S 11 R 23/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 11 R 23/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 208/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Regelaltersrente. Vorrangig geht es hierbei um die Anerkennung einer Beitragszeit von November 1941 bis Februar 1942.

Die am 00.00.1926 in A/Polen geborene Klägerin ist jüdischer Abstammung. Sie unterlag der nationalsozialistischen Verfolgung, weshalb sie als Verfolgte im Sinne des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) anerkannt worden ist. Sie erhielt Leistungen nach diesem Gesetz (Feststellungsbescheid C vom 29.04.1959). Nach der Befreiung am 08.05.1945 hielt sich die Klägerin zunächst von November 1945 bis März 1947 in Deutschland auf. Sie wanderte dann nach Israel aus, wo sie seither lebt. Die Klägerin besitzt die israelische Staatsangehörigkeit.

Am 11.05.2001 beantragte die Klägerin bei der Beklagten u.a. die Gewährung einer Rente sowie die Anerkennung einer Tätigkeit im Ghetto. Sie machte dabei Beschäftigungszeiten im Ghetto Zawiercie von Anfang 1940 bis Februar 1942 als Arbeiterin in der Brotausteilungsabteilung geltend. Die Höhe des erhaltenen Entgeltes sei ihr nicht erinnerlich. Die Beklagte zog daraufhin die Entschädigungsakten der Klägerin bei und wertete diese aus. Im Entschädigungsverfahren hatte die Klägerin in einer eigenen Erklärung vom 27.01.1967 angegeben, dass sie trotz ihres jugendlichen Alters bereits kurze Zeit nach der deutschen Besatzung zu Zwangsarbeiten in einer Bäckerei und zu Reinigungsarbeiten herangezogen worden sei. Sie habe schwer unter den Lebensbedingungen, der ungenügenden Ernährung und Bekleidung gelitten. Im Jahre 1942 sei sie in das Zwangsarbeitslager Gabersdorf überstellt worden. Bereits in einer Erklärung vom 15.08.1956 hatte die Klägerin im Entschädigungsverfahren angegeben, dass sie bei Beginn der Verfolgung ab Anfang 1940 in der Bäckerei M1 Brotkarten der Juden auf Listen habe kleben und später Reinigungsarbeiten in der Küche bei den Deutschen habe verrichten müssen. Im Dezember 1941 sei dann ein Ghetto-Judenviertel errichtet worden. Die Zeugin C1 hatte in ihrer Erklärung vom 25.01.1967 bestätigt, dass sie mit der Klägerin einen Teil der Verfolgung gemeinsam mitgemacht habe, und zwar in Zawiercie bis Anfang 1942. Die Klägerin habe sehr unter den Lebensbedingungen gelitten, der ungenügenden Ernährung, und habe auch Zwangsarbeiten leisten müssen. Ende 1941 sei in Zawiercie ein Judenviertel errichtet worden und die Lebensbedingungen hätten sich noch weiter verschlechtert. Den Aufenthalt im Ghetto Zawiercie ab Dezember 1941 bis Februar 1942 bestätigten ebenfalls im Entschädigungsverfahren der Klägerin die Zeugen C2 (Erklärung vom 09.09.1956) sowie M2 (Erklärung vom 22.08.1956). Letztere gab ergänzend an, dass sie gleich zu Beginn der Verfolgung auf Anordnung des Judenrates zur Ausübung von Zwangsarbeiten herangezogen worden seien und diese Arbeiten unter Aufsicht, respektive Bewachung, verrichtet hätten.

In ihrem Rentenverfahren übersandte die Klägerin dann eine Erklärung der Zeugin M3 vom 12.01.2001, in welcher diese angab, dass sie die Klägerin aus der Stadt Zawiercie kenne. Sie könne daher bestätigen, dass die Klägerin im Ghetto Zawiercie von Anfang 1940 bis Februar 1942 als Arbeiterin in der Brotausteilungsabteilung des Ghettos tätig gewesen sei. Die Klägerin habe sich um ihre Arbeit selbst bemüht, da sie gehofft habe, auf diese Weise ihren Lebensunterhalt zu erleichtern und auch vor Deportierungen geschützter zu sein. Die Klägerin sei auf dem Weg von und zur Arbeit nicht bewacht worden, habe aber am Arbeitsplatz ihren Arbeitsausweis vorweisen müssen. An die Art der Entlohnung könne sie sich leider nicht erinnern.

Mit Bescheid vom 08.01.2002 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung einer Altersrente mit der Begründung ab, dass auf die Wartezeit keine anrechenbaren Zeiten vorhanden seien. Voraussetzung für die Anerkennung von Beitragszeiten in einem Ghetto sei, dass die Arbeit die Kriterien nach den damals geltenden Vorschriften der §§ 1226 ff. der Reichsversicherungsordnung (RVO) alte Fassung erfüllte. Sowohl im Entschädigungs- als auch im Rentenverfahren seien keine Beweismittel vorgelegt worden, die ein solches Beschäftigungsverhältnis im Ghetto (Tätigkeit aus eigenem Willensentschluss, Arbeit nicht unter Bewachung und Entlohnung der Tätigkeit) glaubhaft habe machen können. Die Klägerin erhob dagegen unter dem 15.01.2002 Widerspruch und legte zur Begründung in einer eigenen Erklärung dar, dass sie selber Anstrengungen unternommen habe, um die Tätigkeit in der Brotausteilungsabteilung des Ghettos zu erhalten. Der Judenrat habe ihr zu diesem Zweck geholfen. Auf dem Weg von und zur Arbeit sei sie bewacht worden, aber ihre Arbeit habe sie ohne Bewachung geleistet. Wöchentlich sei sie mit Deutscher Mark bezahlt worden für ihre Arbeit, aber an die Höhe des Lohns könne sie sich nicht mehr erinnern. Mit diesem Geld habe sie sich Lebensmittel kaufen können.

Unter dem 11.07.2002 beantragte die Klägerin dann bei der Beklagten die Gewährung einer Regelaltersrente unter Hinweis auf das ZRBG. Dem Widerspruch der Klägerin gab die Beklagte nicht statt, sondern wies ihn mit Widerspruchsbescheid vom 06.08.2002 zurück. Darin führte sie ergänzend aus, dass die Angaben der Zeugin M3 keine Berücksichtigung finden könnten, weil diese angegeben habe, dass die Klägerin von Anfang 1940 bis Februar 1942 eine ununterbrochene Tätigkeit in der Brotausteilungsabteilung verrichtet habe. Die Klägerin selber habe im Entschädigungsverfahren hingegen angegeben, dass sie in der Bäckerei M1 Brotkarten der Juden auf Listen habe kleben müssen und später Reinigungsarbeiten in der Küche bei den Deutschen verrichtet habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des Bescheides (Bl. 92 - Bl. 93 der Verwaltungsakten) Bezug genommen.

Die Klägerin hat dagegen am 13.08.2002 Klage erhoben und zur Begründung u.a. eine Erklärung des Zeugen I vom 17.10.2002 vorgelegt. Der Zeuge I hat in dieser Erklärung bestätigt, dass die Klägerin im Ghetto Zawiercie Arbeit gesucht habe, um sich ernähren zu können. Sie habe mit Hilfe des Judenrates Anfang 1940 eine Tätigkeit als Arbeiterin in der Brotausteilungsabteilung begonnen. Diese Tätigkeit habe sie bis Februar 1942 fortgesetzt und dafür einen wöchentlichen Lohn erhalten. Auch die Klägerin selber hat noch am 21.01.2003 eine ergänzende Erklärung zu ihrer Tätigkeit im Ghetto Zawiercie abgegeben. Sie hat darin u.a. ausgeführt, dass bereits seit Anfang 1940 in Zawiercie ein Ghetto existiert habe.

Mit Bescheid vom 28.05.2004 hat die Beklagte dann den Antrag auf Bewilligung einer Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach Maßgabe des ZRBG mit der Begründung abgelehnt, dass es in Ost-Oberschlesien im Zeitraum Anfang 1940 bis Februar 1942 noch kein Ghetto im Sinne des § 1 ZRBG gegeben habe. In Zawiercie/Ost-Oberschlesien, wie auch im gesamten Gebiet von Ost-Oberschlesien, sei mit der Errichtung von Ghettos erst im Herbst 1942 begonnen worden. Insoweit könne nach § 1 ZRBG eine Beschäftigung in einem Ghetto in Ost-Oberschlesien frühestens ab 01.10.1942 berücksichtigt werden.

Die Klägerin beantragt daher,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08.01.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2002 sowie unter Aufhebung des Bescheides vom 28.05.2004 zu verurteilen, ihr eine Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten von November 1941 bis Februar 1942 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie weist erneut darauf hin, dass die Glaubhaftmachung einer aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen und gegen Entgelt ausgeübten durchgehenden Beschäftigung in einer Bäckerei in Zawiercie nicht gelungen sei. Insbesondere seien die zum größten Teil anders lautenden Angaben im zeitnäheren Entschädigungsverfahren weder von der Klägerin noch von den befragten Zeugen erklärt worden. Im Übrigen halte die Beklagte auch weiterhin an ihrer Rechtsauffassung fest, wonach in Zawiercie mit der Errichtung des Ghettos erst im Herbst 1942 begonnen worden sei und eine Beschäftigung in einem Ghetto bereits aus diesem Grunde nach den Vorschriften des ZRBG nicht möglich sei.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen M2 und M3 sowie der Klägerin selber im Wege der Rechtshilfe vor dem Amtsgericht in Tel Aviv. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift des Gerichtes vom 28.10.2004 (Bl. 70 - Bl. 92 der Gerichtsakten) Bezug genommen. Die Klägerin hat dann noch eine eigene Erklärung vom 25.04.2006 zu den Akten gereicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten der Klägerin bei der Beklagten sowie auf den Inhalt der beigezogenen Entschädigungsakten vom Amt für Wiedergutmachung in Saarburg (Az.: 000000) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 08.01.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2002 sowie durch den Bescheid vom 28.05.2004, der gemäß § 96 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden ist, nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Denn diese Bescheide sind rechtmäßig.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Altersruhegeld gegenüber der Beklagten nach den §§ 35, 300 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch (SGB VI). Die für den Rentenanspruch erforderliche Wartezeit von 60 Kalendermonaten (§§ 35 Nr. 2, 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) ist nicht erfüllt, weil auf die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten nicht vorliegen. Die von der Klägerin behaupteten Beschäftigungszeiten im Ghetto Zawiercie von November 1941 bis Februar 1942 sind nicht als Beitragszeiten zu berücksichtigen.

Beitragszeiten sind nach § 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI Zeiten, für die nach den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Beiträge nach den Reichsversicherungsgesetzen hat die Klägerin nicht entrichtet. Gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind Beitragszeiten auch solche Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (sog. fiktive Beitragszeiten). Danach gelten i.V.m. § 12 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) Zeiten als Pflichtbeitragszeiten, in denen ein Verfolgter eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat, für die aus Verfolgungsgründen keine Beiträge gezahlt worden sind. Die Klägerin ist zwar anerkannte Verfolgte des Nationalsozialismus und erfüllt damit die Voraussetzungen des § 1 WGSVG. Sie stand jedoch nicht während der Zeit von November 1941 bis Februar 1942 in einem die Rentenversicherungspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnis. Auf die Beschäftigung der Klägerin im Ghetto Zawiercie sind die Vorschriften der reichsgesetzlichen Invalidenversicherung (§ 1226 ff der Reichsversicherungsordnung - RVO- a. F.) anzuwenden, denn im Gebiet des Ghettos Zawiercie ist das Recht der RVO ab dem 1. Januar 1940 durch Verordnung über die Einführung der Rentenversicherung in den der Provinz Schlesien eingegliederten, ehemals polnischen Gebieten vom 16. Januar 1940 (RGBl. I, S. 196, sog. Schlesien-Verordnung) eingeführt worden ( ersetzt mit Wirkung vom 1. Januar 1942 durch die Einführung der Reichsversicherung in den eingegliederten Ostgebieten vom 22. Dezember 1941 - RGBl. I, S. 777f, Ostgebiete-VO).

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens handelt es sich bei der von der Klägerin behaupteten Beschäftigung im Ghetto Zawiercie nicht um eine die Rentenversicherungspflicht begründende Beschäftigung.

Ein Nachweis für eine ausgeübte Beschäftigung im Ghetto Zawiercie liegt nicht vor. Ebenso wenig ist eine solche Beschäftigung von der Klägerin glaubhaft gemacht worden (§ 3 WGSVG). Eine Tatsache ist nach § 3 WGSVG glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Glaubhaftmachung bedeutet danach mehr als das Vorhandensein einer bloßen Möglichkeit, aber auch weniger als die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Es genügt die "gute Möglichkeit", dass der entscheidungserhebliche Vorgang sich so zugetragen hat, wie behauptet wird. Gleichzeitig muss mehr für als gegen den behaupteten Sachverhalt sprechen. Dabei sind gewisse noch verbleibende Zweifel unbeachtlich.

Insoweit geht das Gericht zwar davon aus, dass sich die Klägerin in der Zeit von Anfang 1940 bis Februar 1942 in Zawiercie aufgehalten hat. Das ergibt sich aus ihren Angaben im Renten- und Klageverfahren sowie aus ihren Angaben im Entschädigungsverfahren. Ein derartiger Aufenthalt ist im Entschädigungsverfahren auch von Zeuginnen bestätigt worden wie auch durch die im Wege der Rechtshilfe vernommenen Zeuginnen M3 und M2.

Es ist jedoch bereits nach Auffassung der Kammer von der Klägerin nicht glaubhaft gemacht worden, dass sie durchgängig in dem von ihr behaupteten Zeitraum einer Beschäftigung im Ghetto Zawiercie als Arbeiterin in der Brotausteilungsabteilung nachgegangen ist. Dieses hat sie zwar im Renten- und Klageverfahren vorgetragen. Aus den Entschädigungsakten ergibt sich jedoch ein widersprechender Sachverhalt. Dort hatte die Klägerin nämlich angegeben, sowohl in der Bäckerei M1 Brotkarten der Juden auf Listen geklebt zu haben und später Reinigungsarbeiten in der Küche bei den Deutschen verrichtet zu haben. Auch das Ergebnis der Beweisaufnahme konnte diesen Widerspruch nicht aufklären. So hat z.B. die Zeugin M2 bei ihrer Vernehmung erklärt, dass sie sich zwar erinnere, dass die Klägerin in dem Zeitraum von 1940 bis zur Deportation im Jahre 1942 für die Deutschen in Zawiercie gearbeitet und dort alle möglichen Arbeiten ausgeführt habe. An Einzelheiten konnte sie sich jedoch nicht erinnern. Die Zeugin M3 hat zwar eine durchgängige Beschäftigung der Klägerin in der Bäckerei bestätigt. Sie konnte diese Angaben aber nur machen, weil die Klägerin ihr von der Arbeit erzählt habe. Die Zeugin selber ist nicht mit der Klägerin zusammen beschäftigt gewesen. Die Klägerin selber hat in ihrer Vernehmung vor dem Amtsgericht in Tel Aviv den Widerspruch zu ihren Angaben im Entschädigungsverfahren auch nicht aufgeklärt.

Aber selbst wenn man die von der Klägerin behauptete Tätigkeit im Ghetto Zawiercie als Arbeiterin in der Brotausteilungsabteilung als glaubhaft ansehen würde, stellten diese Tätigkeiten, ausgehend von den Angaben der Klägerin, keine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) dar

Ein freies Beschäftigungsverhältnis liegt vor, wenn der Beschäftigte aus einem Gewaltverhältnis insoweit entlassen ist, als er in einem Betrieb nach den Regeln des Arbeitsrechts tätig ist und ein Einfluss dritter Stellen auf die Gestaltung des Verhältnisses nicht stattfindet (BSG, Urteil vom 06.04.1960, 2 RU 40/58, BSGE 12, 71; Urteil vom 17.03.1993, 8 KknU 1/91, SozR 3-5050 § 5 Nr. 1). Der Beschäftigte muss aus eigenem Willen ein konkretes Beschäftigungs- und Arbeitsverhältnis eingegangen sein, tatsächlich die von ihm auf der Grundlage des mit dem Arbeitgeber geschlossenen Vertrages geforderte Arbeit geleistet haben und ihm dafür im Austausch eine den Umständen angemessene Gegenleistung als Bar- oder Sachlohn gewährt worden sein (LSG NRW, Urteil vom 23.10.2000, L 3 RJ 60/99). Indizien gegen ein freiwillig eingegangenes Beschäftigungsverhältnis können die Arbeitsbedingungen sein, wie z. B. die Bewachung der betreffenden Person während der Arbeit, die Bewachung auf dem Weg zur Arbeitsstätte, die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Person am Ort der Arbeitsstätte, fehlende oder nur geringe Auszahlung eines Entgelts für individuell geleistete Arbeit, Innehabung eines anderen rechtlichen Status als die übrigen Arbeitnehmer. Diese beispielhaft aufgeführten Kriterien zeigen, dass sich eine verrichtete Arbeit um so mehr vom Typus des freien Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnisses entfernt und dem Typus Zwangsarbeit annähert, als sie durch hoheitliche Eingriffe überlagert wird, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann. Maßgebend für die Beurteilung ist das Gesamtbild der ausgeübten Tätigkeit (BSG, Urteil vom 14.07.1999, B 13 RJ 61/98 R; Urteil vom 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R; Urteil vom 14.07.1999, B 13 RJ 71/98 R; Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R).

Die Angaben der Klägerin, dass sie sich freiwillig mit Hilfe des Judenrates eine Arbeit gesucht und von diesem eine Arbeit in der Bäckerei M1 ab Februar 1940 in Zawiercie erhalten habe, sind zur Glaubhaftmachung der Freiwilligkeit der Arbeit nicht ausreichend. Der Umstand, dass die Arbeit vom Judenrat zugewiesen oder vermittelt wurde, nachdem sich ein Verfolgter bei ihm um Arbeit bewarb, reicht allein nicht aus, um die Freiwilligkeit der verrichteten Arbeit bereits zu bejahen (siehe BSG, Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R). Auch die Angaben der Klägerin über die Arbeitsbedingungen, nämlich eine Arbeit mit Bewachung auf dem Arbeitsweg (Klageverfahren), bzw. eine Arbeit unter Bewachung (so die Zeugin M2 im Entschädigungsverfahren am 22.08.1956) sprechen gegen eine aus eigenem Willensentschluß zustande gekommene und gegen Entgelt ausgeübte Beschäftigung.

Darüber hinaus hat das Gericht auch Zweifel am Vorliegen eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses. So hat die Klägerin bei Rentenantragstellung in 2001 angegeben, für ihre Tätigkeiten Entgelt erhalten zu haben, dessen Höhe ihr nicht erinnerlich sei. Im Rentenverfahren hat sie dann vorgetragen, wöchentlich einen Lohn in Mark erhalten zu haben. Die Zeugin M2 hat bei ihrer Vernehmung vor dem Amtsgericht in Tel Aviv ausgesagt, dass sie sich an Einzelheiten nicht erinnern könne, somit auch nicht bezüglich der Entlohnung. Die Zeugin M3 hat bei ihrer Vernehmung ausgesagt, dass die Klägerin ihr erzählt habe, dass sie eine Bezahlung für ihre Arbeit in der Bäckerei erhalten habe. Sie könne sich nicht erinnern, ob sie gesagt habe, dass sie Geld oder Lebensmittel für ihre Abeit bekommen habe. Auch in ihrer bereits im Rentenverfahren vorgelegten Erklärung vom 12.11.2001 hatte die Zeugin ausgesagt, dass sie sich an die Art der Entlohnung der Klägerin nicht mehr erinnern könnte. Auch die Klägerin selber konnte keine Angaben darüber machen, in welcher Höhe der ihr zugewiesene Lohn gewesen sei. Sie konnte sich nur daran erinnern, dass der Lohn ausgereicht habe, um gut davon zu leben. Sie hätte sich von dem Geld Lebensmittel gekauft und habe davon sehr gut gelebt.

Diese Angaben sprechen ebenfalls nicht für die Annahme eines freien Beschäftigungsverhältnisses. Das Vorliegen eines freien Beschäftigungsverhältnisses erfordert, dass ein wirtschaftliches Austauschverhältnis zwischen geleisteter Arbeit und gezahltem Entgelt vorliegt. Zwar ist die Höhe des Entgelts grundsätzlich kein wesentliches Merkmal für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses. Art und Umfang der gewährten Leistungen können aber Anhaltspunkte dafür sein, ob das Entgelt als Bezahlung im Sinne einer Entlohnung der geleisteten Arbeit oder zu anderen Zwecken, wie zum Beispiel nur als "Mittel zur Erhaltung der Arbeitskraft" des zur Arbeit gezwungenen Beschäftigten, gedacht ist. Allzu geringfügige Leistungen außerhalb eines jeden Verhältnisses zur erbrachten Leistung haben keinen Entgeltcharakter mehr (BSG, Urteil vom 19.04.1990, 1 RA 91/88; Urteil vom 22.09.1988, 7 RA 13/87; Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin mehr erhalten hat als ihre eigene Verpflegung am Arbeitsplatz. Denn zum einen kann selbst die Klägerin keine Angaben über die Höhe des enthaltenen Barlohnes machen. Auch die Zeuginnen können diesbezüglich keine Angaben machen. Aus den Angaben der Klägerin im Entschädigungsverfahren hingegen ergibt sich, dass sie unter der unzureichenden Ernährung im Ghetto Zawiercie sehr gelitten hat. Insoweit ist nicht erklärlich, wenn sie nun vor dem Amtsgericht in Tel Aviv ausgesagt hat, dass sie sich mit dem Geld habe Lebensmittel kaufen können, von dem sie gut gelebt habe.

Auch sind die Zeiten der Beschäftigung der Klägerin im Ghetto Zawiercie nicht als sogenannte "Ghettobeitragszeiten" nach den Vorschriften des ZRBG zu berücksichtigen.

Nach § 2 Abs. 1 ZRBG gelten für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto Beiträge als gezahlt und werden als sog. "Ghetto-Beitragszeiten" bei der Anrechnung auf die Wartezeit als Beitragszeiten berücksichtigt. Für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, gilt nach § 1 Abs. 1 das ZRBG, wenn die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluß zustande gekommen ist, gegen Entgelt ausgeübt wurde (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1) und das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2).

Wie bereits oben ausgeführt, kommt eine Anerkennung der Beschäftigungszeiten im Ghetto Zawiercie als Beitragszeiten nach dem ZRBG mangels Glaubhaftmachung der behaupteten Tätigkeit sowie Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit der Beschäftigung nicht in Betracht. Das Gericht konnte insoweit auch die Frage unbeantwortet lassen, ab welchem Zeitpunkt überhaupt ein Ghetto in Zawiercie existiert hat. Die Klägerin selber hat ihren Klageantrag im Klageverfahren dahingehend beschränkt, dass sie eine Tätigkeit im Ghetto erst ab November 1941 geltend gemacht hat. Dieses deckt sich auch mit ihren Angaben im Entschädigungsverfahren, bei denen sie und die Zeugen jeweils auch angegeben hatten, dass im November/Dezember 1941 in Zawiercie ein Ghetto errichtet worden sei. Auch H ist in seinem Gutachten vom 10.11.2005 zu dem Ergebnis gekommen, dass das geschlossene, mit Mauer und Stacheldraht umgebene Ghetto Zawiercie von November 1941 an bestanden hat. Letztlich brauchte das Gericht diese Frage jedoch nicht abschließend zu klären, ob insoweit dem Sachverständigen H bzw. den Angaben der Klägerin und der Zeugen im Entschädigungsverfahren zu folgen ist oder der Auffassung der Beklagten, die weiterhin der Auffassung ist, dass erst ab Herbst 1942 von einer Ghettobildung in Zawiercie auszugehen ist ...

Das Gericht verkennt nicht, dass der Klägerin durch die nationalsozialistische Verfolgung unermessliches Leid zugefügt worden ist. Es gibt jedoch keine gesetzliche Regelung, nach der die Klägerin im Rahmen der Deutschen Rentenversicherung für das erlittene Unrecht finanziell entschädigt werden könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved