Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 266/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 46/11
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit von Regressen wegen Überschreitung der Heilmittel-Richtgrößen in den Jahren 2006 und 2007.
Der Kläger ist als Facharzt für Orthopädie (mit Zusatzbezeichnungen Chirotherapie, physikalische Therapie und Sportmedizin sowie Fachkunde Ernährungsmedizin der Bundesärztekammer) in E niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Ein in Frankreich seit dem 23.04.2003 anhängiges Insolvenzverfahren über sein Vermögen wird demnächst seinen Abschluss gefunden haben.
Wegen Überschreitung der Heilmittel-Richtgrößen setzte die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein mit Bescheid vom 29.10.2008 für die Quartale 1/2006 bis 4/2006 einen Regress in Höhe von 64.517,45 EUR und mit Bescheid vom 29.06.2009 für die Quartale 1/2007 bis 4/2007 einen Regress in Höhe von 54.246,53 EUR fest.
Diesen Bescheiden widersprach der Kläger. Er übe seine fachärztliche Tätigkeit in einer Schwerpunktpraxis für Erkrankungen des Rückens und der Weichteile aus und behandele eine dementsprechend selektierte multimorbide Patientenschaft. Zwischen 1986 und 2003 habe er in verschiedener Weise Rückenschulprogramme aufgebaut und durchgeführt. Auffällige Unterschiede zur Fachgruppe zeigten die überdurchschnittlichen Diagnosehäufigkeiten bei ICD M54 (Rückenschmerzen), M99 (Biomechanische Funktionsstörung), M53 (Sonstige Krankheiten der Wirbelsäule und des Rückens), M77 (Sonstige Enthesiopathien), M25 (Sonstige Gelenkkrankheiten), M02-M15 (Polyarthrosen), G58 (Sonstige Mononeuropathien) und I89 (Störungen des Lymphsystems) und sowie die überdurchschnittliche Erbringungshäufigkeit der EBM-Nrn. 18311 (Extremitätenkomplex) und 18331 (Wirbelsäulenkomplex). Die Anzahl der Diagnosen pro Patient sei unterdurchschnittlich, es würden also keine "Diagnoseketten" o.ä. eingesetzt. Während die Scheinzahl erheblich unterdurchschnittlich sei, weise die Praxis eine erheblich überdurchschnittliche Anzahl an Arzt-/Patienten-Kontakten und einen Anteil an Langzeitpatienten seit 1990 von 50 % auf. Die Arzneimittelverordnungen lägen jeweils unter den Richtgrößen; schlüssele man die Medikamente auf, zeige sich ein erhöhter Verordnungsbedarf an Schmerzmitteln. Hinzu kämen in hohem Maße Verordnungen von TENS-Heimtherapien. Ebenfalls betreue er ein Altersheim mit dementsprechend hohem Verordnungsbedarf aufgrund der Morbiditätsstruktur.
Mit Bescheid vom 23.11.2009 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Dabei ging er davon aus, dass es sich um eine Praxis handele, die der Fachgruppe der Orthopäden nach Anlage 3 B der Richtgrößenvereinbarungen (RgV) zuzuordnen sei. Tabellarisch listete er die Fallzahlen des Klägers sowie die statistischen Abweichungen von der Vergleichsgruppe bei den Fallzahlen (-46,48 % bis - 56,80 %), den Anteilen der Rentner (+ 0,77 bis - 17,65 %), den Notfällen, Vertreterfällen, Zuweisungen und Überweisungen, Gesamtleistungen (Honorar: + 10 % bis + 57 %) und außergebührenmäßigen Kosten (Sprechstundenbedarf: - 79,72 % bis - 100 %, Arzneimittelkosten nach Richtgrößen: - 19,05 % (2006), - 14,67 % (2007)) auf.
Unter Zugrundelegung der Quartalsbilanzen brachte der Beklagte zunächst gemäß § 5 Abs. 2 RgV Praxisbesonderheiten nach den Symbolnummern 90969 (2006: 2.022,72 EUR; 2007: 1.863,72 EUR), 90973 (2006: 1.125,12 EUR; 2007: 467,34 EUR) und 90976 (2006: 53.002,80 EUR; 2007: 46.874,82 EUR) zu 100 % in Abzug. Ferner zog er von der Vergleichsgruppe, nicht jedoch vom Kläger selbst erbrachte physikalische Therapien im Gesamtumfang von 1.207,82 EUR (2006) und 2.998,45 EUR (2007) ab.
Weitere Praxisbesonderheiten erkannte der Beklagte nicht an.
Soweit der Kläger behaupte, er betreue einen hohen Anteil an russischen Patienten und dies verursache erhebliche Mehrkosten, sei kein Erfahrungssatz des Inhalts bekannt, dass ausländische Patienten höhere Verordnungskosten bedingten als nicht ausländische.
Soweit der Kläger als Praxisbesonderheit geltend mache, dass er überdurchschnittlich häufig Erkrankungen des Rückens und der Weichteile behandele und die Diagnosen M54, M99, M53, M77, M25, M02-M15, G58 und I89 häufiger aufträten als im Durchschnitt der Vergleichsgruppe, seien Praxisbesonderheiten gemäß § 5 Abs. 3 RgV nur dann zu berücksichtigen, wenn der Vertragsarzt nachweise, dass er der Art und Anzahl nach besondere von der Arztgruppentypik abweichende Erkrankungen behandelt habe und hierdurch notwendige Mehrkosten entstanden seien. Der Kläger habe diesen Nachweis mit der einge-
reichten Stellungnahme nicht erbracht. Vielmehr sei die Behandlung von Patienten mit Erkrankungen des Rückens und der Weichteile in einer orthopädi- schen Praxis fachgruppentypisch und die Diagnosehäufigkeit stelle allein keine Besonderheit dar.
Kleine Fallzahlen könnten Bedeutung im Rahmen eines statistischen Vergleichs nur dann erlangen, wenn die Werte nicht mehr hinreichend aussagekräftig seien. Die Anzahl von 2.624 (2006) bzw. 2.861 (2007) Behandlungsfällen lasse ohne weiteres die Durchführung eines statistischen Kostenvergleichs zu.
Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Unterschreitungen bei den Arzneiverordnungen und den (Überschreitungen bei den) Heilmittelverordnungen sei nicht zu erkennen.
Die Betreuung eines Altersheimes finde durch die höhere Richtgröße für Rentnerfälle Berücksichtigung.
Im Ergebnis gelangte der Beklagte zu Überschreitungen der Richtgrößensummen um 133,22 % (2006) bzw. 113,43 % (2007). Den über eine 25 %ige Überschreitung hinausgehenden Betrag regressierte er unter Berücksichtigung der Patientenzuzahlungen durch Ansatz des günstigsten Nettokostenindexes (2006: 84,80 %; 2007: 84,65 %) und ermittelte so die Regressbeträge von netto 64.517,45 EUR (2006) und 54.246,53 EUR (2007).
Hiergegen richtet sich die am 21.12.2009 erhobene Klage.
Der Kläger wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Ergänzend weist er darauf hin, dass die aktiven Behandlungsformen mit knapp 80 % (davon Krankengymnastik: 64 %) den weitaus überwiegenden Teil der Verordnungen ausmachten. Soweit der Beklagte Bezug auf Morbiditätsstatistiken der Beigeladenen zu 7) nehme und hieraus ableite, es ergäben sich nur geringe Abweichungen der Diagnosehäufigkeit zu M40 bis M54 zwischen der Vergleichsgruppe und seiner Praxis, weise die Auswertung gravierende Fehler in der Datengrundlage auf.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 23.11.2009 aufzuheben,
hilfsweise,
den Beklagten zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 23.11.2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes erneut zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält seinen Bescheid in jeder Hinsicht für rechtmäßig.
Er habe alle von Symbolnummern erfassten Praxisbesonderheiten vollständig berücksichtigt. Andere Besonderheiten seien nur dann berücksichtigungsfähig, wenn die dazu angeführten Erkrankungen der Art nach fachgruppenuntypisch seien und verglichen mit der Fachgruppe überproportional häufig aufträten. Sowohl die von dem Kläger angeführten Leistungen nach Nrn. 18311 und 18331 EBM als auch die weitgehend im ersten Viertel der Morbiditätsstatistik der Beigeladenen zu 7) angesiedelten Diagnosen und deren Abweichung von der Ver- gleichsgruppe seien ein Beleg dafür, dass es sich um fachgruppentypische Leistungen handele. Eine überproportionale Leistungsabrechnung vermöge (noch) keine Praxisbesonderheit zu begründen. Auch die unterdurchschnittliche Scheinzahl rechtfertige keine Korrektur. Es gebe keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass der Anteil der heilmittelbedürftigen Patienten proportional mit der Größe der Praxis abnehme.
Die Beigeladenen stellen keine Prozessanträge.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid des Beklagten nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da dieser rechtmäßig ist.
Rechtsgrundlage für einen Bescheid, der einen Vertragsarzt auf Grund seiner Heilmittelverordnungen wegen Überschreitung der Richtgrößen in Regress nimmt, sind § 84 Abs. 6 in Verbindung mit § 106 Abs. 5 a Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V).
Nach § 84 Abs. 6 SGB V vereinbaren die Gesamtvertragspartner bis zum 15.11. für das jeweils folgende Kalenderjahr zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung für das auf das Kalenderjahr bezogene Volumen der je Arzt verord- neten Arznei- und Verbandmittel (Richtgrößenvolumen) arztgruppenspezifische fallbezogene Richtgrößen als Durchschnittswerte unter Berücksichtigung der nach Abs. 1 getroffenen Arzneimittelvereinbarung. Zusätzlich sollen die Vertragspartner die Richtgrößen nach altersgemäß gegliederten Patientengruppen und darüber hinaus auch nach Krankheitsarten bestimmen. Die Richtgrößen leiten den Vertragsarzt bei seinen Entscheidungen über die Verordnung von Arzneimitteln nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot. Die Überschreitung des Richtgrößenvolumens löst eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 Abs. 5a SGB V unter den dort genannten Voraussetzungen aus. Für Heilmittel sind diese Regelungen unter Berücksichtigung der besonderen Versorgungs- und Abrechnungsbedingungen im Heilmittelbereich entsprechend anzuwenden (§ 85 Abs. 8 SGB V).
Nach § 106 Abs. 5 a Satz 3 SGB V hat der Vertragsarzt bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 v.H. nach Feststellung durch den Prüfungsausschuss den sich daraus ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Die Vertragspartner bestimmen in Vereinbarungen nach Abs. 3 die Maßstäbe zur Prüfung der Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten (§ 106 Abs. 5 a Satz 5 SGB V).
Auf dieser Grundlage haben die Vertragspartner mit Wirkung vom 01.01.2006 eine Vereinbarung über "Richtgrößen für Heilmittel und Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung bei Überschreiten der Richtgrößen" (RgV 2006) getroffen (Rhein. Ärzteblatt 1/2006, S. 95 ff.) und durch einen 1. Nachtrag vom 29.03.2006 (Rhein. Ärzteblatt 5/2006, S. 58 ff.) ergänzt. Auch für das Jahr 2007 haben sie eine entsprechende Vereinbarung (RgV 2007) getroffen (Rhein. Ärzteblatt 1/2007, S. 86 ff.). Nach Maßgabe dieser RgV 2006 und 2007 ist der angefochtene Bescheid nicht zu beanstanden.
Der Beklagte hat zunächst zutreffend die Heilmittel-Verordnungskosten des Klägers (2006: 221.320,15 EUR; 2007: 212.076,04 EUR) den Richtgrößensummen laut Quartalsbilanzen (2006: 70.303,83 EUR; 2007: 72.470,53 EUR) gegenübergestellt und hieraus Abweichungen der Richtgrößensummen von + 214,81 % (2006) und + 192,64 EUR (2007) errechnet.
Rechtsfehlerfrei hat der Beklagte sodann zugunsten des Klägers von den Heilmittel-Verordnungskosten entsprechend den Vorgaben des § 5 Abs. 2 RgV Maßnahmen nach den Symbolnummern 90969, 90973 und 90976 zu 100 % in Abzug gebracht (2006: 56.150,64 EUR; 2007: 49.205,88 EUR). Mit diesen Symbolnummern haben die Vertragspartner der RgV im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit in hinreichendem Maße die Soll-Bestimmung des § 84 Abs. 6 SGB V umgesetzt, die Richtgrößen auch nach Krankheitsarten zu bestimmen. Ebenfalls ohne Rechtsfehler hat der Beklagte weiterhin von der Vergleichsgruppe, nicht jedoch von dem Kläger selbst erbrachte physikalische Therapien (2006: 1.207,82 EUR; 2007: 2.998,45 EUR) abgezogen.
Soweit der Beklagte keine weiteren Praxisbesonderheiten nach § 5 Abs. 3 RgV anerkannt hat, begründet dies keine Rechtsfehler. Bei einer Richtgrößenprüfung kommt den Prüfgremien ein Beurteilungsspielraum zu, soweit es um die Feststellung und Bewertung von Praxisbesonderheiten geht (BSG, Urteil vom 02.11.2005 - B 6 KA 63/04 R -). Dieser unterliegt nur eingeschränkter richterlicher Kontrolle. Die gerichtliche Überprüfung beschränkt sich auf die Prüfung, ob das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrun- de liegt, ob die Verwaltung die Grenzen eingehalten hat, die sich bei Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "Wirtschaftlichkeit" ergeben, und ob sie ihre Subsumtionserwägungen so verdeutlicht und begründet hat, dass im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe nachvoll- ziehbar ist (st. Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 27.06.2007 - B 6 KA 27/06 R - ). Diesen Maßstäben hält der angefochtene Bescheid stand.
Praxisbesonderheiten im Sinne des § 5 Abs. 3 RgV sind - soweit objektivierbar - zu berücksichtigen, wenn der Arzt nachweist, dass er der Art und der Anzahl nach besondere von der Arztgruppentypik abweichende Erkrankungen behandelt hat und hierdurch notwendige Mehrkosten entstanden sind. Die Anerkennung als Praxisbesonderheit ist auf die Höhe der hierdurch bedingten Mehrkosten begrenzt. Die schlüssige Darlegung dieser Praxisbesonderheiten sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach obliegt dem zu prüfenden Arzt. Ergänzend bestimmt § 5 Abs. 4 RgV, dass der Arzt für die von ihm gesehenen Praxisbesonderheiten im Sinne des Abs. 3 darzulegen hat, aufgrund welcher besonderen, der Art und der Anzahl nach von der Typik in der Arztgruppe abweichenden Erkrankung er welche Heilmitteltherapien mit welchen (ggf. geschätzten) Mehrkosten je Behandlungsfall veranlasst hat.
Der Kläger hat vorgetragen, Erkrankungen mit den Diagnosen nach ICD-10 M54 (Rückenschmerzen), M99 (Biomechanische Funktionsstörung), M53 (Sonstige Krankheiten der Wirbelsäule und des Rückens), M77 (Sonstige Enthesiopathien), M25 (Sonstige Gelenkkrankheiten), M02-M15 (Polyarthrosen), G58 (Sonstige Mononeuropathien) und I89 (Störungen des Lymphsystems) seien in seiner Praxis gegenüber der Vergleichsgruppe überproportional häufig behandelt worden. Der Art nach handelt es sich bei diesen Erkrankungsbildern um solche, die für orthopädische Fachpraxen typisch sind. Dies ergibt sich aus der von der Beigeladenen zu 7) veröffentlichten Übersicht über die 100 häufigsten
ICD-10-Schlüssel.
Rang ICD-Code-Nr. ICD-Code Anteil in %
1 M54 Rückenschmerzen 36,4 2 M17 Gonarthrose [Arthrose des Kniegelenkes] 14,5 3 M47 Spondylose 13,7 4 M99 Biomechanische Funktionsstörungen, anderenorts nicht klassifiziert 13,7 5 M53 Sonstige Krankheiten der Wirbelsäule und des Rückens, anderenorts nicht klassifiziert 11,8 6 M75 Schulterläsionen 11,4 7 Q66 Angeborene Deformitäten der Füße 10,2 8 M51 Sonstige Bandscheibenschäden 10,2 9 M77 Sonstige Enthesopathien 9,8 10 M21 Sonstige erworbene Deformitäten der Extremitäten 9,7 11 M42 Osteochondrose der Wirbelsäule 9,4 12 M16 Koxarthrose [Arthrose des Hüftgelenkes] 8,9 13 M25 Sonstige Gelenkkrankheiten, anderenorts nicht klassifiziert 7,4
Diese Übersicht für das Quartal 1/2007 gilt repräsentativ auch für alle anderen streitbefangenen Quartale.
Die von dem Kläger als Praxisbesonderheit reklamierten Erkrankungen, welche die wesentlichen Heilmittel-Verordnungskosten verursacht haben, finden sich auf den vorderen Plätzen dieser Übersicht.
Zwar mag die Formulierung in § 5 Abs. 3 RgV: " wenn der Arzt der Art und Anzahl nach besondere von der Arztgruppentypik abweichende Erkrankungen be- handelt hat", nicht dahingehend restriktiv verstanden werden müssen, dass allein fachgruppenuntypische Erkrankungen berücksichtigungsfähig sind. Geht man davon aus, dass in den Richtgrößen (§ 84 Abs. 6 SGB V) auch das tat- sächliche durchschnittliche Verordnungsvolumen abgebildet ist, kann auch ein gegenüber der Fachgruppe überproportionaler Anteil fachgruppentypischer Er- krankungen mit entsprechendem Mehraufwand nicht von vornherein von der Berücksichtigungsfähigkeit als Praxisbesonderheit ausgeschlossen werden. Die betroffene Praxis muss sich insofern nach der Zusammensetzung ihrer Patienten und hinsichtlich der schwerpunktmäßig zu behandelnden Gesundheitsstörungen vom typischen Zuschnitt einer Praxis der Vergleichsgruppe unterscheiden, und diese Abweichung muss sich gerade auf die überdurchschnittlich häufig erbrachten Leistungen auswirken (vgl. BSG, Urteil vom 23.02.2005 - B 6 KA 79/03 R -). Dabei sind Praxisbesonderheiten nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 3 RgV aber auf die "hierdurch notwendigen Mehrkosten" zu begrenzen. "Notwendig" bedeutet, dass der Arzt bei der Entscheidung über die Auswahl der Heilmittel auch therapeutische Alternativen in Betracht ziehen muss, soweit solche zur Verfügung stehen und wirtschaftlicher sind (vgl. BSG, Beschluss vom 31.05.2006 - B 6 KA 68/05 B - zu Arzneimitteltherapien). Dies bringt Ziffer 13 der Heilmittel-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (Grundsätze der Heilmittel-Verordnung) deutlich zum Ausdruck. Danach soll der Vertragsarzt vor jeder Verordnung von Heilmitteln prüfen, ob entsprechend dem Gebot der Wirtschaftlichkeit das angestrebte Behandlungsziel auch durch eigenverantwortliche Maßnahmen des Patienten (z.B. nach Erlernen eines Eigenübungsprogramms, durch allgemeine sportliche Betätigung oder Änderung der Lebensführung), durch eine Hilfsmittelversorgung oder durch Verordnung eines Arzneimittels unter Abwägung der jeweiligen Therapierisiken qualitativ gleichwertig und kostengünstiger erreicht werden kann. Dann haben diese Maßnahmen Vorrang gegenüber einer Heilmittelverordnung.
Vor diesem Hintergrund genügt der Vortrag des Klägers im Verwaltungsverfahren den Darlegungsanforderungen des § 5 Abs. 4 Satz 3 RgV nicht. Im Wesentlichen erschöpft sich seine Argumentation in einer Wiedergabe der Häufigkeit verschiedener Diagnosen in seiner Praxis gegenüber der Vergleichsgruppe, der Fallzahlen im Verhältnis zur Fachgruppe, der Anzahl der Arzt-/Patientenkontak- te, der Anzahl der Quartale und Patienten mit physiotherapeutischen Verordnungen, der Unterschreitungen der Arzneimittel-Richtgrößen sowie der Anzahl der TENS-Verordnungen. Mit diesen zahlenmäßigen Angaben ist inhaltlich aber keine schlüssige Aussage über die Notwendigkeit der Heilmitteltherapien getroffen und weshalb wirtschaftlichere Behandlungsalternativen im Sinne der Ziffer 13 der Heilmittel-Richtlinien nicht in Betracht gekommen sind. Die bloße Darlegung der Überschreitungswerte hilft insofern nicht weiter, denn diese Überschreitungen können eben gerade Ausdruck der Unwirtschaftlichkeit sein. Dies zeigt sich namentlich an dem Vortrag des Klägers, er habe einen Anteil von Langzeitpatienten seit 1990, die physiotherapeutische Verordnungen erhalten hätten, von etwa 50 % und zudem etwa 50 % Fälle mit 13 bis 56 Arzt-/Patientenkontakten pro Jahr. In der Krankengymnastik (Bewegungstherapie, Physiotherapie) geht es vor allem darum, falsche Bewegungsmuster zu reduzieren oder abzuwenden, weshalb Übungen wie Strecken, Anspannen, Entspannen, rückenschonende Bewegungsabläufe u.a. zur Krankengymnastik gehören. Diese Therapie ist aber nur der erste Schritt in Richtung einer Besserung und Linderung. Wichtig für einen dauerhaften Therapieerfolg sind vor allem Eigeninitiative und tägliches aktives Wiederholen der erlernten Übungen. Die fortwährende Langzeitverordnung von Krankengymnastik, die nach Angaben des Klägers mit etwa 64 % den weitaus überwiegenden Teil der Heilmittel-Verordnungen ausgemacht hat, in einer Vielzahl von Arzt-/Patientenkontakten ist aber kein Indiz für eine wirtschaftliche Verordnungsweise und für einen "notwendigen" Mehraufwand gegenüber der Vergleichsgruppe. Einer schlüssigen Darlegung der Praxisbesonderheiten sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach, die dem zu prüfenden Arzt gemäß § 5 Abs. 3 Satz 3 RgV - grundsätzlich im Verwaltungsverfahren (LSG NRW, Urteil vom 24.11.2010 - L 11 KA 4/09 -) - obliegt, ist damit nicht genügt. Von daher durfte der Beklagte rechtsfehlerfrei annehmen, die Behandlung von Patienten mit Erkrankungen des Rückens und der Weichteile in einer orthopädischen Praxis sei fachgruppentypisch und die Diagnose- häufigkeit stelle allein keine Besonderheit dar. Ob und inwieweit der Vortrag des Klägers zutrifft, die im Klageverfahren vorgelegte Datengrundlage sei fehlerhaft, ist deshalb rechtlich unerheblich.
Ohne Rechtsfehler hat der Beklagte auch die unterdurchschnittlichen Scheinzahlen nicht zum Anlass einer Korrektur seiner Ergebnisse genommen. Die Richtgrößensummen bemessen sich aus dem Produkt der Fallzahlen und der Richtgrößen für Allgemeinversicherte/Rentner. Dabei haben die Vertragspartner für die Fachgruppe der Orthopäden (44-46) die höchsten Richtgrößen aller Arztgruppen vereinbart (2006: AV 26,92 EUR, RV 26,57 EUR; 2007: AV 25,19 EUR, RV 25,61 EUR). Selbst wenn die Vereinbarung über die Höhe der Richtgrößen (auch) von Durchschnittsfallzahlen orthopädischer Praxen mit gewissen Verdünnungseffekten geleitet gewesen sein sollte, bestand vorliegend keine rechtliche Verpflichtung für den Beklagten, die Regresssummen aufgrund der etwa halb so großen Fallzahlen des Klägers bei fachgruppentypischen Erkrankungen zu reduzieren. Eine Berücksichtigung als Praxisbesonderheit wäre allenfalls dann angezeigt gewesen, wenn der Kläger bei geringer Fallzahl unverhältnismäßig viele besonders schwere bzw. besonders heilmittelaufwändige Fälle gehabt hätte (vgl. die Ausgangsentscheidung zu BSG, Beschluss vom 31.05.2006 - B 6 KA 44/05 B -). Für eine solche Annahme brauchten die Darlegungen des Klägers dem Beklagten aber keinen Anhalt zu geben.
Die unterschiedlichen Heilmittelkosten für Rentner werden dem Grunde nach bereits bei der Höhe der Richtgrößen abgebildet. Damit haben die Vertragspart- ner der RgV im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit in hinreichendem Maße die weitere Soll-Bestimmung des § 84 Abs. 6 SGB V umgesetzt, die Richtgrößen auch nach altersgemäß gegliederten Patientengruppen zu bestimmen. Die im Rah- men der Betreuung der Altenheimpatienten angefallenen Heilmittel-Verordnungskosten sind damit ausreichend erfasst. Soweit der Kläger auf eine Multi- morbidität seiner Altenheimpatienten verweist, erfüllt sein Vortrag ebenfalls nicht die Darlegungsanforderungen des § 5 Abs. 3, 4 RgV.
Der Beklagte hat schließlich auch die Patientenzuzahlungen durch Ansatz der günstigsten Nettokostenindizes (2006: 84,80 %; 2007: 84,65 %) berücksichtigt (vgl. dazu BSG, Urteil vom 29.01.1997 - 6 RKa 5/96 -), so dass sich der Bescheid insgesamt als rechtmäßig erweist.
Der Rechtmäßigkeit des Bescheides steht schließlich nicht die zum 01.01.2011 in Kraft getretene Vorschrift des § 106 Abs. 5c Satz 7 SGB V entgegen. Danach setzt die Prüfungsstelle für Ärzte, die erstmals das Richtgrößenvolumen um mehr als 25 % überschreiten, für die Erstattung der Mehrkosten einen Betrag von insgesamt nicht mehr als 25.000,- EUR für die ersten beiden Jahre einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens fest. Tatbestandlich erfüllt der Kläger zwar diese Voraussetzungen. Jedoch ist die Bestimmung auf das laufende Verfahren nicht anwendbar.
Da das SGB V keine ausdrückliche Übergangsregelung enthält, bestimmt sich der zeitliche Anwendungsbereich der Regelung nach den allgemeinen für das intertemporale Sozialrecht geltenden Grundsätzen. Danach ist ein Rechtssatz grundsätzlich nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die nach seinem Inkrafttreten verwirklicht werden. Dementsprechend hat das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass sich die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse nach dem Recht beurteilen, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat, soweit nicht später in Kraft getretenes Recht etwas anderes bestimmt (z.B. Urteile vom 22.06.2010 - B 1 KR 29/09 R -; vom 27.08.2008 - B 11 AL 11/07 R - jeweils m.w.N.; vgl. auch Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 3/09 R -). Ein in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gekommener Wille des Gesetzgebers, § 106 Abs. 5c Satz 7 SGB V auch auf vor dem Inkrafttreten der Vorschrift liegende Regressfälle zu erstrecken, ist nicht ersichtlich. In dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) (BR-Drucks. 484/10 (neu) S. 45) heißt es in der Begründung zu Nr. 14 (§ 106):
"Die Ärzte, die erstmalig einen sich aus der Überschreitung des Richtgrößenvolumens ergebenden Mehraufwand zu erstatten haben, zahlen in den ersten beiden Jahren einer Überschreitung nicht die festgestellten Mehrkosten zurück, sondern lediglich einen pauschalen Betrag. Die Prüfungsstelle setzt erstmals im dritten Jahr den zu erstattenden Mehraufwand nach Absatz 5a fest. Die Regelung ist sachgerecht, weil damit insbesondere Ärzte, die ihre Tätigkeit in der vertragsärztlichen Versorgung aufnehmen oder die neue Versorgungsaufgaben übernehmen, mehr Zeit erhalten, sich auf die spezifischen Anforderungen des Fünften Buches Sozialgesetzbuch an die Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Verordnungen einzustellen. Ein Grenzwert in Höhe höchstens von 25.000 Euro entspricht rd. 80 % der durchschnittlich festgestellten Erstattungssumme pro Regressbescheid der Prüfungsstellen im Jahr 2007 und ist damit als Anreiz ausreichend, unwirtschaftliche Verordnungen zu vermeiden. Jedoch werden damit zugleich sehr hohe Erstattungsbeträge in den ersten zwei Jahren vermieden."
Der Entwurf dieser neuen gesetzlichen Bestimmung ist nebst ihrer Begründung im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens nicht in Frage gestellt wor- den. Erkennbar ist, dass der Gesetzgeber Erfahrungen aus der Vergangenheit ausgewertet und in Abwägung der unterschiedlichen Interessen eine ausgleichende Regelung hat schaffen wollen, um zukünftig einerseits Härten aufseiten betroffener Vertragsärzte abzumildern, andererseits die Ansprüche der Krankenkassen auf Erstattung des unwirtschaftlichen Mehraufwandes noch hinrei- chend zu sichern. Für eine rückwirkende Anwendung geben die Gesetzesmaterialien dabei keinen Anhalt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit von Regressen wegen Überschreitung der Heilmittel-Richtgrößen in den Jahren 2006 und 2007.
Der Kläger ist als Facharzt für Orthopädie (mit Zusatzbezeichnungen Chirotherapie, physikalische Therapie und Sportmedizin sowie Fachkunde Ernährungsmedizin der Bundesärztekammer) in E niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Ein in Frankreich seit dem 23.04.2003 anhängiges Insolvenzverfahren über sein Vermögen wird demnächst seinen Abschluss gefunden haben.
Wegen Überschreitung der Heilmittel-Richtgrößen setzte die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein mit Bescheid vom 29.10.2008 für die Quartale 1/2006 bis 4/2006 einen Regress in Höhe von 64.517,45 EUR und mit Bescheid vom 29.06.2009 für die Quartale 1/2007 bis 4/2007 einen Regress in Höhe von 54.246,53 EUR fest.
Diesen Bescheiden widersprach der Kläger. Er übe seine fachärztliche Tätigkeit in einer Schwerpunktpraxis für Erkrankungen des Rückens und der Weichteile aus und behandele eine dementsprechend selektierte multimorbide Patientenschaft. Zwischen 1986 und 2003 habe er in verschiedener Weise Rückenschulprogramme aufgebaut und durchgeführt. Auffällige Unterschiede zur Fachgruppe zeigten die überdurchschnittlichen Diagnosehäufigkeiten bei ICD M54 (Rückenschmerzen), M99 (Biomechanische Funktionsstörung), M53 (Sonstige Krankheiten der Wirbelsäule und des Rückens), M77 (Sonstige Enthesiopathien), M25 (Sonstige Gelenkkrankheiten), M02-M15 (Polyarthrosen), G58 (Sonstige Mononeuropathien) und I89 (Störungen des Lymphsystems) und sowie die überdurchschnittliche Erbringungshäufigkeit der EBM-Nrn. 18311 (Extremitätenkomplex) und 18331 (Wirbelsäulenkomplex). Die Anzahl der Diagnosen pro Patient sei unterdurchschnittlich, es würden also keine "Diagnoseketten" o.ä. eingesetzt. Während die Scheinzahl erheblich unterdurchschnittlich sei, weise die Praxis eine erheblich überdurchschnittliche Anzahl an Arzt-/Patienten-Kontakten und einen Anteil an Langzeitpatienten seit 1990 von 50 % auf. Die Arzneimittelverordnungen lägen jeweils unter den Richtgrößen; schlüssele man die Medikamente auf, zeige sich ein erhöhter Verordnungsbedarf an Schmerzmitteln. Hinzu kämen in hohem Maße Verordnungen von TENS-Heimtherapien. Ebenfalls betreue er ein Altersheim mit dementsprechend hohem Verordnungsbedarf aufgrund der Morbiditätsstruktur.
Mit Bescheid vom 23.11.2009 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Dabei ging er davon aus, dass es sich um eine Praxis handele, die der Fachgruppe der Orthopäden nach Anlage 3 B der Richtgrößenvereinbarungen (RgV) zuzuordnen sei. Tabellarisch listete er die Fallzahlen des Klägers sowie die statistischen Abweichungen von der Vergleichsgruppe bei den Fallzahlen (-46,48 % bis - 56,80 %), den Anteilen der Rentner (+ 0,77 bis - 17,65 %), den Notfällen, Vertreterfällen, Zuweisungen und Überweisungen, Gesamtleistungen (Honorar: + 10 % bis + 57 %) und außergebührenmäßigen Kosten (Sprechstundenbedarf: - 79,72 % bis - 100 %, Arzneimittelkosten nach Richtgrößen: - 19,05 % (2006), - 14,67 % (2007)) auf.
Unter Zugrundelegung der Quartalsbilanzen brachte der Beklagte zunächst gemäß § 5 Abs. 2 RgV Praxisbesonderheiten nach den Symbolnummern 90969 (2006: 2.022,72 EUR; 2007: 1.863,72 EUR), 90973 (2006: 1.125,12 EUR; 2007: 467,34 EUR) und 90976 (2006: 53.002,80 EUR; 2007: 46.874,82 EUR) zu 100 % in Abzug. Ferner zog er von der Vergleichsgruppe, nicht jedoch vom Kläger selbst erbrachte physikalische Therapien im Gesamtumfang von 1.207,82 EUR (2006) und 2.998,45 EUR (2007) ab.
Weitere Praxisbesonderheiten erkannte der Beklagte nicht an.
Soweit der Kläger behaupte, er betreue einen hohen Anteil an russischen Patienten und dies verursache erhebliche Mehrkosten, sei kein Erfahrungssatz des Inhalts bekannt, dass ausländische Patienten höhere Verordnungskosten bedingten als nicht ausländische.
Soweit der Kläger als Praxisbesonderheit geltend mache, dass er überdurchschnittlich häufig Erkrankungen des Rückens und der Weichteile behandele und die Diagnosen M54, M99, M53, M77, M25, M02-M15, G58 und I89 häufiger aufträten als im Durchschnitt der Vergleichsgruppe, seien Praxisbesonderheiten gemäß § 5 Abs. 3 RgV nur dann zu berücksichtigen, wenn der Vertragsarzt nachweise, dass er der Art und Anzahl nach besondere von der Arztgruppentypik abweichende Erkrankungen behandelt habe und hierdurch notwendige Mehrkosten entstanden seien. Der Kläger habe diesen Nachweis mit der einge-
reichten Stellungnahme nicht erbracht. Vielmehr sei die Behandlung von Patienten mit Erkrankungen des Rückens und der Weichteile in einer orthopädi- schen Praxis fachgruppentypisch und die Diagnosehäufigkeit stelle allein keine Besonderheit dar.
Kleine Fallzahlen könnten Bedeutung im Rahmen eines statistischen Vergleichs nur dann erlangen, wenn die Werte nicht mehr hinreichend aussagekräftig seien. Die Anzahl von 2.624 (2006) bzw. 2.861 (2007) Behandlungsfällen lasse ohne weiteres die Durchführung eines statistischen Kostenvergleichs zu.
Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Unterschreitungen bei den Arzneiverordnungen und den (Überschreitungen bei den) Heilmittelverordnungen sei nicht zu erkennen.
Die Betreuung eines Altersheimes finde durch die höhere Richtgröße für Rentnerfälle Berücksichtigung.
Im Ergebnis gelangte der Beklagte zu Überschreitungen der Richtgrößensummen um 133,22 % (2006) bzw. 113,43 % (2007). Den über eine 25 %ige Überschreitung hinausgehenden Betrag regressierte er unter Berücksichtigung der Patientenzuzahlungen durch Ansatz des günstigsten Nettokostenindexes (2006: 84,80 %; 2007: 84,65 %) und ermittelte so die Regressbeträge von netto 64.517,45 EUR (2006) und 54.246,53 EUR (2007).
Hiergegen richtet sich die am 21.12.2009 erhobene Klage.
Der Kläger wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Ergänzend weist er darauf hin, dass die aktiven Behandlungsformen mit knapp 80 % (davon Krankengymnastik: 64 %) den weitaus überwiegenden Teil der Verordnungen ausmachten. Soweit der Beklagte Bezug auf Morbiditätsstatistiken der Beigeladenen zu 7) nehme und hieraus ableite, es ergäben sich nur geringe Abweichungen der Diagnosehäufigkeit zu M40 bis M54 zwischen der Vergleichsgruppe und seiner Praxis, weise die Auswertung gravierende Fehler in der Datengrundlage auf.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 23.11.2009 aufzuheben,
hilfsweise,
den Beklagten zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 23.11.2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes erneut zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält seinen Bescheid in jeder Hinsicht für rechtmäßig.
Er habe alle von Symbolnummern erfassten Praxisbesonderheiten vollständig berücksichtigt. Andere Besonderheiten seien nur dann berücksichtigungsfähig, wenn die dazu angeführten Erkrankungen der Art nach fachgruppenuntypisch seien und verglichen mit der Fachgruppe überproportional häufig aufträten. Sowohl die von dem Kläger angeführten Leistungen nach Nrn. 18311 und 18331 EBM als auch die weitgehend im ersten Viertel der Morbiditätsstatistik der Beigeladenen zu 7) angesiedelten Diagnosen und deren Abweichung von der Ver- gleichsgruppe seien ein Beleg dafür, dass es sich um fachgruppentypische Leistungen handele. Eine überproportionale Leistungsabrechnung vermöge (noch) keine Praxisbesonderheit zu begründen. Auch die unterdurchschnittliche Scheinzahl rechtfertige keine Korrektur. Es gebe keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass der Anteil der heilmittelbedürftigen Patienten proportional mit der Größe der Praxis abnehme.
Die Beigeladenen stellen keine Prozessanträge.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid des Beklagten nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da dieser rechtmäßig ist.
Rechtsgrundlage für einen Bescheid, der einen Vertragsarzt auf Grund seiner Heilmittelverordnungen wegen Überschreitung der Richtgrößen in Regress nimmt, sind § 84 Abs. 6 in Verbindung mit § 106 Abs. 5 a Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V).
Nach § 84 Abs. 6 SGB V vereinbaren die Gesamtvertragspartner bis zum 15.11. für das jeweils folgende Kalenderjahr zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung für das auf das Kalenderjahr bezogene Volumen der je Arzt verord- neten Arznei- und Verbandmittel (Richtgrößenvolumen) arztgruppenspezifische fallbezogene Richtgrößen als Durchschnittswerte unter Berücksichtigung der nach Abs. 1 getroffenen Arzneimittelvereinbarung. Zusätzlich sollen die Vertragspartner die Richtgrößen nach altersgemäß gegliederten Patientengruppen und darüber hinaus auch nach Krankheitsarten bestimmen. Die Richtgrößen leiten den Vertragsarzt bei seinen Entscheidungen über die Verordnung von Arzneimitteln nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot. Die Überschreitung des Richtgrößenvolumens löst eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 Abs. 5a SGB V unter den dort genannten Voraussetzungen aus. Für Heilmittel sind diese Regelungen unter Berücksichtigung der besonderen Versorgungs- und Abrechnungsbedingungen im Heilmittelbereich entsprechend anzuwenden (§ 85 Abs. 8 SGB V).
Nach § 106 Abs. 5 a Satz 3 SGB V hat der Vertragsarzt bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 v.H. nach Feststellung durch den Prüfungsausschuss den sich daraus ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Die Vertragspartner bestimmen in Vereinbarungen nach Abs. 3 die Maßstäbe zur Prüfung der Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten (§ 106 Abs. 5 a Satz 5 SGB V).
Auf dieser Grundlage haben die Vertragspartner mit Wirkung vom 01.01.2006 eine Vereinbarung über "Richtgrößen für Heilmittel und Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung bei Überschreiten der Richtgrößen" (RgV 2006) getroffen (Rhein. Ärzteblatt 1/2006, S. 95 ff.) und durch einen 1. Nachtrag vom 29.03.2006 (Rhein. Ärzteblatt 5/2006, S. 58 ff.) ergänzt. Auch für das Jahr 2007 haben sie eine entsprechende Vereinbarung (RgV 2007) getroffen (Rhein. Ärzteblatt 1/2007, S. 86 ff.). Nach Maßgabe dieser RgV 2006 und 2007 ist der angefochtene Bescheid nicht zu beanstanden.
Der Beklagte hat zunächst zutreffend die Heilmittel-Verordnungskosten des Klägers (2006: 221.320,15 EUR; 2007: 212.076,04 EUR) den Richtgrößensummen laut Quartalsbilanzen (2006: 70.303,83 EUR; 2007: 72.470,53 EUR) gegenübergestellt und hieraus Abweichungen der Richtgrößensummen von + 214,81 % (2006) und + 192,64 EUR (2007) errechnet.
Rechtsfehlerfrei hat der Beklagte sodann zugunsten des Klägers von den Heilmittel-Verordnungskosten entsprechend den Vorgaben des § 5 Abs. 2 RgV Maßnahmen nach den Symbolnummern 90969, 90973 und 90976 zu 100 % in Abzug gebracht (2006: 56.150,64 EUR; 2007: 49.205,88 EUR). Mit diesen Symbolnummern haben die Vertragspartner der RgV im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit in hinreichendem Maße die Soll-Bestimmung des § 84 Abs. 6 SGB V umgesetzt, die Richtgrößen auch nach Krankheitsarten zu bestimmen. Ebenfalls ohne Rechtsfehler hat der Beklagte weiterhin von der Vergleichsgruppe, nicht jedoch von dem Kläger selbst erbrachte physikalische Therapien (2006: 1.207,82 EUR; 2007: 2.998,45 EUR) abgezogen.
Soweit der Beklagte keine weiteren Praxisbesonderheiten nach § 5 Abs. 3 RgV anerkannt hat, begründet dies keine Rechtsfehler. Bei einer Richtgrößenprüfung kommt den Prüfgremien ein Beurteilungsspielraum zu, soweit es um die Feststellung und Bewertung von Praxisbesonderheiten geht (BSG, Urteil vom 02.11.2005 - B 6 KA 63/04 R -). Dieser unterliegt nur eingeschränkter richterlicher Kontrolle. Die gerichtliche Überprüfung beschränkt sich auf die Prüfung, ob das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrun- de liegt, ob die Verwaltung die Grenzen eingehalten hat, die sich bei Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "Wirtschaftlichkeit" ergeben, und ob sie ihre Subsumtionserwägungen so verdeutlicht und begründet hat, dass im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe nachvoll- ziehbar ist (st. Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 27.06.2007 - B 6 KA 27/06 R - ). Diesen Maßstäben hält der angefochtene Bescheid stand.
Praxisbesonderheiten im Sinne des § 5 Abs. 3 RgV sind - soweit objektivierbar - zu berücksichtigen, wenn der Arzt nachweist, dass er der Art und der Anzahl nach besondere von der Arztgruppentypik abweichende Erkrankungen behandelt hat und hierdurch notwendige Mehrkosten entstanden sind. Die Anerkennung als Praxisbesonderheit ist auf die Höhe der hierdurch bedingten Mehrkosten begrenzt. Die schlüssige Darlegung dieser Praxisbesonderheiten sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach obliegt dem zu prüfenden Arzt. Ergänzend bestimmt § 5 Abs. 4 RgV, dass der Arzt für die von ihm gesehenen Praxisbesonderheiten im Sinne des Abs. 3 darzulegen hat, aufgrund welcher besonderen, der Art und der Anzahl nach von der Typik in der Arztgruppe abweichenden Erkrankung er welche Heilmitteltherapien mit welchen (ggf. geschätzten) Mehrkosten je Behandlungsfall veranlasst hat.
Der Kläger hat vorgetragen, Erkrankungen mit den Diagnosen nach ICD-10 M54 (Rückenschmerzen), M99 (Biomechanische Funktionsstörung), M53 (Sonstige Krankheiten der Wirbelsäule und des Rückens), M77 (Sonstige Enthesiopathien), M25 (Sonstige Gelenkkrankheiten), M02-M15 (Polyarthrosen), G58 (Sonstige Mononeuropathien) und I89 (Störungen des Lymphsystems) seien in seiner Praxis gegenüber der Vergleichsgruppe überproportional häufig behandelt worden. Der Art nach handelt es sich bei diesen Erkrankungsbildern um solche, die für orthopädische Fachpraxen typisch sind. Dies ergibt sich aus der von der Beigeladenen zu 7) veröffentlichten Übersicht über die 100 häufigsten
ICD-10-Schlüssel.
Rang ICD-Code-Nr. ICD-Code Anteil in %
1 M54 Rückenschmerzen 36,4 2 M17 Gonarthrose [Arthrose des Kniegelenkes] 14,5 3 M47 Spondylose 13,7 4 M99 Biomechanische Funktionsstörungen, anderenorts nicht klassifiziert 13,7 5 M53 Sonstige Krankheiten der Wirbelsäule und des Rückens, anderenorts nicht klassifiziert 11,8 6 M75 Schulterläsionen 11,4 7 Q66 Angeborene Deformitäten der Füße 10,2 8 M51 Sonstige Bandscheibenschäden 10,2 9 M77 Sonstige Enthesopathien 9,8 10 M21 Sonstige erworbene Deformitäten der Extremitäten 9,7 11 M42 Osteochondrose der Wirbelsäule 9,4 12 M16 Koxarthrose [Arthrose des Hüftgelenkes] 8,9 13 M25 Sonstige Gelenkkrankheiten, anderenorts nicht klassifiziert 7,4
Diese Übersicht für das Quartal 1/2007 gilt repräsentativ auch für alle anderen streitbefangenen Quartale.
Die von dem Kläger als Praxisbesonderheit reklamierten Erkrankungen, welche die wesentlichen Heilmittel-Verordnungskosten verursacht haben, finden sich auf den vorderen Plätzen dieser Übersicht.
Zwar mag die Formulierung in § 5 Abs. 3 RgV: " wenn der Arzt der Art und Anzahl nach besondere von der Arztgruppentypik abweichende Erkrankungen be- handelt hat", nicht dahingehend restriktiv verstanden werden müssen, dass allein fachgruppenuntypische Erkrankungen berücksichtigungsfähig sind. Geht man davon aus, dass in den Richtgrößen (§ 84 Abs. 6 SGB V) auch das tat- sächliche durchschnittliche Verordnungsvolumen abgebildet ist, kann auch ein gegenüber der Fachgruppe überproportionaler Anteil fachgruppentypischer Er- krankungen mit entsprechendem Mehraufwand nicht von vornherein von der Berücksichtigungsfähigkeit als Praxisbesonderheit ausgeschlossen werden. Die betroffene Praxis muss sich insofern nach der Zusammensetzung ihrer Patienten und hinsichtlich der schwerpunktmäßig zu behandelnden Gesundheitsstörungen vom typischen Zuschnitt einer Praxis der Vergleichsgruppe unterscheiden, und diese Abweichung muss sich gerade auf die überdurchschnittlich häufig erbrachten Leistungen auswirken (vgl. BSG, Urteil vom 23.02.2005 - B 6 KA 79/03 R -). Dabei sind Praxisbesonderheiten nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 3 RgV aber auf die "hierdurch notwendigen Mehrkosten" zu begrenzen. "Notwendig" bedeutet, dass der Arzt bei der Entscheidung über die Auswahl der Heilmittel auch therapeutische Alternativen in Betracht ziehen muss, soweit solche zur Verfügung stehen und wirtschaftlicher sind (vgl. BSG, Beschluss vom 31.05.2006 - B 6 KA 68/05 B - zu Arzneimitteltherapien). Dies bringt Ziffer 13 der Heilmittel-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (Grundsätze der Heilmittel-Verordnung) deutlich zum Ausdruck. Danach soll der Vertragsarzt vor jeder Verordnung von Heilmitteln prüfen, ob entsprechend dem Gebot der Wirtschaftlichkeit das angestrebte Behandlungsziel auch durch eigenverantwortliche Maßnahmen des Patienten (z.B. nach Erlernen eines Eigenübungsprogramms, durch allgemeine sportliche Betätigung oder Änderung der Lebensführung), durch eine Hilfsmittelversorgung oder durch Verordnung eines Arzneimittels unter Abwägung der jeweiligen Therapierisiken qualitativ gleichwertig und kostengünstiger erreicht werden kann. Dann haben diese Maßnahmen Vorrang gegenüber einer Heilmittelverordnung.
Vor diesem Hintergrund genügt der Vortrag des Klägers im Verwaltungsverfahren den Darlegungsanforderungen des § 5 Abs. 4 Satz 3 RgV nicht. Im Wesentlichen erschöpft sich seine Argumentation in einer Wiedergabe der Häufigkeit verschiedener Diagnosen in seiner Praxis gegenüber der Vergleichsgruppe, der Fallzahlen im Verhältnis zur Fachgruppe, der Anzahl der Arzt-/Patientenkontak- te, der Anzahl der Quartale und Patienten mit physiotherapeutischen Verordnungen, der Unterschreitungen der Arzneimittel-Richtgrößen sowie der Anzahl der TENS-Verordnungen. Mit diesen zahlenmäßigen Angaben ist inhaltlich aber keine schlüssige Aussage über die Notwendigkeit der Heilmitteltherapien getroffen und weshalb wirtschaftlichere Behandlungsalternativen im Sinne der Ziffer 13 der Heilmittel-Richtlinien nicht in Betracht gekommen sind. Die bloße Darlegung der Überschreitungswerte hilft insofern nicht weiter, denn diese Überschreitungen können eben gerade Ausdruck der Unwirtschaftlichkeit sein. Dies zeigt sich namentlich an dem Vortrag des Klägers, er habe einen Anteil von Langzeitpatienten seit 1990, die physiotherapeutische Verordnungen erhalten hätten, von etwa 50 % und zudem etwa 50 % Fälle mit 13 bis 56 Arzt-/Patientenkontakten pro Jahr. In der Krankengymnastik (Bewegungstherapie, Physiotherapie) geht es vor allem darum, falsche Bewegungsmuster zu reduzieren oder abzuwenden, weshalb Übungen wie Strecken, Anspannen, Entspannen, rückenschonende Bewegungsabläufe u.a. zur Krankengymnastik gehören. Diese Therapie ist aber nur der erste Schritt in Richtung einer Besserung und Linderung. Wichtig für einen dauerhaften Therapieerfolg sind vor allem Eigeninitiative und tägliches aktives Wiederholen der erlernten Übungen. Die fortwährende Langzeitverordnung von Krankengymnastik, die nach Angaben des Klägers mit etwa 64 % den weitaus überwiegenden Teil der Heilmittel-Verordnungen ausgemacht hat, in einer Vielzahl von Arzt-/Patientenkontakten ist aber kein Indiz für eine wirtschaftliche Verordnungsweise und für einen "notwendigen" Mehraufwand gegenüber der Vergleichsgruppe. Einer schlüssigen Darlegung der Praxisbesonderheiten sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach, die dem zu prüfenden Arzt gemäß § 5 Abs. 3 Satz 3 RgV - grundsätzlich im Verwaltungsverfahren (LSG NRW, Urteil vom 24.11.2010 - L 11 KA 4/09 -) - obliegt, ist damit nicht genügt. Von daher durfte der Beklagte rechtsfehlerfrei annehmen, die Behandlung von Patienten mit Erkrankungen des Rückens und der Weichteile in einer orthopädischen Praxis sei fachgruppentypisch und die Diagnose- häufigkeit stelle allein keine Besonderheit dar. Ob und inwieweit der Vortrag des Klägers zutrifft, die im Klageverfahren vorgelegte Datengrundlage sei fehlerhaft, ist deshalb rechtlich unerheblich.
Ohne Rechtsfehler hat der Beklagte auch die unterdurchschnittlichen Scheinzahlen nicht zum Anlass einer Korrektur seiner Ergebnisse genommen. Die Richtgrößensummen bemessen sich aus dem Produkt der Fallzahlen und der Richtgrößen für Allgemeinversicherte/Rentner. Dabei haben die Vertragspartner für die Fachgruppe der Orthopäden (44-46) die höchsten Richtgrößen aller Arztgruppen vereinbart (2006: AV 26,92 EUR, RV 26,57 EUR; 2007: AV 25,19 EUR, RV 25,61 EUR). Selbst wenn die Vereinbarung über die Höhe der Richtgrößen (auch) von Durchschnittsfallzahlen orthopädischer Praxen mit gewissen Verdünnungseffekten geleitet gewesen sein sollte, bestand vorliegend keine rechtliche Verpflichtung für den Beklagten, die Regresssummen aufgrund der etwa halb so großen Fallzahlen des Klägers bei fachgruppentypischen Erkrankungen zu reduzieren. Eine Berücksichtigung als Praxisbesonderheit wäre allenfalls dann angezeigt gewesen, wenn der Kläger bei geringer Fallzahl unverhältnismäßig viele besonders schwere bzw. besonders heilmittelaufwändige Fälle gehabt hätte (vgl. die Ausgangsentscheidung zu BSG, Beschluss vom 31.05.2006 - B 6 KA 44/05 B -). Für eine solche Annahme brauchten die Darlegungen des Klägers dem Beklagten aber keinen Anhalt zu geben.
Die unterschiedlichen Heilmittelkosten für Rentner werden dem Grunde nach bereits bei der Höhe der Richtgrößen abgebildet. Damit haben die Vertragspart- ner der RgV im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit in hinreichendem Maße die weitere Soll-Bestimmung des § 84 Abs. 6 SGB V umgesetzt, die Richtgrößen auch nach altersgemäß gegliederten Patientengruppen zu bestimmen. Die im Rah- men der Betreuung der Altenheimpatienten angefallenen Heilmittel-Verordnungskosten sind damit ausreichend erfasst. Soweit der Kläger auf eine Multi- morbidität seiner Altenheimpatienten verweist, erfüllt sein Vortrag ebenfalls nicht die Darlegungsanforderungen des § 5 Abs. 3, 4 RgV.
Der Beklagte hat schließlich auch die Patientenzuzahlungen durch Ansatz der günstigsten Nettokostenindizes (2006: 84,80 %; 2007: 84,65 %) berücksichtigt (vgl. dazu BSG, Urteil vom 29.01.1997 - 6 RKa 5/96 -), so dass sich der Bescheid insgesamt als rechtmäßig erweist.
Der Rechtmäßigkeit des Bescheides steht schließlich nicht die zum 01.01.2011 in Kraft getretene Vorschrift des § 106 Abs. 5c Satz 7 SGB V entgegen. Danach setzt die Prüfungsstelle für Ärzte, die erstmals das Richtgrößenvolumen um mehr als 25 % überschreiten, für die Erstattung der Mehrkosten einen Betrag von insgesamt nicht mehr als 25.000,- EUR für die ersten beiden Jahre einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens fest. Tatbestandlich erfüllt der Kläger zwar diese Voraussetzungen. Jedoch ist die Bestimmung auf das laufende Verfahren nicht anwendbar.
Da das SGB V keine ausdrückliche Übergangsregelung enthält, bestimmt sich der zeitliche Anwendungsbereich der Regelung nach den allgemeinen für das intertemporale Sozialrecht geltenden Grundsätzen. Danach ist ein Rechtssatz grundsätzlich nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die nach seinem Inkrafttreten verwirklicht werden. Dementsprechend hat das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass sich die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse nach dem Recht beurteilen, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat, soweit nicht später in Kraft getretenes Recht etwas anderes bestimmt (z.B. Urteile vom 22.06.2010 - B 1 KR 29/09 R -; vom 27.08.2008 - B 11 AL 11/07 R - jeweils m.w.N.; vgl. auch Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 3/09 R -). Ein in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gekommener Wille des Gesetzgebers, § 106 Abs. 5c Satz 7 SGB V auch auf vor dem Inkrafttreten der Vorschrift liegende Regressfälle zu erstrecken, ist nicht ersichtlich. In dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) (BR-Drucks. 484/10 (neu) S. 45) heißt es in der Begründung zu Nr. 14 (§ 106):
"Die Ärzte, die erstmalig einen sich aus der Überschreitung des Richtgrößenvolumens ergebenden Mehraufwand zu erstatten haben, zahlen in den ersten beiden Jahren einer Überschreitung nicht die festgestellten Mehrkosten zurück, sondern lediglich einen pauschalen Betrag. Die Prüfungsstelle setzt erstmals im dritten Jahr den zu erstattenden Mehraufwand nach Absatz 5a fest. Die Regelung ist sachgerecht, weil damit insbesondere Ärzte, die ihre Tätigkeit in der vertragsärztlichen Versorgung aufnehmen oder die neue Versorgungsaufgaben übernehmen, mehr Zeit erhalten, sich auf die spezifischen Anforderungen des Fünften Buches Sozialgesetzbuch an die Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Verordnungen einzustellen. Ein Grenzwert in Höhe höchstens von 25.000 Euro entspricht rd. 80 % der durchschnittlich festgestellten Erstattungssumme pro Regressbescheid der Prüfungsstellen im Jahr 2007 und ist damit als Anreiz ausreichend, unwirtschaftliche Verordnungen zu vermeiden. Jedoch werden damit zugleich sehr hohe Erstattungsbeträge in den ersten zwei Jahren vermieden."
Der Entwurf dieser neuen gesetzlichen Bestimmung ist nebst ihrer Begründung im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens nicht in Frage gestellt wor- den. Erkennbar ist, dass der Gesetzgeber Erfahrungen aus der Vergangenheit ausgewertet und in Abwägung der unterschiedlichen Interessen eine ausgleichende Regelung hat schaffen wollen, um zukünftig einerseits Härten aufseiten betroffener Vertragsärzte abzumildern, andererseits die Ansprüche der Krankenkassen auf Erstattung des unwirtschaftlichen Mehraufwandes noch hinrei- chend zu sichern. Für eine rückwirkende Anwendung geben die Gesetzesmaterialien dabei keinen Anhalt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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