S 42 SO 132/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
42
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 42 SO 132/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über eine Aufforderung zur Auskunftserteilung nach § 117 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch (SGB XII).

Die im Jahr 1960 geborene Klägerin ist die Tochter der am 00.00.1938 geborenen F G und deren im Jahr 2000 verstorbenen Ex-Ehemannes I1 M. Die Klägerin hat einen drei Jahre älteren Bruder, V M, und eine sieben Jahre jüngere Schwester, T1 T2. Die Klägerin ist seit ihrem 5. Lebensjahr bis zu ihrer eigenen Eheschließung im Alter von 18 Jahren bei ihren mittlerweile verstorbenen Großeltern mütterlicherseits, X und L I2, in E aufgewachsen.

Mit Bescheid von 07.07.2009 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Mutter der Klägerin von der Beklagten seit dem 18.05.2009 Sozialhilfe beziehe. Gleichzeitig wies die Beklagte darauf hin, dass der bürgerlich-rechtliche Unterhaltsanspruch der Mutter der Klägerin kraft Gesetzes für die Zeit der Hilfegewährung bis zur Höhe der Leistungen auf die Beklagte übergehe, soweit er nicht durch laufende Unterhaltszahlungen erfüllt werde. Zudem solle geprüft werden, ob die Klägerin aufgrund ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse in der Lage sei, Unterhalt zu leisten. Die Klägerin werde deshalb gebeten, innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Schreibens den beigefügten Vordruck ausgefüllt mit entsprechenden Nachweisen zurückzusenden oder bei der Beklagten vorzusprechen. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass der Unterhaltspflichtige zur Auskunft nach § 117 Abs. 1 SGB XII verpflichtet sei.

Gegen die Aufforderung zur Auskunftserteilung erhob die Klägerin Widerspruch. Bis zu ihrer Hochzeit seien ihre Großeltern ihre "Eltern" gewesen. Ihre Mutter sei ihrer Unterhaltsverpflichtung in keiner Weise nachgekommen und habe sich nicht in nennenswertem Umfang um sie gekümmert. Sie beziehe sich auf §§ 1601, 1611 Abs. 1 S. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und sei daher nicht bereit, nun ihrerseits Unterhaltszahlungen zu leisten. Außerdem habe das Sozialamt sie bereits im Jahr 2000 im Hinblick auf ihren mittlerweile verstorbenen Vater zur Auskunftserteilung aufgefordert habe. Dagegen habe sie jedoch erfolgreich Widerspruch erhoben; das Widerspruchsschreiben vom 07.10.2000 fügte sie bei. Außerdem legte die Klägerin eine Kopie des Schreibens ihrer Großmutter L I2 vom 29.12.1989 vor, mit der diese bestätigt, dass die Klägerin seit dem 5. Lebensjahr bei ihnen aufgewachsen sei und Unterhaltszahlungen von dem Vater der Klägerin nicht geleistet worden seien. Außerdem legte die Klägerin die Kopie eines Kinderausweises mit dem Wohnort E bei sowie Zeugniskopien mit der Unterschrift "X I2".

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 06.11.2009 zurück. Das Auskunftsverlangen setze nur voraus, dass ein Unterhaltsanspruch nach dem BGB grundsätzlich in Betracht komme. Die Klägerin sei als Tochter gegenüber ihrer Mutter gemäß §§ 1601 ff. BGB verpflichtet, Unterhalt zu gewähren. An das Auskunftsverlangen nach § 117 Abs. 1 SGB XII könnten zwar keine strengeren Anforderungen gestellt werden als an die Feststellung des gesetzlichen Übergangs des Unterhaltsanspruchs selbst. Eine der Voraussetzungen nach § 94 Abs. 1 SGB XII, nach denen der Anspruchsübergang ausgeschlossen sei, liege jedoch nicht vor. Soweit die Klägerin eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs gemäß § 1611 Abs. 1 BGB geltend mache, erfolge eine gesonderte Prüfung, über deren Ergebnis die Beklagte die Klägerin zu gegebener Zeit unaufgefordert informieren werde. Aber auch im Fall einer vollständigen Verwirkung des Unterhaltsanspruchs sei eine Auskunft über die wirtschaftlichen Verhältnisse erforderlich, da noch weitere Unterhaltspflichtige vorhanden seien. Denn gemäß § 1611 Abs. 3 BGB könne der Bedürftige wegen einer nach diesen Vorschriften eintretenden Beschränkung seines Anspruchs nicht andere Unterhaltspflichtige in Anspruch nehmen. Um den Anteil an den Unterhaltsbeiträgen ermitteln zu können, der auf die Klägerin ggf. entfallen würde, sei eine Prüfung ihrer Leistungsfähigkeit erforderlich.

Mit Schreiben vom 12.11.2009 forderte die Beklagte die Klägerin auf, für die Beurteilung der Frage, ob eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs gemäß § 1611 BGB eingetreten sei, weitere Angaben bzw. Nachweise vorzulegen. Mit Scheiben vom 03.12.2009 teilte die Klägerin darauf hin mit, dass ihre Mutter von ihrem Vater vor ca. 45 Jahren schuldig geschieden worden sei; eine Ausfertigung des Scheidungsurteils könne sie nicht vorlegen. Ihrem Vater I1 M sei das Sorgerecht zugesprochen worden. Ihre Geschwister T1 T2 und V M könnten bestätigen, dass sie nicht bei bzw. mit ihren Geschwistern aufgewachsen sei. Nach telefonischer Rücksprache mit dem damaligen Sachbearbeiter sei das Auskunftsverfahren im Hinblick auf die Sozialhilfegewährung an ihren Vater ohne erkennbar abschließenden Bescheid eingestellt worden.

Die Klägerin hat am 04.12.2009 Klage erhoben. Die Auskunftserteilung würde für sie eine unbillige Härte bedeuten. Ihre Mutter sei ihr gegenüber der Rolle als Mutter nie gerecht geworden sei. Ihre Mutter habe immer ihre eigenes Leben verfolgt, mütterliche Zuneigung habe sie von ihr nicht erfahren.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 07.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.11.2009 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ein Auskunftsanspruch scheide nur aus, wenn evident kein Unterhaltsanspruch gegenüber dem Auskunftspflichtigen bestehe. Dies lasse sich jedoch nicht zweifelsfrei und damit auch nicht evident feststellen. Nach den bisher vorgebrachten Tatsachen bestünden Anhaltspunkte dafür, dass ein Beitrag zum Unterhalt der Höhe nach auf einen Billigkeitsunterhalt zu beschränken sein könnte. Um diesen zu bemessen, sei allerdings zunächst die Auskunft über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse erforderlich.

Das Gericht hat am 04.05.2010 einen Erörterungstermin durchgeführt. Insoweit wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

Die Anfechtungsklage ist zulässig, aber nicht begründet.

Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 07.07.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.11.2009 nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Dieser Bescheid ist rechtmäßig.

Ermächtigungsgrundlage für das Auskunftsverlangen der Beklagten ist § 117 Abs. 1 S. 1 SGB XII. Danach haben u.a. die Unterhaltspflichtigen dem Träger der Sozialhilfe über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben, soweit die Durchführung dieses Buches - also des SGB XII - es erfordert.

1. Die Klägerin ist die Tochter der Sozialhilfebezieherin F G und damit nach § 1601 BGB als Verwandte gerader Linie grundsätzlich unterhaltsverpflichtet. Das Auskunftsersuchen scheidet nur dann aus, wenn offensichtlich kein überleitbarer Unterhaltsanspruch besteht (so genannte Negativevidenz). Eine nähere Prüfung der Unterhaltsansprüche hat das erkennende Sozialgericht dabei nicht vorzunehmen. Nur wenn ohne jede Beweiserhebung und ohne eingehende rechtliche Überlegungen ersichtlich ist, dass der Unterhaltsanspruch nicht besteht, darf eine Auskunft vom (vermeintlich) Unterhaltspflichtigen nicht verlangt werden (vgl. SG Münster Urt. v. 23.11.2009 - S 18 (16) SO 82/07; abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Es ist nicht Aufgabe der Sozialgerichte, unterhaltsrechtlichen Fragen nachzugehen. Negativevidenz kann nur dann vorliegen, wenn ein Anspruch von vornherein, ohne nähere Prüfung - offensichtlich - ausgeschlossen ist (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 14.04.2009 - L 20 SO 96/08). Die Kammer ist - trotz der von der Klägerin geschilderten Situation in ihrer Kindheit insbesondere auch im Hinblick auf den Vortrag, ihre Mutter habe ihr gegenüber keinen Unterhalt geleistet - davon überzeugt, dass eine Unterhaltsanspruch jedenfalls nicht völlig auszuschließen ist. Zwar bestehen - wenn man die Angaben der Klägerin als zutreffend unterstellt - Anhaltspunkte für eine Beschränkung bzw. Ausschluss des Unterhaltsanspruch. Der Unterhaltsanspruch ist jedoch nicht vornherein und offensichtlich ausgeschlossen. Denn auch wenn die Mutter der Klägerin gegenüber der Klägerin nur zu Weihnachten und an Geburtstagen Kontakt hatte und zudem keinen Unterhalt geleistet hat, liegen die Voraussetzungen für eine Beschränkung oder einen Wegfall der Verpflichtung nach § 1611 BGB nicht offensichtlich vor. Nach Abs. 1 S. 1 der Norm braucht der Verpflichtete (hier die Klägerin) nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe leisten, die der Billigkeit entspricht, u.a. wenn der Unterhaltsberechtigte (hier die Mutter der Klägerin) seine eigenen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt hat oder sich vorsätzlich einer groben Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen des Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht hat. Nach Abs. 1 S. 2 fällt die Verpflichtung ganz weg, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre. Dem ist zu entnehmen, dass schon für die Beschränkung der Unterhaltsverpflichtung die fehlende Zahlung von Unterhalt als solches nicht ausreicht. Vielmehr muss insoweit eine grobe Vernachlässigung, d.h. ein subjektiv vorwerfbares Verhalten vorliegen. Aus welchen Gründen hier kein Unterhalt gezahlt wurde, ist nicht bekannt. Außerdem ist ungeklärt, ob die Mutter der Klägerin, die bereits einen Sohn hatte und zudem 7 Jahre noch der Geburt der Klägerin noch ein weiteres Kind bekommen hat, überhaupt leistungsfähig nach § 1603 BGB war. Denn nach den Angaben der Klägerin im Erörterungstermin haben ihre Großeltern ihre Mutter auch noch finanziell mitunterstüzt. Des Weiteren stellt selbst die Ablehnung jeglichen Kontakts mit dem Unterhaltsverpflichteten noch keine schwere Verfehlung dar (vgl. Palandt, BGB, 68. Aufl. 2009, § 1611 Rn. 6). Hier fanden jedoch nach den Angaben der Klägerin im Erörterungstermin wohl immerhin noch zu Weihnachten und an Geburtstagen Kontakte statt. Aus dem Umstand, dass selbst eine gröbliche Vernachlässigung des Unterhaltsanspruchs nur zu einer Beschränkung der eigenen Unterhaltsverpflichtung führt, lässt sich entnehmen, dass dies jedenfalls nicht für die Annahme einer groben Unbilligkeit ausreicht, die dann zum kompletten Wegfall der eignen Unterhaltsverpflichtung führt. Der von der Klägerin geschilderte Lebensstil der Mutter ist in den Augen der Klägerin verwerflich, ob damit eine grobe Verfehlung bzw. eine grobe Unbilligkeit der Inanspruchnahme der Klägerin verbunden ist, ist nach Ansicht der Kammer jedoch nicht ohne weitere Prüfung evident. Ob die Voraussetzungen für einen Unterhaltsausschluss hier vorliegen, kann - auch wenn man die Ausführungen der Klägerin, für die sie auch Beweis angeboten hat, als zutreffend unterstellt - nicht abschließend geprüft und bejaht werden. Jedenfalls liegen die Voraussetzungen für einen Unterhaltsausschluss nicht offensichtlich vor.

2. Die Auskunftserteilung ist auch insoweit zur Durchführung des SGB XII erforderlich. Nach Ansicht des Gerichts sind aber auch die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Härtegrundes nach § 94 Abs. 3 SGB XII nicht gegeben. Liegen bei dem gesetzlichen Anspruchsübergang des § 94 SGB XII Härtegründe nach § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII vor und scheidet deshalb ein Anspruchsübergang aus, ist ein Auskunftsverlangen eines Sozialhilfeträgers nicht erforderlich, weil ein Anspruchsübergang völlig unabhängig von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Pflichtigen ausscheidet (vgl. Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 117 Rn. 22). Ist der Übergang des Unterhaltsanspruchs wegen einer (öffentlich-rechtlichen) unbilligen Härte ausgeschlossen, besteht also keine Auskunftspflicht. Dabei ist diese Prüfung von Härtegründen im Rahmen der Erforderlichkeit nicht mit der erwähnten Negativevidenz des Unterhaltsanspruchs zu verwechseln (vgl. Grube/Wahrendorf, a.a.O., § 117 Rn. 22). Nach Ansicht des Gericht erfolgt die bei der Überprüfung der Erforderlichkeit des Auskunftsverlangens relevant werdenden unbillige Härte zudem nur eingeschränkt, nämlich nur dahingehend, ob eine unbillige Härte "offensichtlich" besteht: besteht eine unbillige Härte offensichtlich, so ist das Auskunftsverlangen nicht erforderlich und damit rechtswidrig. Ansonsten darf der Sozialhilfeträger Auskunft verlangen (vgl. zur Offensichtlichkeit VG Hamburg Beschl. v. 07.02.1997 - 4 VG 4196/96, juris). Eine unbillige Härte wird regelmäßig nur dann vorliegen, wenn mit der Heranziehung des Unterhaltspflichtigen soziale Belange vernachlässigt werden. Diese Einschränkung folgt daraus, dass familiären Belangen bereits durch die zivilrechtlichen Unterhaltsvorschriften Rechnung getragen wird. Eine derartiger "Randfall" einer Vernachlässigung sozialer Belange, wie bez. die unverschuldete völlige Entfremdung von Eltern und Kindern (vgl. Grube/Wahrendorf, a.a.O., § 94 Rn. 29), liegt hier jedoch ebenfalls nicht offensichtlich vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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