S 2 KA 376/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 376/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Streitig ist ein Regress wegen der Verordnung von parenteraler Ernährung.

Die Kläger sind Fachärzte für Innere Medizin mit Schwerpunkt Hämatologie/ internistische Onkologie und in Berufsausübungsgemeinschaft als Vertragsärzte an den Standorten U, C1-C2 und C3 I tätig. In ihrer Behandlung stand der bei der Beigeladenen zu 1) Versicherte E G, * 00.00.1933, † 29.03.2010.

Unter dem 29.06.2011 und 14.07.2011 beantragte die Beigeladene zu 1) die Prüfung in besonderen Fällen für die Quartale 1/2010 und 2/2010. Zum einen seien Verordnungen nach dem Tode des Versicherten erfolgt, zum anderen seien für den 10./11.03.2010 und 27.-30.03.2010 Verordnungen doppelt ausgestellt und abgerechnet worden.

(Bild 1)

Mit Bescheid vom 05.12.2011 setzte die Prüfungsstelle antragsgemäß einen Regress in Höhe von insgesamt 4.421,18 EUR netto fest. Einen hiergegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Bescheid vom 18.06.2012 zurück:

Dem Antrag der Beigeladenen zu 1) sei zu entnehmen, dass der Patient E G am 29.03.2010 verstorben sei. Die Verordnungen der parenteralen Ernährung seien jedoch noch bis zum 16.05.2010, somit bis zu 1,5 Monate nach dem Tod des Versicherten, ausgestellt worden. Sowohl im Hinblick auf die Verordnungen, die bis zu 1,5 Monate nach dem Tod des Patienten ausgestellt worden seien, wie auch auf die Überversorgung bzw. Doppelversorgung mit parenteraler Ernährung sei das Wirtschaftlichkeitsgebot durch die Kläger nicht beachtet worden.

Hiergegen richtet sich die am 19.07.2012 erhobene Klage.

Nach Ansicht der Kläger sind beide Vorwürfe zu Unrecht erhoben worden.

Für die Versorgung von Patienten mit parenteralen Ernährungslösungen habe sich seit vielen Jahren ein System etabliert und bewährt, das auch von den Krankenkassen und der Prüfungsstelle akzeptiert werde. In Kooperation mit einer Ernährungsberaterin und der herstellenden Apotheke, hier: L-Apotheke N in X, entscheide der Arzt zunächst über die Zusammensetzung und Menge der Ernährungslösung, die dem Patienten verabreicht werden solle. Zur Verordnung solcher Lösungen erstelle er "Infusionspläne", die unterschrieben und in die Apotheke gegeben würden. Bei diesen "Infusionsplänen" handele es sich um Privatrezepte, die die rechtliche Qualität einer verbindlichen Arzneimittelverordnung besäßen. Die Apotheke produziere sodann regelmäßig einen Mehrtagesbedarf und liefere die Ernährungslösungen einen oder mehrere Tage vor dem geplanten Applikationsdatum an den Patienten. Erst nach bestimmten Zeitintervallen, häufig zum Monatsende, werde festgestellt, welche Ernährungslösungen nebst Begleitprodukten und Zubehör der Patient benötigt habe. Die tatsächlich hergestellten Produkte und durchgeführten Lieferungen würden daraufhin vom Arzt auf dem Rezeptblatt Muster 16 verordnet. Dieses Verordnungsblatt reiche die Apotheke zur Abrechnung bei der zuständigen Krankenkasse ein.

Im Falle des Patienten G stelle sich folgender Sachverhalt dar:

Die Kläger hätten dem Patienten mit Infusionsplan vom 24.02.2010 (Rezepturnummer 1.1) parenterale Ernährungslösungen verordnet. Auf dieser Basis habe die Apotheke Ernährungslösungen für den Zeitraum 27.-30.3.2010 hergestellt. Nach Herstellung und Auslieferung dieser Charge habe am 26.03.2010 die für Herrn G tätige Ernährungsberaterin den Klägern mitgeteilt, dass sich bei dem Patienten in den Knöcheln und im Unterleib Wasserablagerungen gebildet hätten. Die Kläger hätten daraufhin die Therapie geändert und einen neuen Infusionsplan vom 26.03.2010 (Rezepturnummer 2.1) ausgestellt. Die bereits hergestellten und ausgelieferten Lösungen hätten nach Mitteilung der Apotheke nicht mehr verwendet werden können und verworfen werden müssen. Die Apotheke habe daher am 26.03.2010 eine Korrekturcharge für den Zeitraum 27.-30.3.2010 neu hergestellt und an Herrn G geliefert. Über beide Chargen für diesen Zeitraum hätten die Kläger am 27.03.2010 zwei Muster-16-Verordnungen ausgestellt.

Soweit dem Beklagten nicht nachvollziehbar sei, dass nach der Zubereitungsübersicht am 30.03.2010 Chargen für den 31.03. bis 02.04., nicht aber für den 30.03.2010 selbst hergestellt worden seien, obwohl die am 26.03.2010 hergestellten Korrekturchargen bis zum Todestag (29.03.2010) verbraucht worden seien, gehe aus der Zubereitungsübersicht hervor, dass am 26.03.2010 eine Korrekturcharge für den Applikationstag 30.03.2010 hergestellt worden sei. Eine Herstellung am 30.03.2010 sei somit für den Applikationstag 30.03.2010 nicht mehr erforderlich gewesen.

Die unterschiedlichen Zeitangaben auf der Zubereitungsübersicht in den Spalten "Herst-Dat" und "Appl-Dat" ("10:00"/"18:00") bei der verworfenen und neu hergestellten Charge für den Applikationszeitraum 27.-30.03.2010 erklärten sich daraus, dass es sich hierbei nicht um echte Zeitangaben handele. Die tatsächlichen Uhrzeiten des Beginns der Herstellung würden nicht dokumentiert; statt dessen würden vom EDV-System einheitliche Zeiten festgehalten. Auch die Applikationszeiten "10:00" oder "18:00" hätten keinen realen Bezug. Denn die Apotheke habe weder Einfluss darauf noch Kenntnis davon, wann einem Patienten die hergestellte Ernährungslösung tatsächlich appliziert werde. Das eingesetzte Softwareprogramm "SteriBase" verlange jedoch sowohl bei der Herstellungs- als auch bei der Applikationszeit die Eingabe von Uhrzeiten. Bei der L Apotheke N sei weitgehend üblich, die Zeiten "10:00" oder auch "18:00" einzutragen.

In der Folgezeit habe die Apotheke weitere Ernährungslösungen hergestellt, deren Applikationen für den 31.03. sowie für den 01. und 02.04.2010 vorgesehen gewesen seien. Diese Lösungen seien noch vor dem Wochenende 27./28.03.2010 ausgeliefert worden. Die dazugehörigen Verordnungen hätten die Kläger am 31.03., 01.04. und 16.05.2010 ausgestellt.

Für den Folgezeitraum 03. bis 07.04.2010 (Osterfeiertage) habe die Apotheke eine weitere Charge hergestellt, die von einem Boten der Apotheke am Mittwoch der Karwoche, dem 31.03.2010, ausgeliefert worden sei. Bei dieser Gelegenheit habe der Bote erfahren, dass Herr G am 29.03.2010 verstorben sei. Die Ernährungslösungen seien am 31.03.2010 aber bereits hergestellt gewesen und hätten ausgeliefert werden sollen. Deshalb hätten die Kläger am 03.04.2010 darüber noch eine Verordnung auf Muster 16 ausgestellt.

Soweit der Beklagte einwende, die Herstellung der Charge für den Applikationszeitraum 03.-07.04.2010 sei erst am 01.04.2010 erfolgt, sei dies unzutreffend. Tatsächlich sei die Produktion schon am 31.03.2010 begonnen worden und zum größten Teil abgeschlossen gewesen. Die Apotheke produziere in zwei Herstellungsschritten an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, hier am 31.03.2010 und 01.04.2010. Im ersten Herstellungsschritt würden die großen Volumina des Ernährungsbeutels aufgezogen, im zweiten Schritt die kleinen Volumina hinzu gespritzt. Softwareseits werde jedoch nicht der Tag des ersten, sondern stets der zweite Tag als Herstellungstag vermerkt.

Zu einer unwirtschaftlichen Doppelversorgung sei es daher nicht gekommen. Lediglich für einen kurzen Zeitraum hätten aufgrund medizinischer Notwendigkeiten Ernährungslösungen doppelt hergestellt und auch abgerechnet werden müssen. Dass Ernährungslösungen für einige Tage nach dem Tod des Patienten auf Rezepten Muster 16 verordnet worden seien, habe darauf beruht, dass man Herstellungen und Lieferungen habe Rechnung tragen müssen, die darauf basiert hätten, dass weder die Arztpraxis noch die Apotheke unmittelbar über den Todesfall informiert gewesen seien. Doch gerade die praktizierte Verordnungsweise (Ausstellung von Muster-16-Verordnungen im Nachhinein nach erfolgten Teillieferungen) habe letzten Endes zu einer in höherem Maße wirtschaftlichen Versorgung geführt. Hätten die Kläger die parenterale Ernährung, die Herr G im Monat April hätte erhalten sollen, Ende März komplett im Vorhinein verordnet, wäre die Abrechnung der Apotheke um ein Vielfaches höher ausgefallen.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid des Beklagten vom 18.06.2012 ersatzlos aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verteidigt seinen Bescheid.

Unstreitig habe die Klägerin (BAG) die regressierten Verordnungen erst nachträglich nach Vordruckmuster 16 ausgestellt. Soweit sie sich dabei auf eine langjährig konsentierte Handhabung zwischen Ärzten und Apotheken berufe, die mit den gesetzlichen Vorgaben und den Belangen der Gesetzlichen Krankenversicherung im Einklang stehe, sei dies bereits vorab in Frage zu stellen, denn mit ihrem Prüfantrag moniere die Beigeladende zu 1) aus gegebenem Anlass die Handhabung als rechtswidrig. Die Tatsache, dass die Beigeladene zu 1) die Verordnungen zunächst eingelöst habe, sei nicht dem Einverständnis mit dem von der Klägerin und der L Apotheke N geübten Praxis geschuldet, sondern ihrer durch §§ 2, 31 SGB V grundgelegten Kostentragungspflicht für die von Dritten erbrachten Leistungen.

Das von der Klägerin in Kooperation mit der L Apotheken N praktizierte Verfahren nachträglicher Verordnungen begegne rechtlichen Bedenken. So bestimme § 11 Abs. 1 der Arzneimittel-Richtlinie (AMR), dass die Versorgung mit Arzneimitteln im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung eine Verordnung des behandelnden Arztes auf einem ordnungsgemäß ausgestellten Kassenrezept (Vordruckmuster 16 gem. § 87 Abs. 1 SGB V) voraussetze. Die Wortwahl ("setzt voraus") spreche nicht nur für eine abrechnungstechnische Bedingung, sondern auch für den zeitlichen Vorrang einer Verordnung nach Muster 16 vor einer Lieferung der Medikation. Dafür spreche auch § 11 Abs. 7 AMR, der bestimme, dass Verordnungen längstens einen Monat nach Ausstellungsdatum zu Lasten der Krankenkassen beliefert werden dürften. Nicht zuletzt sei darauf hinzuweisen, dass die Verordnung der häuslichen parenteralen Ernährung als ärztliche Aufgabe in der ausschließlichen Verantwortung des Vertragsarztes liege (§§ 29 BMV-Ä, 15 EKV-Ä). Dies gelte uneingeschränkt auch in den Fällen, in denen, wie vorliegend, eine Apotheke und eine Ernährungsberaterin als "Horne-Care Versorger und Berater" tätig würden. Eine wirksame Verordnung vor Lieferung der Ernährungsprodukte und Hilfsmittel sei Ausdruck der Verantwortung des verordnenden Arztes für medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit seiner Verordnungen und unterstreiche in der praktizierten Kooperation, dass die Auswahl und die Preise der Ernährungsprodukte und Hilfsmittel nicht maßgeblich durch das Interesse der Home-Care Versorger bestimmt würden, deren Leistungen für Koordination und Organisation einer Ernährungstherapie sowie die ernährungstherapeutische Beratung parenteral ernährter Patienten keine selbstständigen Regelleistungen der GKV seien, sondern über die Preise der Infusionsnahrung gedeckt werden müssten.

Die von der Klägerin als "Verordnungen" bezeichneten InfusionspIan-Vorschlä- ge vom 23.02.2010 und 26.03.2012 hätten die Durchführung der Kooperation praktisch erleichtern mögen. Den der Ausstellung eines Kassenrezepts nach Muster 16 zukommenden Zweck aber könnten sie aber nicht gewährleisten. Vertragsarztrechtlich und krankenversicherungsrechtlich komme ihnen keine Verbindlichkeit zu. Sie verpflichteten lediglich den Patienten selbst. Um als Privatrezept zu gelten, fehle es bei ihnen an den rechtlichen Voraussetzungen.

Ungeachtet dessen, dass die nachträglichen Verordnungen rechtswidrig und auch bei vorheriger Verordnung überzählige Chargen bei Therapiewechsel und Tod nicht ausgeschlossen seien, vermöge die Klägerin die nachträglichen Verordnungen auch sachlich nicht widerspruchsfrei zu begründen. Nach der im Widerspruchsverfahren überreichten Zubereitungsübersicht seien die Chargen parenteraler Ernährung für den 03. bis 07.04.2010 am 01.04.2012 hergestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt sei der Patient aber bereits drei Tage tot gewesen und der Bote der Apotheke hätte nach Darstellung der Klägerin am 31.03.2010 bei Auslieferung erfahren, dass der Patient zwei Tage zuvor verstorben sei. Bei dieser Sachlage habe selbst bei Anerkennung der Rechtmäßigkeit nachträglicher Verordnungen keine Veranlassung für die Klägerin mehr bestanden, am 01.04.2010 hergestellte Chargen nachträglich zu rezeptieren. Nicht nachvollziehbar sei darüber hinaus, dass nach der Zubereitungsübersicht am 30.03.2010 Chargen für den 31.03. bis 02.04., nicht aber für den 30.03.2010 selbst hergestellt worden sind, obwohl die am 26.03.2010 hergestellten Korrekturchargen bis zum Todestag (29.03.2010) verbraucht worden seien. Wenn gleichwohl entgegen dem damit verbundenen Eindruck, dass mit dem Tod des Patienten tags zuvor an diesem Tag eine Versorgung nicht mehr für erforderlich gehalten worden sei, eine solche beabsichtigt gewesen sei, so frage sich, an wen die Charge gegangen sei.

Erklärungsbedürftig bleibe letztlich auch, welche Bedeutung der Zeitangabe beim Applikationsdatum der am 26.03.2010 einerseits verworfenen Chargen und der an diesem Tag neu hergestellten Chargen in der Zubereitungsübersicht beizumessen sei. Für die verworfene Charge sei 10 Uhr und für die neue Charge jeweils 18 Uhr vermerkt.

In Anbetracht der Ungereimtheiten habe der Beklagte den Schaden zutreffend unter Berücksichtigung (ordnungsgemäßer) vorheriger Verordnung bis zum Tod des Patienten am 29.03.2010 berechnet.

Der Beklagte habe seine Sicht der Dinge nur auf die von den Klägern überreichte Zubereitungsübersicht stützten können. Wenn nunmehr ein damit nicht kompatibler Herstellungsvorgang erstmals im Schriftsatz vom 14.01.2013 geschildert werde, sei dies angesichts der Widersprüchlichkeit kein Grund für den Beklagten, seine Meinung zu revidieren.

Entscheidungen der Prüfungsstelle seien für den Beklagten als eigenständiges Prüfungsgremium schließlich nicht präjudiziell.

Die Beigeladenen stellen keine Prozessanträge.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Kläger sind durch den angefochtenen Bescheid des Beklagten nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da der ausgesprochene Regress rechtmäßig ist.

Die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung und damit der Beklagte sind befugt, Regresse wegen unwirtschaftlicher Arzneimittelverordnung festzusetzen. Dies ergibt sich aus § 16 Nr. 1 c der maßgeblichen Prüfvereinbarung (Prüfung in besonderen Fällen). Die Ermächtigungsgrundlage hierfür findet sich in § 106 Abs. 2 Satz 4 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), nach dem die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vorsehen können (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 20.03.2013 - B 6 KA 27/12 R -).

Die in Regress genommenen Verordnungen parenteraler Ernährung waren unwirtschaftlich.

Nach § 11 Nr. 1 AMR in der hier maßgeblichen Fassung setzt die Versorgung mit Arzneimitteln im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung eine Verordnung der behandelnden Ärztin oder des behandelnden Arztes auf einem ordnungsgemäß ausgestellten Kassenrezept (Vordruck Muster 16 gemäß § 87 Abs. 1 SGB V) voraus. Ein Privatrezept wird demgegenüber ausgestellt, wenn der Versicherte die Verordnung ausdrücklich als Privatbehandlung - d.h. nicht als Natural- oder Kostenerstattungsleistung - wünscht oder wenn ein in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherter die Verordnung von Arzneimitteln wünscht, die aus der Leistungspflicht der Krankenkassen ausgeschlossen oder für die Behandlung nicht notwendig sind (BSG, Urteil vom 28.02.2008 - B 1 KR 15/07 R -). Ferner kommen Privatrezepte in Fällen zur Anwendung, in denen eine Krankenkasse zur Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) verpflichtet ist, wenn sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte und dem Versicherten dadurch für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind (BSG, Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 7/05 R -).

Vorliegend war der Patient E G gesetzlich krankenversichert, seine parenterale Ernährung erfolgte als Sachleistung, war nicht aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, war notwendig und stand stets rechtzeitig zur Verfügung. Die Verordnungen waren daher zwingend auf Kassenrezept nach Muster 16 auszustellen, denn die AMR sind für die Kläger verbindlich (§ 91 Abs. 6 SGB V).

Ob die "Infusionsplan-Vorschläge" vom 23.02.2010 und 26.03.2010 als Privatrezepte zu verstehen sind, wie die Kläger meinen, ist deshalb für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits unerheblich. Bedeutsam wäre dies allenfalls in apothekenrechtlicher Hinsicht. Denn nach § 48 Abs. 1 Satz 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG) sowie § 1 Abs. 1 der Verordnung über die Verschreibungspflicht von Medizinprodukten (MPVerschrV) dürfen verschreibungspflichtige Arzneimittel nur bei Vorliegen einer ärztlichen Verschreibung an andere Personen als Ärzte abgegeben werden. Ohne Vorliegen einer Verschreibung dürfen sie nur in dringenden Fällen nach fernmündlicher Unterrichtung durch einen Arzt an Patienten abgegeben werden, wenn sich der Apotheker Gewissheit über die Person des Arztes verschafft hat (§ 4 MPVerschrV). Die Abgabe der parenteralen Ernährungslösungen an den Patienten G nach dem hier praktizierten System war daher nur zulässig, wenn die "Infusionsplan-Vorschläge" Verschreibungen darstellten, die den Anforderungen des § 2 MPVerschrV entsprechen (§ 1 Abs. 2 MPVerschrV).

Darum geht es hier aber nicht. Für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung kommt den "Infusionsplan-Vorschlägen" jedenfalls unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt eine anspruchsauslösende oder -begründende Wirkung zu Lasten der Beigeladenen zu 1) zu.

Das für die Kostentragungspflicht der Beigeladenen zu 1) erforderliche Kassenrezept war vor der Lieferung der parenteralen Ernährungslösungen an den Patienten G auszustellen gewesen. Mit dem Beklagten geht die Kammer insofern davon aus, dass das Tatbestandsmerkmal "setzt voraus" in § 11 Nr. 1 AMR nicht nur eine abrechnungstechnische Bedingung darstellt, sondern auch einen zeitlichen Vorrang einer Verordnung nach Muster 16 vor einer Lieferung der Medikation begründet. Dafür spricht auch § 11 Abs. 4 AMR, wonach Verordnungen längstens einen Monat nach Ausstellungsdatum zu Lasten der Krankenkassen beliefert werden dürften. Demgemäß geben auch Kassenärztliche Vereinigungen verschiedentlich den deutlichen Hinweis, dass nachträgliche Verordnungen parenteraler Ernährungen grundsätzlich unzulässig sind (z.B. KV Bayerns, Arzneimittel aktuell, April 2007, Parenterale Ernährung - Empfehlungen für Ärzte). Nur durch eine vorherige Verordnung auf Kassenrezept kann für die Krankenversicherungsträger im Rahmen ihrer Massenverwaltung die erforderliche Klarheit erzielt werden, wann welche Verordnungen in welcher Menge zugunsten welches Patienten zulasten welcher Krankenkasse ausgestellt werden. Das zeigt gerade der vorliegende Fall, der zahlreiche Widersprüchlichkeiten und Unklarheiten aufweist.

So haben die Kläger z.B. unter dem 10.03.2010 zwei Verordnungen ausgestellt, und zwar nach dem Prüfantrag der Beigeladenen zu 1) zum einen in Höhe von (brutto) 377,57EUR für eine Reichdauer 10.,11.03.2010 und zum anderen in Höhe von (brutto) 566,40 EUR für eine Reichdauer 10.,11.,12.03.2010. Erklärungen für diese Doppelverordnung haben die Kläger nicht abgegeben.

Ferner tragen sie vor, die Charge für den Zeitraum 03.-07.04.2010 (Osterfeiertage) sei von einem Boten der Apotheke am Mittwoch der Karwoche, dem 31.03.2010, ausgeliefert worden bzw. hätte ausgeliefert werden sollen (was wegen des Todes des Versicherten am 29.03.2010 nicht mehr möglich war). Die Ernährungslösungen seien am 31.03.2010 bereits hergestellt gewesen. Demgegenüber erwidern sie auf die Einwendungen des Beklagten, die Herstellung der Charge für den Applikationszeitraum 03.-07.04.2010 sei erst am 01.04.2010 erfolgt, dass die Produktion am 31.03.2010 begonnen worden und zum größten Teil abgeschlossen gewesen sei. Die Apotheke produziere in zwei Herstellungsschritten an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, hier am 31.03.2010 und 01.04.2010. Im ersten Herstellungsschritt würden die großen Volumina des Ernährungsbeutels aufgezogen, im zweiten Schritt die kleinen Volumina hinzu gespritzt. Softwareseits werde nicht der Tag des ersten, sondern stets der zweite Tag als Herstellungstag vermerkt. Das ist auch konsequent, denn solange die kleinen Volumina im zweiten Schritt (am zweiten Produktionstag) nicht hinzu gespritzt worden sind, ist die Ernährungslösung noch nicht fertig. Tatsächlich ist danach die Charge erst am 01.04.2010 produziert worden. Somit kann sie nicht am 31.03.2010 per Boten an den Patienten überbracht worden sein.

Angesichts der Doppelverordnungen und der unzulässigen nachträglichen Verordnungen auf Kassenrezept nach Muster 16 durfte der Beklagte den Schaden rechtsfehlerfrei unter Berücksichtigung ordnungsgemäßer vorheriger Verordnung bis zum Tod des Patienten am 29.03.2010 berechnen und festsetzen.

Dem Umstand, dass die Beigeladene zu 1) die von den Klägern praktizierte Verfahrensweise jahrelang unbeanstandet gelassen hat, kommt keine entscheidende Bedeutung zu. Eine Absprache zwischen den Klägern und der Beigeladenen zu 1) zu dieser Verfahrensweise bestand - soweit überhaupt zulässig - nicht. Die Krankenkasse war verpflichtet, auf die von den Klägern ausgestellten Verordnungen zu leisten; ihr blieb nur der Weg nachträglicher Wirtschaftlichkeitsprüfung. Im Rahmen ihrer Massenverwaltung konnte sie solche Vorgänge nur stichprobenartig oder anlassbezogen (hier: Tod des Versicherten G) überprüfen, was den Klägerin klar sein musste; ein Vertrauensschutz zu ihren Gunsten scheidet deshalb aus (vgl. auch LSG Rheinland-Pfalz, Urteile vom 06.10.2005 - L 5 KR 96/04 und L 5 KR 167/04 -).

Auch der Umstand, dass die Prüfungsstelle in einem vergleichbaren Fall, der ebenfalls die beigeladene pronova BKK betrifft, von einer Regressfestsetzung abgesehen hat, ist weder präjudiziell noch richtungsweisend. Jeder Fall ist individuell zu prüfen und zu bewerten, was naturgemäß zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Das zeigt sich bereits daran, dass die Prüfungsstelle in dem von den Klägern benannten Verfahren (Zeichen: 27 19 577 00 WP 293 Mar/Pu) den Regressantrag der pronova BKK bzgl. der ausgestellten Verordnung nach dem Tode des Versicherten abgelehnt hat, im vorliegenden Verfahren dem Regressantrag hingegen stattgegeben hat. Im Übrigen wird der Beschwerdeausschuss mit seiner Anrufung für das weitere Prüfverfahren ausschließlich und endgültig zuständig; sein Bescheid ersetzt den ursprünglichen Verwaltungsakt der Prüfungsstelle. Gegenstand des Rechtsstreits ist daher allein der Bescheid des beklagten Beschwerdeausschusses (BSG, Urteil vom 29.06.2011 - B 6 KA 16/10 R -). Dabei ergibt sich durch die Besetzung des Beschwerdeausschusses mit Vertretern der Kassenärztlichen Vereinigung und der Krankenkassen in gleicher Zahl sowie einem unparteiischen Vorsitzenden (§ 106 Abs. 4 Satz 2 SGB V; vgl. dazu BSG, Urteil vom 09.04.2008 - B 6 KA 34/07 R -) eine größere Entscheidungsbreite als bei der Prüfungsstelle, die nicht in dieser Weise besetzt ist. Auch das kann zu abweichenden Entscheidungen beitragen.

Nach alledem ist der festgesetzte Regress rechtmäßig. Die Klage war abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtskraft
Aus
Saved