Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 7 AS 4509/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die durch Verwaltungsakt festgesetzte Eingliederungsvereinbarung vom 05.11.2010 wird angeordnet. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um einen Anspruch des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 15.11.2010 gegen eine unter dem 05.11.2010 nach § 15 Abs. 1 S. 6 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II) durch Verwaltungsakt festgesetzte Eingliederungsvereinbarung.
In der streitbefangenen Eingliederungsvereinbarung wurde neben der Verpflichtung zur Bemühung um die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung geregelt, dass der Antragsteller einen noch zu benennenden Termin beim Gesundheitsamt des Rhein-Kreises O wahrnehme, damit seine Leistungsfähigkeit festgestellt werde.
Der Antragsteller ist der Ansicht, dass damit seine grundsätzliche Erwerbsfähigkeit geprüft werden solle, und hält das Verwaltungshandeln für rechtswidrig.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die durch Verwaltungsakt festgesetzte Eingliederungsvereinbarung vom 05.11.2010 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Ihrer Ansicht nach habe das Bundessozialgericht unter dem Aktenzeichen B 4 AS 13/09 R entscheiden, dass ihr angegriffenes Verwaltungshandeln der gerichtlichen Kotrolle nicht zugänglich sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Der Antrag hat Erfolg. Nach § 86 b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Hierbei trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es das Vollzugsinteresse der Behörde und das Aussetzungsinteresse des Antragstellers zueinander abwägend ins Verhältnis setzt. Zur Gewichtung dieser Abwägung kann das Gericht das Ergebnis einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs heranziehen.
Zeigt sich, dass der angegriffene Verwaltungsakt offenbar rechtwidrig ist, kann kein Vollzugsinteresse bestehen. Zeigt sich umgekehrt, dass der angegriffene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist, kann in der Regel kein Aussetzungsinteresse angenommen werden. Im Übrigen entscheidet eine Interessenabwägung im Lichte einer doppelten Folgenabwägung.
Der Antrag ist zulässig, da nach § 39 Nr. 1 SGB II Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft oder herabsetzt oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen bei der Eingliederung in Arbeit regelt, keine aufschiebende Wirkung haben und vorliegend ein die Pflichten des Antragstellers bei der Eingliederung in Arbeit regelnder Bescheid mit zulässigem Widerspruch angegriffen worden ist.
Der Antrag ist begründet, da der in der Hauptsache mit Widerspruch angegriffene Bescheid vom 05.11.2010 offenbar rechtswidrig ist.
Der Gesetzgeber hat der Antragsgegnerin nicht zugestanden, eine amtsärztliche Untersuchung zum Regelungsgegenstand einer durch Verwaltungsakt festgesetzten Eingliederungsvereinbarung zu machen. Der Gesetzgeber hat im Lichte des sensiblen Schutzes von Gesundheitsdaten als Teil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts eine ausgewogene Regelung getroffen, nach der der Leistungsbegehrende nicht gegen seinen Willen so gestellt werden kann, als habe er einer amtsärzltichen Untersuchung zugestimmt.
Dies folgt schon aus der Systematik des Gesetzes. In § 31 Abs. 2 SGB II ist geregelt: "Kommt der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen einer Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihm zu melden oder bei einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen, nicht nach und weist er keinen wichtigen Grund für sein Verhalten nach, wird das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 in einer ersten Stufe um 10 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgeblichen Regelleistung abgesenkt."
Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass das Fernblieben von einer angeordneten Untersuchung als Zuwiderhandlung gegenüber einer entsprechenden Eingliederungsvereinbarung angesehen werden könne, hätte er § 31 Abs. 2 SGB II nicht erlassen. Denn dann wäre eine Sanktion bereits nach § 31 Abs. 1 SGB II möglich gewesen. Dort beträgt der Sanktionsumfang im Übrigen im ersten Schritt 30 vom Hundert, was abschließend dafür spricht, dass der Gesetzgeber mit § 31 Abs. 2 SGB II eine zur Eingliederungsvereinbarung bewusst abgegrenzte Regelung getroffen hat.
Sofern Zweifel an der Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen bestehen, kann das Fernbleiben von einer angeordneten Untersuchung eine Versagensentscheidung nach §§ 60, 62, 66 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) rechtfertigen.
Dies schließt eine Auslegung des § 15 SGB II dahingehend aus, dass eine ärztliche Untersuchung als Eingliederungsbemühung im Sinne der Norm anzusehen sei. § 15 SGB II bezieht sich auf Eingliederungsbemühungen im engeren Sinne. Die vorgelagerte Frage der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit ist mit den aufgezeigten Instrumenten gesondert zu verfolgen. Wegen der notwendigen Formenklarheit hoheitlicher Handlungen ist eine Vermischung unzulässig.
An dieser Beurteilung vermag auch die Entscheidung des Bundessozialgerichts unter dem benannten Aktenzeichen nichts zu ändern. Dort ist lediglich erkannt worden, dass die Optionen der Verwaltung, eine Eingliederungsvereinbarung auszuhandeln oder sogleich durch Verwaltungsakt festzuzsetzen, gleichwertig nebeneinanderstehen; die getroffene Auswahlentscheidung über das "Wie" des Handelns soll dann der gerichtlichen Kontrolle entzogen sein. Die jeweils getroffene inhaltliche Regelung bleibt dagegen der gerichtlichen Kontrolle voll zugänglich.
Da die Antragsgegnerin das Leistungsvermögen des Antragstellers nicht ausreichend beurteilen kann und dem Einwand des Antragstellers, es gehe letztlich um die grundsätzliche Feststellung seiner Erwerbsfähigkeit, nicht widersprochen hat, sind auch die Regelungen über die Bemühungen um Aufnahme eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses rechtswidrig. Die Erwerbsfähigkeit ist Tatbestandsmerkmal des § 15 SGB II. Zweifel an dessen Vorliegen gehen zu Lasten der Behörde. Solange diese nicht über §§ 60 ff. SBG I ausgeräumt sind, muss von der Anwendung der Norm Abstand genommen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um einen Anspruch des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 15.11.2010 gegen eine unter dem 05.11.2010 nach § 15 Abs. 1 S. 6 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II) durch Verwaltungsakt festgesetzte Eingliederungsvereinbarung.
In der streitbefangenen Eingliederungsvereinbarung wurde neben der Verpflichtung zur Bemühung um die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung geregelt, dass der Antragsteller einen noch zu benennenden Termin beim Gesundheitsamt des Rhein-Kreises O wahrnehme, damit seine Leistungsfähigkeit festgestellt werde.
Der Antragsteller ist der Ansicht, dass damit seine grundsätzliche Erwerbsfähigkeit geprüft werden solle, und hält das Verwaltungshandeln für rechtswidrig.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die durch Verwaltungsakt festgesetzte Eingliederungsvereinbarung vom 05.11.2010 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Ihrer Ansicht nach habe das Bundessozialgericht unter dem Aktenzeichen B 4 AS 13/09 R entscheiden, dass ihr angegriffenes Verwaltungshandeln der gerichtlichen Kotrolle nicht zugänglich sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Der Antrag hat Erfolg. Nach § 86 b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Hierbei trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es das Vollzugsinteresse der Behörde und das Aussetzungsinteresse des Antragstellers zueinander abwägend ins Verhältnis setzt. Zur Gewichtung dieser Abwägung kann das Gericht das Ergebnis einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs heranziehen.
Zeigt sich, dass der angegriffene Verwaltungsakt offenbar rechtwidrig ist, kann kein Vollzugsinteresse bestehen. Zeigt sich umgekehrt, dass der angegriffene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist, kann in der Regel kein Aussetzungsinteresse angenommen werden. Im Übrigen entscheidet eine Interessenabwägung im Lichte einer doppelten Folgenabwägung.
Der Antrag ist zulässig, da nach § 39 Nr. 1 SGB II Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft oder herabsetzt oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen bei der Eingliederung in Arbeit regelt, keine aufschiebende Wirkung haben und vorliegend ein die Pflichten des Antragstellers bei der Eingliederung in Arbeit regelnder Bescheid mit zulässigem Widerspruch angegriffen worden ist.
Der Antrag ist begründet, da der in der Hauptsache mit Widerspruch angegriffene Bescheid vom 05.11.2010 offenbar rechtswidrig ist.
Der Gesetzgeber hat der Antragsgegnerin nicht zugestanden, eine amtsärztliche Untersuchung zum Regelungsgegenstand einer durch Verwaltungsakt festgesetzten Eingliederungsvereinbarung zu machen. Der Gesetzgeber hat im Lichte des sensiblen Schutzes von Gesundheitsdaten als Teil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts eine ausgewogene Regelung getroffen, nach der der Leistungsbegehrende nicht gegen seinen Willen so gestellt werden kann, als habe er einer amtsärzltichen Untersuchung zugestimmt.
Dies folgt schon aus der Systematik des Gesetzes. In § 31 Abs. 2 SGB II ist geregelt: "Kommt der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen einer Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihm zu melden oder bei einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen, nicht nach und weist er keinen wichtigen Grund für sein Verhalten nach, wird das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 in einer ersten Stufe um 10 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgeblichen Regelleistung abgesenkt."
Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass das Fernblieben von einer angeordneten Untersuchung als Zuwiderhandlung gegenüber einer entsprechenden Eingliederungsvereinbarung angesehen werden könne, hätte er § 31 Abs. 2 SGB II nicht erlassen. Denn dann wäre eine Sanktion bereits nach § 31 Abs. 1 SGB II möglich gewesen. Dort beträgt der Sanktionsumfang im Übrigen im ersten Schritt 30 vom Hundert, was abschließend dafür spricht, dass der Gesetzgeber mit § 31 Abs. 2 SGB II eine zur Eingliederungsvereinbarung bewusst abgegrenzte Regelung getroffen hat.
Sofern Zweifel an der Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen bestehen, kann das Fernbleiben von einer angeordneten Untersuchung eine Versagensentscheidung nach §§ 60, 62, 66 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) rechtfertigen.
Dies schließt eine Auslegung des § 15 SGB II dahingehend aus, dass eine ärztliche Untersuchung als Eingliederungsbemühung im Sinne der Norm anzusehen sei. § 15 SGB II bezieht sich auf Eingliederungsbemühungen im engeren Sinne. Die vorgelagerte Frage der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit ist mit den aufgezeigten Instrumenten gesondert zu verfolgen. Wegen der notwendigen Formenklarheit hoheitlicher Handlungen ist eine Vermischung unzulässig.
An dieser Beurteilung vermag auch die Entscheidung des Bundessozialgerichts unter dem benannten Aktenzeichen nichts zu ändern. Dort ist lediglich erkannt worden, dass die Optionen der Verwaltung, eine Eingliederungsvereinbarung auszuhandeln oder sogleich durch Verwaltungsakt festzuzsetzen, gleichwertig nebeneinanderstehen; die getroffene Auswahlentscheidung über das "Wie" des Handelns soll dann der gerichtlichen Kontrolle entzogen sein. Die jeweils getroffene inhaltliche Regelung bleibt dagegen der gerichtlichen Kontrolle voll zugänglich.
Da die Antragsgegnerin das Leistungsvermögen des Antragstellers nicht ausreichend beurteilen kann und dem Einwand des Antragstellers, es gehe letztlich um die grundsätzliche Feststellung seiner Erwerbsfähigkeit, nicht widersprochen hat, sind auch die Regelungen über die Bemühungen um Aufnahme eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses rechtswidrig. Die Erwerbsfähigkeit ist Tatbestandsmerkmal des § 15 SGB II. Zweifel an dessen Vorliegen gehen zu Lasten der Behörde. Solange diese nicht über §§ 60 ff. SBG I ausgeräumt sind, muss von der Anwendung der Norm Abstand genommen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
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