S 31 (9) KR 131/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
31
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 31 (9) KR 131/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.385,27 Euro zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Erstattungsforderung i.H.v. 1.385,27 Euro und die Frage, ob die Ausschlussfrist des § 111 SGB X (Zehntes Buch Sozialgesetzbuch) auch für den Erstattungsanspruch nach § 264 Abs. 7 SGB V (Fünftes Buch Sozialgesetzbuch) gilt.

Mit Schreiben vom 29.04.2009 machte die Klägerin der Beklagten gegenüber die Erstattung von Leistungsaufwendungen gem. § 264 SGB V in der Abrechnung für das I. Quartal 2009 geltend. Darunter fanden sich u.a. folgende Rechnungsposten, in denen jeweils eine Verwaltungspauschale von 5 % eingerechnet war:

Herr D 366,87 Euro Frau M 291,80 Euro Frau N 201,77 Euro Frau U 366,87 Euro.

Herr D war am 20.02.2008, Frau M am 13.09.2006 verstorben. Für sie wurden Leistungen aus Juli 2006 abgerechnet. Die Leistungen für Frau N waren im Oktober 2005, die für Frau U von Januar 2005 bis Oktober 2006 erbracht worden.

Mit Schreiben vom 26.06.2009 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie werde die vorgelegte Abrechnung um die vier o.g. Positionen, d.h. insgesamt 1.227,31 Euro kürzen. Nach dem hier jedenfalls analog anzuwenden § 111 SGB X (Zehntes Buch Sozialgesetzbuch) sei ein Erstattungsanspruch ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistungen erbracht werde, geltend gemacht habe. Unstreitig habe die Klägerin hier auf Grund eines gesetzlichen Auftrags die streitgegenständlichen Leistungen erbracht. Da § 91 SGB X keine Verjährung regele und keine spezielle Vereinbarung getroffen worden sei, sei § 111 SGB X anzuwenden. Diese Ansicht teile auch der Bayrische Kommunale Prüfungsverband.

Die Klägerin erwiderte hierzu mit Schreiben vom 03.07.2009, bei der Betreuung nach § 264 SGB V handle es sich um einen gesetzlichen Auftrag nach § 93 SGB X, auf den §§ 102 ff SGB X nicht anzuwenden seien. § 264 SGB V sei abschließend. Eine Verjährung bzw. Ausschlussfrist werde hierin nicht genannt.

Die Klägerin hat unter dem 12.10.2009 Leistungsklage erhoben. Vorliegend handele es um eine gesetzliche Auftragsangelegenheit i.S.v. §§ 88 ff. SGB X und nicht um einen allgemeinen Erstattungsanspruch nach §§ 102 SGB X ff ... Der Auftrag nach §§ 88 ff. SGB X stelle ein Sonderrechtsverhältnis dar, welches in § 91 SGB X abschließend geregelt werde. Dies ergebe sich bereits aus der unterschiedlichen Ausgestaltung des gesetzlichen Auftrags und der Erstattungsregelungen; z.B. bei der Möglichkeit der Pauschalierung oder der Erstattung von Verwaltungskosten. Sowohl § 264 SGB V selbst als auch §§ 88 ff. SGB X ließen für eine Anwendung der §§ 107 ff. SGB X keinen Raum. Hinsichtlich der Verjährung im Sozialrecht sei auf §§ 45 Abs. 1 SGB I, 25, 27 SGB IV und 113 SGB V zu verweisen. Welche Auffassung der Bayrische Kommunale Prüfungsverband oder das Bundesausgleichsamt zu der Frage habe, sei irrelevant. Da sie für die Hilfeempfängerin M im II. Quartal 2009 u.a. 157,96 Euro (Kosten für Arzneimittel vom 05.05.2006 zzgl. 5% Verwaltungskostenaufschlag) gegenüber der Beklagten abgerechnet und nicht von dieser erhalten habe, erhöhe sich die Klageforderung entsprechend.

Die Klägerin hat im Wege der Klageerweiterung beantragt,

die Beklagte zur Zahlung von 1.385,27 Euro zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

§ 264 SGB V sei keinesfalls abschließend, sondern gerade im Hinblick auf Ausschlussfristen lückenhaft. § 91 SGB X sei entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht abschließend zu verstehen. Die Beklagte lasse bei ihren Vergleichsüberlegungen von dem im SGB X geregelten gesetzlichem Auftrag und dem Erstattungsanspruch außen vor, dass bei dem gesetzlichen Auftrag § 91 Abs. 2 SGB X nicht zur Anwendung komme. § 109 SGB X sei bei der Leistungserbringung nach § 264 SGB X deshalb nicht anwendbar, weil es eine speziellere Regelung gebe. Da hinsichtlich der Verjährung zwischen den Krankenversicherungen und den Sozialhilfeträgern aber keine spezielle Abmachung getroffen worden sei, müsse auf allgemeine Regelungen zurückgegriffen werden. Auch unter dem Gesichtspunkt der für den Sozialhilfeträger erforderlichen Planungssicherheit im jeweiligen Haushaltsjahr könne nicht davon ausgegangen werden, dass in den vorliegenden Fällen keine Verjährungsregelung zur Anwendung komme. Dies gelte umso mehr, als dass die Kosten nach § 264 SGB V großen Schwankungen unterlägen. Das Bundesausgleichsamt habe im Übrigen zur Frage der Erstattung nach § 276 Abs. 1 und 3 LAG –und damit zu mit dem hiesigen Fall vergleichbaren Leistungen- mitgeteilt, dass u.a. § 111 SGB X Anwendung finde.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann gem. § 124 Abs. 2 SGG (Sozialgerichtsgesetz) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, wenn sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben. Die Leistungsklage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von 1.385,27 Euro. Dieser musste nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 111 SGB X geltend gemacht werden.

Anspruchsgrundlage ist § 264 Abs. 7 Satz 1 SGB V. Nach dieser Vorschrift werden den Krankenkassen die Aufwendungen, die durch die Übernahme der Krankenbehandlung nach den Absätzen 2 bis 6 entstehen, von den für die Hilfe zuständigen Sozialhilfeträgern vierteljährlich erstattet. Als angemessene Verwaltungskosten einschließlich Personalaufwand für den Personenkreis nach Absatz 2 werden bis zu 5 vom Hundert der abgerechneten Leistungsaufwendungen festgelegt (§ 264 Abs. 7 Satz 2 SGB V).

Der Klägerin sind die -in den Abrechnungen für das I. und II. Quartal 2009 geltend gemachten- Aufwendungen in der geltend gemachten Höhe für die Krankenbehandlung von Personen, die von der Beklagten Sozialhilfe erhalten haben unter Einschluss der Verwaltungskosten entstanden. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Der in § 264 Abs. 7 SGB V geregelte Erstattungsanspruch ist nicht nur anders ausgestaltet als die Erstattungsansprüche der §§ 102 ff. SGB X, er ist auch anderer Art. Die Krankenversicherung erbringt die Krankenbehandlung von nicht in der GKV versicherten Sozialhilfeempfängern nach § 264 SGB V nämlich auf Grund gesetzlichen Auftrags iS des § 93 SGB X (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 28.09.2010 –B 1 KR 4/10 R). Ohne die Spezialregelung des § 264 Abs. 7 SGB V wären die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs nach den §§ 102 bis 105 SGB X nicht gegeben, da die Krankenkassen die Krankenhilfe weder vorläufig oder als unzuständiger Leistungsträger erbringen noch ihre Leistungsverpflichtung nachträglich wegfällt oder sie nur nachrangig leistungsverpflichtet sind. Sie sind nach § 264 Abs. 2 SGB V verpflichtet, die Krankenhilfe als eigene Leistung zu erbringen.

Dem Wortlaut nach treffen weder § 264 SGB V noch § 93 SGB X zu der Frage einer Ausschlussfrist eine eigene Regelung. Die Stellung der Nomen im Gesetz spricht jedoch gegen eine Anwendbarkeit des § 111 SGB X. § 111 SGB X steht nach der Regelung der §§ 88 ff. SGB X und ist dieser nicht –gleich einem "Allgemeinen Teil"- vorgelagert. Auch befindet sich § 111 SGB X in einem eigenen Titel des Dritten Kapitels des SGB X.

Einer Ausschlussfrist bedarf es im Auftragsverhältnis auch nicht. Soweit sich der Sozialleistungsträger regelmäßig der Krankenversicherung zur Erbringung der Leistung bedient, haben beide gleichermaßen ein Interesse an einer rechtzeitigen Abrechnung. Dieser Regelmäßigkeit der Leistungserbringung wird u.a. durch die vierteljährlichen Erstattungsintervalle in § 264 Abs. 7 SGB V Rechnung getragen. Eine solche Regelmäßigkeit gibt es bei den Erstattungsansprüchen nach §§ 102 ff SGB X nicht. Diese sind von den betroffenen Leistungsträgern nicht turnusmäßig zu erwarten. Dem Interesse, hierbei möglichst bald Klarheit über Erstattungsansprüche zu erlangen, trägt § 111 SGB X Rechnung. Bei einem durch § 264 SGB V begründeten Dauerrechts(auftrags)verhältnis (das BSG spricht bei der Erstattung nach § 19 Bundesversorgungsgesetz (BVG) von einer "Dauerrechtsbeziehung" (BSG, Urteil vom 31.05.2980 -9/9a RV 12/87-)) besteht kein Schutzbedürfnis diesen Ausmaßes.

Sofern die Beklagte vorträgt, sie könne wegen der von Jahr zu Jahr schwankenden Erstattungen nach § 267 Abs. 7 SGB V im jeweiligen Haushaltsjahr nicht vorausschauend planen, ist sie auf die Inanspruchnahme der nach §§ 93, 89 Abs. 3 – 5 SGB X bestehenden Möglichkeiten zu verweisen. Deren Wahrnehmung dürfte dem Interesse der Beklagten an Planungssicherheit ausreichend Rechnung tragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 154 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Berufung wird nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG zugelassen, da es zu der hier entschiedenen Rechtsfrage nur wenige erstinstanzliche Entscheidungen gibt.

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Rechtskraft
Aus
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