderung des Alg-Anspruchs um 21 Tage gemäß § 148 Abs. 1 Nr. 3 SGB III rechtswidrig und ebenfalls aufzuheben. Das SG hat die Berufung nicht zugelassen.

Gegen das der Beklagten am 03.04.2018 zugestellte Urteil richtet sich die am 30.04.2018 beim Landessozialgericht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde (NZB) der Beklagten, zu deren Begründung sie vorträgt, die Berufung sei gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe. Folgende Rechtsfragen seien klärungsbedürftig:

1. Tritt eine Sperrzeit gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 4 SGB III ein, wenn in der mit der Maßnahmezuweisung erteilten Rechtsfolgenbelehrung die gesetzlich in Betracht kommenden Sperrzeitlängen genannt und erläutert werden, nicht jedoch, welche dieser Sperrzeitlängen genau bei Ablehnung der Maßnahmen eintreten wird; 2. tritt eine Sperrzeit gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 4 SGB III ein, wenn in der mit der Maßnahmezuweisung erteilten Rechtsfolgenbelehrung nicht auf die Rechtsfolge des § 161 Abs. 1 Nr. 2 SGB III hingewiesen werde und bei tatsächlichem Eintritt der Sperrzeit kein Erlöschen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld in Betracht käme, weil keine Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt mindestens 21 Wochen vorlägen?

Die Bundesagentur verwende die oben zitierte Rechtsfolgenbelehrung bundesweit einheitlich in allen Maßnahme-Zuweisungsschreiben, vergleichbare Rechtsfolgenbelehrungen würden auch für andere Sperrzeittatbestände verwendet. Die aufgeworfenen Rechtsfragen seien daher über den Einzelfall hinaus für eine Vielzahl anhängiger und zukünftiger Rechtsstreite von Bedeutung.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die NZB ist zulässig, da der streitige Betrag von 571,20 EUR nicht die für die zulassungsfreie Berufung erforderliche Summe von mehr als 750,00 EUR (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG) erreicht.

Die NZB ist nicht begründet. Gründe zur Zulassung der Berufung nach § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn

1. die Sache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Der Sache kommt keine grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu. Sie wirft entgegen der Auffassung der Beklagten keine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter Art auf, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Dies wäre nur dann der Fall, wenn es in einem Rechtsstreit um eine Rechtsfrage geht, deren Entscheidung über den Einzelfall hinaus für eine Vielzahl von Verfahren Bedeutung besitzt. Ist die Rechtsfrage dagegen bereits höchstrichterlich entschieden worden, ist sie nicht mehr klärungsbedürftig (vgl. BSG, Beschluss vom 25.08.2011, B 8 SO 11 B, juris; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 160 Rn 8).

Eine derartige Rechtsfrage liegt hier nicht vor. Es sei zunächst auf die Ausführungen des SG in seinem Urteil vom 28.02.2018 verwiesen, denen sich der Senat anschließt.

Zu den Anforderungen an eine Rechtsfolgenbelehrung als Voraussetzung für den Eintritt einer Sperrzeit bzw. einer Sanktion im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) existiert umfangreiche Rechtsprechung des BSG, die entsprechend auf die Rechtsfolgenbelehrung nach § 159 Abs. 1 Nr. 6 SGB III übertragbar ist. So hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen zu einer vergleichbaren NZB einer Arbeitsagentur in seinem Beschluss vom 08.05.2018 (L 11 AL 67/16 NZB, juris) folgendes ausgeführt: Das BSG hat für die Rechtsfolgenbelehrung nach § 31 SGB II ausdrücklich entschieden, dass nicht nur über die Dauer der zu erwartenden Leistungseinschränkung sondern auch über deren Beginn zu belehren ist (vgl. Urteil vom 18. Februar 2010 – B 14 AS 53/08 R; so auch Berlit in: LPK-SGB II, 6. Auflage 2017, § 31 Rn 78). Zwar hat das BSG in dieser Entscheidung darauf verwiesen, dass der Warnfunktion einer Rechtsfolgenbelehrung im Bereich des SGB II eine noch größere Bedeutung zukomme als im Bereich der Arbeitsförderung (vgl. BSG a.a.O.). Aus dieser Feststellung ergibt sich jedoch kein Grund zu der Annahme, dass im Rahmen der Rechtsfolgenbelehrung nach § 159 Abs. 1 Nr. 6 SGB III – anders als bei der Rechtsfolgenbelehrung nach § 31 SGB II – keine konkrete Belehrung über den Beginn der Sperrzeit erforderlich sein könnte. Schließlich stützt sich der 14. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 18. Februar 2010 (a.a.O.) hinsichtlich der Anforderungen an eine Rechtsfolgenbelehrung nach § 31 SGB II ausdrücklich auf die zum Arbeitsförderungsrecht (d.h. zur Rechtsfolgenbelehrung nach § 159 SGB III) entwickelten Grundsätze (vgl. BSG a.a.O., Rn 20). Insoweit ist ebenfalls zu beachten, dass eine Sperrzeit im Rahmen des Bezugs von Alg auch einen Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II zur Folge hat (vgl. § 31 Abs. 2 Nr. 3 SGB II). Somit ist ein Bezieher von Alg, der nicht über verwertbares Vermögen bzw. anderweitige Einkünfte verfügt, durch die Verhängung einer Sperrzeit ebenso in seinem Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. hierzu Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09) betroffen wie ein Leistungsempfänger nach dem SGB II im Falle des Eintritts einer Sanktion. Daher besteht kein Anlass, hinsichtlich der Belehrung über den Beginn einer Sperrzeit an eine Rechtsfolgenbelehrung nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB III geringere Anforderungen zu stellen. Die durch die Beklagte aufgeworfene Frage ist somit nicht klärungsbedürftig. Dass der pauschale Hinweis auf ein Merkblatt mit abstrakt generellem Inhalt (hier: Merkblatt für Arbeitslose – Ihre Rechte – Ihre Pflichten, Stand: März 2014) allgemein und damit auch hinsichtlich der Belehrung über den Beginn der Sperrzeit nicht ausreicht, ist ebenfalls durch ständige Rechtsprechung geklärt (vgl. nur BSG, Urteile vom 10. Dezember 1981 – 7 RAr 24/81 und vom 16. Dezember 2008 – B 4 AS 60/07 R). Zudem enthält das o.g. Merkblatt, auf das die Beklagte in der Rechtsfolgenbelehrung der Meldeaufforderung vom 12. Mai 2014 verwiesen hat, überhaupt keine hinreichenden Ausführungen zum Beginn einer Sperrzeit bei einem Meldeversäumnis. Höchstrichterlich geklärt ist ebenfalls, wie eine konkrete Belehrung zum Beginn der Sperrzeit bei einem Meldeversäumnis lauten kann (vgl. BSG, Urteil vom 25. August 2011 – B 11 AL 30/10 R, Rn 16).

Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass das BSG zu § 119 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AFG - die Regelung entspricht vom Grunde her der Regelung in § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGB III - zu der von der Beklagten aufgeworfenen Rechtsfrage bereits mit Urteil vom 10.12.1981 ausgeführt hat, dass eine Sperrzeit wegen unberechtigter Arbeitsablehnung nur eintrete, wenn die dafür notwendige Rechtsfolgenbelehrung, die nach den Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalls drohenden Folgen der Arbeitsablehnung konkret, richtig, vollständig und verständlich kennzeichne und sie zeitnah im Zusammenhang mit dem jeweiligen Arbeitsangebot stehe (BSG, Urteil vom 10.12.1981,7 RAr 24/81, juris, in Fortführung von BSG, Urteil vom 21.07.1981,7 RAr 2/80, juris). Dies beinhalte eine Angabe des konkreten Beginns, der Dauer der Sperrzeit und ihrer Auswirkungen, insbesondere das Erlöschen des Alg-Anspruchs, wenn der Arbeitslose bereits zuvor eine oder mehrere Sperrzeiten veranlasst und hierüber schriftliche Bescheide erhalten habe (§ 119 Abs. 3 AFG, der sinngemäß der Regelung in § 161 Abs. 1 Nr. 2 SGB III entspricht). Auch ersetze eine bei einem früheren Arbeitsangebot erteilte Rechtsfolgenbelehrung oder der Hinweis auf den Inhalt eines Merkblattes das Fehlen der Belehrung auch dann nicht, wenn der Arbeitslose sich über die möglichen Rechtsfolgen einer Arbeitsablehnung im Klaren sein müsse (BSG, Urteil vom 10.12.1981, a.a.O.; vgl. auch Karmanski in Brand, SGB III, 7. Aufl., § 159 Rn. 77 ff.; Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 11.03.2004, L 3 AL 230/03, juris;).

Zur Klarstellung sei angemerkt, dass es der Beklagten keineswegs verwehrt ist, die erteilte Rechtsfolgenbelehrung maßgeblich auf den Gesetzestext zu stützen, sofern eine dem individuell zu beurteilenden jeweiligen Sachverhalt angepasste Belehrung über den Beginn der drohenden Sperrzeit, deren Dauer und ihrer Auswirkungen beigefügt ist.

Ein anderer Grund, die Berufung zuzulassen, ist nicht ersichtlich. Es ist nicht erkennbar, dass das Urteil des SG von einer Entscheidung der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Divergenz).

Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen. Ein Verfahrensmangel i.S.d. § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG ist ein Verstoß des Gerichts gegen Vorschriften beim prozessualen Vorgehen auf dem Weg zur Entscheidung. Ein derartiger Verstoß gegen prozessuale Vorschriften ist weder gerügt worden, noch aus dem Akteninhalt ersichtlich.

Nach allem war die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 4 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.

Das Urteil des Sozialgerichts wird mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Landessozialgericht rechtskräftig, § 145 Abs. 4 Satz 4 SGG.
Rechtskraft
Aus
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