S 52 R 1683/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
52
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 52 R 1683/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. und 2. 3. Der Streitwert wird endgültig auf 2.775,88 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Nachforderung zur Sozialversicherung in Höhe von 2.775,88 EUR.

Die Klägerin ist ein Handelsunternehmen, das Verpackungsmaterialien für Geschenkverpackungen anbietet. Ihre Kunden sind z.T. Wiederverkäufer, z.T. verwenden sie das Material für Bewerbung und Präsentation eigener Produkte, etwa spezielles Geschenkpapier mit dem jeweiligen Firmenlogo. Für den Vertrieb ihrer Produkte unterhielt die Klägerin zunächst Beziehungen zu Handelsvertretern. Seit 2006 organisiert die Klägerin den Vertrieb mit eigenen Außendienstmitarbeitern, die durch telefonische und persönliche Kontakte Kunden akquirieren.

Die Beigeladene zu 1. wurde zum 1. Juli 2006 bei der Klägerin als Reisende eingestellt. Laut ihrem Arbeitsvertrag erhielt sie ein monatliches Grundgehalt in Höhe von 1.850,- EUR sowie eine Provision von 4% aus den direkten und indirekten Aufträgen des Kundeskreises, zumindest aber eine monatliche Mindestprovision in Höhe von 1.000,- EUR. Wegen der weiteren Einzelheiten des Arbeitsvertrages wird auf Bl. 38 - 40 der Rentenakte Bezug genommen. In der Erwartung hoher zu erwirtschaftender Provisionen wurde die Beigeladene zu 1. in der Kranken- und Pflegeversicherung beitragsfrei belassen. Nachdem die Beigeladene zu 1. im Jahre 2006 nicht die erwarteten Provisionen erwirtschaftete, meldete die Klägerin die Beigeladene zu 1. zum 1. Januar 2007 zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung an.

Am 25. Februar 2009 führte die Beklagte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung durch. Der Prüfzeitraum erstreckte sich vom 1. November 2005 bis 31. Dezember 2008.

Mit Schreiben vom 6. März 2009 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Kranken- und Pflegeversicherung betreffend die Beigeladene zu 1. in der Zeit vom 1. Juli 2006 bis 31. Dezember 2006 in Höhe von 2.775,88 EUR an. Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, dass die Beigeladene zu 1. im streitigen Zeitraum der Versicherungspflicht unterlegen habe. Ausgehend vom tatsächlichen Bruttogehalt von 2.850,- EUR, dem vergleichbaren Gehalt anderer Mitarbeiter der Klägerin sowie die Tatsache, dass eine lediglich erhoffte hohe Provision in der Zukunft keine Grundlage für eine gewissenhafte Schätzung sei, habe hier Versicherungspflicht bestanden.

Mit Schreiben vom 8. April 2009 ließ sich die Klägerin dahingehend ein, dass selbst bei einem schlechten Verlauf davon auszugehen gewesen wäre, dass die Beigeladene zu 1. die Jahresarbeitsentgeltgrenze erreichen würde. Sie stellte dazu eigene Berechnungen auf und verwies auf Großkunden, die von der Beigeladenen zu 1. betreut worden seien. Im Übrigen habe die Beigeladene zu 1. die Jahresarbeitsentgeltgrenze nur um 2.759,92 EUR unterschritten.

Mit Bescheid vom 23. April 2009 forderte die Beklagte von der Klägerin den Betrag von 2.775,88 EUR nach.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 26. Mai 2009 Widerspruch ein. Wegen der Einzelheiten des Widerspruchs wird auf Bl. 22 ff. der Rentenakte Bezug genommen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 2010 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung der Begründung des Ausgangsbescheides zurück.

Die Klägerin hat am 15. Juli 2010 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren. Ergänzend trägt sie vor: Mitte 2006 habe sie noch keine Erfahrungen mit den Außendienstmitarbeitern gehabt über zu erwartende Umsätze. Die Erfahrungen mit den Handelsvertretern seien nicht aussagekräftig gewesen, weil diese dem Vertrieb der Klägerin nicht in Vollzeit zur Verfügung gestanden hätten. Alle Umsätze würden verprovisioniert, gleichgültig, ob der Kunde neu akquiriert werde oder bereits in den Vorjahren Bestellungen erteilt habe. Ein Großteil der Provisionen könne allein über Bestellungen bestehender Kunden gesichert werden. Zusammen mit der Beigeladenen zu 1. habe die Klägerin zwei weitere Reisende eingestellt. Die Beigeladene zu 1. hätte bei ihrem früheren Arbeitgeber Umsätze zwischen 800.000 EUR und 1 Millionen EUR jährlich gehabt. Die Beigeladene zu 1. sei seit dem 1. Juni 2000 privat krankenversichert gewesen; man sei davon ausgegangen, dass dies auch weiterhin der Fall sei. Aufgrund einer gewissenhaften Prognose sei die Klägerin zu der Einschätzung gelangt, dass die Beigeladene zu 1. die besondere Jahresarbeitsentgeltgrenze durch die zu erwirtschaftenden Provisionen überschreiten würde. Der ehemalige Arbeitgeber der Beigeladenen zu 1. sei in Schieflage geraten; die Beigeladene zu 1. sei davon ausgegangen, dass sie Kunden zum neuen Arbeitgeber mitnehmen könne, insbesondere die N als Großkunden. Es sei kein Geschehensablauf überwiegend wahrscheinlich gewesen, dass die Entgeltgrenze unterschritten würde, zumal die Beigeladene zu 1. in der ersten Jahreshälfte bei ihrem alten Arbeitgeber bereits 22.890,08 EUR brutto verdient habe. Es hätten also nur noch 19.859,92 EUR gefehlt, um die besondere Entgeltgrenze auch im Jahre 2006 zu erreichen. Das verbindliche Festgehalt für diesen Zeitraum habe bereits 11.100,- EUR (6 x 1.850,- EUR) betragen. Es sei noch ein Restbetrag von 8.759,92 EUR verblieben, der mit Provisionen zu erwirtschaften gewesen wäre. Mit der Mindestprovision von 6.000,- EUR bezogen auf 6 Monate hätte sie diese Summe zwar nicht erreichen können, aber mit der Provision von 4% bezogen auf den Umsatz. Es sei sehr wahrscheinlich gewesen, dass die Klägerin Umsätze in Höhe von mindestens 218.998 EUR hätte erreichen können. Der für das der Mitarbeiterin zugewiesene Gebiet vormals zuständige Handelsvertreter hätte im Jahre 2005 einen Umsatz von 200.000 EUR erzielt. In dieser Größenordnung hätten auch die Umsätze vorangegangener Jahre gelegen. Ausgehend davon, dass neu hinzugewonnene Kunden in ähnlicher Höhe Bestellungen hätten abgegeben, wäre die Grenze erreicht worden. Zudem habe die Beigeladene zu 1. - anders als die Handelsvertreter - in Vollzeit für die Klägerin gearbeitet. Die zeitgleich abzugebenden Prognosen für die beiden anderen Mitarbeiter hätten sich bestätigt. Der Mitarbeiter L1 W habe im zweiten Halbjahr 2006 Umsätze in Höhe von 287.000 EUR erzielt, im Jahr 2007 dann insgesamt 508.000 EUR. Der zeitgleich weiter eingestellte Mitarbeiter I L2 habe Umsätze in Höhe von 224.905,93 EUR erzielt. Leider sei die Entwicklung bei der Beigeladenen zu 1. nicht gleichermaßen positiv verlaufen. Die Klägerin hält es nach ihren Ausführungen in der mündlichen Verhandlung auch für ungerecht, dass sie die Beiträge nun doppelt zahlen soll – einmal bereits gezahlt an die private Kranken- und Pflegeversicherung der Beigeladenen zu 1., jetzt ein weiteres Mal an die gesetzliche Sozialversicherung.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 23. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 2010 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich zur Begründung ihres klageabweisenden Antrags auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Ergänzend trägt sie im Wesentlichen vor: Die Verwirklichung von Provisionsansprüchen in der hier erforderlichen Höhe sei nicht mit hinreichender Sicherheit zu erwarten gewesen. Ein Arbeitnehmer könne sich eben nicht darauf verlassen, dass er die Provisionen auch tatsächlich erhalte. Er wisse bei seiner Einstellung, dass er ausschließlich das festvereinbarte Arbeitsentgelt erwarten könne.

Die Beigeladenen zu 1. und 2. haben keinen Antrag gestellt.

Der Beigeladene zu 1. hat auf Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, dass sie immer noch gesetzlich versichert sei, da sie auch in den Folgejahren 2007 bis 2010 nicht durch ihren Verdienst die Jahresarbeitsentgeltgrenze erreicht habe.

Der Beigeladene zu 2. hat sich schriftsätzlich dem Vorbringen der Beklagten angeschlossen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg.

Die als Anfechtungsklage zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 23. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 2010 ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht im Sin¬ne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Kammer nimmt gemäß § 136 Abs. 3 SGG zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen zunächst Bezug auf die Ausführungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden, denen die Kammer uneingeschränkt folgt.

Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung lagen vor. Die Beigeladene zu 1. war im fraglichen Zeitraum versicherungspflichtig sowohl zur gesetzlichen Krankenversicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V) als auch zur gesetzlichen Pflegeversicherung (§ 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI).

Erfüllt jemand, der unter den persönlichen und räumlichen Geltungsbereich des SGB fällt einen der Tatbestände des § 5 Abs. 1 SGB V ist er versicherungspflichtig, sofern keine Ausnahme wie z.B. Versicherungsfreiheit, Befreiung auf Antrag, vorrangiger Tatbestand der Versicherungspflicht etc. eingreift. Es handelt sich um eine Versicherungspflicht kraft Gesetzes, die immer - aber nur dann eintritt, wenn und solange der Tatbestand erfüllt ist. Sie ist unabdingbar (vgl. Peters in Kasseler Kommentar § 5 SGB V Anm. 206).

Unstreitig lag das Einkommen der Beigeladenen zu 1. aufgrund ihres Arbeitgeberwechsels zur Klägerin im Juli 2006 unter der Jahresarbeitsentgeltgrenze. Zu Recht hat die Beklagte festgestellt, dass damit kraft Gesetzes Versicherungspflicht ab Juli 2006 entstanden ist (§ 6 Abs. 1 Ziffer 1 SGB V). Gleichzeitig bestand aber weiterhin die private Krankenversicherung, da der Beigeladenen zu 1. und der Klägerin nicht bewusst war, dass sie die Voraussetzungen für die Versicherungsfreiheit nicht mehr erfüllt.

In Anlehnung an die Rechtsprechung des Bayrischen Landessozialgerichts (vgl. nur Urteil vom 29. April 2008 - L 5 KR 14/07 -) vertritt die Kammer die Auffassung, dass den gesetzlichen Regelungen zu entnehmen ist, dass trotz der Existenz von zwei unterschiedlichen Krankenversicherungssystemen sowohl vermieden werden soll, dass eine Lücke im Versicherungsschutz entsteht, als auch die Doppelversicherung unerwünscht ist. In der früher geltenden Fassung bestimmte § 5 Abs. 9 SGB V, dass "wer versicherungspflichtig wird und bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert ist, dann den Versicherungsvertrag mit Wirkung vom Eintritt der Versicherungspflicht an kündigen kann." Dies hatte aber nicht zur Folge, dass unabhängig vom Weiterbestehen der privaten Versicherung nicht Beitragspflicht in der gesetzlichen Versicherung eintritt. Das Gesetz bot keine Grundlage dafür, dass erst nach Auflösung der privaten Versicherung Beitragspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung eintritt. Vielmehr tritt mit dem Unterschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze die Beitrags- und Versicherungspflicht ein und zwar nicht erst mit Ablauf des Kalenderjahres, wenn die Jahresarbeitsentgeltgrenze Grenze aufgrund einer Änderung des Beschäftigungsverhältnisses unterschritten wird. Dies muss im Falle der Beigeladenen zu 1. besonders deshalb gelten, weil aufgrund ihres neuen Arbeitsvertrages bei der Klägerin nach Auffassung der Kammer auch bei einer vorausschauenden Bewertung, sog. Prognoseentscheidung, deutlich war, dass sie im Jahre 2006 nicht mit hinreichender Sicherheit die Jahresarbeitsentgeltgrenzegrenze überschreiten wird.

Da die Beigeladene zu 1. bereits vor dem 31. Dezember 2002 zwei Jahre privat krankenversichert war, galt für sie die besondere Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs. 7 SGB V, die im Jahre 2006 bei 42.750,- EUR betrug.

Grundsätzlich setzt die Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V voraus, dass ein regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt erzielt wird, welches die Jahresarbeitsentgeltgrenze auch tatsächlich übersteigt. Dies folgt schon aus dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V und § 6 Abs. 4 SGB V. Bei rückschauender Betrachtungsweise überstieg das Jahresarbeitsentgelt der Beigeladenen zu 1. im Jahre 2006 unstreitig die für sie geltende besondere Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht; sie verfehlte diese um 2564,- EUR. Auch in den Folgejahren lag das Jahreseinkommen der Beigeladenen zu 1. unter der jeweils geltenden Jahresarbeitsentgeltgrenze.

Die Entscheidung über die Versicherungspflicht ist aber zwangsläufig vor dem Versicherungszeitraum zu treffen. Deshalb wohnt ihr ein prognostisches Element inne. Insbesondere bei Einkommensveränderungen ist deshalb maßgeblich, ob die Jahresarbeitsentgeltgrenze zukünftig überschritten wird (sog. vorausschauende Betrachtungsweise).

Zum insoweit berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelt gehört das Arbeitsentgelt aus einer laufenden Beschäftigung. Auch Einmalzahlungen gehören danach zum Arbeitsentgelt einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, so dass diese zum Überschreiten der Grenze führen können. Nicht berücksichtigungsfähige Entgelte sind hingegen Bezüge, die dem zu beurteilenden Beschäftigungsverhältnis noch nicht oder nicht mehr zuzurechnen sind und daher kein Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 SGB IV sind (so Peters in Kasseler Kommentar zu § 6 SGB V, Rn. 15 und 16).

Das Überschreiten der Jahresarbeitsentgrenze muss dabei mit "regelmäßigem" Jahresarbeitsentgelt erfolgt sein. Nach der Rechtsprechung für die im Jahre 2006 geltende Fassung des § 6 SGB V - die hier maßgeblich ist -, ist regelmäßig das Arbeitsentgelt, auf das jemand im Laufe des auf den Beurteilungszeitpunkt folgenden Jahres einen Anspruch hatte oder das ihm sonst mit hinreichender Sicherheit zufließen würde; bei schwankenden Bezügen ist zu schätzen (BSGE 18, 49; BSG SozR Nr. 65 zu § 165 RVO; vgl. auch Peters in Kasseler Kommentar zu § 6 SGB V Rn. 17 m.w.N.). Dabei können auch Erfahrungswerte aus der Vergangenheit herangezogen werden. Die mit hinreichender Sicherheit zu erwartenden Veränderungen beim Arbeitsentgelt sind dabei zu berücksichtigen.

Für den vorliegenden Fall bedeutet das Folgendes:

Die Beigeladene zu 1. hat im Juli 2006 einen Arbeitgeberwechsel vorgenommen, so dass Erfahrungswerte aus der Vergangenheit zunächst für sie bei der Klägerin naturgemäß nicht vorlagen. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann auch nicht auf die zuvor erzielten Einkünfte und Provisionen der Beigeladenen zu 1. beim alten Arbeitgeber abgestellt werden. Bei einem Unternehmenswechsel ist stets nur auf das jeweilige konkrete Unternehmen abzustellen, bei dem der jeweilige Arbeitnehmer aktuell beschäftigt ist, da die Konditionen und Umstände beim alten Arbeitgebers naturgemäß immer andere waren (z.B. anderer Unternehmensgegenstand, anderer Arbeitsvertrag, anderes Vertriebsgebiet und andere Kunden). Für die neu eingestellten Reisenden – zusammen mit der Beigeladenen zu 1. insgesamt drei Personen – lagen bei der Klägerin keine Erfahrungswerte vor, da sie zuvor das Vertriebsgeschäft durch Handelsvertreter organisiert hatte. Der für das Gebiet der Beigeladenen zu 1. früher zuständige Handelsvertreter hatte aber im gesamten Vorjahr 2005 "nur" einen Umsatz von 200.000,- EUR erwirtschaftet. Unstreitig ist aber zwischen den Beteiligten, dass ein Umsatz von 218.998,- EUR von der Beigeladenen zu 1. innerhalb eines nur halben Jahres hätte erzielt werden müssen – also ein Betrag, der auch zuvor von dem früher zuständigen Handelsvertreter nicht einmal in einem gesamten Kalenderjahr erzielt wurde. Die Klägerin hatte die unbegründete Hoffnung, dass die Beigeladene zu 1. genügend alte Kunden ihres früheren Arbeitgebers, z.B. die N, mitbringen würde. Diese Hoffnung hat sich aber nicht erfüllt. Es ist aber nur eine Hoffnung, dass Vertriebler Kunden zum neuen Arbeitgeber mitbringen; dies kann aber niemals hinreichend sicher vorausgesagt werden. Darauf konnte und durfte die Klägerin bei ihrer Prognose ersichtlich nicht abstellen. Etwas kann nur dann gelten, wenn bereits vor dem Arbeitgeberwechsel der neue Kunde für den neuen Arbeitgeber angeworben gewesen wäre und verbindliche Verträge diesbezüglich bestanden hätten. Dies war hier aber nicht der Fall.

Bereits aus der Entgeltvereinbarung zwischen der Klägerin und der Beklagten zu Beginn der Beschäftigung folgt, dass die Beigeladene zu 1. mit dem vereinbarten Festgehalt in Höhe von 1.850 EUR monatlich sowie der Mindestprovision von 1.000,- EUR monatlich die besondere Jahresarbeitsentgeltgrenze des Jahres 2006 nicht erreichen konnte. Denn sie konnte damit – wenn es schlecht läuft ( - was sich ja hier auch im Nachhinein bestätigt hat -) – nur ein Jahresarbeitsentgelt von 39.990,08 EUR (22.890,08 EUR (Gehalt früherer Arbeitgeber) + 11.100 EUR (Festgehalt) + 6.000,- EUR (Mindestprovision) erzielen und damit ein Einkommen deutlich unterhalb der geltenden besonderen Jahresarbeitsentgeltgrenze von 42.750 EUR. Soweit sich die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf beruft, dass sie nur eine Mindestprovision von 1.000,- EUR monatlich gezahlt habe, um die Reisenden zu motivieren, mehr Provisionen zu erwirtschaften, vermochten diese Ausführungen die Kammer nicht zu überzeugen. Es wäre für die Klägerin, deren Geschäftsführer in der mündlichen Verhandlung ebenfalls ausgeführt hatte, dass er es für sehr wahrscheinlich gehalten habe, dass die Beigeladene zu 1. die erforderlichen Provisionen zum Überschreiten der besonderen Jahresarbeitsentgeltgrenze erreichen würde, ein Leichtes gewesen, gleich zu Beginn der Beschäftigung der Beigeladenen zu 1. eine angemessene Mindestprovision in ausreichender Höhe zu vereinbaren, damit auch mit hinreichender Sicherheit die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschritten wird. Das Vorbringen der Klägerin hielt die Kammer dementsprechend auch für widersprüchlich. Wenn man sich einerseits sicher ist, dass eine ausreichend hohe Provision erwirtschaftet wird, kann unproblematisch auch von Anfang an eine ausreichend hohe Mindestprovision vereinbart werden. Die Klägerin ist aber sogar offensichtlich entgegen den monatlich erfolgten Einwänden ihres (früheren) Steuerberaters bei ihrer Fehleinschätzung geblieben.

Auch der Einwand der Klägerin, bei den zeitgleich angestellten zwei anderen Reisenden habe sich die Prognose bestätigt, ist nach Auffassung der Kammer zur Beurteilung des konkreten Falles irrelevant. Insofern wird zunächst Bezug genommen auf die Entscheidung des LSG Schleswig-Holstein vom 14. März 2007 – L 5 KR 54/06 -. Die Kammer hat insoweit auch Zweifel, ob die Prognose für die anderen beiden neu eingestellten Reisenden im Jahre 2006 zutreffend war; dies war hier aber nicht zu entscheiden. Die anderen Reisenden hatten jedenfalls andere Verkaufsgebiete als die Beigeladene zu 1. und waren daher schon dem Grunde nach nicht mit dieser zu vergleichen. Zudem handelt es sich um verschiedene Persönlichkeiten. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der eine Reisende bei den Kunden besser "ankommt" als ein anderer Reisender. Auch die Gesundheitszustände der jeweiligen Reisenden können unterschiedlich sein. Wäre die Beigeladene zu 1. (oder einer der anderer Reisenden) für längere Zeit krank geworden, so hätte diese mit Sicherheit nicht die besondere Jahresarbeitsentgeltgrenze des Jahres 2006 erreichen können. Auch diesen Umstand hat die Klägerin bei ihrer Prognoseentscheidung unberücksichtigt gelassen. In diesem Zusammenhang darf ebenfalls nicht unberücksichtigt gelassen werden, dass die in § 6 SGB V geregelte Versicherungsfreiheit die Ausnahme von der grundsätzlich bestehenden Versicherungspflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ist mit der Folge, dass bloße Erwartungen besserer Einkünfte ohne die genannte hinreichende Sicherheit für eine Versicherungsfreiheit nicht ausreicht.

Die Beklagte ist daher zu Recht von der Versicherungspflicht ab 1. Juli 2006 und der damit ab diesem Zeitpunkt verbundenen Beitragspflicht ausgegangen.

Dass die Klägerin die durch die Versicherungspflicht fällig gewordenen Beiträge an die Beklagte zu leisten hat, verstößt nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), denn die Klägerin hatte die Pflicht, den Sozialversicherungsstatus ihrer Arbeitnehmerin zu prüfen oder eine Entscheidung der Einzugsstelle herbeizuführen. Dieser Verpflichtung ist die Klägerin nicht nachgekommen. Die Klägerin beruft sich hier nicht auf ein Fehlverhalten ihres (früheren) Steuerberaters; sie müsste sich jedenfalls ohnehin ein etwaiges Verschulden des Steuerberaters entsprechend §§ 166, 278 BGB zurechnen lassen. Grundsätzlich ist von einem Steuerberater, der die Lohnbuchhaltung einer Firma übernimmt, zu erwarten, dass er auch den versicherungsrechtlichen Status der Angestellten der Firma richtig einordnet. Dabei hat der Steuerberater für seinen Mandanten grundsätzlich den wirtschaftlich sinnvollsten, aber rechtlich sichersten Weg zu wählen (vgl. nur BGH, Urteil vom 12. Februar 2004 - IX ZR 246/02 - unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung); er muss dabei auch prüfen und erkennen, ob ggf. ein Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht beim zuständigen Sozial-versicherungsträger sinnvoll ist (vgl. zum Problemkreis der Haftung des Steuerberaters Palandt, 67. Auflage, § 280 BGB Rn. 76 ff.). Hier hat der Geschäftsführer der Klägerin in der mündlichen Verhandlung sich aber dahingehend eingelassen, dass der (frühere) Steuerberater jeden Monat Warnungen ausgesprochen habe, dass die Beigeladene zu 1. mit den jeweils monatlich erzielten Provisionen die Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht erreichen werde. Der Geschäftsführer der Klägerin hat aber entgegen den Warnungen seines Steuerberaters auf ein gut laufendes Weihnachtsgeschäft gesetzt und deswegen fehlerhaft nichts weiter unternommen. Für die Kammer zeigt dieses Verhalten des Geschäftsführers auch, dass er seine Fähigkeiten zur Einordnung der rechtlichen Situation dieses Falles überschätzt hat.

Weiterhin kommt es nach dem System der Solidargemeinschaft nicht darauf an, ob der Versicherte für diese Beiträge tatsächlich auch Leistungen erhalten hat oder erhalten konnte.

Soweit sich die Klägerin auf eine Störung des Äquivalenzprinzips beruft, folgt die Kammer der Rechtsprechung des LSG NRW vom 2. Februar 2010 - L 2 R 4/10 ER - und einer Entscheidung des LSG NRW vom 31. März 2004 - L 16 B 17/04 KR ER -. Das LSG NRW hat in seiner Entscheidung vom 31. März 2004 u.a. Folgendes festgestellt: " Wenn Letzterer (gemeint war der Arbeitgeber – Anm. des Gerichts) aufgrund der von ihm zu vertretenden Fehleinschätzung des Versicherungsstatus der Solidargemeinschaft Beitragsmittel vorenthält, ist seine Inanspruchnahme grundsätzlich ungeachtet des Umstandes gerechtfertigt, dass die öffentlich-rechtlichen Sozialversicherungsträger ein konkretes Versicherungsrisiko nicht getragen haben. Dies folgt zum einen daraus, dass ohnehin nicht feststeht, dass der Versicherte Versicherungsschutz in Anspruch genommen hätte, und zum anderen könnte bei gegenteiliger Auffassung die Beitragspflicht ohne Weiteres unterlaufen werden, wenn das Risiko der ordnungsgemäßen Beurteilung des Versicherungsstatus der Solidargemeinschaft aufgebürdet würde."

Ob es nach dem VVG möglich ist und war, zum heutigen Zeitpunkt noch das private Versicherungsverhältnis rückabzuwickeln ist, in der Rechtsprechung in der Vergangenheit unterschiedlich entschieden worden, wäre aber vom Versicherten zivilrechtlich zu verfolgen und kann daher vorliegend keine Berücksichtigung finden (so Bayrisches LSG, Urteil vom 29. April 2008 - L 5 KR 14/07 -).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 197a SGG, 154 VwGO.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 193, 197a SGG, § 154 Abs. 3 VwGO. Die Beklagte hat nicht die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. zu 2. zu tragen, da diese keinen Antrag gestellt haben und damit kein Kostenrisiko eingegangen sind. Die Beigeladenen tragen dementsprechend ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1, 3 Gerichtskostengesetz (GKG) auf den im Tenor ersichtlichen Betrag festgesetzt und entspricht der Höhe der strittigen Klageforderung.
Rechtskraft
Aus
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