S 7 AL 41/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 7 AL 41/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 AL 61/05
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 03.09.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.01.2005 verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld ab dem 01.08.2004 ohne Anrechnung eines Minderungsbetrags von 1050,00 Euro gemäß § 140 SGB III (Drittes Buch Sozialgesetzbuch) zu bewilligen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Minderung eines Arbeitslosengeldanspruchs nach § 37 b i. V. m. § 140 SGB III (Drittes Buch Sozialgesetzbuch).

Der Kläger machte vom 01.09.2000 bis 23.07.2003 bei der A GmbH eine Ausbildung. Am 16.07.2003 wurde ein befristeter Arbeitsvertrag bis zum 31.07.2004 geschlossen.

Der Kläger meldete sich am 20.7.1004 zum 01.08.2004 arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Arbeitslosengeld.

Mit Bescheid vom 03.09.2004 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld. Mit Schreiben vom 30.08.2004 teilte sie dem Kläger mit, dass er sich spätestens am 03.05.2004 bei der Beklagten hätte arbeitssuchend melden müssen. Die tatsächliche Meldung am 20.07.2004 sei um 78 Tage zu spät. Nach § 140 SGB III mindere sich der Leistungsanspruch um 35,00 Euro für jeden Tag der verspäteten Meldung. Hieraus errechne sich ein Gesamtminderungsbetrag von 1050,00 Euro.

Dem widersprach der Kläger am 27.09.2004. Dass er nach der bestandenen Abschlussprüfung für mindestens 12 Monate übernommen werde sei noch vor in Kraft treten von § 140 SGB III im Rahmen einer Betriebsvereinbarung in den 90iger Jahren vereinbart worden. Da die Weiterbeschäftigung aufgrund dieser Betriebsvereinbarung erfolgt sei, habe er insofern keinen neuen Vertrag abgeschlossen. Zudem sei ihm eine Weiterbeschäftigung über den 31.07.2004 hinaus in Aussicht gestellt worden. Erst in der letzten Kalenderwoche des Julis 2004 sei entschieden worden, den Vertrag nicht zu verlängern. Diese Entscheidung sei sowohl für ihn als auch für seinen Vorgesetzten unerwartet gewesen. Er habe sich in keiner Weise einen Vorwurf zu machen.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10.01.2005 als unbegründet zurückgewiesen.

Dagegen hat der Kläger am 00.00.0000 Klage erhoben. Ergänzend sei vorzutragen, dass er von seinem Arbeitgeber nicht auf die Meldepflicht bei der Beklagten hingewiesen worden sei. Auch sei die Regelung des § 37 b i. V. m. § 140 SGB III in keiner Weise hinreichend bestimmt. Ihm könne daher kein Vorwurf gemacht werden. Hierzu beziehe er sich auf die Entscheidung des Sozialgerichts Dortmund (S 33 AL 127/04).

Der Kläger beantragt,

den Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 03.09.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.01.2005 aufzuheben und ihm Arbeitslosengeld in voller Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 14.07.2005 dazu angehört, dass es beabsichtigt, der Klage durch Gerichtsbescheid stattzugeben. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Das Gericht kann gemäß § 105 SGG (Sozialgerichtsgesetz) durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn der Sachverhalt geklärt ist und keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art vorliegen.

Der Bescheid vom 03.09.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.01.2005 verletzt den Kläger in seinen Rechten nach § 54 Abs. 2 SGG.

Die Beklagte hat den Anspruch auf Arbeitslosengeld zu Unrecht um 1050,00 Euro gemindert.

Hat sich ein Arbeitsloser entgegen § 37 b SGB III i.V.m. § 140 SGB III nicht unverzüglich arbeitssuchend gemeldet, so mindert sich das Arbeitslosengeld, das ihm aufgrund eines Anspruchs zusteht der nach der Pflichtverletzung entstanden ist. Die Minderung beträgt

1.bei einem Bemessungsentgelt von bis zu 400,00 Euro 7,00 Euro,

2.bei einem Bemessungsentgelt bis zu 700,00 Euro 35,00 Euro

3.bei einem Bemessungsentgelt über 700,00 Euro 50,00 Euro

für jeden Tag der verspäteten Meldung. Die Minderung ist auf den Betrag begrenzt, der sich bei einer 30-tägigen Verspätung errechnet. Die Minderung erfolgt, indem der Minderungsbetrag auf das halbe Arbeitslosengeld angerechnet wird.

Während § 37 b Satz 1 SGB III Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis endet dazu verpflichtet, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts arbeitssuchend zu melden, bestimmt § 37 b Satz 2 SGB III, dass im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses die Meldung frühestens drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen hat.

Ob § 37 b SGB III bzw. § 140 SGB III verfassungsgemäß sind (siehe dazu den Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Frankfurt an das Bundesverfassungsgericht vom 1.4.2004, Az. S 7 AL 42/04) kann dahinstehen, da die Voraussetzungen der Normen tatbestandlich nicht erfüllt sind.

§ 37 b SGB III i.V.m. § 140 SGB III greift nur ein, wenn die Arbeitssuchendmeldung nicht unverzüglich erfolgt ist. Der Begriff der Unverzüglichkeit ist im BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) legal definiert. Nach § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB bedeutet unverzüglich ohne schuldhaftes Zögern. Die Definition gilt über § 216 Abs. 2 ZPO (Zivilprozessordnung) und § 23 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) nach allgemeiner Meinung im gesamten öffentlichen Recht (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 3.2.1992 Az. 18 A 226/92. A; LSG Baden-Württemberg, Az. L 3 AL 1267/04, Urteil vom 9.6.2004; Palandt/Heinrichs § 121 BGB, Rn. 3, 62. Auflage 2003). Schuldhaft handelt nach § 276 Satz 2 BGB, wer vorsätzlich oder grob fahrlässig vorgeht. Auch § 276 BGB gilt für das gesamte öffentliche Recht (LSG Baden Württemberg Az.: L 3 AL 1267/04 Urteil vom 9.6.2004; Gagel § 37 b SGB III, Rn 15, Palandt/Heinrichs § 276 BGB Nr. 4)

Eine Pflichtverletzung kann regelmäßig aber nur dann angenommen worden, wenn die dem Betreffenden obliegende Pflicht hinreichend bestimmt ist. § 37 b Satz 2 SGB III legt für befristete Arbeitsverhältnisse lediglich fest, dass die Meldung "frühestens" drei Monate vor deren Beendigung zu erfolgen hat. Durch die Verwendung des Begriffs "frühestens" kommt zum Ausdruck, dass auch eine spätere Meldung möglich sein muss. Wann dies spätestens zu erfolgen hat, ist der Norm nicht zu entnehmen. Eine hinreichend definierte Obliegenheit wird dadurch für befristete Arbeitsverhältnisse nicht bestimmt (so auch SG Aachen Urteil vom 24.9.2004, S 8 AL 81/04; Sozialgericht Dortmund Urteil vom 14.7.2004, S 33 AL 169/04, Urteile vom 26.7.2004, S 33 AL 127/04 und S 33 AL 127/04; Sozialgericht Münster Urteil vom 2.11.2004, S 5 AL 50/04 und Gerichtsbescheid vom 23.2.2005, S 5 AL 209/04; Sozialgericht Augsburg Urteil vom 7.9.2004, S 1 AL 144/04).

Es ist zu vermuten, dass der Gesetzgeber übersehen hat zu regeln, bis wann spätestens die Meldung zu erfolgen hat. Ein etwaiges gesetzgeberisches Versehen kann jedoch auch nicht im Rahmen juristischer Auslegungsmethoden behoben werden.

Die Auslegung dem Wortlaut nach führt zu keinem Ergebnis. Die Formulierung "frühestens" bedeutet "nicht früher als". Ausgehend vom Wortlaut kann der Arbeitslose sich erst drei Monate vor Ablauf der Befristung arbeitslos melden.

Die Gesetzesbegründung des Gesetzgebers zur Einführung von § 37 b SGB III kann ebenfalls keinen Aufschluss geben. Hierin ist lediglich vermerkt: "Bei befristeten Arbeitsverhältnissen soll die Meldung jedoch nicht früher als drei Monate vor Ablauf des Arbeitsverhältnisses erfolgen" (BTDS 15/25 zu Nr.6, S.27).

Sinn und Zweck der Regelung ist es, die Eingliederung von Arbeitssuchenden zu beschleunigen und den Eintritt einer Arbeitslosigkeit und das Anfallen von Entgeltersatzleistungen möglichst zu vermeiden. Dieses Ziel würde für Arbeitnehmer in befristeten Beschäftigungsverhältnissen gleichermaßen Sinn machen wie für Arbeitnehmer, die in unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen gekündigt wurden. Um diesen Gesetzessinn umzusetzen müsste das Wort "spätestens" in das Wort "frühestens" umgedeutet werden.

Eine nach juristischen Methoden zulässige Auslegung muss jedoch nachvollziehbar sein und Willkür auszuschließen. Ausgangspunkt einer jeden juristischen Interpretation muss der Wortlaut des Gesetzes sein. Danach können grammatikalische, logische, historisch-subjektive und teleologisch-objektive Gesichtspunkte zur Auslegung herangezogen werden. Das Ergebnis einer gerichtlichen Auslegung kann aber nicht die Umkehr des Gesetzestextes in sein Gegenteil zur Folge haben. Die Rechtsprechung kann im Rahmen der juristischen Auslegung Text- und Wertungslücken schließen. Das Legalitätsprinzip verbietet es vorliegend aber, die Formulierung "frühestens" zu überlesen oder sie in "spätestens" umzudeuten (SG Augsburg Urteil vom 7.9.2004, S 1 AL 440/04). Nach § 31 SGB I (Erstes Buch Sozialgesetzbuch) können Pflichten des Sozialleistungsempfängers nur begründet werden, wenn ein Gesetz dies vorschreibt oder zulässt. Hinzu kommt, dass ein Verstoß gegen § 37 b SGB III mit einer nicht unerheblichen pauschalen Schadensausgleichkonsequenz sanktioniert ist.

Das Gericht geht deshalb davon aus, dass die Sanktionsfolge von § 140 SGB III aufgrund der unbestimmten Regelung hinsichtlich der Arbeitssuchendmeldung bei befristeten Arbeitsverträgen in § 37 b Abs. 2 SGB III nicht eintreten kann. Vor diesem Hintergrund kann es dahinstehen, ob der Kläger überhaupt einen neuen Arbeitsvertrag geschlossen hat und ob ihm sein Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung nach Ablauf der Befristung versprochen hatte oder nicht. Weitere Ermittlungen sind obsolet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved