S 2 KA 249/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 249/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 9/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Unter Abänderung der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide vom 23.09.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.10.2006 bezüglich der getroffenen Kostengrundentscheidung wird die Beklagte verurteilt, die Gebühren und Auslagen des Vorverfahrens des Bevollmächtigten in Höhe von 50 % zu erstatten. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Streitig ist die Erstattung von Kosten im Vorverfahren.

Der Kläger war in den Quartalen II/1999 bis IV/2002 als Zahnarzt in E1 niedergelassen und zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen. Er stand in Geschäftsbeziehung zur Fa. H/P.E2.P E2 GmbH, von der er zahntechnische Leistungen bezog. In einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft X - 80 Js 429/03 - wurde dem Anfangsverdacht nachgegangen, er habe von dem Unternehmen Rückzahlungen (sog. "Kick-back”) erhalten, die er nicht an die gesetzlichen Krankenkassen weitergeleitet habe.

Mit zwei Bescheiden vom 23.09.2002 hob die Beklagte unter Hinweis auf das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren die dem Kläger für die Quartale II/1999 bis einschließlich III/2002 sowie III/2002 und IV/2002 erteilten Honorarbescheide teilweise in Höhe von vorläufig insgesamt 261.575,36 EUR und 8.232,24 EUR auf und forderte die zu Unrecht ausgezahlte Vergütung bzw. die zu Unrecht erstatteten Kosten zurück. Entgegen § 11 Abs. 2 des Zahnarzt-/Ersatzkassenvertrages (EKV-Z= und gesamtvertraglichen Regelungen im Primärkassenbereich sei nach dem jetzigen Stand der Ermittlungen und den der Beklagten vorliegenden Unterlagen davon auszugehen, dass der Kläger die von der Fa. H gewährten Zahlungen nicht an die Patienten und Krankenkassen weitergeleitet habe, so dass die von ihm für diese Zeiträume eingereichten Abrechnungen sachlich-rechnerisch falsch gewesen seien.

Hiergegen anwaltlich eingelegten Widersprüchen vom 28.10.2003 gab die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.2006 in Höhe von 137.046,50 EUR statt, in Höhe von 132.761,10 EUR nicht statt. Die Gebühren und Auslagen eines Bevollmächtigten wurden nicht erstattet.

Aufgrund des anhängigen Strafverfahrens sei die Beklagte zur Sicherstellung des Schadensbetrages gegenüber den Krankenkassen verpflichtet gewesen. Die Honorarbescheide seien in Höhe von 269.807,60 EUR nur vorläufig aufgehoben worden, da nach den Erfahrungswerten der Beklagten noch private Leistungen in der zurückgeforderten Summe hätten enthalten sein können. Unter Berücksichtigung der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft X - 80 Js 429/03 - und dem Urteil des Landgerichts E1 (vom 30.08.2005) - 34 Kls 80 Js 429/03 - sei anhand der beschlagnahmten Abrechnungsunterlagen des Klägers und unter Mithilfe der betroffenen Krankenkassen ein Schaden in Höhe von 132.761,10 EUR für die Krankenkassen und die gesetzlich versicherten Patienten für die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ermittelt worden. Dieser Betrag sei an die Krankenkassen und die Patienten zurückzuzahlen.

Bei der teilweisen Stattgabe des Widerspruchs werde die Hinzuziehung des Rechtsanwaltes für notwendig erklärt, es würden aber keine Kosten erstattet.

Rein förmlich liege zwar eine teilweise Abhilfe vor. Der Widerspruch sei jedoch nicht kausal hierfür gewesen. Die Beklagte habe bei den Verfahren um die Kickbackzahlungen in den Ausgangsbescheiden vorläufig die pauschal in der Ermittlungsakte als Höchstschaden benannten Beträge zurückgefordert. Die Beklagte hafte gegenüber den Krankenkassen, wenn ein Vertragszahnarzt bei Erfüllung der vertragszahnärztlichen Pflichten die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt außer acht lasse und der KZV ein Rückgriff gegen den Zahnarzt durch Aufrechnung gegen die Honorarforderungen möglich sei. Daher sei der vorläufige Schadensbetrag bei dem Zahnarzt sicherzustellen gewesen.

Der Beklagten sei es nicht möglich, anhand der vorliegenden Abrechnungsdaten den pauschalen Schaden auf die tatsächlich mit der Beklagten abgerechne ten Fälle einzugrenzen. Zusammen mit den betroffenen Krankenkassen und dem Zahnarzt werde daher eine einzelfallbezogene Schadenstabelle erstellt. Nach der nachvollziehbaren Darlegung der Kassen- und Patientenanteile werde der übersicherte Betrag für die Privatpatienten an den Zahnarzt freigegeben, da die Beklagte insoweit nicht für die Schadensrückabwicklung zuständig sei. Nach dem Abgleich mit dem Zahnarzt und den Krankenkassen werde der vorläufige Ausgangsbescheid endgültig auf den ermittelten Gesamtschaden festgesetzt. Dies geschehe unabhängig davon, ob der Zahnarzt Widerspruch gegen den Bescheid eingelegt habe oder nicht.

Nicht der Widerspruch, sondern die Erkenntnisse aus dem Strafverfahren, nach denen der Schadensbetrag eingegrenzt worden sei, hätten zur teilweisen Aufhebung des Widerspruchs geführt.

Der Widerspruch sei bereits mit Schreiben vom 27.10.2003 bei der Beklagten eingelegt worden. Hätte der Widerspruchsausschuss zum damaligen Zeitpunkt über den Widerspruch entschieden, hätte der Widerspruch im Hinblick auf das laufende Ermittlungsverfahren zurückgewiesen werden müssen.

Hiergegen richtet sich die am 08.12.2006 erhobene Klage.

Der Kläger ist der Ansicht, er habe Anspruch auf Erstattung der Hälfte der entstandenen Vorverfahrenskosten gemäß § 63 SGB X. Die Beklagte habe selbst die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes für notwendig erklärt.

Nicht die Erkenntnisse aus dem Strafverfahren hätten zur teilweisen Aufhebung des Ausgangsbescheides geführt, sondern kausal der Widerspruch. Hieran ändere auch der Hinweis der Beklagten nichts, dass, wenn es bereits Ende 2003 zu einer Widerspruchsentscheidung gekommen wäre, dieser Widerspruch im Hinblick auf das laufende Ermittlungsverfahren zurückgewiesen worden wäre.

Ausschlaggebend für den (Teil-)Erfolg des Widerspruches sei allein gewesen, dass die Beklagte Beträge einbehalten habe, ohne dies auf eine Rechtsgrundlage stützen zu können. Auch die Ausführungen, dass nach einem endgültig ermittelten Gesamtschaden eine Festsetzung erfolgen würde und zuviel einbehaltene Beträge auch unabhängig von der Widerspruchseinlegung zurückerstattet worden wären, spiele vorliegend keine Rolle. Der Widerspruch stelle ein gesetzlich vorgesehenes und zulässiges Rechtsmittel dar, von welchem der betroffene Bürger jederzeit Gebrauch machen können müsse. Es sei niemand gehalten, nach einer Entscheidung durch Verwaltungsakt darauf zu hoffen, dass die entscheidende Stelle irgendwann ihren Fehler erkenne und sodann den (teilweise) rechtswidrigen Verwaltungsakt selbständig zurücknehme.

Der Kläger beantragt,

die Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide der Beklagten vom 23.09.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.10.2006 bezüglich der getroffenen Kostenentscheidung aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Gebühren und Auslagen des Vorverfahrens des Bevollmächtigten in Höhe von 50 % zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält ihre Entscheidung für rechtmäßig.

Die Entscheidung im Sinne von § 63 Abs. 1 SGB X (Kostengrundentscheidung) stehe nicht mit der Entscheidung nach § 63 Abs. 2 SGB X (Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten) im Zusammenhang. Die Bejahung der letztgenannten Voraussetzung bedeute nicht, dass zwingend ein Kostenerstattungsanspruch dem Grunde nach gegeben sein müsse.

Die Voraussetzungen des Kostenerstattungsanspruches, wonach ein Widerspruch als erfolgreich gelte, wenn eine Abhilfe oder Teilabhilfe erfolgt sei, seien insoweit zu ergänzen, als zwischen Widerspruch und Abhilfe/Teilabhilfe eine ursächliche Verknüpfung im Rechtssinne zu verlangen sei. Daran fehle es hier. Die Beklagte habe ihren Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid nach Konkretisierung der strafrechtlichen Vorwürfe gegenüber dem Kläger angepasst. Nachdem der ursprünglich zurückzufordernde Honorarbetrag sich an den Erkenntnissen im Ermittlungsverfahren orientiert habe, sei dieser sodann auf die nachweisbaren Beträge, die sich aus Angaben der gesetzlichen Krankenkassen und den Angaben des Klägers ergeben hätten, reduziert worden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Da die Beteiligten ihr Einverständnis erteilt hatten, konnte die Kammer ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf hälftige Erstattung seiner notwendigen Aufwendungen im Vorverfahren. Der insoweit ablehnende Bescheid beschwert ihn im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG, da er rechtswidrig ist.

Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Der Tatbestand dieser Vorschrift ist erfüllt, weil der Widerspruch des Klägers vom 28.10.2003 gegen die Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide vom 23.09.2003 teilweise erfolgreich war.

Ein Widerspruch hat dann Erfolg im Sinne des Gesetzes, wenn die Behörde ihm stattgibt. Da rein formal auf das erfolgreiche Ergebnis abgestellt wird, ist es ohne Belang, was der Widersprechende zur Begründung seines Rechtsbehelfs vorgebracht hat und welche Gründe zum Stattgeben des Widerspruchs geführt haben (BSG, Urteil vom 08.10.1987 - 9a RVs 10/87 -). Unerheblich ist daher, ob der Erfolg durch eine Änderung der Sach- oder Rechtslage herbeigeführt worden ist oder auf neuen tatsächlichen Angaben oder Beweisangeboten des Widerspruchsführers beruht, ob der Verwaltungsakt wegen Rechtswidrigkeit oder wegen Unzweckmäßigkeit aufgehoben wird, ob die Widerspruchsbegründung oder die schlichte Nachprüfung der Widerspruchsstelle aufgrund des eingelegten Widerspruchs und ihre - gegenüber dem Ausgangsbescheid - geläuterte Ansicht für den Erfolg kausal war (Diering in LPK-SGB X § 63 Rn. 6; Krasney in Kasseler Kommentar, SGB X, § 63 Rn. 5; Becker in Hauck/Noftz, SGB, Gesamtkommentar, K § 63 Rn. 27).

Allerdings ist einem Widerspruch nur dann "stattzugeben" und er ist erfolgreich im Sinne des Gesetzes, wenn zwischen dem Rechtsbehelf und der begünstigenden Entscheidung der Behörde eine ursächliche Verknüpfung im Rechtssinne besteht (BSG, Urteil vom 21.07.1992 - 4 RA 20/91 - SozR 3-1300 § 63 Nr. 3; Urteil vom 29.01.1998 - B 12 KR 18/97 R - SozR 3-1500 § 144 Nr. 13). Insofern fehlt es z.B. an einer kausalen Verknüpfung, wenn eine positive Entscheidung der Behörde sich lediglich als Ergebnis der nachträglichen Erfüllung der Mitwirkungspflichten des Bürgers im Verwaltungsverfahren darstellt; in einem solchen Falle liegt in der "Abhilfe" kein Erfolg des Widerspruchs (BSG, Urteil vom 21.07.1992, a.a.O.). Vergleichbares gilt auch dann, wenn sich der Widerspruch einer Kassenärztlichen Vereinigung gegen die Verlängerung der einem Krankenhausarzt befristet erteilten Ermächtigung allein deshalb erledigt, weil der Arzt zwischenzeitlich eine Zulassung als Vertragsarzt erhalten hat. Auch insofern ist die Erledigung des Widerspruchs nicht Ausdruck des Erfolges des Rechtsbegehrens des Arztes (LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.10.2004 - L 4 KA 20/03 -).

Verhältnisse solcher Art liegen hier nicht vor. Die Beklagte hat ihre Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide nach Konkretisierung der strafrechtlichen Vorwürfe gegenüber dem Kläger angepasst und die vorläufig verfügten Rückforderungssummen entsprechend reduziert. Dies hätte sie zwar möglicherweise auch ohne Einlegung des Widerspruchs von Amts wegen getan. Indes entspricht es dem typischen Risiko einer Behörde, dass von ihr getroffene Maßnahmen mit dem gesetzlich vorgesehenen Rechtsbehelf angegriffen werden. Kein Adressat belastender Verwaltungsakte kann darauf verwiesen werden zu vertrauen, dass die Behörde der ihr obliegenden Amtsermittlungspflicht (§ 20 SGB X) im Laufe des Verwaltungsverfahrens von sich aus fehlerfrei nachkommt, sondern kann mit seinem Widerspruch die Pflicht der Behörde zur umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung des Einzelfalles einfordern. Eine Kausalität zwischen Widerspruch und Teilabhilfe kann daher vorliegend nicht verneint werden. Dann kann die Kostenlast auch nicht bei dem durch (teilweise) rechtswidriges Handeln der Beklagten betroffenen Kläger verbleiben, wenn sich dieser hiergegen durch ordentliche Rechtsbehelfe verteidigt, denen auch deshalb stattgegeben wird, weil die Beklagte ordnungsgemäß ihrer Amtsermittlungspflicht nachgekommen ist.

Der Anspruch des Klägers ist auch der Höhe nach begründet, nachdem die Beklagte die ursprüngliche zurückgeforderten Honorare bzw. Kosten von insgesamt 269.807,60 EUR auf 137.046,50 EUR und damit auf etwa die Hälfte reduziert hat.
Rechtskraft
Aus
Saved