S 2 KA 62/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 62/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Regress wegen der Verordnung von Krankengymnastik.

Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie mit Sitz in B. Im Quartal 1/2005 verordnete ihr Mitglied C zugunsten der bei der Beigeladenen zu 1) Versicherten T, geb. 00.00.1914, als Folgeverordnung 20 x "KG nach PNF" (Krankengymnastik unter Einsatz der neurophysiologischen Techniken der propriozeptiven neuromuskulären Fazilitation) unter Angabe der Diagnose "M. Parkinson" zur Erreichung der Therapieziele "Förderung und Besserung der Koordination und Grob- und Feinmotorik". Nicht angekreuzt war auf dem Verordnungsblatt das Feld "Verordnung außerhalb des Regelfalles", auch wurde keine "medizinische Begründung bei Verordnungen außerhalb des Regelfalles (ggf. Beiblatt)" auf dem entsprechenden Textfeld angegeben.

Unter dem 19.08.2005 beantragte die Beigeladene zu 1) die Feststellung eines sonstigen Schadens aufgrund fehlerhaft ausgestellter Bescheinigungen. Die ausgestellte Verordnung sei als Regelfall gekennzeichnet worden, habe aber tatsächlich nicht dem Heilmittelkatalog entsprochen und sei somit als "außerhalb des Regelfalles" zu verordnen gewesen. Durch dieses Verordnungsverhalten sei ihr die Möglichkeit genommen worden, im Rahmen des in den Heilmittel-Richtlinien vorgesehenen Genehmigungsverfahrens den Fall vor Beginn der Behandlung zu prüfen. Eine im Nachhinein erfolgte Begutachtung des Sozialmedizinischen Dienstes habe zu dem Ergebnis geführt, dass die Verordnung nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung habe genehmigt werden können; eine retrospektive Beurteilung sei nicht möglich gewesen. Zu diesem Prüfantrag nahm C dahin Stellung, dass der Versicherten, die an einer fortgeschrittenen Parkinson-Erkrankung gelitten habe, zur Linderung ihrer Schmerzen, aber auch zur Vermeidung von Kontrakturen, regelmäßig und kontinuierlich Krankengymnastik verordnet worden sei. Hierdurch habe sie bis kurz vor ihrem Tod mobil sein können und ein Fortschreiten der Pflegebedürftigkeit habe vermieden bzw. ganz erheblich hinausgezögert werden können. Eine Beurteilung der Notwendigkeit kontinuierlicher physiotherapeutischer Behandlung sei bei der Versicherten zu jedem Zeitpunkt, auch retrospektiv, auf Grund der Art des chronischen Erkrankungsbildes, möglich gewesen. Darüber hinaus rechtfertige allein die Diagnose einer chron. Parkinson-Erkrankung - unter Bezugnahme auf die entsprechenden wissenschaftlichen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie - eine kontinuierliche physiotherapeutische Behandlung.

Entsprechend dem Prüfantrag setzte der Prüfungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein mit Bescheid vom 08.06.2006 einen Regress in Höhe von 499,40 EUR fest, da die Heilmittel-Richtlinien eine Behandlung für die angeführte Indikation mit Krankengymnastik als Folgeverordnung in einer Ansatzhäufigkeit von 20 Einheiten nicht vorsähen.

Mit Bescheid vom 11.04.2007 wies der Beklagte einen hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin zurück: Die Vorgabe des Heilmittelkataloges lasse keine andere Verordnungsmöglichkeit für den Regelfall zu. Ein individuelles Verordnungsverhalten zur Erreichung des Therapiezieles rechtfertige eine erweiternde Anwendung der Heilmittel-Richtlinien nicht. Im Bereich der vertragsärztlichen Selbstverwaltung müssten sich die rechtanwendenden Organe Zurückhaltung auferlegen. Es bestehe nicht die Möglichkeit, die Entscheidung der Vertragspartner durch anderweitige Überlegungen oder Erwägungen zu ersetzen. Auch Vertragsärzte seien an die Vorgaben der Heilmittel-Richtlinien gebunden.

Hiergegen richtet sich die am 14.05.2007 erhobene Klage.

Die Klägerin ist der Ansicht, Schadensregresse der hier vorliegenden Art erforderten eine schuldhafte Pflichtverletzung, die adäquat kausal zu einem Schaden geführt haben müsse. Zumindest an letzterer Voraussetzung fehle es. Die Klägerin könne den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens erheben; hätte sie die Verordnung als solche außerhalb des Regelfalles angekreuzt und die Genehmigung beantragt, wäre diese angesichts des Krankheitsbildes der Versicherten unstreitig durch die Beigeladene zu 1) zu erteilen gewesen. Nach Lage der Dinge wäre auch eine retrospektive Beurteilung möglich gewesen, wie im Übrigen auch Ziffer 11 Abs. 5 der Heilmittel-Richtlinien von der Möglichkeit einer retrospektiven Beurteilung ausgehe. Schließlich habe die Beigeladene zu 1) inzwischen einen Verzicht auf das Genehmigungserfordernis erklärt. Wenngleich dieser im Zeitpunkt der Verordnung zwar noch nicht abgegeben worden sei, mache dies aber gleichwohl die Geringfügigkeit des Verstoßes deutlich.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 11.04.2007 betreffend einen Regress aufgrund ungerechtfertigter Verordnungen von Heilmitteln im Quartal 1/2005 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig.

Inhaltlich gehe es nicht um die Regressierung eines sonstigen Schadens und damit um schuldhaftes Verhalten, sondern um die Prüfung eines Verstoßes gegen die Heilmittel-Richtlinien gemäß § 15 Abs. 1 Ziffer 3 der Prüfvereinbarung. Der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens gehe fehl; anderenfalls würde die vorher statuierte Genehmigungspflicht unterlaufen und damit ausgehöhlt.

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte in Abwesenheit von Vertretern der Beigeladenen zu 1) und 2) verhandeln und entscheiden, da auf diese Möglichkeit in den form- und fristgerecht zugestellten Terminbenachrichtigungen hingewiesen worden ist.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin ist durch den Bescheid des Beklagten nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da der verfügte Regress rechtmäßig ist.

Die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung und damit auch der Beklagte sind befugt, Regresse wegen unzulässiger Verordnung von Heilmitteln festzusetzen. Dies ergibt sich aus § 15 Abs. 1 Nr. 3 der Gemeinsamen Prüfvereinbarung. Die Ermächtigungsgrundlage hierfür findet sich in § 106 Abs. 2 Satz 4 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), nach dem die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vorsehen können. Demgemäß ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass den Prüfgremien die Zuständigkeit für Regresse wegen unzulässiger ärztlich verordneter Leistungen durch gesamtvertragliche Vereinbarung übertragen werden darf (vgl. z.B. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 52).

Der von dem Beklagten ausgesprochene Regress ist auch materiell-rechtlich begründet. Dieser ist hier nicht - wie bei Regressen wegen eines sog. sonstigen Schadens (§ 15 Abs. 1 Ziffer 5 der Prüfvereinbarung) - von einem Verschulden der Klägerin abhängig. Bei den ärztlich verordneten Leistungen soll im Wege des Regresses der Schaden ersetzt werden, der den Krankenkassen durch unwirtschaftliche Verordnungen eines Arztes entsteht, sie damit für die Kosten, für die sie nach der Rechtslage aufzukommen nicht verpflichtet sind, einen Ausgleich erhalten, wobei es auf ein Verschulden des Vertragsarztes nicht ankommt (vgl. z.B. BSG, Beschluss vom 14.03.2001 - B 6 KA 71/00 B -(zu Verordnungen von Krankengymnastik nach den Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien)).

Rechtsfehlerfrei hat der Beklagte vorliegend den Heilmittel-Richtlinien entnommen, dass nach deren 2. Teil (Heilmittel-Katalog) Ziffer 2 (Erkrankungen des Nervensystems) - ZN2 - bei Heilmittelverordnungen im Regelfall Verordnungsmengen je Diagnose bis zu 10 x/VO angesetzt werden dürfen. Die hier erfolgte Ansatzhäufigkeit von 20 x KG als Folgeverordnung überschreitet daher die Verordnungsmengen im Regelfall.

Lässt sich die Behandlung mit der nach Maßgabe des Heilmittel-Kataloges bestimmten Gesamtverordnungsmenge nicht abschließen, sind gemäß Teil 1 Abschnitt II. (Grundsätze der Heilmittelverordnung) Nr. 11.3 der Heilmittel-Richtlinien weitere Verordnungen möglich (Verordnungen außerhalb des Regelfalls, insbesondere längerfristige Verordnungen). Solche Verordnungen bedürfen einer besonderen Begründung mit prognostischer Einschätzung. Begründungspflichtige Verordnungen sind der zuständigen Krankenkasse vor Fortsetzung der Therapie zur Genehmigung vorzulegen, sofern sie nicht auf die Vorlage verzichtet (Nr. 11.5).

Vorliegend hatte die beigeladene Knappschaft im Zeitpunkt der Ausstellung der streitbefangenen Verordnung (12.01.2005) noch keinen Genehmigungsverzicht bei Heilmittelverordnungen erklärt; dieser entfaltete Wirkung erst ab 01.01.2006. Demgemäß war vor Fortsetzung der Therapie ihre Genehmigung einzuholen gewesen.

Ob eine retrospektive Bewertung der Verordnungsfähigkeit von 20 x Krankengymnastik möglich gewesen wäre, ist rechtlich unerheblich. Nr. 11.5 rechtfertigt ein dahingehendes Verlangen jedenfalls nicht. Danach übernimmt die Krankenkasse nach Vorlage der Verordnung durch den Versicherten die Kosten des Heilmittels unabhängig vom Ergebnis der Entscheidung über den Genehmigungsantrag, längstens jedoch bis zum Zugang einer Entscheidung über die Ablehnung der Genehmigung. Eine Rückforderung der Kosten bereits erbrachter Leistungen ist unzulässig. Diese Regelung dient ersichtlich einer Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens und trägt dem Umstand Rechnung, dass der Versicherte nicht über längere Zeit - etwa unter Ausschöpfung der für die Untätigkeitsklage geltenden Fristen - im Unklaren gelassen werden soll, ob die bei ihm zu behandelnden Krankheiten eine weitergehende als die Regelversorgung erfordern und die Krankenkasse für diese Kosten eintritt. Die Entscheidung über die beantragte Leistung erfolgt jedoch selbst prospektiv; eben deshalb ist gemäß Nr. 11.3 eine besondere Begründung mit prognostischer Einschätzung erforderlich.

Das Ankreuzen des Feldes "Verordnung außerhalb des Regelfalles" und die gemäß Teil 1 Abschnitt VI (Inhalt und Durchführung der Heilmittelverordnung) Nr. 22 der Heilmittel-Richtlinien hierzu abzugebende "medizinische Begründung bei Verordnungen außerhalb des Regelfalles" stellen auch keine bloßen Formalia dar. Die Begründung ist eine Entscheidungshilfe für die Krankenkasse im Rahmen des Genehmigungsverfahrens bei "Ausnahmefällen". Im Genehmigungsverfahren hat die Krankenkasse umfassend zu prüfen, ob alle formellen und materiellen Voraussetzungen für die vom Versicherten beantragte Genehmigung vorliegen (BSG, Urteil vom 15.11.2007 - B 3 KR 4/07 R -). Dabei sind u.a. die Grundsätze der Verordnung im Regelfall (ausgen. Nr. 11.2.3) anzuwenden. Danach geht der Regelfall von der Vorstellung aus, dass mit dem der Indikation zugeordneten Heilmittel im Rahmen der Gesamtverordnungsmenge des Regelfalls das angestrebte Therapieziel erreicht werden kann. Die Verordnungsmenge richtet sich nach dem medizinischen Erfordernis des Einzelfalls; nicht jede Schädigung/Funktionsstörung bedarf der Behandlung mit der Höchstverordnungsmenge je Verordnung bzw. der Gesamtverordnungsmenge des Regelfalls (Nr. 11). Heilmittel im Regelfall in der physikalischen Therapie können verordnet werden als vorrangiges, optionales bzw. ergänzendes Heilmittel oder als standardisierte Heilmittelkombination (Nr. 11.1). Über diese Gesichtspunkte hinaus wird die Krankenkasse bei Verordnungen außerhalb des Regelfalls im Rahmen der Nr. 11.5 auch berechtigt sein zu prüfen, ob und inwieweit sich u.a. aus den Nrn. 11.4 und 13 Erkenntnisse über eine weitere Verordnungsnotwendigkeit ergeben. Nach Nr. 11.4 hat der Vertragsarzt insbesondere bei Verordnungen außerhalb des Regelfalls störungsbildabhängig eine weiterführende Diagnostik durchzuführen, um auf der Basis des festgestellten Therapiebedarfs, der Therapiefähigkeit, der Therapieprognose und des Therapieziels die Heilmitteltherapie fortzuführen oder andere Maßnahmen einzuleiten. Nach Nr. 13 soll der Vertragsarzt vor jeder Verordnung von Heilmitteln prüfen, ob entsprechend dem Gebot der Wirtschaftlichkeit das angestrebte Behandlungsziel auch durch eigenverantwortliche Maßnahmen des Patienten, durch eine Hilfsmittelverordnung oder durch Verordnung eines Arzneimittels unter Abwägung der jeweiligen Therapierisiken qualitativ gleichwertig und kostengünstiger erreicht werden kann. Dann haben diese Maßnahmen Vorrang gegenüber einer Heilmittelverordnung.

Solcherart Aspekte hat die Krankenkasse vor Fortsetzung der den Regelfall übersteigenden Therapie zu prüfen. Indem die Klägerin jedoch diese Vorab-Prüfung durch die Beigeladene zu 1) verhindert und damit das Risiko übernommen hat, dass später die Leistungspflicht der Krankenkasse verneint wird, kann ein entsprechender Regress nicht beanstandet werden (vgl. BSG, Beschluss vom 31.05.2006 - B 6 KA 53/05 B -). Dies ist die Kehrseite des Risikos, welches die Krankenkasse trägt, wenn sie trotz z.B. unvollständiger Angaben die Genehmigung zur Verordnung außerhalb des Regelfalls erteilt hat. Dann ist nämlich sie im Abrechnungsverfahren mit allen Einwänden gegen die Gültigkeit einer Verordnung ausgeschlossen, die im Genehmigungsverfahren zum Versagen der Genehmigung hätten führen können, dort aber von ihr nicht geltend gemacht worden sind (BSG, Urteil vom 15.11.2007 - B 3 KR 4/07 R -).

Mit dem Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens dringt die Klägerin hierbei nicht durch. Zutreffend hat der Beklagte angeführt, im Bereich der vertragsärztlichen (gemeinsamen) Selbstverwaltung seien alle Akteure und damit auch die Vertragsärzte an die Vorgaben der Heilmittel-Richtlinien gebunden und müssten diese beachten.

Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) beanspruchen gegenüber dem Vertragsarzt unmittelbare Geltung (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 6 KA 26/99 R - (zu den Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien)). Durch die in den Heilmittel-Richtlinien geregelten Volumina (Gesamtverordnungsmengen) bzw. Frequenzen, mit der die einzelnen Heilmittel typischerweise bei den in Betracht kommenden Indikationen angewendet werden sollen, erhalten die für die Verordnung verantwortlichen Vertragsärzte Hinweise, wie oft ein bestimmtes Heilmittel nach den vorliegenden Erfahrungen zunächst angewandt werden soll, bevor der Vertragsarzt nach erneuter Untersuchung des Patienten zu entscheiden hat, ob eine Verlängerung, Intensivierung oder Beendigung der jeweiligen Therapie angezeigt ist. Insbesondere die Vertragsärzte sind wegen ihrer Verantwortung für die Verordnung von Heilmitteln und deren Wirtschaftlichkeit auf verbindliche Vorgaben angewiesen. Gerade bei der Verordnung von Heilmitteln kann die Wirtschaftlichkeit der Versorgung nicht ohne klare untergesetzliche Maßgaben allein über die auf den einzelnen Arzt ausgerichtete Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V realisiert werden. Als Folge der geringen Zahl betroffener Behandlungsfälle sind statistische Vergleichsprüfungen hier vielfach nur schwer durchführbar. Umso wichtiger sind eindeutige Vorgaben der im Regelfall als wirtschaftlich angesehenen Verordnungsmengen für die Erstverordnung und für eventuelle Wiederholungsverordnungen. Derartige Vorgaben schützen - wenn sie beachtet werden - den Vertragsarzt davor, in großem und möglicherweise existenzbedrohenden Umfang für Verordnungen in Regress genommen zu werden, die sich im Nachhinein als unwirtschaftlich erweisen. Ohne verbindliche Konkretisierungen des Wirtschaftlichkeitsgebotes gerade im Bereich der Verordnung von Heilmitteln fällt es dem Vertragsarzt erfahrungsgemäß schwer, gegenüber dem Versicherten eine wirtschaftliche Verordnungsweise durchzusetzen. Dementsprechend war bereits in Nr. 28 der Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien vom 17.06.1992 bestimmt, der Kassenarzt solle die Versicherten - soweit nötig im Einzelfall - auf die in diesen Richtlinien genannten Beschränkungen hinweisen. Fehlt es an derartigen auch für die Versicherten verbindlichen Vorgaben, müsste sich der Vertragsarzt in jedem Einzelfall mit den Verordnungswünschen der Patienten hinsichtlich der Menge und Frequenz etwa von Massagen und Krankengymnastikbehandlungen auseinandersetzen. Die damit verbundene Belastung des Arzt-Patienten-Verhältnisses wird durch klare normativ verbindliche Vorgaben, welche in begründeten Einzelfällen ein Abweichen gestatten, gerade verhindert (BSG, Urteil vom 29.11.2006 - B 6 KA 7/06 R - SozR 4-2500 § 125 Nr. 3).

Sind somit die Heilmittel-Richtlinien vor allem dazu bestimmt, die Funktionsfähigkeit des vertragsärztlichen Systems - auch im Interesse der Vertragsärzte selbst - zu sichern, können dem aus ihrer Nichtbeachtung resultierenden Schaden nicht hypothetische Kausalverläufe im Einzelfall entgegengesetzt werden. Der ausgesprochene Regress ist daher insgesamt nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 183 SGG in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 Satz 2 des 6. SGG-ÄndG sowie § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Da es für den Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein - soweit ersichtlich - keine obergerichtlichen Entscheidungen zu Heilmittel-Regressen der vorliegenden Art gibt, hat die Kammer wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Berufung zugelassen (§ 144 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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