Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KR 1160/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 622/14
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, unter Abänderung des Bescheides vom 27.2.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.7.2013 die Kosten für die Suprakonstruktion vollständig zu übernehmen. Der Beklagten wenn die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt.
Tatbestand:
Umstritten ist zwischen den Beteiligten die Frage der vollständigen Kostenübernahme für eine Suprakonstruktion.
Die 1968 geborene Klägerin litt in den Jahren 1998 bis 2003 an einer Osteomyelitis (Knochenentzündung) im Unterkiefer. Im Mai 2003 wurden eine Unterkiefer-Teilresektion sowie eine Knochenaugmentation durchgeführt. Zu Lasten der Beklagten erfolgte weiterhin die Insertion von drei Implantaten und Versorgung mit einer Suprakonstruktion. Im September 2007 wurde eine Vestibulumplastik (Mundvorhofplastik) durchgeführt.
Im Oktober 2011 beantragte die Klägerin unter Vorlage eines Heil- und Kostenplanes sowie eines Kostenvoranschlags der Universitätsklinik E (Eigenanteil: 2.950,10 EUR) bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine neue Suprakonstruktion, da an verschiedenen Stellen die Keramik großflächig abgeplatzt sei. Nach einem teilweisen Abbau des Knochentransplantats und der damit verbundenen Fehlbelastung im Kieferbereich sei die ursprüngliche Suprakonstruktion nicht mehr verwertbar. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 27.2.2012 einen Festzuschuss i.H.v. 453,90 EUR und lehnte den Kostenübernahmeantrag im Übrigen ab. Die Ausnahmeindikation gemäß § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V gelte nicht, wenn die Suprakonstruktion erneuert werden müsse.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch unter Vorlage einer Stellungnahme des behandelnden Zahnarztes T. Die Beklagte hörte daraufhin den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) an. Im weiteren Verlauf wurde der Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 4.7.2013 zurückgewiesen. Es bestehe kein Anspruch auf Übernahme der vollständigen Kosten für eine Suprakonstruktion. Jeder neue Behandlungsfall, auch Folgebehandlungen, sei nach der jeweiligen Rechtslage zu beurteilen.
Die Klägerin hat gegen die Bescheide der Beklagten Klage erhoben, mit der sie weiterhin die vollständige Kostenübernahme für eine neue Suprakonstruktion geltend macht. 2003 sei keine andere Möglichkeit der Behandlung ihres Kiefers und Gebisses möglich gewesen als der Einsatz von Implantaten. So habe sie sich trotz ihrer Skepsis gegenüber Implantaten mangels Alternativen dieser Behandlungsmethode unterzogen und sei seitdem einen Leidensweg mit nachfolgenden - nicht unerheblichen – operativen Nachbehandlungen und Schmerzen gegangen. Die Erneuerung der Suprakonstruktion sei medizinisch notwendig, die Entfernung der Implantate nicht möglich bzw. unzumutbar. Es würden sich schon Folgeschäden aufgrund des unversorgten Zustandes, des schlechten Zustandes der Suprakonstruktion, entwickeln und es bestehe die Gefahr der Schädigung der Kiefergelenke.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 27.2.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.7.2013 die Kosten für die Suprakonstruktion vollständig zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide aus den dort ausgeführten Gründen für rechtmäßig.
Das Gericht hat zur weiteren Ermittlung des Sachverhalts die Arztbriefe und ambulanten Karten der Universitätsklinik E beigezogen sowie Auskünfte des T eingeholt. Zur weiteren Sachdarstellung wird auf diese Unterlagen sowie auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze und Unterlagen der Beteiligten einschließlich der beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet.
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig, soweit sie die Übernahme der über den Festzuschuss hinausgehenden Kosten der Suprakonstruktion ablehnen. Der Klägerin steht der geltend gemachte Sachleistungsanspruch zu, §§ 11, 27, 28 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V). Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V i.V.m. der Ausnahmeindikation Punkt B. VII. 2. a), 2. Alt. der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung – Behandlungsrichtlinie - ("größere Kiefer- oder Gesichtsdefekte, die ihre Ursache in Entzündungen des Kiefers haben"). Der Anspruch auf die Versorgung mit einer neuen Suprakonstruktion als Sachleistungsanspruch ergibt sich bereits aufgrund des Wortlauts der Gesetzesvorschrift des § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V. Denn dort ist geregelt, dass die implantologischen Leistungen "einschließlich der Suprakonstruktion" zu erbringen sind. Aus der Formulierung "einschließlich" folgt, dass die Implantate mit einer Suprakonstruktion zu leisten sind. Dies bedeutet, dass die Suprakonstruktion als quasi begleitende Leistung und Zubehör der Implantate zur Verfügung zu stellen ist. Die Suprakonstruktion teilt das Schicksal der Implantate. Solange die Implantate Bestand haben, haben sie dies einschließlich Suprakonstruktion und sind mit einer solchen funktionsfähigen zu erbringen.
Die entgegenstehende Auffassung der Beklagten steht dem Zweck dieses gesetzlich vorgesehenen Gesamtbehandlungsanspruchs entgegen: Ein Nichtanerkennen des Folgebehandlungsanspruchs würde jedenfalls in den Fällen, in denen die Versicherten finanziell nicht in der Lage sind, die erheblichen Kosten eines Implantates bzw. einer Suprakonstruktion weiterhin selber zu finanzieren, dazu führen, dass es mit dem (darüber hinaus unzumutbaren) Entfernen der Implantate zur Beseitigung des in § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V (i.V.m. Punkt B. VII. 2. a), 2. Alt. der Behandlungsrichtlinie) vorgesehenen Behandlungserfolgs käme. Auch dies kann nicht im Interesse des Gesetzgebers gewesen sein, zumal es sich bei der Beseitigung um eine unzumutbare Behandlungsmaßnahme handelt (dazu weiter unten).
Ein langfristig angelegtes Implantat ohne nachfolgende Versorgung ("Wartung"), insbesondere ohne funktionierende Suprakonstruktion stellt darüber hinaus sogar eine schädliche Versorgung dar, die zwangsläufig weitere Folgeschäden nach sich zieht. Insoweit hat der behandelnde Zahnarzt der Klägerin nachvollziehbar geschildert, dass ein Entfernen der Implantate mit einem Herausfräsen unter großräumiger Entnahme von Knochenmaterial eine unzumutbare medizinische Maßnahme darstelle. Die Klägerin hat darüber hinaus glaubhaft dargelegt, dass bei ihr in diesem Fall zudem ein erhebliches Risiko für die Schädigung eines Gesichtsnerves bestehe. Die Klägerin hat des Weiteren glaubhaft geschildert, dass bereits der aktuelle Zustand schmerzhaft sei, die mangelnde Funktion der Implantate bzw. die Reparaturbedürftigkeit der Suprakonstruktion dazu geführt habe, dass die Kaufähigkeit und der Gegenbiss (Okklusion) aufgehoben sei. Darüber hinaus bestünde bereits jetzt eine Behandlungsbedürftigkeit für das hieraus resultierende nächtliche Zähneknirschen und Zähnepressen. Bei einem weiteren Fortschreiten dieser Entwicklung würden auch die Kiefergelenke betroffen sein. Zudem ist der Vorsitzenden aus anderen Verfahren bekannt, dass eine unzureichende oder Fehlbelastung von transplantiertem Knochenmaterial zu einem Schwund des Knochenaufbaus führt. Es erscheint naheliegend, dass eine solche Fehlbelastung bzw. unzureichende Belastung durch eine unzureichende Suprakonstruktion verursacht werden kann.
Unter Berücksichtigung dieser dargelegten Umstände im Allgemeinen und insbesondere im konkreten Fall der Klägerin kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber bei unveränderter Rechtslage eine langfristig angelegte invasive Maßnahme lediglich für einen quasi befristeten Zeitraum und mit absehbar mittelfristiger Schädigung nach Ablauf dieses Zeitraums ("Haltbarkeit" der Suprakonstruktion) zur Verfügung stellen wollte.
Jedenfalls unter Berücksichtigung des Instituts des öffentlich-rechtlichen Aufopferungsanspruchs kann eine andere Auslegung von § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V nicht in Betracht kommen. Denn die Versicherte ist nicht verpflichtet, die Folgeschäden von schlecht oder unversorgt gebliebenen Implantaten in Kauf zu nehmen (vgl. BSG, Urteil vom 6.10.1999 – B 1 KR 9/99 R -, BVerfG, Beschluss vom 4.8.1998 – 1 BvR 897/98 -). Die Behandlung zur Beseitigung dieser Schäden könnte sie aufgrund des Sonderopfers, das sie durch die Ablehnung der Versorgung der kassenrechtlich gesetzten Implantate erfährt, als Entschädigung beanspruchen. Eine Behandlung zur Beseitigung der Folgeschäden wäre vorliegend die Erneuerung der Suprakonstruktion.
Die Auffassung der Beklagten, dass bei Folgebehandlungen die Ausnahmeindikation aktuell noch erfüllt sein muss, würde darüber hinaus – gerade bezogen auf die hier einschlägige Ausnahmeindikation - aus folgenden Gründen zu nicht mehr sachgerechten Ergebnissen führen:
Bei der Indikation Punkt B. VII. 2. a), 2. Alt. der Behandlungsrichtlinie liegt es in der Natur der Indikation und der dort erfassten Gesamtbehandlungsmaßnahme (Operation), dass die operationsbedürftige Ausgangsindikation mit der Durchführung der Operation beendet ist und bereits am nächsten Tag nicht mehr besteht. Nach dem Standpunkt der Beklagten würde unmittelbar mit dem Abschluss dieser (Gesamt-) Behandlungsmaßnahme, d.h. der Operation, zwangsläufig und voraussehbar jegliche weitere Versorgung der gesetzten Implantate (Reparatur, anderweitiger Behandlungsbedarf) und der Suprakonstruktion (bis auf den Festzuschuss) in die Eigenverantwortung der Versicherten fallen, ungeachtet der Frage, ob sie in der Lage sind, diese zu finanzieren, und obwohl die Maßnahme (Setzen eines Implantates) eine langfristig angelegte Behandlungsmaßnahme ist, die entweder gar nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Bedingungen rückabgewickelt werden kann. So hat das Bundessozialgericht die Folgebehandlung der Entfernung harter Zahnbeläge als eine Behandlung zu Lasten der Krankenkasse angenommen (Urteil vom 21.6.2011 – B 1 KR 17/10 R -, juris.de).
Diesem Ergebnis steht auch nicht die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 3.9.2003 – B 1 KR 9/02 R -, juris.de) entgegen, da diese den Wegfall eines Leistungsanspruchs durch Änderung der gesetzlichen Regelung betrifft. So hat das Bundessozialgericht ausgeführt: "Dennoch können einem Versicherten, der sich im Vertrauen auf gewisse unterstützende Leistungen seiner Krankenkasse operieren lässt, deshalb nach dem Wegfall dieser Leistungen keine weitergehenden Ansprüche zustehen als einem Versicherten, bei dem derselbe Unterstützungsbedarf auftritt, ohne dass er operiert wurde." (a.a.O., Rn. 18) Ausdrücklich bezieht sich das Bundessozialgericht auf den "Wegfall dieser Leistungen". Damit ist kein Fall vergleichbar mit dem vom Bundessozialgericht entschiedenen gegeben, da sich für die Situation der Klägerin gerade keine Rechtsänderung mit dem Wegfall von Leistungen ergeben hat. Vielmehr stellt sich der Fall der Klägerin unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Rechtslage seit 2003 hinsichtlich der Ausnahmeindikationen unverändert ist, so dar, dass es insoweit vielmehr um das schützenswerte Vertrauen auf die seit 2003 unverändert und aktuell bestehende Rechtslage und nicht um ein Vertrauen auf den Bestand einer (nicht mehr existierenden) Rechtslage des Jahres 2003 geht. Darüber hinaus ist insbesondere im Licht des öffentlich-rechtlichen Aufopferungsanspruchs zu bedenken, dass durch den quasi Abbruch der Behandlungsmaßnahme erhebliche behandlungsbedingte Folgeschäden verursacht werden können, anders als im Fall eines nicht operierten Zustandes (ohne Implantate). So stellt sich der vorliegende Fall dar.
Soweit die Festzuschuss-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für die Erneuerung und Wiederherstellung von Suprakonstruktionen Festzuschüsse festsetzt (B. 7. ff.), konnte dies zu keiner anderen Entscheidung führen. Soweit diese Festsetzung nicht für Indikationen im Sinne der Zahnersatz-Richtlinien und für privat finanzierte implantologische Leistungen außerhalb der Regelversorgung, sondern ausdrücklich für Ausnahmeindikationen anwendbar sein sollte, steht dies aus den ausgeführten Gründen im Widerspruch zu § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V und entbehrt damit für den vorliegenden Fall einer Ermächtigungsgrundlage.
Ungeachtet der obigen Ausführungen zu der Begründetheit des streitgegenständlichen Anspruchs erscheint es nicht vertretbar, Versicherten eine langfristig angelegte Behandlungsmaßnahme zu bewilligen, ohne sie auf die zeitliche und sächliche Begrenzung der Kostenübernahme und das daraus für die Zukunft resultierende erhebliche Kostenrisiko hinzuweisen, das auf die Versicherten im Gegensatz zur sonst üblichen Kostenlast der Krankenversicherung z.B. bei Komplikationen nach invasiven Eingriffen zukommt.
Die Kostentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes auf (SGG).
Tatbestand:
Umstritten ist zwischen den Beteiligten die Frage der vollständigen Kostenübernahme für eine Suprakonstruktion.
Die 1968 geborene Klägerin litt in den Jahren 1998 bis 2003 an einer Osteomyelitis (Knochenentzündung) im Unterkiefer. Im Mai 2003 wurden eine Unterkiefer-Teilresektion sowie eine Knochenaugmentation durchgeführt. Zu Lasten der Beklagten erfolgte weiterhin die Insertion von drei Implantaten und Versorgung mit einer Suprakonstruktion. Im September 2007 wurde eine Vestibulumplastik (Mundvorhofplastik) durchgeführt.
Im Oktober 2011 beantragte die Klägerin unter Vorlage eines Heil- und Kostenplanes sowie eines Kostenvoranschlags der Universitätsklinik E (Eigenanteil: 2.950,10 EUR) bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine neue Suprakonstruktion, da an verschiedenen Stellen die Keramik großflächig abgeplatzt sei. Nach einem teilweisen Abbau des Knochentransplantats und der damit verbundenen Fehlbelastung im Kieferbereich sei die ursprüngliche Suprakonstruktion nicht mehr verwertbar. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 27.2.2012 einen Festzuschuss i.H.v. 453,90 EUR und lehnte den Kostenübernahmeantrag im Übrigen ab. Die Ausnahmeindikation gemäß § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V gelte nicht, wenn die Suprakonstruktion erneuert werden müsse.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch unter Vorlage einer Stellungnahme des behandelnden Zahnarztes T. Die Beklagte hörte daraufhin den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) an. Im weiteren Verlauf wurde der Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 4.7.2013 zurückgewiesen. Es bestehe kein Anspruch auf Übernahme der vollständigen Kosten für eine Suprakonstruktion. Jeder neue Behandlungsfall, auch Folgebehandlungen, sei nach der jeweiligen Rechtslage zu beurteilen.
Die Klägerin hat gegen die Bescheide der Beklagten Klage erhoben, mit der sie weiterhin die vollständige Kostenübernahme für eine neue Suprakonstruktion geltend macht. 2003 sei keine andere Möglichkeit der Behandlung ihres Kiefers und Gebisses möglich gewesen als der Einsatz von Implantaten. So habe sie sich trotz ihrer Skepsis gegenüber Implantaten mangels Alternativen dieser Behandlungsmethode unterzogen und sei seitdem einen Leidensweg mit nachfolgenden - nicht unerheblichen – operativen Nachbehandlungen und Schmerzen gegangen. Die Erneuerung der Suprakonstruktion sei medizinisch notwendig, die Entfernung der Implantate nicht möglich bzw. unzumutbar. Es würden sich schon Folgeschäden aufgrund des unversorgten Zustandes, des schlechten Zustandes der Suprakonstruktion, entwickeln und es bestehe die Gefahr der Schädigung der Kiefergelenke.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 27.2.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.7.2013 die Kosten für die Suprakonstruktion vollständig zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide aus den dort ausgeführten Gründen für rechtmäßig.
Das Gericht hat zur weiteren Ermittlung des Sachverhalts die Arztbriefe und ambulanten Karten der Universitätsklinik E beigezogen sowie Auskünfte des T eingeholt. Zur weiteren Sachdarstellung wird auf diese Unterlagen sowie auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze und Unterlagen der Beteiligten einschließlich der beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet.
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig, soweit sie die Übernahme der über den Festzuschuss hinausgehenden Kosten der Suprakonstruktion ablehnen. Der Klägerin steht der geltend gemachte Sachleistungsanspruch zu, §§ 11, 27, 28 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V). Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V i.V.m. der Ausnahmeindikation Punkt B. VII. 2. a), 2. Alt. der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung – Behandlungsrichtlinie - ("größere Kiefer- oder Gesichtsdefekte, die ihre Ursache in Entzündungen des Kiefers haben"). Der Anspruch auf die Versorgung mit einer neuen Suprakonstruktion als Sachleistungsanspruch ergibt sich bereits aufgrund des Wortlauts der Gesetzesvorschrift des § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V. Denn dort ist geregelt, dass die implantologischen Leistungen "einschließlich der Suprakonstruktion" zu erbringen sind. Aus der Formulierung "einschließlich" folgt, dass die Implantate mit einer Suprakonstruktion zu leisten sind. Dies bedeutet, dass die Suprakonstruktion als quasi begleitende Leistung und Zubehör der Implantate zur Verfügung zu stellen ist. Die Suprakonstruktion teilt das Schicksal der Implantate. Solange die Implantate Bestand haben, haben sie dies einschließlich Suprakonstruktion und sind mit einer solchen funktionsfähigen zu erbringen.
Die entgegenstehende Auffassung der Beklagten steht dem Zweck dieses gesetzlich vorgesehenen Gesamtbehandlungsanspruchs entgegen: Ein Nichtanerkennen des Folgebehandlungsanspruchs würde jedenfalls in den Fällen, in denen die Versicherten finanziell nicht in der Lage sind, die erheblichen Kosten eines Implantates bzw. einer Suprakonstruktion weiterhin selber zu finanzieren, dazu führen, dass es mit dem (darüber hinaus unzumutbaren) Entfernen der Implantate zur Beseitigung des in § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V (i.V.m. Punkt B. VII. 2. a), 2. Alt. der Behandlungsrichtlinie) vorgesehenen Behandlungserfolgs käme. Auch dies kann nicht im Interesse des Gesetzgebers gewesen sein, zumal es sich bei der Beseitigung um eine unzumutbare Behandlungsmaßnahme handelt (dazu weiter unten).
Ein langfristig angelegtes Implantat ohne nachfolgende Versorgung ("Wartung"), insbesondere ohne funktionierende Suprakonstruktion stellt darüber hinaus sogar eine schädliche Versorgung dar, die zwangsläufig weitere Folgeschäden nach sich zieht. Insoweit hat der behandelnde Zahnarzt der Klägerin nachvollziehbar geschildert, dass ein Entfernen der Implantate mit einem Herausfräsen unter großräumiger Entnahme von Knochenmaterial eine unzumutbare medizinische Maßnahme darstelle. Die Klägerin hat darüber hinaus glaubhaft dargelegt, dass bei ihr in diesem Fall zudem ein erhebliches Risiko für die Schädigung eines Gesichtsnerves bestehe. Die Klägerin hat des Weiteren glaubhaft geschildert, dass bereits der aktuelle Zustand schmerzhaft sei, die mangelnde Funktion der Implantate bzw. die Reparaturbedürftigkeit der Suprakonstruktion dazu geführt habe, dass die Kaufähigkeit und der Gegenbiss (Okklusion) aufgehoben sei. Darüber hinaus bestünde bereits jetzt eine Behandlungsbedürftigkeit für das hieraus resultierende nächtliche Zähneknirschen und Zähnepressen. Bei einem weiteren Fortschreiten dieser Entwicklung würden auch die Kiefergelenke betroffen sein. Zudem ist der Vorsitzenden aus anderen Verfahren bekannt, dass eine unzureichende oder Fehlbelastung von transplantiertem Knochenmaterial zu einem Schwund des Knochenaufbaus führt. Es erscheint naheliegend, dass eine solche Fehlbelastung bzw. unzureichende Belastung durch eine unzureichende Suprakonstruktion verursacht werden kann.
Unter Berücksichtigung dieser dargelegten Umstände im Allgemeinen und insbesondere im konkreten Fall der Klägerin kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber bei unveränderter Rechtslage eine langfristig angelegte invasive Maßnahme lediglich für einen quasi befristeten Zeitraum und mit absehbar mittelfristiger Schädigung nach Ablauf dieses Zeitraums ("Haltbarkeit" der Suprakonstruktion) zur Verfügung stellen wollte.
Jedenfalls unter Berücksichtigung des Instituts des öffentlich-rechtlichen Aufopferungsanspruchs kann eine andere Auslegung von § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V nicht in Betracht kommen. Denn die Versicherte ist nicht verpflichtet, die Folgeschäden von schlecht oder unversorgt gebliebenen Implantaten in Kauf zu nehmen (vgl. BSG, Urteil vom 6.10.1999 – B 1 KR 9/99 R -, BVerfG, Beschluss vom 4.8.1998 – 1 BvR 897/98 -). Die Behandlung zur Beseitigung dieser Schäden könnte sie aufgrund des Sonderopfers, das sie durch die Ablehnung der Versorgung der kassenrechtlich gesetzten Implantate erfährt, als Entschädigung beanspruchen. Eine Behandlung zur Beseitigung der Folgeschäden wäre vorliegend die Erneuerung der Suprakonstruktion.
Die Auffassung der Beklagten, dass bei Folgebehandlungen die Ausnahmeindikation aktuell noch erfüllt sein muss, würde darüber hinaus – gerade bezogen auf die hier einschlägige Ausnahmeindikation - aus folgenden Gründen zu nicht mehr sachgerechten Ergebnissen führen:
Bei der Indikation Punkt B. VII. 2. a), 2. Alt. der Behandlungsrichtlinie liegt es in der Natur der Indikation und der dort erfassten Gesamtbehandlungsmaßnahme (Operation), dass die operationsbedürftige Ausgangsindikation mit der Durchführung der Operation beendet ist und bereits am nächsten Tag nicht mehr besteht. Nach dem Standpunkt der Beklagten würde unmittelbar mit dem Abschluss dieser (Gesamt-) Behandlungsmaßnahme, d.h. der Operation, zwangsläufig und voraussehbar jegliche weitere Versorgung der gesetzten Implantate (Reparatur, anderweitiger Behandlungsbedarf) und der Suprakonstruktion (bis auf den Festzuschuss) in die Eigenverantwortung der Versicherten fallen, ungeachtet der Frage, ob sie in der Lage sind, diese zu finanzieren, und obwohl die Maßnahme (Setzen eines Implantates) eine langfristig angelegte Behandlungsmaßnahme ist, die entweder gar nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Bedingungen rückabgewickelt werden kann. So hat das Bundessozialgericht die Folgebehandlung der Entfernung harter Zahnbeläge als eine Behandlung zu Lasten der Krankenkasse angenommen (Urteil vom 21.6.2011 – B 1 KR 17/10 R -, juris.de).
Diesem Ergebnis steht auch nicht die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 3.9.2003 – B 1 KR 9/02 R -, juris.de) entgegen, da diese den Wegfall eines Leistungsanspruchs durch Änderung der gesetzlichen Regelung betrifft. So hat das Bundessozialgericht ausgeführt: "Dennoch können einem Versicherten, der sich im Vertrauen auf gewisse unterstützende Leistungen seiner Krankenkasse operieren lässt, deshalb nach dem Wegfall dieser Leistungen keine weitergehenden Ansprüche zustehen als einem Versicherten, bei dem derselbe Unterstützungsbedarf auftritt, ohne dass er operiert wurde." (a.a.O., Rn. 18) Ausdrücklich bezieht sich das Bundessozialgericht auf den "Wegfall dieser Leistungen". Damit ist kein Fall vergleichbar mit dem vom Bundessozialgericht entschiedenen gegeben, da sich für die Situation der Klägerin gerade keine Rechtsänderung mit dem Wegfall von Leistungen ergeben hat. Vielmehr stellt sich der Fall der Klägerin unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Rechtslage seit 2003 hinsichtlich der Ausnahmeindikationen unverändert ist, so dar, dass es insoweit vielmehr um das schützenswerte Vertrauen auf die seit 2003 unverändert und aktuell bestehende Rechtslage und nicht um ein Vertrauen auf den Bestand einer (nicht mehr existierenden) Rechtslage des Jahres 2003 geht. Darüber hinaus ist insbesondere im Licht des öffentlich-rechtlichen Aufopferungsanspruchs zu bedenken, dass durch den quasi Abbruch der Behandlungsmaßnahme erhebliche behandlungsbedingte Folgeschäden verursacht werden können, anders als im Fall eines nicht operierten Zustandes (ohne Implantate). So stellt sich der vorliegende Fall dar.
Soweit die Festzuschuss-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für die Erneuerung und Wiederherstellung von Suprakonstruktionen Festzuschüsse festsetzt (B. 7. ff.), konnte dies zu keiner anderen Entscheidung führen. Soweit diese Festsetzung nicht für Indikationen im Sinne der Zahnersatz-Richtlinien und für privat finanzierte implantologische Leistungen außerhalb der Regelversorgung, sondern ausdrücklich für Ausnahmeindikationen anwendbar sein sollte, steht dies aus den ausgeführten Gründen im Widerspruch zu § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V und entbehrt damit für den vorliegenden Fall einer Ermächtigungsgrundlage.
Ungeachtet der obigen Ausführungen zu der Begründetheit des streitgegenständlichen Anspruchs erscheint es nicht vertretbar, Versicherten eine langfristig angelegte Behandlungsmaßnahme zu bewilligen, ohne sie auf die zeitliche und sächliche Begrenzung der Kostenübernahme und das daraus für die Zukunft resultierende erhebliche Kostenrisiko hinzuweisen, das auf die Versicherten im Gegensatz zur sonst üblichen Kostenlast der Krankenversicherung z.B. bei Komplikationen nach invasiven Eingriffen zukommt.
Die Kostentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes auf (SGG).
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