S 8 KR 360/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KR 360/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 45/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 15.10.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2004 verurteilt, die Kosten des am 12.05.2004 verordneten Lymphdrainage-Gerätes nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu übernehmen. Der Beklagten werden die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Frage der Versorgung der Klägerin mit einem Lymphdrainage-Gerät.

Die 1943 geborene Klägerin leidet unter anderem an einem ausgeprägten chronischen Liplymphödem sowie einem Weichteilrheumatismus. Im Mai 2004 beantragte sie die Kostenübernahme für ein Lymphdrainage-Gerät unter Vorlage der Verordnung des Facharztes für Dermatologie und Venerologie, Priv.-Doz. E1 vom 12.05.2004 sowie einem Kostenvoranschlag in Höhe von ca. 1.100,00 Euro. Nach Einholung einer weiteren Auskunft des E1 kam der von der Beklagten angehörte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) zu der Einschätzung, dass vorrangig vor der Anwendung eines Lymphdrainage-Gerätes eine manuelle Lymphdrainage sowie das Tragen vom Kompressionsstrümpfen indiziert sei. Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 15.10.2004 ab. Die medizinische Notwendigkeit sei zurzeit nicht gegeben.

Den gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch der Klägerin wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 23.11.2004 zurück.

Die Klägerin hat gegen die ablehnenden Bescheide Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Sie macht geltend, dass die manuelle Lymphdrainage nicht häufig genug durchgeführt werden könne. Eine Behandlung dreimal wöchentlich sei nicht ausreichend, da sie unter Berücksichtigung ihres Schmerz- und Beschwerdebildes einer Drainagebehandlung mindestens einmal täglich bedürfe. Kompressionsstrümpfe könne sie wegen des damit verbundenen starken und zu vermeidenden Drucks in der Leistengegend nicht tragen sowie aus dem Grund, dass sie aufgrund ihres schmerzhaften Weichteilrheumatismus Kompressionsstrümpfe nicht selbständig an- und ausziehen könne.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.10.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2004 zu verurteilen, die Kosten des am 12.05.2004 verordneten Lymphdrainage-Gerätes zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide aus dort ausgeführten Gründen für rechtmäßig. Auch in der während des Klageverfahrens unter Berücksichtigung des eingeholten aktuellen Befundberichtes getroffenen Einschätzung sei der Chirurg und Phlebologe E2 (MDK) überzeugend mit ausführlicher Begründung zu einer Bestätigung der Einschätzung des MDK im Verwaltungsverfahren gekommen. Nach der Beurteilung des E2 sei die Durchführung einer leitliniengemäßen Behandlung anzuraten, ggf. empfehle sich die Durchführung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme.

Das Gericht hat zur weiteren Ermittlung des Sachverhalts einen Befundbericht des E1 sowie das Gutachten der Leitenden Ärztin der Klinik für Gefäßchirurgie und Phlebologie der X-Kliniken E3, L, vom 08.08.2006 eingeholt und die von der Sachverständigen und E2 zitierten und im Internet veröffentlichte Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie beigezogen. Auf diese Unterlagen sowie auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze und Unterlagen der Beteiligten sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Versorgung mit einem Lymphdrainage-Gerät zu.

Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, § 33 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V). Die Leistung muss ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten, § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V.

Vorliegend ist die Versorgung der Klägerin mit dem verordneten Lymphdrainage-Gerät erforderlich. Dies ergibt sich aus den Ausführungen des behandelnden Arztes E1 und den Schilderungen der Klägerin. So ist die Behandlung mit einem mechanischen Lymphdrainage-Gerät zur Linderung der Schmerzen erforderlich, die mit den ausgeprägten Schwellungen des Liplymphödems verbunden sind. Nach den übereinstimmenden Angaben sowohl der Klägerin als auch des behandelnden Arztes ist die seit 2004 durchgeführte Entstauungsbehandlung mittels eines Lymphdrainage-Gerätes auch insoweit erfolgreich gewesen, als die Beschwerden stundenweise abnahmen und erträglich wurden. Es handelt sich damit um eine ausreichende und zweckmäßige Therapie. Die Geeignetheit der Entstauungstherapie mittels des Lymphdrainage-Gerätes stellen auch der MDK (E2) und die Sachverständige L nicht in Frage. Ihre Einwände bzw. Ablehnung der streitgegenständlichen Versorgung beruht vielmehr darauf, dass sie unter Bezugnahme auf die Leitlinien der Gesellschaft für Phlebologie andere Therapiemaßnahmen wie die manuelle Lymphdrainage (nach Földi) für geeigneter halten. Insoweit ist jedoch festzuhalten, dass die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie (erstellt am 05.12.1998, zuletzt überarbeitet am 27.05.2004) für die bei einem Liplymphödem anwendbaren Therapien keine zwangsläufige Rangfolge vorgeben oder empfehlen. Vielmehr findet sich zum Gliederungspunkt "9. Therapie" zur Ödemreduktion die Auflistung verschiedener physikalischer Maßnahmen ohne spezifische Bewertung, die vielmehr "je nach Beschwerdebild eingesetzt werden" können. In diesem Sinne gleichwertig werden sowohl die manuelle Lymphdrainage als auch die hier streitgegenständliche pneumatische Kompression sowie die Kompressionstherapie aufgeführt.

Diese Sachlage hat zur Überzeugung der Kammer zur Folge, dass die vom behandelnden Arzt verordnete Leistung von der Beklagten zu erbringen ist, da diese sich als geeignete und damit medizinisch vertretbare Behandlungsmaßnahme darstellt, die nicht unwirtschaftlich erscheint. Vorliegend handelt es sich aus den ausgeführten Gründen (bisheriger Behandlungserfolg, Inhalt der Leitlinien) bei der Durchführung der mechanischen Lymphdrainage mit einem Mehrkammersystem um eine geeignete und medizinisch zumindest vertretbare Behandlungsmaßnahme. Die beantragte Versorgung erscheint auch keinesfalls unwirtschaftlich und überschreitet nicht das Maß des Notwendigen. Vielmehr ist sie gegenüber den vom MDK und von der Sachverständigen angeregten Maßnahmen (hochfrequente manuelle Lymphdrainage, ggf. im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme, Durchführung einer Kompressionstherapie mit Unterstützung eines Pflegedienstes) wesentlich kostengünstiger. Die letzte Auskunft des E1 hat insoweit ergeben, dass sich unter Berücksichtigung der bisherigen Behandlung in der Praxis die Anschaffungskosten für das beantragte Lymphdrainage-Gerät in Höhe von ca. 1.100,00 Euro bereits nach einem Zeitraum von deutlich weniger als einem Jahr amortisiert haben (unter Zugrundelegung einer dreimal wöchentlich stattfindenden Behandlung).

Bei dieser Entscheidung hat die Kammer die Therapiefreiheit des behandelnden Arztes berücksichtigt, die ihm nicht nur im Rahmen der vertragsärztlich abrechenbaren Behandlung in der Praxis, sondern auch im Rahmen der (wirtschaftlichen!) Versorgung mit Hilfsmitteln zukommen muss. Andererseits wäre es kaum nachvollziehbar, dass es im Rahmen des Ermessens des behandelnden Arztes liegt, welche medizinischen Maßnahmen er im Rahmen seines Praxisbetriebes ergreift, diese Therapiefreiheit im Rahmen der Hilfsmittelversorgung jedoch lediglich anlässlich der Genehmigungspflicht für Hilfsmittel durch eine entsprechende - über die Wirtschaftlichkeit hinausgehende - Entscheidung des MDK begrenzt oder gar ersetzt werden kann. So hat auch das Bundessozialgericht (BSG) ausgeführt, dass das Gesetz nur den Nachweis eines therapeutischen Nutzens eines Hilfsmittels, nicht aber einen therapeutischen Zusatznutzen oder Vorteil gegenüber der bisherigen (und damit einer anderen) Behandlungsweise verlangt. Es sei im Rahmen der Therapiefreiheit eine Frage des Einzelfalls, wie der Arzt eine Verletzung des Versicherten behandele. Die Therapiefreiheit - als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Patienten bzw. der Berufsausübungsfreiheit des Arztes - sei durch das Wirtschaftlichkeitsgebot als Mittel zur Sicherung der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung eingeschränkt (BSG, Urteil vom 28.09.2006 - B 3 KR 28/05 R -; in: www.bundessozialgericht.de; Stichwort: Entscheidungstexte).

Unter Berücksichtigung der getroffenen Entscheidung konnte dahingestellt bleiben, ob die von der Sachverständigen und vom MDK für angezeigt gehaltene Kompressionstherapie unter Berücksichtigung des Einwandes der Klägerin im Termin der mündlichen Verhandlung (Vermeidung von Druckverhältnissen im Leistenbereich) durchführbar ist.

Die Kammer ist der Verordnung des behandelnden Arztes ebenso hinsichtlich der Auswahl des Lymphdrainage-Gerätes (3-Kammer-Beinmanschetten) gefolgt. Sollte er diese Verord nung allein aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus ausgestellt haben und unter rein medizinischen Gesichtspunkten in Übereinstimmung mit E2 vom MDK ein 12-Kammer-System für sinnvoller halten, so bleibt es den Beteiligten anheim gestellt, im Falle der Versorgung mit einem Lymphdrainage-Gerät die Verwendung von Beinmanschetten mit mehr als 3 Kammern zu vereinbaren. Des Weiteren bleibt es der Beklagten anheim gestellt, ob sie die Versorgung durch eine einmalige Anschaffung eines Lympdrainage-Gerätes im Sinne des Kostenvoranschlags oder durch eine mietweise Finanzierung sicherstellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Rechtskraft
Aus
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