Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
53
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 53 AS 580/07
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid der Beklagten vom 8.12.2006 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 6.2.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.2.2007 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1.1.2007 bis 30.6.2007 höheres Arbeitslosengeld II in Höhe von weiteren 49,- EUR monatlich zu gewähren. 2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. 3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit ist die Höhe des Arbeitslosengeldes II unter Berücksichtigung von Einkommen in Form von Tagespflegegeld.
Die 1959 geborene allein stehende Klägerin bezieht seit dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) am 1.1.2005 Arbeitslosengeld II (§ 19 SGB II). Dabei wurde und wird das der Klägerin als Tagespflegeperson vom Jugendamt des Bezirksamts Altona der Freien und Hansestadt Hamburg nach § 23 Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII) gezahlte Tagespflegegeld teilweise als zu berücksichtigendes Einkommen nach § 11 SGB II angerechnet.
Mit Bescheid vom 8.12.2006 in der Fassung des nach § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des mit Widerspruchseinlegung am 9.1.2007 eingeleiteten Vorverfahrens gewordenen Änderungsbescheids vom 6.2.2007 bewilligte die Beklagte der Klägerin für den Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 290,50 EUR. Dabei wurden von dem Bedarf in Höhe von 644,00 EUR (345,00 EUR als Regelleistung nach § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II zzgl. 299,00 EUR - angesichts der Teilung der Wohnung mit dem volljährigen und nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Sohn der Klägerin anteiligen - Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II) 353,50 EUR als Einkommen unter Anwendung des seit dem 1.1.2007 geltenden § 11 Abs. 4 SGB II abgesetzt, wonach abweichend von den Absätzen 1 bis 3 (des § 11 SGB II) der Teil des Pflegegeldes nach dem SGB VIII, der für den erzieherischen Einsatz gewährt wird, für das erste und zweite Pflegekind nicht, für das dritte Pflegekind zu 75 vom 100 und für das vierte und jedes weitere Pflegekind in voller Höhe berücksichtigt wird. Die Klägerin betreute in diesen Zeitraum vier Pflegekinder, D. A., geb. am XX.XX.1996 (D), C. A., geb. am XX.X.2000 (C), J.-C. A., geb. am X.X.2002 (J-C), sowie J. A., geb. am X.X.2006 (J). Die Beklagte ging entsprechend ihrer internen Dienstanweisung davon aus, dass der von dem Tagespflegegeld nach § 11 Abs. 4 SGB II allein und auch nur teilweise zu berücksichtigende Erziehungsgeldanteil für alle Kinder jeweils 202,00 EUR monatlich betrug, was den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge entsprach, die auch in der Gesetzesbegründung Erwähnung finden (vergleiche Nachweise bei Brühl in LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 11 Rdnr. 58). Diese 202,00 EUR rechnete die Beklagte für ein Kind voll und für ein weiteres Kind zu 75 vom 100 (151,50 EUR) an.
Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.2.2007 zurück.
Mit der hiergegen am 13.3.2007 erhobenen Klage äußert die Klägerin - wie bereits im Vorverfahren - die Auffassung, dass die Anrechnung fehlerhaft erfolgt sei. Sie weist daraufhin, dass der Erziehungsgeldanteil entsprechend den jeweils bewilligten Leistungsarten und -stufen nach der Hamburger Verordnung über die Eignung von Tagespflegepersonen und Tagespflegegeld (KTagPflVO) insgesamt nicht 808,00 EUR, sondern lediglich 696,00 EUR betrage, nämlich jeweils 118,00 EUR für D und C, 200,00 EUR für J-C sowie 260,00 EUR für J. Dass ihr einen höheres anrechnungsfreies Einkommen verbliebe, wenn sie die beiden älteren Kinder, für die weniger Pflegegeld gezahlt werde, abgäbe, verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Grundgesetz.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 8.12.2006 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 6.2.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.2.2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1.1.2007 bis 30.6.2007 höheres Arbeitslosengeld II zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt Bezug auf die Begründung der angefochtenen Bescheide und führt hilfsweise aus, dass die Anrechnung des nach der KTagPflVO gezahlten Erziehungsgelds zu keinem höheren Anspruch der Klägerin führen würde. In diesem Fall sei der für J gezahlte Erziehungsgeldanteil voll anzurechnen, da jener deshalb als viertes Pflegekind im Sinne des § 11 Abs. 4 SGB II anzusehen sei, weil die Klägerin ihn erst seit April 2006 betreue, die anderen drei Kinder jedoch alle seit dem 13.9.2004. Von diesen wiederum sei J-C als drittes Pflegekind im Sinne des § 11 Abs. 4 SGB II anzusehen, weil er aus der Gruppe der gleich lang betreuten Kinder das jüngste sei. Dann jedoch wären insgesamt 410,00 EUR (260,00 EUR zuzüglich 75% von 200,00 EUR, entsprechend 150,00 EUR) als Einkommen anzurechnen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift vom 9.4.2008, die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakten S 53 AS 580/07, S 53 AS 426/06 (ebenfalls wegen der Anrechnung von Tagespflegegeld, jedoch für den Zeitraum vom 1.7. bis 31.12.2005 noch nach der früheren Fassung des § 11 Abs. 4 SGB II), S 53 AS 1158/06 (wegen der Leistungshöhe für den Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.2006), S 53 AS 137 und 882/06 (Untätigkeitsklagen) und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§§ 87, 90 SGG) erhobene Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 8.12.2006 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 6.2.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.2.2007 ist im angefochtenen Umfang rechtswidrig und verletzt die Klägerin insoweit in deren Rechten. Die Klägerin hat für den Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.2007 Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung von um 49,00 EUR monatlich höherem Arbeitslosengeld II.
Von dem unstreitigen Gesamtbedarf der Klägerin in Höhe von 644,00 EUR sind nach Überzeugung des Gerichts unter Anwendung des § 11 Abs. 4 SGB II nicht, wie geschehen, 353,50 EUR an Einkommen abzusetzen, sondern lediglich 304,50 EUR.
Die Beklagte hat - wenn auch im Einklang ihrer im Außenverhältnis und damit auch für das Gericht unverbindlichen internen Dienstanweisung - zu Unrecht entsprechend den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge einen Erziehungsgeldanteil für jedes Kind in Höhe von 202,00 EUR unterstellt. Diese Empfehlungen können, auch wenn der Gesetzgeber sie in der Gesetzesbegründung erwähnt, lediglich ein Anhaltspunkt sein, an dem sich die Jugendhilfeträger bei der Ausgestaltung ihrer Leistungen oder auch, wenn es an einer konkreten Bestimmung durch den zuständigen Jugendhilfeträger fehlt, Gerichte und Verwaltungen bei der Anwendung § 11 Abs. 4 SGB II orientieren können. Wenn jedoch vom zuständigen Jugendhilfeträger ein Betrag festgesetzt worden ist, ist kein Grund ersichtlich, diesen nicht zugrundezulegen. Das im konkreten Fall tatsächlich gewährte Erziehungsgeld ist maßgeblich (ebenso: Brühl a.a.O.; Schmidt in Oestreicher, SGB XII / SGB II, Loseblattkommentar, Ergänzungslieferung 50, § 11 SGB II, Rdnr. 173).
Wenn jedoch, wie vorliegend, die Erziehungsgeldanteile im Pflegegeld von mehr als zwei Pflegekindern unterschiedliche Höhen aufweisen, stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien zu bestimmen ist, welches Pflegekind das erste, das zweite, das dritte und gegebenenfalls das vierte oder weitere ist.
Die von der Beklagten in ihrem hilfsweise erfolgten Vortrag herangezogenen Kriterien wie der Zeitpunkt der Aufnahme in die Betreuung und das Lebensalter führen zu zufälligen und nicht sachgerechten und im Übrigen durch die Betreuungspersonen durch Aufnahme, Nichtaufnahme oder Abgabe von Kindern beziehungsweise deren Reihenfolge manipulierbaren Ergebnissen. Zu Recht weist die Klägerin darauf hin, dass ihr nach den angefochtenen Bescheiden der Beklagten bei den vier betreuten Kindern und angerechneten 353,50 EUR von den 696,00 EUR Erziehungsgeldanteil - und erst recht nach der Hilfsargumentation bei angerechneten 410,00 EUR - weniger Einkommen verbleibe, als wenn sie die Betreuung von D und C einstellte und der komplette Erziehungsgeldanteil für J-C und J in Höhe von zusammen 460,00 EUR nicht berücksichtigt würde.
Angesichts dessen hält das erkennende Gericht es für sachgerecht, aus dem tatsächlich für alle betreuten Kinder gezahlten Erziehungsgeldanteil an dem Pflegegeld einen durchschnittlichen Erziehungsgeldanteil zu errechnen, so dass es keiner Bestimmung bedürfte, welches Kind erstes, zweites, drittes und weiteres Pflegekind ist.
Diese Lösung wird dem Sinn und Zweck der Regelung in § 11 Abs. 4 SGB II gerecht. Der Gesetzgeber ging bei deren Schaffung davon aus, dass das Pflegegeld als besondere zweckbestimmte Einnahme grundsätzlich insgesamt anrechnungsfrei bleiben solle, dass jedoch bei der Betreuung mehrerer Kinder ab einer gewissen Summe die Lage der Betreuungspersonen so günstig beeinflusst werde, dass daneben ungekürzte Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Dies entspricht der Regelung in § 11 Abs. 3 SGB II, die bis Ende 2006 auch Anwendung auf das Pflegegeld fand. Angesichts der "phantasievollen Rechtsprechung" (Brühl a.a.O.) zur Anrechnung von Pflegegeld nach dem SGB VIII nach Inkrafttreten des SGB II sah der Gesetzgeber sich veranlasst, die spezielle Vorschrift des § 11 Abs. 4 SGB II zu schaffen und bestimmte darin selbst, wann der Zeitpunkt erreicht ist, zu dem die zweckbestimmte Einnahme "Erziehungsgeld" einen Umfang erreicht, durch den die Lage des Empfängers so günstig beeinflusst wird, das daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Abgestellt wird mithin auf einen Geldbetrag, so dass es unvertretbar wäre, bei sich stark unterscheidender Höhe des Erziehungsgeldanteils für mehrere Kinder die Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung von - manipulierbaren - Zufälligkeiten wie dem Beginn der Betreuung der einzelnen Kinder abhängig zu machen. Auch der Gesetzgeber ging bei der Schaffung des § 11 Abs. 4 SGB II von einem für alle betreuten Kinder gleich hohen Erziehungsgeldbetrag aus, auch wenn er dabei an die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge anknüpfte.
Unter Zugrundelegung dessen ergibt sich vorliegend ein durchschnittliches Erziehungsgeld in Höhe von 174,00 EUR (696,00 EUR: 4), so dass für das dritte Kind 130,50 EUR (75% von 174,00 EUR) und für das vierte Kind 174,00 EUR, insgesamt 304,50 EUR und damit 49,00 EUR weniger, als in den angefochtenen Bescheiden zu Grunde gelegt, als Einkommen anzurechnen sind. Weitere Beträge sind nicht abzusetzen. § 11 Abs. 4 SGB II regelt speziell und abschließend die Anrechnung von Pflegegeld nach dem SGB VIII, die Anwendung der Absätze 1 bis 3 des § 11 SGB II wird ausdrücklich ausgeschlossen.
Als Folge der Anrechnung von weniger Einkommen fällt der Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld II monatlich um 49,00 EUR höher aus, als bewilligt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreits.
Die Kammer hat die Berufung zugelassen, weil sie der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 144 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Tatbestand:
Im Streit ist die Höhe des Arbeitslosengeldes II unter Berücksichtigung von Einkommen in Form von Tagespflegegeld.
Die 1959 geborene allein stehende Klägerin bezieht seit dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) am 1.1.2005 Arbeitslosengeld II (§ 19 SGB II). Dabei wurde und wird das der Klägerin als Tagespflegeperson vom Jugendamt des Bezirksamts Altona der Freien und Hansestadt Hamburg nach § 23 Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII) gezahlte Tagespflegegeld teilweise als zu berücksichtigendes Einkommen nach § 11 SGB II angerechnet.
Mit Bescheid vom 8.12.2006 in der Fassung des nach § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des mit Widerspruchseinlegung am 9.1.2007 eingeleiteten Vorverfahrens gewordenen Änderungsbescheids vom 6.2.2007 bewilligte die Beklagte der Klägerin für den Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 290,50 EUR. Dabei wurden von dem Bedarf in Höhe von 644,00 EUR (345,00 EUR als Regelleistung nach § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II zzgl. 299,00 EUR - angesichts der Teilung der Wohnung mit dem volljährigen und nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Sohn der Klägerin anteiligen - Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II) 353,50 EUR als Einkommen unter Anwendung des seit dem 1.1.2007 geltenden § 11 Abs. 4 SGB II abgesetzt, wonach abweichend von den Absätzen 1 bis 3 (des § 11 SGB II) der Teil des Pflegegeldes nach dem SGB VIII, der für den erzieherischen Einsatz gewährt wird, für das erste und zweite Pflegekind nicht, für das dritte Pflegekind zu 75 vom 100 und für das vierte und jedes weitere Pflegekind in voller Höhe berücksichtigt wird. Die Klägerin betreute in diesen Zeitraum vier Pflegekinder, D. A., geb. am XX.XX.1996 (D), C. A., geb. am XX.X.2000 (C), J.-C. A., geb. am X.X.2002 (J-C), sowie J. A., geb. am X.X.2006 (J). Die Beklagte ging entsprechend ihrer internen Dienstanweisung davon aus, dass der von dem Tagespflegegeld nach § 11 Abs. 4 SGB II allein und auch nur teilweise zu berücksichtigende Erziehungsgeldanteil für alle Kinder jeweils 202,00 EUR monatlich betrug, was den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge entsprach, die auch in der Gesetzesbegründung Erwähnung finden (vergleiche Nachweise bei Brühl in LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 11 Rdnr. 58). Diese 202,00 EUR rechnete die Beklagte für ein Kind voll und für ein weiteres Kind zu 75 vom 100 (151,50 EUR) an.
Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.2.2007 zurück.
Mit der hiergegen am 13.3.2007 erhobenen Klage äußert die Klägerin - wie bereits im Vorverfahren - die Auffassung, dass die Anrechnung fehlerhaft erfolgt sei. Sie weist daraufhin, dass der Erziehungsgeldanteil entsprechend den jeweils bewilligten Leistungsarten und -stufen nach der Hamburger Verordnung über die Eignung von Tagespflegepersonen und Tagespflegegeld (KTagPflVO) insgesamt nicht 808,00 EUR, sondern lediglich 696,00 EUR betrage, nämlich jeweils 118,00 EUR für D und C, 200,00 EUR für J-C sowie 260,00 EUR für J. Dass ihr einen höheres anrechnungsfreies Einkommen verbliebe, wenn sie die beiden älteren Kinder, für die weniger Pflegegeld gezahlt werde, abgäbe, verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Grundgesetz.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 8.12.2006 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 6.2.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.2.2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1.1.2007 bis 30.6.2007 höheres Arbeitslosengeld II zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt Bezug auf die Begründung der angefochtenen Bescheide und führt hilfsweise aus, dass die Anrechnung des nach der KTagPflVO gezahlten Erziehungsgelds zu keinem höheren Anspruch der Klägerin führen würde. In diesem Fall sei der für J gezahlte Erziehungsgeldanteil voll anzurechnen, da jener deshalb als viertes Pflegekind im Sinne des § 11 Abs. 4 SGB II anzusehen sei, weil die Klägerin ihn erst seit April 2006 betreue, die anderen drei Kinder jedoch alle seit dem 13.9.2004. Von diesen wiederum sei J-C als drittes Pflegekind im Sinne des § 11 Abs. 4 SGB II anzusehen, weil er aus der Gruppe der gleich lang betreuten Kinder das jüngste sei. Dann jedoch wären insgesamt 410,00 EUR (260,00 EUR zuzüglich 75% von 200,00 EUR, entsprechend 150,00 EUR) als Einkommen anzurechnen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift vom 9.4.2008, die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakten S 53 AS 580/07, S 53 AS 426/06 (ebenfalls wegen der Anrechnung von Tagespflegegeld, jedoch für den Zeitraum vom 1.7. bis 31.12.2005 noch nach der früheren Fassung des § 11 Abs. 4 SGB II), S 53 AS 1158/06 (wegen der Leistungshöhe für den Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.2006), S 53 AS 137 und 882/06 (Untätigkeitsklagen) und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§§ 87, 90 SGG) erhobene Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 8.12.2006 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 6.2.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.2.2007 ist im angefochtenen Umfang rechtswidrig und verletzt die Klägerin insoweit in deren Rechten. Die Klägerin hat für den Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.2007 Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung von um 49,00 EUR monatlich höherem Arbeitslosengeld II.
Von dem unstreitigen Gesamtbedarf der Klägerin in Höhe von 644,00 EUR sind nach Überzeugung des Gerichts unter Anwendung des § 11 Abs. 4 SGB II nicht, wie geschehen, 353,50 EUR an Einkommen abzusetzen, sondern lediglich 304,50 EUR.
Die Beklagte hat - wenn auch im Einklang ihrer im Außenverhältnis und damit auch für das Gericht unverbindlichen internen Dienstanweisung - zu Unrecht entsprechend den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge einen Erziehungsgeldanteil für jedes Kind in Höhe von 202,00 EUR unterstellt. Diese Empfehlungen können, auch wenn der Gesetzgeber sie in der Gesetzesbegründung erwähnt, lediglich ein Anhaltspunkt sein, an dem sich die Jugendhilfeträger bei der Ausgestaltung ihrer Leistungen oder auch, wenn es an einer konkreten Bestimmung durch den zuständigen Jugendhilfeträger fehlt, Gerichte und Verwaltungen bei der Anwendung § 11 Abs. 4 SGB II orientieren können. Wenn jedoch vom zuständigen Jugendhilfeträger ein Betrag festgesetzt worden ist, ist kein Grund ersichtlich, diesen nicht zugrundezulegen. Das im konkreten Fall tatsächlich gewährte Erziehungsgeld ist maßgeblich (ebenso: Brühl a.a.O.; Schmidt in Oestreicher, SGB XII / SGB II, Loseblattkommentar, Ergänzungslieferung 50, § 11 SGB II, Rdnr. 173).
Wenn jedoch, wie vorliegend, die Erziehungsgeldanteile im Pflegegeld von mehr als zwei Pflegekindern unterschiedliche Höhen aufweisen, stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien zu bestimmen ist, welches Pflegekind das erste, das zweite, das dritte und gegebenenfalls das vierte oder weitere ist.
Die von der Beklagten in ihrem hilfsweise erfolgten Vortrag herangezogenen Kriterien wie der Zeitpunkt der Aufnahme in die Betreuung und das Lebensalter führen zu zufälligen und nicht sachgerechten und im Übrigen durch die Betreuungspersonen durch Aufnahme, Nichtaufnahme oder Abgabe von Kindern beziehungsweise deren Reihenfolge manipulierbaren Ergebnissen. Zu Recht weist die Klägerin darauf hin, dass ihr nach den angefochtenen Bescheiden der Beklagten bei den vier betreuten Kindern und angerechneten 353,50 EUR von den 696,00 EUR Erziehungsgeldanteil - und erst recht nach der Hilfsargumentation bei angerechneten 410,00 EUR - weniger Einkommen verbleibe, als wenn sie die Betreuung von D und C einstellte und der komplette Erziehungsgeldanteil für J-C und J in Höhe von zusammen 460,00 EUR nicht berücksichtigt würde.
Angesichts dessen hält das erkennende Gericht es für sachgerecht, aus dem tatsächlich für alle betreuten Kinder gezahlten Erziehungsgeldanteil an dem Pflegegeld einen durchschnittlichen Erziehungsgeldanteil zu errechnen, so dass es keiner Bestimmung bedürfte, welches Kind erstes, zweites, drittes und weiteres Pflegekind ist.
Diese Lösung wird dem Sinn und Zweck der Regelung in § 11 Abs. 4 SGB II gerecht. Der Gesetzgeber ging bei deren Schaffung davon aus, dass das Pflegegeld als besondere zweckbestimmte Einnahme grundsätzlich insgesamt anrechnungsfrei bleiben solle, dass jedoch bei der Betreuung mehrerer Kinder ab einer gewissen Summe die Lage der Betreuungspersonen so günstig beeinflusst werde, dass daneben ungekürzte Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Dies entspricht der Regelung in § 11 Abs. 3 SGB II, die bis Ende 2006 auch Anwendung auf das Pflegegeld fand. Angesichts der "phantasievollen Rechtsprechung" (Brühl a.a.O.) zur Anrechnung von Pflegegeld nach dem SGB VIII nach Inkrafttreten des SGB II sah der Gesetzgeber sich veranlasst, die spezielle Vorschrift des § 11 Abs. 4 SGB II zu schaffen und bestimmte darin selbst, wann der Zeitpunkt erreicht ist, zu dem die zweckbestimmte Einnahme "Erziehungsgeld" einen Umfang erreicht, durch den die Lage des Empfängers so günstig beeinflusst wird, das daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Abgestellt wird mithin auf einen Geldbetrag, so dass es unvertretbar wäre, bei sich stark unterscheidender Höhe des Erziehungsgeldanteils für mehrere Kinder die Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung von - manipulierbaren - Zufälligkeiten wie dem Beginn der Betreuung der einzelnen Kinder abhängig zu machen. Auch der Gesetzgeber ging bei der Schaffung des § 11 Abs. 4 SGB II von einem für alle betreuten Kinder gleich hohen Erziehungsgeldbetrag aus, auch wenn er dabei an die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge anknüpfte.
Unter Zugrundelegung dessen ergibt sich vorliegend ein durchschnittliches Erziehungsgeld in Höhe von 174,00 EUR (696,00 EUR: 4), so dass für das dritte Kind 130,50 EUR (75% von 174,00 EUR) und für das vierte Kind 174,00 EUR, insgesamt 304,50 EUR und damit 49,00 EUR weniger, als in den angefochtenen Bescheiden zu Grunde gelegt, als Einkommen anzurechnen sind. Weitere Beträge sind nicht abzusetzen. § 11 Abs. 4 SGB II regelt speziell und abschließend die Anrechnung von Pflegegeld nach dem SGB VIII, die Anwendung der Absätze 1 bis 3 des § 11 SGB II wird ausdrücklich ausgeschlossen.
Als Folge der Anrechnung von weniger Einkommen fällt der Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld II monatlich um 49,00 EUR höher aus, als bewilligt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreits.
Die Kammer hat die Berufung zugelassen, weil sie der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 144 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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